Al-Mizan
Al-Mizan - Auslegung des Qur'an

Aussprache: tafsiir al-miizaan
arabisch:
تفسير الميزان
persisch: تفسير ميزان
englisch: Al-Mizan

Mehr zum Thema siehe: Al-Mizan

Al-Mizan - Auslegung des Qur’an

„Dir allein dienen wir und
Dich allein bitten wir um Hilfe“ (5)

“Al-`Abd“ bedeutet “Sklave“, d.h.: ein menschliches Wesen, das im Besitz eines Anderen ist. In seiner abstrakten Bedeutung, wird jener Begriff auch in Bezug auf andere mit Vernunft begabte Wesen verwendet, wie uns die Worte Allahs zeigen: „Da ist keiner in den Himmeln noch auf der Erde, der dem Allerbarmer anders denn als Diener [`abd] sich nahen dürfte“ (19:93). Im modernen Sprachgebrauch, wird dieses Wort meist als “Diener“ übersetzt.

„Al-`Ibādah“ (das Dienen, das Verehren, das Gehorchen) wird von diesem Wort abgeleitet. Seine grammatikalischen Abwandlungen und seine Bedeutungen können sich aber abhängig vom jeweiligen Kontext verändern. Al-Dschawharī hat in seinem Wörterbuch a-iāh vermerkt, dass „die Wurzel von al-`Ubūdiyyah (Dienerschaft, Knechtschaft) al-Chuū´ (Unterwerfung) ist.“ Aber dies ist keine vollständige Erklärung des Wortes selbst; es zeigt lediglich eine begleitende Eigenschaft seiner Bedeutung auf, denn al-Chuū´ wird mit der Präposition „li“ verwendet und al-`Ibādah wird ohne jegliche Präposition verwendet.

Wenn ein Diener Allahs, Ihn verehrt, dann steht dieser vor seinem Herrn, so wie ein Sklave vor seinem Meister steht. Deswegen steht Anbetung in direktem Gegensatz zu Arroganz, Eitelkeit und Stolz – allerdings nicht notwendigerweise im Gegensatz zu Polytheismus. Denn ein Sklave kann genauso gut im Besitz von zwei oder mehreren Herren gleichzeitig stehen.

Allah sagt: „...die aber, die zu überheblich sind, um mir zu dienen werden unterwürfig in das Höllenfeuer eintreten“ (40:60); und Er sagte auch: „...und keinen anderen einbeziehen in den Dienst an Seinem Herrn (18:110).

Es sollte an dieser Stelle vermerkt werden, dass Polytheismus – Vielgötterei, also jemandem oder etwas Allah beizugesellen – in der Anbetung möglich ist und daher auch zum Gegenstand dieses Verbots gemacht wurde, denn niemand würde etwas verbieten, was unmöglich ist. Aber Arroganz und Überheblichkeit kann nicht gleichzeitig mit Anbetung und Verehrung existieren, deswegen wurde an dieser Stelle auch der Ausdruck „die zu überheblich sind, um mir zu dienen“ verwendet.

Knechtschaft ist nur in Bezug auf jene Angelegenheiten effektiv, die unter der Kontrolle des Meisters stehen, nicht aber in Bezug auf andere Dinge, die den Diener betreffen, wie beispielsweise, dass dieser der Sohn seines Vaters ist oder dass seine Körpergröße so und so viel Zentimeter beträgt. Denn bezüglich solcher Angelegenheiten existiert keine Unterwerfung oder Dienerschaft. Aber die Herrschaft von Allah ist vollkommen unbegrenzt. Weder teilt Er Seine Herrschaft mit irgendjemand anderem, noch wird die Dienerschaft Seiner Geschöpfe aufgeteilt zwischen Allah und irgendwelchen Anderen. Ein Herr verfügt nur über begrenzte Autorität gegenüber seinen Dienern. Er kann diese dafür einsetzen, bestimmte Aufgaben zu erledigen, aber er kann sie nicht ungerechterweise töten oder bestrafen. Allah aber hat die uneingeschränkte und allumfassende Autorität über Seine Diener. Seine Herrschaft ist bedingungslos und unbegrenzt. Genauso ist umgekehrt auch die Dienerschaft Seiner Geschöpfe bedingungslos und unbegrenzt. Diese Art des Besitzverhältnisses ist somit von beiden Seiten aus als wahrhaftig und exklusiv zu betrachten: Der Herr verfügt über exklusives Besitzrecht, während der Sklave über exklusive Dienerschaft verfügt. Die spezielle Konstruktion des Satzes „Dir (alleine) dienen wir“ weist ebenfalls auf diese Exklusivität hin. Denn das Objekt „dir“ ist dem Verb vorangestellt worden und die Dienerschaft, die in jenem Satz erwähnt wird, ist an keinerlei Bedingungen geknüpft.

An früherer Stelle wurde bereits erklärt, dass Eigentum nur durch seinen Eigentümer existieren und bestehen kann. Deswegen, sollte die Aufmerksamkeit des Betrachters also nicht durch das Eigentum, vom Eigentümer abgelenkt werden. Beispielsweise betrachten wir ein Haus, das Zaid[1] gehört. Wenn wir es lediglich als Haus betrachten, dann verlieren wir möglicherweise Zaid aus unserem Blickfeld. Wenn wir das Haus allerdings unter jenem Gesichtspunkt betrachten, dass es sich dabei um das Eigentum von Zaid handelt, dann wird es uns schwer fallen unsere Gedanken von Zaid abzuwenden.

Die einzig wahre Eigenschaft des Universums ist, dass es von Allah geschaffen wurde und dass es Sein Besitztum ist. Nichts in der Schöpfung vermag die göttliche Präsenz zu verbergen, noch sollte das Betrachten jener Dinge dazu führen, dass jemand Allah vergisst oder unachtsam Seiner Existenz gegenüber wird. Er ist Derjenige, Der immer und überall anwesend ist, so wie Er selbst sagte: „Genügt es denn nicht, dass Dein Herr Zeuge aller Dinge ist? Doch sie hegen Zweifel an der Begegnung mit ihrem Herrn. Wahrlich, er umfasst alle Dinge“ (41:53-54).

Die wahre Anbetung ist demnach jene, in der der Angebetete und der Anbetende beide gleichermaßen anwesend sind. Allah sollte angebetet werden, als der Eine, Der alleine anwesend ist vor dem Anbetenden – deswegen findet in dem hier diskutierten Vers auch ein Wechsel von der dritten Person des vorangegangenen Verses in die zweite Person statt:

„Dir (alleine) dienen wir.“ Der Anbetende oder Diener sollte vor seinem Herrn, vollkommen anwesend sein nicht nur mit seinem Körper, sondern auch mit seiner Seele. Ansonsten wäre seine Anbetung nicht mehr, als ein Körper ohne Seele, eine Form ohne Leben. Des Weiteren sollte der Anbetende seine Aufmerksamkeit nicht teilen zwischen seinem Herrn und irgendjemand oder irgendetwas anderem – weder in der Öffentlichkeit (wie es die Götzenanbeter tun) noch im Geheimen (wie es derjenige tut, dessen Gedanken abschweifen oder der an etwas anderes denkt, während er Allah anbetet, oder derjenige, der Allah nur anbetet, weil er ins Paradies kommen will oder weil er sich selbst vor dem Höllenfeuer erretten will). All diese Ablenkungen sind verschiedene Facetten und Stufen von Polytheismus, den Allah in Seinem Buche ausdrücklich verboten hat: „...so diene denn Allah in lauterem Gehorsam Ihm gegenüber“ (39:2); „Wahrlich Allah allein gebührt lauterer Gehorsam. Und diejenigen, die sich andere zu Beschützern nehmen statt Ihn sagen: ‚Wir dienen ihnen nur, damit sie uns Allah nahe bringen.’ Wahrlich Allah wird zwischen ihnen und über das, worüber sie uneins sind, richten“ (39:3).

Anbetung ist erst dann wahre Anbetung, wenn sie mit aufrichtiger und reiner Absicht vollführt wird. Diese Reinheit wurde auch als “die Anwesenheit des Anbetenden“ bezeichnet. Sie kann nur zustande kommen, wenn die Aufmerksamkeit des Anbetenden in keinster Weise von Allah abgelenkt wird (denn sonst würde es sich ja bereits um eine Form von Polytheismus handeln) und wenn das Ziel der Anbetung nicht von Hoffnung oder Angst bestimmt ist, wie beispielsweise Hoffnung auf das Paradies oder Furcht vor der Hölle (da die Anbetung in diesem Fall nicht Allah alleine gelten würde). Des Weiteren sollte der Anbetende nicht mit sich selbst beschäftigt sein oder seine eigenen Wünsche und Interessen im Kopf haben, denn das würde Egoismus und Arroganz gleichkommen – das genaue Gegenteil von Hingabe und Dienerschaft. Wahrscheinlich deutet auch die Verwendung des Pronomens in der Mehrzahl – „wir dienen“ – auf diesen Aspekt hin, denn es verleugnet die Individualität des Anbetenden, indem sich dieser lediglich einer Vielzahl von anderen Menschen unterordnet; dies soll Egoismus beseitigen, Bescheidenheit erzeugen und der Tendenz vorbeugen, sich selbst zu wichtig zu nehmen.

Die Erklärung der eigenen Dienerschaft mit den Worten „Dir alleine dienen wir“ ist frei von jeglichem Makel, so weit es die Bedeutung und die Reinheit der Absicht betrifft. Indem der Diener jedoch seine Anbetung als seine eigene Handlung beschreibt, könnte der Eindruck entstehen, dass er sich in seiner Existenz, seiner Kraft und seinem Willen als unabhängig wähnte, während er in Wahrheit doch nichts anderes ist als ein Sklave – und ein Sklave besitzt nichts. Der zweite Satz „und nur Dich allein bitten wir um Hilfe“ verhindert aber dieses mögliche Missverständnis. So bedeutet es: „Wir schreiben diese Anbetung uns selbst zu, aber wir stellen diesen Anspruch nur mit und durch Deine Hilfe. Wir sind niemals unabhängig von Dir.“ Mit anderen Worten gibt der vollständige Vers: „Dir alleine dienen wir und dich alleine bitten wir um Hilfe“, eine einzige Bedeutung wieder und zwar: „Anbetung und Dienerschaft mit reiner Absicht“. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum beide Sätze den gleichen Stil verfolgen. Ansonsten hätte beispielsweise auch gesagt werden können: „Dir alleine dienen wir; hilf uns und führe uns...“. Der Stil des nächsten Verses wiederum ist anders, als die vorangegangen, da es heißt „Führe uns...“; aber die Gründe dafür werden später noch erläutert werden.

Die oben angeführten Erklärungen sollten es nun Folgendes deutlich machen: warum die Pronomen dieses Verses von der dritten Person plötzlich in die zweite Person gewechselt sind; warum das restriktive Mittel, das Objekt („Dir/Dich“) vor das Verb zu stellen an dieser Stelle angewandt wurde; warum die Anbetung/Dienerschaft in „Dir (alleine) dienen wir“ ohne jegliche Bedingung verwendet wird; warum der Anbetende sich selbst einer Vielzahl von anderen Anbetenden unterordnet, wenn er seine Erklärung der Dienerschaft verkündet; wieso der zweite Satz als Ergänzung des ersten notwendig ist und wieso beide über die gleiche Konstruktion und den gleichen Stil verfügen. Andere Gelehrte haben über viele weitere sehr feine Aspekte dieses Verses geschrieben. Dem Leser wird für weitere Informationen geraten, deren Werke zu konsultieren.

Und Allah ist es, Der uns Kredit gewährt, ohne dass wir es vermögen könnten, diese Schulden jemals zurückzahlen.

[1] Zaid ist ein im Arabischen Verwendeter Name für eine beliebige Person

© seit 2006 - m-haditec GmbH - info@eslam.de