In der Marineschule
In dem schwimmenden Kloster, in dem ganz plötzlich unsere
Jugend eingesargt ward, war das Leben rauh und strenge. Durch
mancherlei erinnerte es an das der Matrosen, das hier für uns
nachgeschaffen werden sollte: gleich ihnen lebten wir viel im
Wind, im Nebel und in der Feuchtigkeit, die Salzgeschmack auf
unsere Lippen legte. Gleich ihnen kletterten wir an den Wanten
empor, um die Segel zu reffen, und zerrissen dabei unsere
Hände. Wir bedienten die Kanonen von Anno dazumal, mit ihrer
Takelung aus geteerten Tauen, noch von der alten Marine her,
und die ganze Zeit, oft gepeinigt von des Ostwinds Stößen,
durchkreuzten unsere Boote im Zickzack die ungeheure Reede.
In den Studierstunden, wenn wir im Innern unseres Klosters
an unseren Schreibpulten saßen, vertieften wir uns täglich
lange in die verknöcherten Grundsätze der Arithmetik, in die
Entwicklung der Logarithmenlehre oder in die der Astronomie,
und solches trug sehr dazu bei, eine Art Beschwichtigung in
unser Leben zu bringen; für unsere Phantasie, für unsere Sinne
war das eben so beruhigend, wie die gesunde Müdigkeit unserer
Muskeln. –
Rings um uns, unterm wolkigen Himmel, malten die
Nebelschwaden der Bretagne ihre ewig wechselnden Zauberbilder,
und wandelten so ohne Ende vor unseren Augen die Landschaft,
die Granitfelsen der Küsten und die Wogen des Meeres in ihrer
rastlosen Beweglichkeit.
Wir waren siebzehn bis achtzehn Jahre alt, wir alle, die
wir da mit Herbstanfang ein fast mönchisches Leben begannen.
Sehr verschieden nach der Art unseres Geschmacks, unserer
Erziehung und unserer Träume, hatten wir uns, vom ersten Tage
an, instinktmäßig in kleine Gruppen geschieden, die sich bis
zum Ablauf unserer beiden Probejahre fast nicht lösten. Wir
sagten uns Sie, selbst unter Busenfreunden, und wir standen
derart im Bann althergebrachter Höflichkeitsformen, daß ich
mich weder an jemals gereizte Stimmung, noch an irgendeinen
Streit erinnern kann.
Zwei-, dreimal in jeder Woche setzte uns ein Kanonenboot
für einige Stunden an der Küste ab, bald in Brest, dieser
großen Stadt, wo man, während der feine Regen niederrieselt,
der für die Bretagne so charakteristisch ist, ein ewiges
Klappern von Holzsandalen hört, bald in irgendeinem
Fischerdorf, von wo aus wir uns in alle Wälder zerstreuten, um
uns dort zu ergötzen, wie einfache Matrosen, deren Gewand wir
an solchen Tagen trugen.
Zweimal wöchentlich hatten wir des Morgens auch
Infanterieexerzieren, und das fand im großen düsteren Hof der
Marinezöglingsschule statt. Um dahin zu gelangen, verließen
wir unser Schiff in militärischer Haltung, mit geschultertem
Gewehr und aufgepflanztem Bajonett am Degengurt. Sowie wir das
Kanonenboot verlassen hatten, am Eingang des mächtigen
Granitfelsspaltes, wo das Arsenal von Brest wuchtet, stellte
man uns wie Soldaten in Reih und Glied auf dem Kai auf, und
dann marschierten wir im Schritt unter dem Vorantritt von
Bläsern und Trommlern. Die Zöglingsschule lag fern am Ende
ganz alter Stadtteile, wo Gras zwischen den grauen
Pflastersteinen sproßt. Erklang unsere Musik durch die Stille
jener Gassen, so lockte sie die Frauen in weißen Hauben an die
Fenster, und, wenn sich so die bescheidenen Innenräume dem
Blick auftaten, bemerkte man immer, erinnere ich mich,
chinesische Vasen oder aus Stein geschnittene Äffchen, und das
weckte das Gefühl, daß man sich hier in einer Seemannsstadt
befand, und daß die Bewohner dieser Häuser einstmals, ehe sie
gekommen waren, um unter dem Nebelhimmel der Bretagne
auszuruhen, ferne Meere durchkreuzt hatten. –
Dieser Hof der Zöglingsschule, der riesengroß und mürrisch
zwischen seinen grauen Mauern lag, erhellte sich nur in einem
Moment, während der Pause in unseren Infanterieübungen; denn
dann öffnete sich die Pforte für Gruppen von Damen aus Brest,
die zum Besuch jener unter uns zugelassen wurden, mit welchen
sie verwandt oder befreundet waren. Ach! ich, ich kannte
niemand! Niemand kam, mich aufzusuchen, und immer schritt ich
einsam auf und nieder.
Aber unter den Besucherinnen lenkte ein junges Mädchen
immer meine Aufmerksamkeit auf sich, und ich trug hernach, an
Bord des großen nüchternen Schiffes, ihr Bild jedesmal
lebendiger mit mir. Es war die landläufige Schönheit von
Brest, entzückend hübsch, elegant, schnippisch; immer von
einem Hofstaat umgeben, kam sie daher wie eine Königin.Dieses
unvollendete Kapitel, das viel später geschrieben wurde,
sollte den Anfang eines neuen Werkes, einer Fortsetzung der
»Prime Jeunesse« bilden.