Auf fernen Meeren

Auf fernen Meeren

Tagebuchfragmente und Briefe

1924 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

In der Marineschule

In dem schwimmenden Kloster, in dem ganz plötzlich unsere Jugend eingesargt ward, war das Leben rauh und strenge. Durch mancherlei erinnerte es an das der Matrosen, das hier für uns nachgeschaffen werden sollte: gleich ihnen lebten wir viel im Wind, im Nebel und in der Feuchtigkeit, die Salzgeschmack auf unsere Lippen legte. Gleich ihnen kletterten wir an den Wanten empor, um die Segel zu reffen, und zerrissen dabei unsere Hände. Wir bedienten die Kanonen von Anno dazumal, mit ihrer Takelung aus geteerten Tauen, noch von der alten Marine her, und die ganze Zeit, oft gepeinigt von des Ostwinds Stößen, durchkreuzten unsere Boote im Zickzack die ungeheure Reede.

In den Studierstunden, wenn wir im Innern unseres Klosters an unseren Schreibpulten saßen, vertieften wir uns täglich lange in die verknöcherten Grundsätze der Arithmetik, in die Entwicklung der Logarithmenlehre oder in die der Astronomie, und solches trug sehr dazu bei, eine Art Beschwichtigung in unser Leben zu bringen; für unsere Phantasie, für unsere Sinne war das eben so beruhigend, wie die gesunde Müdigkeit unserer Muskeln. –

Rings um uns, unterm wolkigen Himmel, malten die Nebelschwaden der Bretagne ihre ewig wechselnden Zauberbilder, und wandelten so ohne Ende vor unseren Augen die Landschaft, die Granitfelsen der Küsten und die Wogen des Meeres in ihrer rastlosen Beweglichkeit.

Wir waren siebzehn bis achtzehn Jahre alt, wir alle, die wir da mit Herbstanfang ein fast mönchisches Leben begannen. Sehr verschieden nach der Art unseres Geschmacks, unserer Erziehung und unserer Träume, hatten wir uns, vom ersten Tage an, instinktmäßig in kleine Gruppen geschieden, die sich bis zum Ablauf unserer beiden Probejahre fast nicht lösten. Wir sagten uns Sie, selbst unter Busenfreunden, und wir standen derart im Bann althergebrachter Höflichkeitsformen, daß ich mich weder an jemals gereizte Stimmung, noch an irgendeinen Streit erinnern kann.

Zwei-, dreimal in jeder Woche setzte uns ein Kanonenboot für einige Stunden an der Küste ab, bald in Brest, dieser großen Stadt, wo man, während der feine Regen niederrieselt, der für die Bretagne so charakteristisch ist, ein ewiges Klappern von Holzsandalen hört, bald in irgendeinem Fischerdorf, von wo aus wir uns in alle Wälder zerstreuten, um uns dort zu ergötzen, wie einfache Matrosen, deren Gewand wir an solchen Tagen trugen.

Zweimal wöchentlich hatten wir des Morgens auch Infanterieexerzieren, und das fand im großen düsteren Hof der Marinezöglingsschule statt. Um dahin zu gelangen, verließen wir unser Schiff in militärischer Haltung, mit geschultertem Gewehr und aufgepflanztem Bajonett am Degengurt. Sowie wir das Kanonenboot verlassen hatten, am Eingang des mächtigen Granitfelsspaltes, wo das Arsenal von Brest wuchtet, stellte man uns wie Soldaten in Reih und Glied auf dem Kai auf, und dann marschierten wir im Schritt unter dem Vorantritt von Bläsern und Trommlern. Die Zöglingsschule lag fern am Ende ganz alter Stadtteile, wo Gras zwischen den grauen Pflastersteinen sproßt. Erklang unsere Musik durch die Stille jener Gassen, so lockte sie die Frauen in weißen Hauben an die Fenster, und, wenn sich so die bescheidenen Innenräume dem Blick auftaten, bemerkte man immer, erinnere ich mich, chinesische Vasen oder aus Stein geschnittene Äffchen, und das weckte das Gefühl, daß man sich hier in einer Seemannsstadt befand, und daß die Bewohner dieser Häuser einstmals, ehe sie gekommen waren, um unter dem Nebelhimmel der Bretagne auszuruhen, ferne Meere durchkreuzt hatten. –

Dieser Hof der Zöglingsschule, der riesengroß und mürrisch zwischen seinen grauen Mauern lag, erhellte sich nur in einem Moment, während der Pause in unseren Infanterieübungen; denn dann öffnete sich die Pforte für Gruppen von Damen aus Brest, die zum Besuch jener unter uns zugelassen wurden, mit welchen sie verwandt oder befreundet waren. Ach! ich, ich kannte niemand! Niemand kam, mich aufzusuchen, und immer schritt ich einsam auf und nieder.

Aber unter den Besucherinnen lenkte ein junges Mädchen immer meine Aufmerksamkeit auf sich, und ich trug hernach, an Bord des großen nüchternen Schiffes, ihr Bild jedesmal lebendiger mit mir. Es war die landläufige Schönheit von Brest, entzückend hübsch, elegant, schnippisch; immer von einem Hofstaat umgeben, kam sie daher wie eine Königin.Dieses unvollendete Kapitel, das viel später geschrieben wurde, sollte den Anfang eines neuen Werkes, einer Fortsetzung der »Prime Jeunesse« bilden.

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