Auf fernen Meeren

Auf fernen Meeren

Tagebuchfragmente und Briefe

1924 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

An Bord des »Vaudreuil«

In See (Mündung des Amazonenstroms), August 1871.

Als ich heute nacht zur Wache antrat, ging mir plötzlich der Bruchteil einer Melodie durch den Sinn, und es machte mir viel Mühe, zu enträtseln, in welchem Winkel der Welt und in welcher Epoche meines Lebens sie mir erklungen sein mag. Es war keiner von den Klängen, die geeignet sind, tausend Erinnerungen in uns wachzurufen. Nur unklar dämmerte mir das Denken an den Chorgesang menschlicher Stimmen in der Ferne. Wie das Vorüberziehen eines Zuges mit Liedern und Musik. Und bis drei Uhr morgens zerbrach ich mir ergebnislos den Kopf, ich wühlte in meinen Erinnerungen (was übrigens eine Nachtwache lang keine unangenehme Beschäftigung ist), ich beschwor alle möglichen Menschen herauf, Festlichkeiten in den verschiedensten Städten an allen Enden der Erde. War es ein Choral, der den Mauern einer Moschee entwich, als ich eines Abends vorüberging? Ward es von Männern im weißen Burnus in den krummen Straßen arabischer Städte gesungen? War es ein wehes Lied nubischer Weiber unter der heißen Sonne am Äquator, kam es mir von den nordischen Völkern aus Dänemark? Oder aus Kanada? Vielleicht war es ein Festgesang von Rothäuten, Polynesien! oder Chinesen? Eine phantastische nächtliche Negersarabande? Oder war es einfach nur ein Chor aus irgendeiner Oper? Und dennoch war unklar in mir das ferne Spiel von Gitarren und Mandolinen, und dazu ein wenig laue Luft von Andalusien oder Portugal ...

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