Das Wahre und das Falsche im Universum allen Seins
Beruht die Ordnung des Universums auf der Wahrheit? Stützt
sie sich auf die Wahrheit? Gibt es einen Ordnung, wie es sie
geben muß und müßte? Befindet sich innerhalb dieser Ordnung
jedes Ding an seinem ihm eigenen Platz? Oder ist es umgekehrt
die Order des Falschen, das regiert? Hat das Falsche freien
Zutritt zum Universum? Gibt es dort Dinge, die es nicht geben
dürfte? Ist die Ordnung in ihrer Gesamtheit absurd, ohne Ziel
und ohne Ende?
Vor diesen Fragen haben sich die Geister der Waisen in
verschiedene Gruppen geschieden. Manche stimmen mit dem ersten
Teil der Fragen und entsprechenden Antworten überein. Andere
wieder wählen den zweiten Teil. Wieder andere vertreten eine
von den anderen Gruppen völlig abweichende Auffassung.
Gewisse Philosophen wie beispielsweise die Materialisten
verhielten sich immer pessimistisch dem Universum (und dem
Menschen) gegenüber und sahen das Universum in seiner
Gesamtheit als etwas Unangenehmes, blind und stumm und ziellos
Vergehendes an, das überhaupt nicht zu existieren bräuchte.
Theologen, Religionen und göttliche Doktrinen hingegen, vor
allen Dingen der Heilige Qur’an, stellen die Schöpfung der
Welt auf eine klare und überragende Weise auf die Basis der
Wahrheit. Diese Anschauung sieht in der Welt nur Gutes und
Schönes, kein Exzeß findet einen Weg, um in diese Welt
vorzudringen. Das, was sich in ihr an Falschem befindet, geht
vorüber und wird von ihr nur als Spielzeug benutzt. Im System
des Seins gibt es nichts, das nicht verdient hätte zu sein.
Gott hat alles im besten Zustand erschaffen, jedem Ding hat er
seine eigene Gestalt gegeben. Dann hat er ihm seine
Richtschnur gegeben.
Die dritte Gruppe glaubt, Universum und ebenso der Mensch
seien eine Kombination aus Gutem und Schlechtem; halb
angenehm, halb unangenehm. Die Hälfte des Universums muß
bestehen bleiben, die andere Hälfte darf nicht existieren.
Wir sehen in der Welt ein Dualsystem: Es gibt sowohl Gut
als Schlecht, sowohl Wahres als auch Falsches. Man beobachtet
in der Welt Mängel und Vollkommenheit, und Gesundheit, Sterben
und Leben, Ordnung und Chaos, Unterdrückung, Gerechtigkeit,
Korruption, Reform, Aufblühen, Ruin, Wachstum... Dieser
Dualismus existiert schon seit dem Augenblick der Erschaffung
der Welt, aber es ist unmöglich, daß das ganze Universum sich
nach einem einzigen Prinzip und aus ein und demselben Ursprung
entwickelt hat und daß dieser Dualismus Existenz hat. Der
dualistische Gedanke, der im antiken Persien kursierte,
entstammte der Tatsache, daß die alten Perser die Vorstellung
hatten, die Welt stehe auf zwei Füßen: Dem Guten und damit dem
Licht einerseits und der Niedertracht und damit der Finsternis
und Bosheit andererseits. Ebenso glaubten sie, die Heere
dieser beiden Mächte, das Heer Gottes und das des Satans,
führten einen kontinuierlichen Krieg gegeneinander (obgleich
von vornherein vorgesehen war, daß der Erstgenannte den Sieg
davontragen und der Letzteren für immer schlagen würde).
Obwohl wir in dem Buch über "Die göttliche Gerechtigkeit" (Adli-Ilahi)
genügend über das Gute und das Böse, die Güte und die
Bösartigkeit gesprochen haben, ist es auch hier notwendig, daß
wir ein wenig dabei verweilen. In der göttlichen Theologie ist
Authentizität des Daseins jene des Wahren, des Guten, des
Vollkommenen und des Schönen. Falsches, Bösartigkeit,
Mangelhaftigkeit, Häßlichkeit, sie alle befinden sich am
anderen Extrem, um bald zu Nichts zu vergehen. Existiert das
Schlechte, so deshalb, weil es der Ursprung des Nichts für
etwas anderes ist. Niedrigkeiten sind notwendig für die
Existenz des Guten und Wahren. Sie sind einer Reihe
natürlicher Mittel vergleichbar, zwar von gut und wahr
untrennbar, die aber keinerlei Authentizität besitzen. Im
Vergleich zu den guten und wahren Dingen sind sie gleich dem
„Nicht-Seienden“. Das "Nicht-Seiende" ist für das Überdauern
des "Seienden" notwendig. Wesentlich ist die Erschaffung einer
von der Realität abhängigen und mit ihr zusammenhängenden
ausgeglichenen Lage. Absolute Existenz bedeutet absolutes
Gutes, das außerhalb von Gemeinheit, Häßlichkeit und
Undurchsichtigkeit jeglicher Art steht. Bei dieser
Existenzstufe, die des höchsten Wesens ist, gibt es weder die
Ausgeglichenheit noch das Nichts. Aber die Geschöpfe Gottes,
die von dem absoluten Wesen abstammen, weisen von Natur aus
Schwächen auf, denn damit ein Werk zum Existieren kommt, ist
es nötig, daß sein Urheber vorher existiert: Und da Gott der
absolute Urheber ist, sind alle Kreaturen, sein Werk, mit
Schwächen und Mangel behaftet. Soll ein Werk also Existenz
gewinnen, so muß es seinem Urheber folgen. Spricht man nun im
Bezug auf Urheber und Werk von dem Werk des "Werkes", so nimmt
es eine noch zweitrangiger Position ein.
Das "Nicht-Seiende" also bahnt sich, obgleich es keine
Authentizität besitzt, seinen Weg hin zum "Seienden", um zur
menschlichen Natur hin zu gelangen, die nach Aussagen der
Theologen das Schwächste und am meisten mit Mängeln behaftete
unter allen Existierenden ist. Deshalb manifestieren sich die
Schwäche¬symptome des menschlichen Wesens, die in einer
Gestalt verpackt sowohl die Schwächesymptome seiner Natur als
auch die des "Nicht-Seienden" sind, immer mehr und mit immer
offensichtlicher.
Schlechtes und Falsches sind, obwohl sie keinerlei
Authentizität besitzen, von den sekundären Notwendigkeiten des
Existierens untrennbar. Betrachtet man das Seinssystem als
etwas Existierendes, so sehen wir, daß Falsches, Authentizität
und Nicht-Seiendes ihren Weg finden, in es einzudringen.
Von oben betrachtet sieht man nichts als Licht. Aber schaut
man von unten nach oben, so zeigen sich Schatten. Denn jeder
Körper muß einen Schatten haben. Obwohl dieser Schatten keine
Authentizität hat, fällt er uns ins Auge und legt sich auf
unseren Geist. Schatten ist nur Mangel an Licht an einem
bestimmten, von Licht umgebenen Fleck. Die göttliche Religion
resümiert all das unter dem Wort "Im Namen des gnädigen und
barmherzigen Gottes", das heißt unter einer erhabenen
Konzeption, die nur Gott, seine Gnade und Barmherzigkeit
kennt. Es ist schwierig, sich all diese Dinge geistig
vorzustellen. Aber gelangt unser Denken einmal zu dieser
Vorstellungsfähigkeit, so werden alle Probleme gelöst sein.
Die Welt trägt nach dieser Konzeption zwei Gesichter, in zwei
Richtungen gewandt; eines kommt vom Absoluten Wesen her, eines
richtet sich darauf hin. Das erste ist Seine Gnade und das
zweite Seine Barmherzigkeit. Alle übrigen Attribute Gottes
sind Sekundärbezeichnungen. Gott ist z.B. der Rächer - aber
diese Bezeichnungen leiten sich nur von seinen (oben
genannten) Attributen her, die Authentizität liegt in seiner
Gnade und Barmherzigkeit. Gnade hat eine gewisse
Authentizität, die für die Ungnade nicht existiert. Bei dieser
Beschreibung handelt es sich um eine monotheistische Sicht,
einer wahrhaft philosophischen Konzeption und eine wirkliche
Ontologie (die Lehre vom Sein).