Auf fernen Meeren

Auf fernen Meeren

Tagebuchfragmente und Briefe

1924 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

An Bord des »Petrel«.

Dakar, Dezember 1873.

Eines Morgens fuhren wir in einem Kahn, der von acht Schwarzen gerudert wurde, nach Dakar N'Bango. Eine komische Idee, in solcher Gegend Landpartien zu machen! Mit uns fuhren drei Französinnen aus Dakar.

In der Höhe von Pop N'Kior verlassen wir die gelben Gewässer des breiten Flusses und durchkreuzen das Labyrinth der Meerarme des Senegal.

Dakar N'Bango liegt tief eingebettet in ungesundes Sumpfland. Es steht eine verlassene Hütte dort, und ihren Schlüssel hat man uns anvertraut, damit wir uns für heute dort einrichten. Spärliche Lorbeerbäume rings im Kreis. Aber diese Hütte ist mitten in einem Wald gelegen, dessen Boden, wie nirgends sonst im Senegal, aus Felsgestein besteht.

Den ganzen Tag verbringen wir hier. Am Abend durchstreifen wir den Wald. Herbstlich glänzt der Himmel, und die Sonne geht hinter stillen rosigen Wolken zur Ruh. Es ist fast wie ein schöner Oktobertag im französischen Land.

Auf schönem alten Grund, den dürre Gräser decken, verstreute Baumgruppen, deren Laub das Rot und Gold der Jahreszeit trägt, und man muß sehr genau hinsehen, um zu bemerken, daß es exotische Bäume sind. In den Teichen wächst hohes Schilfrohr gleich dem in unserem Land ... Es sieht ganz so aus, wie in einem Wald nahe von Rochefort ...

Die Damen, die uns begleiten, haben, obwohl kreolischen Blutes, lange blonde Locken, sie tragen kleine Krepphüte und lange schwarze Kleider.

Die Nacht sinkt nieder, und je weiter wir vorwärtsschreiten, um so täuschender und seltsamer wird das an Frankreich gemahnende Bild. Ein altes Landhaus taucht auf, und mich wundert nicht, daß es, wie einst La Limoise (Das Landhaus, in dem P. L. die Ferien seiner Kinderjahre verlebt hat), in ländlicher Stille vor uns liegt.

Ein altes Mädchen in grauem Kleid mit leicht mulattenhaftem Typus empfängt uns. Sie läßt uns im Garten Platz nehmen, unter Blumen und Pflanzen, die sterben, wie in unserm Herbst daheim. Ich wähne mich in der Geißblattlaube der Limoise, die ich kannte, als ich ein Knabe war ...

Ein alter Herr kommt, man nennt ihm meinen Namen, und er scheint ergriffen. Er sagt mir, daß er der Kindheitsfreund meines Vaters gewesen ist, er berichtet mir von ihrer gemeinsam verlebten Jugend, von einer Komödie, die sie beide vereint geschrieben haben ... Dann, als er von den Mädchenjahren meiner Mutter spricht, glänzen Tränen in seinen Augen ...

Da muß ich urplötzlich der seltsamen Geschichte meines Gastfreundes gedenken, die mir vor langer Zeit von einer meiner Tanten erzählt worden ist. Eine Geschichte aus der Zeit, die die Brautzeit meiner Eltern war.

In dieser Zeit, um 1830, war der alte Herr ein junger Schiffsarzt. Er lebte in Rochefort, ganz nahe von meinem Vater. Sie waren beide unzertrennlich und besuchten häufig ihre Nachbarn, die Eltern meiner Mutter, die damals noch ein junges Mädchen war. Meine Mutter war schön, und der junge Doktor verliebte sich leidenschaftlich in sie. Doch als er sich entschloß, um ihre Hand anzuhalten, erfuhr er, daß diese Hand schon lange meinem Vater versprochen war ...

Der Arme hat sich nie getröstet. Eilig hat er Rochefort verlassen und sich hier ansässig gemacht, mitten in dieser Einöde, wo, wohl durch besonderes Zufallsspiel, meine Gegenwart nun all seine Erinnerungen wieder lebendig macht.

Nun verstehe ich, warum ich soeben, als ich ankam, den Eindruck hatte, einen altbekannten Ort wiederzusehen. Denn ehe noch die Verzweiflung kam, die seinen Aufenthalt beenden sollte, war der alte Kolonist häufiger Gast in La Limoise gewesen. Der unendliche Reiz dieses alten Hauses von Saintonge mag ihn bestrickt haben und ist ihm wohl unwillkürlich beim Bau seiner Einsiedelei Leitstern gewesen.

In seinem Garten, wo die Blumen des Landes blühen, pflegt er treulich den Weinstock und mehrere Pflanzen der französischen Erde.

Im letzten Tagesglühen, als es gilt, nach Dakar zurückzufahren, erwartet unser Boot uns knapp vor des Doktors Haus. Und vor dem Einsteigen pflücke ich noch Binsen, und sie gemahnen mich an jene in Roche-Courbon.

Während der Rückfahrt, im Mondenschein über dem stillen Wasser, muß ich an die Jugend des alten Arztes denken. Sie liegt noch nicht sehr weit zurück und doch scheint ihre Zeit ganz fremd und unbegreiflich, so sehr unterscheidet sie sich von der unseren. Die Zeit der Romantik war es, in der um einer unglücklichen Liebe willen oft ein ganzes Leben in Stücke brach. Heute fällt es uns schwer, solche Gefühle zu verstehen, ja wir lachen sogar ein wenig darüber, denn wir sind zu skeptisch und zu blasiert ...

Knapp vor Pop N'Kior springt ein mächtiger Fisch plötzlich einer unserer Freundinnen ins Gesicht, gibt ihr eine furchtbare Ohrfeige und fällt ins Boot zurück. Dieser tragikomische Zwischenfall entreißt mich meinen Träumen.

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