Almansor
Kapitel 5
Zuleima
tritt, mit einem Lichte, auf den
Balkon.Zuleima:
Sei mir gegrüßt, Almansor ben
Abdullah,
Sei mir gegrüßt im Reiche der
Lebend'gen!
Denn längst kam uns die trübe Mär:
tot sei
Almansor – und Zuleimas Augen
wurden
Zwei unversiegbar stille
Tränenquellen.
Almansor:
O süße Lichter, holde
Veilchenaugen,
So seid ihr mir noch immer treu
geblieben,
Als meiner schon vergaß Zuleimas
Seele!
Zuleima:
Die Augen sind der Seele klare
Fenster,
Und Tränen sind der Seele weißes
Blut.
Almansor:
Und floß auch Blut schon aus
Almansors Seele,
Am Grab der Mutter und am Grab des
Vaters,
So muß sie jetzt doch ganz und gar
verbluten,
Hier an dem Grabe von Zuleimas
Liebe.
Zuleima:
O schlimme Worte und noch schlimmre
Kunden!
Ihr bohrt euch schneidend ein in
meine Brust,
Und auch Zuleimas Seele muß
verbluten. Sie
weint.
Almansor:
O weine nicht! Wie glühnde
Naphtatropfen,
So fallen deine Tränen auf mein
Herz.
Mein Wort soll dich jetzt
nimmermehr verletzen!
Verehren will ich dich wie 'n
Heiligtum,
In dessen Näh sogar des Blutes
Rächer
Die scharfe Spitze abbricht von der
Lanze;
In dessen Näh die Taube und Gazelle
Gesichert sind vor schlimmen
Jägerspfeilen;
In dessen Näh selbst gier'ge
Räubershände
Sich demutsvoll nur zum Gebet
bewegen.
Zuleima, du bist meine heil'ge
Kaaba,
Dich glaubte ich zu küssen, als zu
Mekka
Mein glühnder Mund berührt den
heil'gen Stein; –
Du bist so süß, doch auch so kalt
wie er!
Zuleima:
Bin ich dein Heiligtum, so brich
sie ab,
Die scharfe Lanzenspitze deiner
Worte;
So laß im Köcher ruhn die argen
Pfeile,
Die luftbefiedert in mein Herze
treffen;
Und falte nicht wie zum Gebet die
Hände,
Um desto sichrer meine Ruh zu
rauben.
Genug schon schmerzt mich deine
böse Kunde
Vom Tod Abdullahs und Fatimas;
beide
Hab ich wie eigne Eltern stets
geliebt,
Und beide nannten mich auch gerne
»Tochter«!
O sprich, wie starb Fatima, unsre
Mutter?
Almansor:
Auf ihrem Ruhebette lag die Mutter,
Zur Linken kniete ich, und weinte
still,
Zur Rechten stand Abdullah, starr
und stumm,
Und mit der Friedenspalme schwebte
sichtbar
Der Todesengel über Mutters Haupt.
Ich wollte sie entreißen diesem
Engel,
Und ängstlich hielt ich fest der
Mutter Hand.
Doch, wie die Sanduhr leis und
leiser rinnet,
So rann das Leben aus der Hand der
Mutter;
Auf ihrem bleichen Antlitz zuckten
wechselnd
Ein Lächeln und ein Schmerz, und
wie ich leise
Mich hinbog über sie, da seufzte
sie
Aus tiefer Brust: »Bring diesen Kuß
Zuleimen.«
Bei diesem Namen stöhnte auf
Abdullah,
Wie ein zu Tod getroffnes, wildes
Tier.
Die Mutter sprach nicht mehr, die
kalte Hand nur
Lag in der meinigen, wie ein
Versprechen.
Zuleima:
O Mutter, o Fatima, du hast noch
Bis in den Tod geliebt dein armes
Kind!
Abdullah aber bat mich noch gehaßt,
Als er hinabstieg in sein dunkles
Haus.
Almansor:
Nicht mit ins Grab nahm er den Haß.
Obzwar,
Wenn nur durch Zufall ihm ins Ohr
geklungen
Die Namen Ali und Zuleima, so
Erwacht' in seiner Brust der Sturm,
wie Wolken
Umzog es seine Stirn, sein Auge
blitzte,
Und seinem Mund entquoll
Verwünschungsfluch.
Doch einst nach solchem Sturme fiel
der Vater,
Ermattet und betäubt in tiefen
Schlaf.
Ich stand bei ihm, auf sein
Erwachen harrend.
Wie staunte ich! Als er die Wimper
aufschlug,
Da lag in seinem Blick, statt
Zornesglühen,
Nur klare Freundlichkeit und fromme
Milde;
Statt seiner Wahnsinnschmerzen
wildes Zuckens,
Umschwebte heitres Lächeln seine
Lippen;
Und statt den grausen Fluch
hervorzufluchen,
Sprach er zu mir mit leiser,
weicher Stimme:
»Die Mutter will's nun mal, ich
kann's nicht ändern,
Drum geh nur hin, mein Sohn,
durchschiff das Meer,
Geh nach Hispanien zurück, geh hin
Nach Alis Schloß, und suche dort
Zuleima,
Und sage ihr –«
Da kam der Todesengel,
Und schnitt, mit scharfem Schwerte,
rasch entzwei
Abdullahs Leben und Abdullahs Rede.
Pause.
Ich habe ihn
ins Grab gelegt, doch nicht,
Nach Moslembrauch, das Antlitz
gegen Mekka;
Gegen Granada hab ich, wie er's
einst
Befahl, sein totes Angesicht
gerichtet.
So liegt er mit den stieren, offnen
Augen,
Und sieht mir immer nach.
Sich allmählich
umdrehend. Du toter Vater,
Du sahst mich wandern durch den
Sand der Wüste,
Und sahst mich schiffen nach der
Küste Spaniens,
Und sahst mich eilen nach dem
Schlosse Alis,
Und siehst mich hier – hier steh
ich vor Zuleima,
Sag nun, Abdullahs Geist, was soll
ich sprechen?
Eine, in einem
schwarzen Mantel verhüllte
Gestalt
tritt auf.
Die
Gestalt:
O sprich zu ihr: Zuleima steig
herunter
Aus deines Marmorschlosses güldnen
Kammern,
Und schwing dich auf Almansors
edles Roß.
Im Lande, wo des Palmbaums Schatten
kühlen,
Wo süßer Weihrauch quillt aus
heil'gem Boden,
Und Hirten singend ihre Lämmer
weiden;
Dort steht ein Zelt von blendend
weißer Leinwand,
Und die Gazelle mit den klugen
Augen,
Und die Kamele mit den langen
Hälsen,
Und schwarze Mädchen mit den
Blumenkränzen,
Stehn an des Zeltes
buntgeschmücktem Eingang,
Und harren ihrer Herrin – O Zuleima,
Dorthin, dorthin entfliehe mit
Almansor.
Garten vor Alis
Schloß, blühend und von der
Morgensonne beleuchtet.
Zuleima
liegt betend vor einem
Christusbilde. Sie steht langsam
auf.
Zuleima:
Und doch liegt noch die Sorg auf
dieser Brust!
Mein Herze zittert noch. Ist es vor
Freude,
Daß er noch lebt, den ich als tot
beweint?
Nein, nicht vor Freude, die
verträgt sich nicht
Mit meinem heil'gen Eid, mit dem
Versprechen,
Das ich dem frommen Abt des
Klosters gab.
Almansor ist zurückgekommen! Wenn
Mein Vater das erfährt – Wird nicht
sein Zorn
Den Sohn des Todfeinds treffen?
Noch erlosch nicht
Sein Groll, noch liegen lauernd in
der Brust ihm
Viel schlimme Geister, die mit Wut
entsteigen,
Wenn nur sein Ohr Abdullahs Namen
hört.
Was hat Abdullah ihm getan? Mein
Vater
Ist sonst so mild! Ich hab ihn oft
behorcht;
Des Nachts durchwandelt er des
Schlosses Gänge,
Mit bloßem Schwert, und ruft
»Abdullah, komm,
Wir wollen fechten, Blut will Blut«
– Almansor!
Dich darf er nimmer schaun,
entflieh! entflieh!
Der Väter Feindschaft bringt den
Kindern Tod.
Mit meinem Schleier will ich dich
umhüllen,
Daß meines Vaters Blick dich nimmer
treffe.
Ich seh dich in Gefahr, und es
erwachen
All die Gefühle, die mich einst
bewegten,
Als wir noch Braut und Bräut'gam
kindisch spielten,
Als du den morschen Apfelbaum
erklettert,
Als ich dich weinend, und mit
bangen Bitten,
Herunterlockte von der schlimmen
Höh.
Sinnend:
»Tot ist Almansor« sagten böse
Leute,
Und böser Kunde glaubte böses Herz,
Und Braut des fremden Mannes ward
Zuleima!
Ich will dich lieben, wie man liebt
den Bruder –
Sei mir ein Bruder, lieblicher
Almansor!
Sie sieht zur
Erde, und seufzt: »Almansor!«
Almansor
ist unterdessen hinter Zuleima
erschienen, naht sich derselben
unbemerkt, legt beide Hände auf
ihre Schulter, und lächelnd seufzt
er im selben Tone: »Zuleima.«
Zuleima dreht sich
erschrocken um, und betrachtet ihn
lange:
Du hast dich viel verändert, mein
Almansor.
Du siehst fast aus wie 'n starker
Mann, doch hast du
Die wilden Knabensitten nicht
vergessen,
Und störst mich wieder, ebenso wie
sonst,
Wenn ich mit meinen Blumen heimlich
spreche.
Almansor heiter
lächelnd:
Sag mir, mein Liebchen, welche
Blume ist es,
Die jetzt »Almansor« heißt? Ein
trüber Name,
Der nur für Trauerblumen passen
könnt!
Zuleima:
Sag mir zuvor, du wilder, finstrer
Buhle,
Wer war der schwarze Sprecher diese
Nacht?
Almansor:
Es war ein alter Freund, du kennst
ihn gut.
Der alte Hassan war's, der
vielbesorgt,
Wie 'n treues Tier, gefolget meiner
Spur.
Leg ab, mein
süßes Lieb, die finstre Miene,
Den schwarzen Flor, der deinen
Blick umdüstert.
Wie 'n Schmetterling die
Raupenhülle abstreift,
Und leuchtend bunt entfaltet seine
Flügel,
So hat die Erde abgestreift das
Dunkel,
Womit die Nacht ihr schönes Haupt
umschleiert.
Die Sonne senkt sich küssend auf
sie nieder;
Im grünen Wald erwacht ein süßes
Singen;
Der Springborn rauscht und stäubet
Diamanten;
Die hübschen Blümlein weinen
Wonnetränen; –
Das Licht des Tages ist ein
Zauberstab,
Der all die Blumen und die Lieder
weckte,
Der selbst Almansors Seele konnt
entnachten.
Zuleima:
Trau nicht den Blumen, die hierher
dir winken,
Trau nicht den Liedern, die hierher
dich locken,
Sie winken und sie locken in den
Tod.
Almansor:
Ich weiche nicht, und weich auch
nicht dem Tod.
Mit ist so wohl, so heimlich wohl
allhier!
Sie steigen auf, die goldnen
Knabenträume!
Hier ist der Garten, wo ich gerne
spielte,
Hier blühn die Blumen, die mir
freundlich nickten,
Hier singt der Zeisig, der mich
morgens grüßte –
Doch sprich, mein Lieb, ich sehe
nicht die Myrte,
Wo sie einst stand, da steht jetzt
die Zypresse?
Zuleima:
Die Myrte starb, und auf das Grab
der Myrte
Hat man gepflanzt die traurige
Zypresse.
Almansor:
Noch steht die Laube von Jasmin und
Geißblatt,
Wo wir die hübschen Märchen uns
erzählten,
Von Mödschnuns Wahnsinn und von
Leilas Sehnsucht,
Von beider Liebe und von beider
Tod.
Hier steht auch noch der liebe
Feigenbaum,
Mit dessen Frucht du meine Märchen
lohntest;
Hier stehn auch noch die Trauben
und Melonen,
Die uns erquickten, wenn wir lang
geschwatzt –
Doch sprich, mein Lieb, ich seh
nicht den Granatbaum,
Worauf einst saß und sang die
Nachtigall,
Ihr Liebesweh der roten Rose
klagend.
Zuleima:
Die rote Rose ward vom Sturm
entblättert,
Die Nachtigall samt ihrem Liede
starb,
Und böse Äxte haben abgehaun
Den edeln Stamm des blühenden
Granatbaums.
Almansor:
Hier ist mir wohl! auf diesem
lieben Boden
Klebt fest mein Fuß, wie heimlich
angekettet;
Ich bin gebannt in diesen lieben
Kreisen,
Die du um mich gezogen, schöne Fee;
Vertraute Balsamdüfte mich
umhauchen,
Die Blumen sprechen und die Bäume
singen,
Bekannte Bilder hüpfen aus den
Büschen –
Er erblickt das
Christusbild, befremdet.
Doch sprich,
mein Lieb, dort steht ein fremdes
Bild,
Das schaut mich an so mild, und
doch so traurig,
Und eine bittre Träne läßt es
fallen
In meinen schönen, goldnen
Freudenkelch.
Zuleima:
Und kennst du nicht dies heil'ge
Bild, Almansor?
Hast du es nie geschaut in sel'gen
Träumen?
Trafst du es wachend nie auf deinen
Wegen?
Besinn dich wohl, du mein verlorner
Bruder!
Almansor:
Wohl traf ich schon auf meinem Weg
dies Bildnis,
Am Tage meiner Rückkehr in
Hispanien.
Links an der Straße, die nach Xeres
führt,
Steht prangend eine herrliche
Moschee.
Doch wo der Türmer einst vom Turme
rief:
»Es gibt nur einen Gott, und
Mahomet
Ist sein Prophet!« da klung jetzund
herab
Ein dröhnend dumpfes, schweres
Glockenläuten.
Schon an der Pforte goß sich mir
entgegen
Ein dunkler Strom gewalt'ger
Orgeltöne,
Die hoch aufrauschten und wie
schwarzer Sud,
Im glühnden Zauberkessel, qualmig
quollen.
Und wie mit langen Armen, zogen
mich
Die Riesentöne in das Haus hinein,
Und wanden sich um meine Brust, wie
Schlangen,
Und zwängten ein die Brust, und
stachen mich,
Als läge auf mir das Gebirge Kaff,
Und Simurghs Schnabel picke mir ins
Herz.
Und in dem Hause scholl, wie 'n
Totenlied,
Das heisre Singen wunderlicher
Männer,
Mit strengen Mienen und mit kahlen
Häuptern,
Umwallt von blum'gen Kleidern, und
der feine
Gesang der weiß- und rotgeröckten
Knaben,
Die oft dazwischen klingelten mit
Schellen,
Und blanke Weihrauchfässer dampfend
schwangen.
Und tausend Lichter gossen ihren
Schimmer
Auf all das Goldgefunkel und
Geglitzer,
Und überall, wohin mein Auge sah,
Aus jeder Nische nickte mir
entgegen
Dasselbe Bild, das ich hier
wiedersehe.
Doch überall sah, schmerzenbleich
und traurig,
Des Mannes Antlitz, den dies
Bildnis darstellt.
Hier schlug man ihn mit harten
Geißelhieben,
Dort sank er nieder unter
Kreuzeslast,
Hier spie man ihm verachtungsvoll
ins Antlitz,
Dort krönte man mit Dornen seine
Schläfe,
Hier schlug man ihn ans Kreuz, mit
scharfem Speer
Durchstieß man seine Seite – Blut,
Blut, Blut
Entquoll jedwedem Bild. Ich schaute
gar
Ein traurig Weib, die hielt auf
ihrem Schoß
Des Martermannes abgezehrten
Leichnam,
Ganz gelb, und nackt, von schwarzem
Blut umronnen –
Da hört ich eine gellend scharfe
Stimme:
»Dies ist sein Blut«, und wie ich
hinsah, schaut ich
Schaudernd.
Den Mann, der eben einen Becher
austrank.
Pause.