An Bord des »Petrel«.
Dakar, Dezember 1873.
Eines Morgens fuhren wir in einem Kahn, der von acht
Schwarzen gerudert wurde, nach Dakar N'Bango. Eine komische
Idee, in solcher Gegend Landpartien zu machen! Mit uns fuhren
drei Französinnen aus Dakar.
In der Höhe von Pop N'Kior verlassen wir die gelben
Gewässer des breiten Flusses und durchkreuzen das Labyrinth
der Meerarme des Senegal.
Dakar N'Bango liegt tief eingebettet in ungesundes
Sumpfland. Es steht eine verlassene Hütte dort, und ihren
Schlüssel hat man uns anvertraut, damit wir uns für heute dort
einrichten. Spärliche Lorbeerbäume rings im Kreis. Aber diese
Hütte ist mitten in einem Wald gelegen, dessen Boden, wie
nirgends sonst im Senegal, aus Felsgestein besteht.
Den ganzen Tag verbringen wir hier. Am Abend durchstreifen
wir den Wald. Herbstlich glänzt der Himmel, und die Sonne geht
hinter stillen rosigen Wolken zur Ruh. Es ist fast wie ein
schöner Oktobertag im französischen Land.
Auf schönem alten Grund, den dürre Gräser decken,
verstreute Baumgruppen, deren Laub das Rot und Gold der
Jahreszeit trägt, und man muß sehr genau hinsehen, um zu
bemerken, daß es exotische Bäume sind. In den Teichen wächst
hohes Schilfrohr gleich dem in unserem Land ... Es sieht ganz
so aus, wie in einem Wald nahe von Rochefort ...
Die Damen, die uns begleiten, haben, obwohl kreolischen
Blutes, lange blonde Locken, sie tragen kleine Krepphüte und
lange schwarze Kleider.
Die Nacht sinkt nieder, und je weiter wir vorwärtsschreiten,
um so täuschender und seltsamer wird das an Frankreich
gemahnende Bild. Ein altes Landhaus taucht auf, und mich
wundert nicht, daß es, wie einst La Limoise (Das Landhaus, in
dem P. L. die Ferien seiner Kinderjahre verlebt hat), in
ländlicher Stille vor uns liegt.
Ein altes Mädchen in grauem Kleid mit leicht mulattenhaftem
Typus empfängt uns. Sie läßt uns im Garten Platz nehmen, unter
Blumen und Pflanzen, die sterben, wie in unserm Herbst daheim.
Ich wähne mich in der Geißblattlaube der Limoise, die ich
kannte, als ich ein Knabe war ...
Ein alter Herr kommt, man nennt ihm meinen Namen, und er
scheint ergriffen. Er sagt mir, daß er der Kindheitsfreund
meines Vaters gewesen ist, er berichtet mir von ihrer
gemeinsam verlebten Jugend, von einer Komödie, die sie beide
vereint geschrieben haben ... Dann, als er von den
Mädchenjahren meiner Mutter spricht, glänzen Tränen in seinen
Augen ...
Da muß ich urplötzlich der seltsamen Geschichte meines
Gastfreundes gedenken, die mir vor langer Zeit von einer
meiner Tanten erzählt worden ist. Eine Geschichte aus der
Zeit, die die Brautzeit meiner Eltern war.
In dieser Zeit, um 1830, war der alte Herr ein junger
Schiffsarzt. Er lebte in Rochefort, ganz nahe von meinem
Vater. Sie waren beide unzertrennlich und besuchten häufig
ihre Nachbarn, die Eltern meiner Mutter, die damals noch ein
junges Mädchen war. Meine Mutter war schön, und der junge
Doktor verliebte sich leidenschaftlich in sie. Doch als er
sich entschloß, um ihre Hand anzuhalten, erfuhr er, daß diese
Hand schon lange meinem Vater versprochen war ...
Der Arme hat sich nie getröstet. Eilig hat er Rochefort
verlassen und sich hier ansässig gemacht, mitten in dieser
Einöde, wo, wohl durch besonderes Zufallsspiel, meine
Gegenwart nun all seine Erinnerungen wieder lebendig macht.
Nun verstehe ich, warum ich soeben, als ich ankam, den
Eindruck hatte, einen altbekannten Ort wiederzusehen. Denn ehe
noch die Verzweiflung kam, die seinen Aufenthalt beenden
sollte, war der alte Kolonist häufiger Gast in La Limoise
gewesen. Der unendliche Reiz dieses alten Hauses von Saintonge
mag ihn bestrickt haben und ist ihm wohl unwillkürlich beim
Bau seiner Einsiedelei Leitstern gewesen.
In seinem Garten, wo die Blumen des Landes blühen, pflegt
er treulich den Weinstock und mehrere Pflanzen der
französischen Erde.
Im letzten Tagesglühen, als es gilt, nach Dakar
zurückzufahren, erwartet unser Boot uns knapp vor des Doktors
Haus. Und vor dem Einsteigen pflücke ich noch Binsen, und sie
gemahnen mich an jene in Roche-Courbon.
Während der Rückfahrt, im Mondenschein über dem stillen
Wasser, muß ich an die Jugend des alten Arztes denken. Sie
liegt noch nicht sehr weit zurück und doch scheint ihre Zeit
ganz fremd und unbegreiflich, so sehr unterscheidet sie sich
von der unseren. Die Zeit der Romantik war es, in der um einer
unglücklichen Liebe willen oft ein ganzes Leben in Stücke
brach. Heute fällt es uns schwer, solche Gefühle zu verstehen,
ja wir lachen sogar ein wenig darüber, denn wir sind zu
skeptisch und zu blasiert ...
Knapp vor Pop N'Kior springt ein mächtiger Fisch plötzlich
einer unserer Freundinnen ins Gesicht, gibt ihr eine
furchtbare Ohrfeige und fällt ins Boot zurück. Dieser
tragikomische Zwischenfall entreißt mich meinen Träumen.