Der Islam im Dialog

Der Islam im Dialog - Aufsätze

Prof. Abdoldjavad Falaturi

Inhaltsverzeichnis

Pluralität und Identität

Moltmann:

Herr Falaturi, wenn jeder nach seiner Fasson selig werden kann, wozu soll man darüber reden? Das ist das Ende des Dialogs und darum finde ich, sollten wir einen Weg finden zwischen dem angeblichen Absolutheitsanspruch und diesem historischen oder mystischen Relativismus, dass wir alle zwar die Wahrheit nicht haben, aber sie natürlich suchen. Ich weiß nicht, wann der Ausdruck Absolutheitsanspruch aufgetaucht ist. Ich nehme an, er ist erst Ende des 19. Jahrhunderts bei Troeltsch aufgetaucht, vorher gab es ihn gar nicht. Es gibt im Blick auf Wahrheit keinen Absolutheitsanspruch, das ist eine absurde Formulierung. Auf der anderen Seite stehen wir ja eigentlich nicht in der Situation, dass die Religionsgemeinschaften bei uns tödlich aufeinander prallen, das gibt es in anderen Gegenden der Welt, sondern vielmehr in diesem Pluralismus amerikanischer Art, wo alle Religionen in den Supermarkt gesteckt und als Billigangebote verkauft werden. Man kann seine Religion hier und da nehmen. Es gibt alle Angebote, man kann die freie Wahl treffen - und dann besagen sie eigentlich gar nichts mehr. Alle sind relativ, alle sind historisch bedingt. Was ist Wahrheit? Auf die Frage gibt es dann keine Antwort.

Und darum, Herr von Brück, finde ich Ihren Vorschlag richtig: Dialog ist da, wo Streit ist. Wo Streit tödlich zu werden droht, muss man anfangen miteinander zu reden. So haben wir auch mit den Marxisten in den sechziger Jahren angefangen: Wenn wir jetzt nicht miteinander reden, dann werden wir aufeinander schießen! Da war der Kalte Krieg auf dem Höhepunkt, und es war wirklich notwendig geworden, in einen Dialog einzutreten. Die Absolutheitsansprüche waren auf beiden Seiten sehr stark... „die Partei hat immer recht" usw. Brauchen wir den Dialog, brauchen wir die anderen jetzt? Ich finde Ihren Hinweis wichtig, dass sich die Dialoge an der Friedensfrage entzündet haben. Aber sind die Religionen, die wir vertreten, friedensfähig? Oder sind sie hinderlich für den Frieden? Denn das bestimmt die Überlebensbedingung der Menschheit. Wenn Religionen zu einem Weltkrieg führen, in dem die Menschheit untergeht, dann sind auch die Religionen zu Ende. Jedenfalls auf Erden, im Himmel mag es ja weitergehen. Die heutige Situation finde ich interessant. Es kommen neue Religionsgespräche auf im Zusammenhang mit der Ökologie. Wo immer ein Tag der Erde gefeiert wird, in Canterbury oder in Washington, sind plötzlich die Vertreter der östlichen Religionen gegenwärtig und haben etwas zu sagen. Weil auch hier eine Katastrophe droht, die allen Religionen, sofern sie von Menschen vertreten werden, das Ende bereiten wird; und darum müssen wir an dieser Stelle miteinander sprechen, um aufeinander zu hören, zu sehen, wie wir aus dieser Katastrophe wieder herauskommen, oder wie wir sie eindämmen können. Die erste Frage ist also die: Wo ist der Dialog notwendig, wo ist die Not so groß, dass er geführt werden muss? Und die zweite Frage: Brauchen wir den anderen oder können wir ganz gut auch ohne Juden, Muslime, Buddhisten leben? Wenn wir uns die Frage ehrlich stellen, kommen wir vielleicht einen Schritt weiter.

v. Strietencron:

Was den Absolutheitsanspruch betrifft, Herr Moltmann, so kann ich Ihre Zurückweisung dieses Begriffes als absurde Formulierung nicht nachvollziehen. Es geht auch nicht darum, wann er entstanden ist, sondern darum, was er besagt. Er verweist auf Denkstrukturen, die auf Weltbewältigung durch Urteilsfindung aufgebaut sind: ja und nein, wahr und falsch stehen einander gegenüber. Der Mensch wählt. Aber nur eine aus den angebotenen Optionen ist wahr. Alle anderen sind mehr oder weniger falsch oder, bildlich gesprochen, alle Grautöne zwischen Licht und Finsternis enthalten bereits Teile der Finsternis. Solches Denken in Gegensätzen von Tag und Nacht, Leben und Tod, Wahrheit und Lüge war im alten Iran dominant und in allen Religionen des alten Orients und Ägyptens präsent. Daher die Insistenz der biblischen Tradition auf der Einzigkeit Gottes und der Ausschließlichkeit der menschlichen Entscheidung für diesen einen Gott. Da gibt es einen einzigen Gott, eine Wahrheit, einen Weg zum Heil, ein Gesetz, einen Mittler oder Heiland, der wiederum mit Ausschließlichkeit sagen kann: Keiner kommt zum Vater denn durch mich. Der Ausschließlichkeitsanspruch bezieht sich auf Sein und Existenz, aber er bleibt nicht philosophisch abstrakt, sondern wird durch eigenes Urteil historisch konkret: mein Gott ist der einzige Gott, meine Wahrheit die einzige Wahrheit, der von diesem Gott (oder von seinem Sohn oder seinem Propheten) gewiesene Weg ist der einzige Weg, der zum Heil führt. Diesem dualistischen Denken stehen in anderen Kulturkreisen andere Denkstrukturen gegenüber, die keine binäre Ja-Nein Entscheidung fordern, daher mehrere Götter, mehrere oft hierarchisch gestaffelte Wahrheiten zulassen und unterschiedliche Wege erlauben. Für sie ist der Dialog kein theologisches Problem, aber auch kein dringendes Bedürfnis. Zum Problem wird er zwischen den Offenbarungsreligionen. Zustimmen möchte ich Ihnen aber in bezug auf die Diagnose unserer plötzlichen Dialogbereitschaft: Im säkularisierten und liberalisierten Teil der Welt, also in Europa und Nordamerika, hat sich ein freier Markt von Sinnangeboten entwickelt, ein Markt, auf dem alte und neue Religionen ihre Angebote zu Weltverständnis, Sinn des Daseins und Lebensbewältigung feilbieten und sich gegenseitig, wie Sie sagen, mit Billigangeboten unterbieten. Wenn das aber so ist, muss dann das Interesse am interreligiösen Dialog als Versuch der religiösen Institutionen gewertet werden, den selbstmörderischen Wettbewerb zu beenden und ein Kartell der Religionen zu bilden, das alle schützt? Oder gibt es über die Überlebensinteressen hinaus noch Gründe für den Dialog?

Falaturi:

Dieser Supermarkt, von dem Sie sprachen, ist in Amerika auch ökonomisch bedingt. Institutionen und Gruppen, die sich als religiöse bezeichnen, werden nicht der Steuer unterworfen. So kann jeder Nutzen daraus ziehen, dass er mit einer eigenen Religion anfängt. Doch um auf den Streit zurückzukommen: Gut, den Pluralismus zu verstehen bedeutet, sich auch auf einen Streit einzulassen. Und nur in einem Streit, der aus einer Notwendigkeit kommt, bei dem es um eine ernsthafte Sache geht, wird man sich auch angemessen verteidigen. Das ist gewiss etwas Rechtes. So wie der Mensch ist, kämpft er gewöhnlich erst dann, wenn er kämpfen muss. Und die Apathie ist etwas so Gefährliches, dass wir meistens in Apathie und Trägheit bleiben, bis wir wissen, dass wir jetzt in bittere Not geraten sind. Es wird notwendig, dass wir uns dem anderen zuwenden und sehen, ob wir gemeinsam etwas erreichen können. Dabei kann es auch um die Religion gehen. Nur ist es ja nicht so, dass diese Not etwa immer nur außen in der Welt wäre, sie ist auch in den Religionen selbst gegenwärtig. Zu Recht, glaube ich, können wir mit J.B. Metz sagen, dass die christliche Religion in Deutschland, besonders nach Auschwitz, etwas Neues finden muss, denn irgendetwas innerhalb der Religion selbst wurde hier getötet. Und man kann das vielleicht auch im Hinblick auf die Atombombe sagen. Etwas ist in unserer Zeit geschehen, eine Möglichkeit zur Grausamkeit und die Grausamkeit selbst, die uns zerstören könnte. Die Zerstörung hat schon innerhalb unserer Religionen angefangen. Die Religionen sind sich selbst bewusst, wie unfähig sie waren, sich in dieser Situation zu bewähren. Und deshalb muss es zu einem Dialog kommen, wo wir unsere eigenen Wunden anerkennen. Der Betroffene und derjenige, der nur zuschaut - alle sind verwundet, alle Religionen, würde ich sagen, sind in dieser Welt krank. Vielleicht auch diejenigen, die sich ganz zurückziehen und in ihrer eigenen Festung leben konnten - auch sie müssen sich jetzt neuen Fragen stellen. Das ist zum Teil deshalb nötig, weil plötzlich etwas vor uns steht, das uns angreift. Aber etwas existiert in uns selbst, eine Krankheit, und in gewisser Weise kommen wir zusammen, weil wir alle leiden. Vielleicht lässt sich in der Gemeinsamkeit des Leidens ein bisschen mehr von einer Antwort finden.

von Brück:

Jede Religion versucht nun ja auch eine Diagnose oder hat in ihrer Geschichte jedenfalls solche diagnostischen Möglichkeiten für diese Krankheiten für möglich gehalten. Alle Religionen würden sagen, sie sind krank, weil die Menschen, mit denen sie zu tun haben, krank sind. Die einen nennen das Sünde, die anderen Unwissenheit usw. Interessant wird jetzt, wenn wir angesichts unserer Wahrnehmung dieser Krankheit fragen: Was können die unterschiedlichen Religionen zur Diagnose tatsächlich beitragen? Das heißt, wie Heinrich Ott vorhin angedeutet hat: Wenn ich heute den Sündenbegriff plausibel machen, neu buchstabieren will, dann kann ich es nicht mehr nur an innerchristlichen Kriterien sowohl theologischer wie geschichtlicher Art tun, sondern gerade in diesem Gespräch über die grundsätzlichen Möglichkeiten der Diagnose, an dem alle Interessierten zu beteiligen sind. Das wäre sehr positiv und ich glaube, hier brauchen wir tatsächlich den anderen. Also Streit nicht nur, weil wir sonst aufeinander schießen würden, sondern Streit, weil er notwendig ist, um uns weiterzubringen.

Liebe und Streit in diesem Sinne schließen einander überhaupt nicht aus. Wer verheiratet ist, weiß das. Wo es tatsächlich eine Streitkultur gibt, wo klar ist, dass eine Grundakzeptanz des anderen gerade die Voraussetzung, die man auch Liebe nennen kann, für einen produktiven Streit ist, da glaube ich, brauchen wir den Streit, und zwar nicht nur, um unsere Identität zu bewahren, sondern um diese Identität immer wieder neu zu finden. Das schließt den inneren Streit im eigenen Herzen und Bewusstsein ein. Ich könnte aus der christlichen Geschichte viele einschlägige Aussagen bringen, teils gebetsartig formuliert, teils in Aussagesätzen durchdacht, von Luther bis zu Bonhoeffer bis zu modernen Philosophen, die an der Schwelle zwischen Christentum und Buddhismus stehen. Ich denke an die Kyoto-Schule, wo Nishitani sich als Christ im Werden oder als Buddhist im Werden zu erkennen gibt, oder wo es heißt: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben. Hier liegt wohl eine dialektische Wahrnehmung der eigenen Situation vor: auf der einen Seite eine bestimmte Identität habend - in der Sprache, in der Tradition, die mir vermittelt worden ist, und weil ich ein lebendes Wesen bin - brauche ich diesen Nährboden; aber auf der anderen Seite ist dieses Hinausgeworfensein in die Geschichte, in meine eigene Lebensgeschichte, in der diese Identität ständig neu wachsen, zerbrechen und wieder angeeignet werden muss. Und unsere heutige Situation ist nun die der Pluralität solcher unterschiedlicher diagnostischer Ansprüche und Aussageweisen.

v. Strietencron:

Wir hatten jetzt zwei Dinge: einerseits die Bedrohung der Religion, die innere und die äußere, und anderseits, dass aus der Akzeptanz einer Grundeinstellung der Zuwendung, - Sie sagten der Liebe -‚ die Kultur des Streites gewonnen wird, die dazu dient, dass man sich selber orientiert, dass man sich am anderen orientiert. Ich meine, das ist ein guter Moment, um Frau Leisner zu fragen, was sie von einem Dialog hält, der von einer so konzipierten Kultur des Streites und vom Bewusstsein der eigenen Bedrohung ausgeht.

Regine Leisner:

Ich denke schon die ganze Zeit darüber nach, wie der Begriff Streit hier verwendet worden ist. Mich würde interessieren, ob Streit Aggression impliziert oder einfach lebhafte Diskussion meint. Was verstehen Sie darunter? Ich versuche es mit meinem buddhistischen Hintergrund zu vergleichen, und ich denke, dass die Frage an sich ein Mittel der Auseinandersetzung ist, ob es konstruktiv ist oder nicht.

von Brück:

Das ist sehr wichtig. Ich möchte meine Vorstellung vom Streit klären. Es gibt zwei völlig verschiedene Formen des Streites. Das mag man äußerlich zunächst nicht sehen, denn es ist eine Frage der Motivation. Ich kann versuchen, mich durchsetzen zu wollen in einer menschlichen Situation und gerade mein Ego dadurch finden, dass ich den anderen zurückweise oder letztlich zerstöre, also aggressiv vorgehe. Das ist nicht produktiver Meinungsstreit, sondern letztlich nur eine Form des Durchsetzungswillens des Ich, individuell wie auch kollektiv. Natürlich haben genau das die Menschen auch in den Religionen getan und tun es noch. Mit Streit meine ich etwas anderes, nämlich das Ringen um Wahrheit, um Lebensmuster, um Authentisches. Dazu gehört, dass ich mich in Frage stellen lassen kann, dazu gehört auch die Distanz von mir selbst, um letztlich tiefer zu mir selbst finden zu können. Das ist nicht Streit nur um theologische oder dogmatische Formulierungen, sondern um das konkrete Verhalten in einer bestimmten Situation, in der Familie oder in einer Gemeinschaft, in der ich lebe. Wenn ich ständig „um des lieben Friedens willen" oder um der Scheinharmonie willen meine Empfindungen nicht äußere, dann stauen ich Aggressionen an, dann habe ich das Gefühl, mich nicht entfalten zu können, d. h. meine Identität nicht verwirklichen zu können — und dann führt dies zu Aggressionen. Dann entsteht schnell ein Kampf. Streit und Kampf müsste man unterscheiden. Man müsste Begriffe finden, diese zwei unterschiedlichen Formen des Streites zu unterscheiden. Eine Form der Streitkultur, die mich zum Beispiel fasziniert, ist die tibetische Debatte. Dabei kommt es, wie Sie wissen, sogar zum Handgemenge, spielerisch allerdings, aber das hat ja einen tiefen psychologisch-pädagogischen Grund. Heute freilich disputieren meist nur Gelukpas untereinander. Aber früher, als die unterschiedlichen Schulen miteinander disputierten, oder noch früher in Indien, als Buddhisten und Hindus disputierten, einander mit Argumenten widersprachen und widerstanden, da ging es um Wahrheitsfindung im Streit der Argumente. Ich finde es wichtig, dass wir daran anknüpfen und diese Dimension im Dialog nicht verlieren.

Leisner:

Ich überlege mir gerade, ob Sie zustimmen, wenn ich Streit streichen und durch Kommunikation ersetzen würde, oder ist Ihnen das zu blass und zu schwach und zu scheinharmonisch? Das ist wirklich der Punkt, wo ich Probleme habe, zu verstehen, wie eine solche Streit-Diskussion geführt wird. Auch diese konstruktive Form von Streit, wie ich jetzt am Beispiel von Herrn Moltmann und Herrn Falaturi empfinde, ist vielleicht nicht die Lösung. Von meinem Hintergrund her möchte ich sagen: Wenn man sie immer weiterdiskutieren lässt, dann eskaliert der Streit auch immer mehr. Und wird es wirklich am Ende eine ganz neue konstruktive Lösung geben, oder werden sie sich ganz einfach trennen, ohne sich verständigt zu haben? Ich weiß es nicht genau, aber ich bin etwas im Zweifel. Ich würde generell immer dahin tendieren, andere Wege der Kommunikation zu beschreiten. Also, ich kann es nicht nachvollziehen, was mit diesem konstruktiven Streit gemeint ist.

Yagi:

Zunächst zurück zum Ausgangspunkt des Dialogs. Die ökologischen Probleme geben uns die Veranlassung zum interreligiösen Gespräch. Das scheint mir sehr sinnvoll zu sein, denn dabei haben alle Religionen ein gemeinsames Ziel. Aber auf der anderen Seite sind einige der Meinung, dass es einen Bund der Religionen gegen die Religionslosigkeit der Welt geben solle. Hier bin ich skeptisch. Bei einem solchen Bund kann die Wahrheitsfrage sehr leicht vernachlässigt werden. Die interreligiösen Gespräche beginnen, wo eine Religion die andere ernsthaft in Frage stellt und die andere Religion darauf antworten muss. Das ist ein echtes Gespräch, aber damit das Gespräch nicht in aggressiven Streit ausartet, ist es notwendig, dass die Gesprächspartner offen sind. Und die Offenheit gehört zum Wesen der Identität, ansonsten könnte sich die Identität leicht abschließen. Die Offenheit soll die Kehrseite des Agnostizismus sein.

Falaturi:

Im Sinne eines liebenswürdigen Gesprächs, nicht eines aggressiven Streites, möchte ich auf das, was Herr Moltmann vorhin sagte, zurückkommen. Der Kern meiner Aussage ist dadurch verloren gegangen, dass sie mit ihrer Aussage, jeder solle nach seiner Fasson selig werden, das abgetan haben, was ich gesagt habe. Das ist gar nicht gemeint. Der Kern war etwas anderes, nämlich: Wieso besteht überhaupt ein Widerspruch zwischen Bewahrung der eigenen Identität und Anerkennung der Wahrheit des anderen bei sich selbst, also wie er subjektiv empfindet? Und ich sehe hier keinen Widerspruch. Ich habe dann das Beispiel gebracht von den Mystikern und damit ist nicht gemeint, dass jeder nach seiner Fasson selig werden soll. Es geht mehr um Vermeidung des Negativen, d. h. es ist keiner berechtigt, den anderen in Frage zu stellen. Aber dass man voneinander lernen soll im Dialog, dass man sieht, wie der andere in seinem Glauben gefestigt ist, das ist der Sinn des Dialoges. Und das soll weitergehen. In dem Sinne streite ich, und wir würden uns besser verstehen, wenn wir die Möglichkeit hätten, nur Zwiegespräche zu führen. Unser Auseinandergehen ist durch die Unterbrechungen bedingt. Wenn wir die Möglichkeiten hätten, dass Herr Moltmann etwas sagt und dann ich, würden wir sehr viel schneller zueinander finden, denn soweit ich jetzt sehe, ist die Haltung meines Kollegen mir sehr nahe.

Moltmann: Ich finde die Diskussion ganz spannend. Nur hat wohl jede Religion einen anderen Zugang zur Begegnung mit anderen Religionen.

Wenn wir sagen: So und so muss der Dialog der Religionen sein, ist das ein gewisses Diktat der sogenannten Schriftreligionen, denn nur wo Schriften vorliegen, sind Menschen ausgebildet über ihren Glauben auch zu sprechen und mit einem anderen in einen Dialog einzutreten. Darum ist einer der ursprünglichen Dialoge der Dialog zwischen Judentum, Christentum und Islam, weil wir einen gemeinsamen Vater haben, Abraham, und also in einer gewissen gemeinsamen Tradition stehen. Aber im Blick von außen sind wir Schriftreligionen, und darum ist uns der Dialog wie selbstverständlich. Wie ist es aber mit den Stammesreligionen, die gar keine Schriften haben, sondern vielmehr in Riten und Ritualen leben? Es war für mich ganz überraschend, auf manchen Ökologiekonferenzen plötzlich Indianer aus Nordamerika und die Ureinwohner aus Australien zu sehen, wie sie anfingen, sprechen zu können über ihre Traumzeit und über Mutter Erde usw., wie sie also das, was wir bisher für primitiv gehalten haben, als etwas hochgradig Komplexes und sehr Hilfreiches in den Dialog einbringen konnten. Wahrscheinlich doch erst, weil sie diese gemeinsame Not nun sahen und weil sie die Krankheit, wie Herr Friedlander dies ausdrückt, oder eine gewisse Einseitigkeit der aggressiven Geschichtsreligionen hinsichtlich der Natur und der Harmonie mit der Natur gespürt haben, darum kamen sie mit ihrer Botschaft als die Kinder der Erde zu denen, die auf Geschichte gebaut hatten. Das war für mich ein sehr sinnvoller Dialog.

v. Strietencron:

Das ist ein interessanter Gesichtspunkt, der eine zusätzliche Dimension erschließt. Wir sollten ihn nicht aus dem Auge verlieren. Ich möchte jedoch zuvor noch eine Rückfrage an Herrn Falaturi richten. Sie sagten, Sie hätten nicht behauptet, jeder solle nach seiner Fasson selig werden, aber andererseits meinten Sie, niemand dürfe den anderen in Frage stellen. Kann das wirklich ganz in Ihrem Sinne sein? Jeder, der sich in ein ernsthaftes Gespräch begibt, konfrontiert doch seine Weltanschauung, seine Wahrheit, seine Konzeption vom Leben und von den Zielen des Lebens mit denen des anderen; und indem er das tut, stellt er die jeweiligen Konzeptionen schon einmal in Frage. Er glaubt, dass sie nicht unerschütterlich feststehen, sondern diskutierbar sind. Solche Infragestellung des anderen will natürlich nicht sein Menschsein angreifen, sie kann aber wohl seine Konzeption betreffen. Wenn das nämlich nicht der Fall wäre, dann wäre der Versuch, jemand anderen zu überzeugen, dass es auch einen besseren Weg gibt, gänzlich sinnlos. Der Buddha hätte niemals zu predigen, der Islam niemals zu missionieren brauchen. Dieses Nichtinfragestellen des anderen also möchte ich meinerseits in Frage stellen. Ich glaube, dass Sie im Dialog zu viel Abstinenz verlangen.

Falaturi:

Das hängt damit zusammen, dass nicht alle in gleicher Weise denken. Die Konfrontation kommt doch zustande, wenn jeder denkt: Ich bin auf dem richtigen Weg und der andere nicht. Aber wenn jeder von uns der Überzeugung ist, dass der andere in seinem Glauben richtig gefestigt ist und daran festhält und subjektiv das Recht hat, das zu tun - wenn wir soweit kommen, dann gibt es keine Konfrontation. Das ist es, was ich meine. Konfrontation entsteht nur, wenn ich im Hinterkopf denke, dass ich besser bin als der andere.

v. Strietencron:

Sie haben das Problem also jetzt verschoben auf die subjektive Wahl.

Falaturi:

Das ist richtig, es ist eine subjektive Sache.

Falaturi:

Zum Teil kommt es dann auch auf einen Begriff an, den wir vielleicht später noch betrachten werden, und das ist Mission selbst. Es ist nicht so sehr die Frage ob ich besser bin, sondern ob meine Religion besser ist und ob sie etwas für den anderen tun kann. Hier muss man fragen: Wird Mission dann zu Aggression, wenn man sie aus Liebe zu dem anderen mit dem guten, schönen Gedanken verbindet, dass sein Leben besser sein würde, wenn er mehr von meiner Wahrheit hätte? Und das ist ja ein wirkliches Problem bei verschiedenen Religionen. Ob man diesen Sachverhalt in den Dialog mit einschließen kann, ist eine Frage, die sich vielleicht später eröffnen könnte.

von Brück:

Meine Rückfrage an Sie hängt mit unserem Gesamtthema des Pluralismus bzw. der Pluralität zusammen, in der wir uns finden. Wir können uns ja nicht jeder auf eine andere Insel zurückziehen und sagen: Ich lebe in meiner Tradition und du kannst mir das bitte bestätigen, du kannst dich mit mir vertragen, aber ich lebe so, wie ich lebe. Vielmehr leben wir ja auf einem ziemlich kleinen und engen Globus, auf dem es um Wertefragen geht. Wenn also - das ist das bekannte und klassische Beispiel dafür, es gibt aber auch viel subtilere, moderne -‚ wenn also jemand im Namen einer religiösen Tradition Menschenopfer verlangt, dann sind andere, keineswegs nur der Christ - im Gegenteil, wir könnten hier viele andere Traditionen anführen -‚ dazu verpflichtet von ihrem Ethos, von ihrem unbedingten Anliegen her, dort einzugreifen. Die Art und Weise, wie sie das tun, wäre jetzt eine andere Frage. Aber sie müssen intervenieren aufgrund ihres Gewissens, das sie in ihrer Tradition bindet. Da gibt es ganz konkrete Probleme, z.B. die Ausbeutung der Erde oder der Maximalprofit, die Selektion und Abtreibung Ungeborener aufgrund pränataler Geschlechtsbestimmung oder der Anthropozentrismus bestimmter Traditionen auf Kosten der Natur oder die Dominanz des Mannes usw. Wo also wirklich Wertefragen anstehen und der Muslim genauso wie der Christ oder der Buddhist oder der Hindu oder der Jude oder jeder andere, Stellung nehmen muss, ja im Extremfall auch dem andren in den Arm fallen muss, was dann? Wenn er - und jetzt vielleicht zwei Gesichtspunkte - a) dem allgemeinen Ideal der Humanität genügen soll, was immer das ist, darüber müssen wir noch sprechen, und wenn er b) entsprechend den Maßstäben, Gesetzen, Geboten und Grundlagen seiner eigenen Religion leben will, was bedeutet das für die Toleranz und das Nichtinfragestellen?

Falaturi:

Das hat aber nichts mit dem zu tun, was ich sagte.

Moltmann:

Ich finde es richtig, dass man doch etwas in Frage stellen muss, um in einen Dialog zu kommen. Ich stelle natürlich nicht den persönlichen Glauben von Herrn Falaturi in Frage, natürlich nicht. Ich respektiere das, auch seinen Lebensstil. Aber der Islam stellt meinen Glauben an Jesus, den Sohn Gottes, in Frage. Das ist ohne Frage so: „Gott hat nicht gezeugt, Gott ist nicht gezeugt." So wurde auf christliche Kirchen geschrieben, wenn sie zu Moscheen wurden, und umgekehrt. Das ist eine Fragestellung, mit der ich mich als christlicher Theologe auseinandersetzen muss. Und ebenso ist das mit Herrn Friedlander: Ich glaube an Jesus, den Christus, er als Jude glaubt nicht an Jesus, den Christus, und das ist ein Punkt, an dem wir uns unterscheiden und dann auch gegenseitig in Frage stellen. Wenn es das nicht gäbe, gäbe es auch keinen Dialog zwischen Juden und Christen, der notwendig ist. Ich brauche ja diese Infragestellung auch, um herauszufinden, was ich eigentlich glaube...

Falaturi:

Ja, das vertieft unser Gespräch.

Moltmann:

... und ich möchte das noch etwas erweitern. Man hört aus dem Buddhismus und aus buddhistischen Kreisen, dass der Mensch ein Teil der Natur ist und im großen Kreislauf der Natur läuft und also keine Person darstellt. Das stellt mich wiederum in meiner Personalität und meiner Gottebenbildlichkeit in Frage, und darüber möchte ich dann auch mit den Buddhisten reden, wenn dieses Infragestellen die Grundlage ist. Es ist nicht die persönliche Infragestellung und Beleidigung, aber die sachlichen Fragen sind doch da, und über die muss man sprechen. Das ist nicht eine Frage der Pluralität von Werten.

Dagyab:

Meiner Meinung nach laufen die Beiträge jetzt ein bisschen aneinander vorbei. Wir sprechen über Identität, über Gott etc.. Meiner Meinung nach wäre unser Thema nicht dies, sondern: Jede Lehre hat eine Aussage, und wie kann man diese Aussagen unter einen Hut bringen, damit wir der Menschheit und allen Lebewesen helfen können. Ich glaube, in dieser Richtung muss man intensiver diskutieren. Ich kann nur für den Buddhismus sprechen und wie der historische Buddhismus zustande kam. Darüber gibt es auch innerhalb des Buddhismus unterschiedliche Aussagen, aber in Wirklichkeit stört uns das gar nicht. Für uns und für mich ist wichtig, was der Buddha gesagt hat und was wir mit seiner Botschaft anfangen können, wie wir davon profitieren. Das hat für uns eine große Bedeutung.

v. Strietencron:

Möchten Sie damit sagen, dass der Dialog ganz auf der theologischen Ebene, auf der Ebene der Lehre anzusetzen ist? Dann bliebe immer noch die Frage, wo eigentlich der Schwerpunkt der Lehre liegt. Es gibt unterschiedliche Gruppen, die unterschiedliche Schwerpunkte in der Lehre setzen. Würde man eigentlich mit einem Dialog, der sich ganz auf die Frage der essentialen Grundlehren von einzelnen Religionen konzentriert, viel weiter kommen, oder ist es nicht wahrscheinlich, dass ein solcher Dialog bald blockiert würde? Es wäre doch zu bedenken, ob man nicht andere Bereiche viel sinnvoller in einem Dialog angehen kann, Bereiche, welche die Lebenspraxis des anderen betreffen mit dem Ziel, Freiräume des Verstehens und der gegenseitigen Anerkennung zu schaffen, in denen sich soziale Besonderheiten frei entfalten können. In einer Gesellschaft wie der unsrigen, in der neben einer dominanten Religion zahlreiche Anhänger anderer Glaubenssysteme leben, geht es doch zunächst darum, dass man den anderen in seiner Eigenart gelten lässt, dass man ihm Rechtsansprüche zubilligt, dass man ihm soziale Relevanz, soziale Entfaltung nach seinem Selbstbild im Rahmen des sozial Zumutbaren ermöglicht. Voraussetzung dabei ist ein Verständnis dafür, wie der andere ist und warum er so ist, wie er ist. Dadurch wird nicht nur der andere mitsamt seinen Lebensgewohnheiten schärfere Konturen gewinnen, sondern im Kontrast mit ihnen kann man auch sich selber und die eigenen Lebensgewohnheiten distanzierter sehen.

von Brück:

Ich möchte an das anknüpfen, was Herr Dagyab sagte. Da wir ja hier auch interkulturelle Verhaltensformen ansprechen wollen und fragen, was man lernen kann, möchte ich diese Frage noch einmal hervorheben. Sie haben darauf hingewiesen, dass es im Buddhismus, jedenfalls prinzipiell - ich werde es gleich etwas qualifizieren - kein Problem ist, dass es eine Pluralität innerhalb des Buddhismus gibt. Das Christentum z.B. hat hingegen seine eigene Vielgestaltigkeit immer als ein Problem empfunden, und zwar angesichts des Anspruchs bzw. der Mahnung: Ihr sollt alle eins sein. Die Zerspaltenheit in verschiedene Konfessionen wird immer als Problem gesehen, wobei wir jetzt genau fragen müssen, was heißt denn hier Einssein? Im Buddhismus gibt es natürlich auch Schwierigkeiten, wenn er anfängt sich zu organisieren, d.h. wenn seine Existenz staatsrechtliche Konsequenzen hat. Dann wird es auch schwierig, andere buddhistische Formen als gleichberechtigt zuzulassen. Für dieses Problem gibt es in der Geschichte Tibets, Chinas und Japans genug Beispiele. Sie aber schienen zu sagen, und das scheint mir ein anderes Gewicht zu haben als etwa im Christentum, es sei im Buddhismus überhaupt nicht so sehr die einheitliche Formulierung, auch nicht die einheitliche Interpretation dessen, was der Buddha gesagt hat, entscheidend, weil man das ohnehin nicht ganz genau weiß. Entscheidend ist vielmehr, was ich mit dem, was ich verstanden habe, in meiner konkreten Praxis anfangen kann, und an dieser Praxis erweist sich die Wahrheit oder die Unwahrheit dessen, was ich verstanden habe. Von daher ist von vorneherein die Pluralität eingebaut. Ist das wirklich ein Unterschied zum christlichen Selbstverständnis, oder scheint das nur ein Unterschied zu sein?

Dagyab:

Ich kann andere Religionen nicht unterordnen oder abstufen. Das kann ich nicht, weil ich die anderen nicht sehr gut kenne. Ich kann nur vom Buddhismus reden, und wir haben dort unterschiedliche Meinungen, unterschiedliche Termini und unterschiedliche Ansichten. Aber wir respektieren alle diese Sichtweisen - zum Beispiel im Studium. Sie kennen ja den Unterschied von Hinayana und Mahayana. In den Mahayana-Schulen muss man die Hinayana-Texte ebenfalls studieren, ohne das geht es gar nicht. Die Hinayana-Sicht erscheint hier nicht als etwas, das uns fremd wäre. Wir betrachten sie vielmehr als Basis, aus der wir das Wissen hervorholen, und darauf bauen wir dann die Mahayana-Tradition auf. Mahayana umfasst also Hinayana. Aber das Entscheidende ist: All diese Studien sollen unserem Leben, unserer Praxis dienlich sein.

Leisner:

Im Betrachten der anderen Religionen besteht die Forderung an uns, dass wir die anderen Religionen respektieren müssen. Das heißt im konkreten Einzelfall, wenn ein Problem auftritt, wie z.B. Menschenopfer, dann sagen wir, wenn wir nach unserer Meinung gefragt werden, dass eine Religion, die Menschenopfer verlangt, sich in diesem Punkt irrt. Grundsätzlich unterstellen wir ihr, dass sie ebenfalls den Zweck hat, den Lebewesen zu dienen und sie weiterzubringen. Es ist uns nicht gestattet, irgendeine Religion insgesamt abzuqualifizieren. Es ist uns auch nicht gestattet, jemand anderem in den Arm zu fallen. Nicht einmal soweit würde es gehen. Wir sind aufgefordert, nach Möglichkeit selber solche Handlungen nicht zu begehen und nach Möglichkeit friedlich darauf einzuwirken, sie zu verhindern.

Falaturi:

Ich glaube, ich habe doch noch nicht herübergebracht, was ich gemeint habe. Auch die Formulierung „Infragestellung" oder nicht hat nach meinem Eindruck zu einem weiteren Missverständnis geführt. Ich möchte also sagen, was ich nicht meine. Ich meine nicht, dass man den Menschen tun lassen soll, was er will und was er tun möchte, ohne die Verantwortung dafür und für die Gemeinschaft zu tragen. Das meine ich nicht. Ich meine auch nicht mit Nicht-In-Frage-stellen, dass man nicht diskutiert: Du siehst es anders, ich sehe es so. Ich meine eher, was ich in einer Selbstdarstellung einmal so formuliert habe, und einen Satz daraus lese ich vor:

„Ich konnte und kann mir nicht vorstellen - das ist für monotheistische Religionen -, dass ein Gott, der von allen geliebt wird und der alle seine Kreaturen liebt, sich der Willkür der Anhänger bestimmter Verkünder der Religion unterordnet und alle Menschen entsprechend diesem Wunsch und der Willkür Himmel, Paradies und Hölle zuweist." Ich kann mir das nicht vorstellen, und das meine ich. Jude, Muslim und Christ sollen nicht sagen: Ich bin besser als der andere, ich komme in den Himmel, du kommst in die Hölle. Das, meine ich, soll aufhören. Denn wenn man denkt, dass ich als Christ in den Himmel komme und der Muslim nicht oder umgekehrt, sind alle unsere Gespräche in der Tat von einer unehrlichen Haltung geprägt. Wir müssen bereit sein, den anderen auch eine gute Zukunft zuzumuten. Alle schwierigen Begriffe können wir einmal weglassen. Wahrheit ist ein belasteter Ausdruck. Ich meine hier ganz konkret, dass ich mich keineswegs immer im Recht befinde und dass ich den anderen nicht in die Hölle schicken darf und mich allein ins Paradies wünsche. Ich habe im Gespräch mit Christen einmal einen Spaß gemacht und gesagt: „Seid unbesorgt - ihr kommt in den Himmel, die Muslime wollen gar nicht in den Himmel. Die kommen ins Paradies, und ihr wollt gar nicht ins Paradies." Aber das ist Scherz. Was ich sagen will, ist dies: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gott sich der Willkür meiner Wenigkeit und meiner kleinen Person unterwirft und den oder jenen nach meinen Vorstellungen bestraft. Wenn auch das, was ich sage, vielleicht nicht unbedingt ein allgemeiner islamischer Standpunkt ist, so ist es doch meine Überzeugung. Mit einer anderen Haltung kann ich mich nicht identifizieren. Das meinte ich mit dem Wort „Infragestellung" - also keine Infragestellung des Heils des anderen. Übrigens: Ich habe seit 34 Jahren im Gespräch mit Christen den Islam viel besser erkannt als in meinen 13 oder 14 Jahren theologischen Studiums.

Yagi:

Lassen Sie mich nicht direkt darauf antworten, sondern kurz etwas von der Situation in Japan berichten: Das Gespräch von uns Christen mit Schintoisten versagt, weil sie

auf unsere Fragen kaum antworten. Ich erinnere mich an eine Tagung von Schintoisten und Christen. Das war eine gute Gelegenheit, und wir haben viele Fragen gestellt. Dadurch haben wir den Schintoismus - ohne es zu beabsichtigen - wohl in Frage gestellt. Aber leider haben wir keine einzige Antwort bekommen. Der Dialog ist nicht gelungen. Warum es so war, ob es immer so sein wird, weiß ich nicht. Aber ich möchte die Tatsache berichten. Im Gespräch mit Buddhisten hingegen habe ich sehr oft die gelungene gegenseitige Infragestellung erfahren, die das Gespräch fruchtbar machte, da sie keineswegs totale Ablehnung oder Verneinung des Gesprächspartners, sondern eher positive Herausforderung bedeutete. Jedoch, es gibt auch ein störendes Moment - das kann für westliche Christen, aber auch vielleicht für Sie, Herr Dagyab, schockierend sein - ‚ dass nämlich einige Buddhisten von der Überlegenheit des Buddhismus über das Christentum überzeugt sind, obgleich sie freilich nicht meinen, dass die Christen in die Hölle kommen. Allerdings sind es jedoch meistens die Christen, die gegenüber Menschen anderer Religionen ein Überlegenheitsbewusstsein verraten. Wir haben im Gespräch oft danach gestrebt, solchem Überlegenheitsbewusstsein entgegenzutreten und auf den fast unbewussten Verabsolutierungswillen aufmerksam zu machen, um uns auf sachliche Fragen zu konzentrieren. Die Überzeugung, dass eine Religion a priori allen anderen überlegen ist, macht natürlich jedes Gespräch unmöglich. So möchte ich unterstreichen: Was Sie angedeutet haben, Herr Falaturi, passiert mehr oder weniger auch bei uns in Japan und durchaus auch in der Begegnung von Buddhisten und Christen.

Falaturi:

Ich habe den letzten Teil der Diskussion faszinierend gefunden, weil wir anfingen, uns in Abgrenzung voneinander zu definieren. Schon sah ich Judentum, Christentum und Islam als Ritter, die ins Feld ziehen und einander scharf angreifen, während der Buddhismus fast etwas Sanftes ist, ein Kissen, gegen das man nicht schlagen kann, weil es immer alles in sich hineinnimmt und dann am Ende auch in seine eigene Geisteswelt integrieren kann. Vielleicht ist dies ein Anfang zu erkennen, dass auch das Denken zwischen uns ein verschiedenes Denken sein kann. Wir müssen uns ja immer bewusst sein, dass wir in einer Situation leben, wo es auch aus ethischen Gründen Streit und Konflikte gibt, wo wir eine religiöse Entscheidung der anderen nicht akzeptieren können, wie Herr von Brück sagte. Manchmal ist es auch eine staatliche und politische Frage, wenn es etwa in England oder Amerika Religionen gibt, in denen sich die Eltern weigern, medizinische Ratschläge anzunehmen oder Eingriffe zu wagen, die das Leben ihres Kindes retten könnten, weil ihnen ihre Religion bestimmte medizinische Eingriffe verbietet. Dann stellt sich die Frage, wann der Staat doch eingreifen soll, um nach seiner Ansicht das Richtige zu tun und seine Pflicht auszuüben, nämlich das Kind zu retten gegen die Religion, die sich in diesem Sinne gegen den Staat gestellt hat. Das sind dann Fragen über die Rechte der Kinder, über Werte und Moral, über Individuum und Gesellschaft. Im Judentum, Christentum und Islam gibt es dazu kontroverse Debatten, z.B. über die Abtreibung.

In genau solchen Fragen werden wir uns auch in unserem Gespräch wohl nicht leicht einigen. Wir werden uns vielleicht über das Recht des Lebens einigen, aber doch verschiedene Gedanken darüber haben, wie das Recht des Menschen am besten gewahrt wird. Wir werden uns in dieser Situation auch bewusst werden müssen, dass die Absolutheit unseres Glaubens gegen die Absolutheit des Staates öfters scheitern kann.

v. Strietencron:

Mit den eben angeschnittenen Fragen begeben wir uns bereits auf das Gebiet der Pluralität von religiös bestimmten Verhaltensweisen, welche im täglichen Zusammenleben von Angehörigen unterschiedlicher Religionen die meisten Reibungsflächen bietet. Bevor wir uns diesem Bereich ausführlicher zuwenden, möchte ich Herrn Ott bitten, die Gedanken dieser zweiten Diskussionsrunde noch einmal aus seiner Sicht zusammenzufassen, so wie es Herr von Brück vorhin für die erste Diskussionsrunde getan hat.

Ott:

Zusammenfassung wäre zu anspruchsvoll. Der letzte Punkt von Herrn Falaturi veranlasst mich noch zu einer Feststellung. In der Begegnung mit den Religionen gibt es tatsächlich zwei Schwerpunkte, nicht die einzigen, aber die wichtigsten: die Heilsfrage und die Wahrheitsfrage. Erstens: Gibt es für den anderen, den ich als anderen erkenne, definiere, wahrnehme, Heil? Und zweitens: Gibt es bei ihm Wahrheit? Das ist nicht die gleiche Frage. Soweit ich sehe, hat die Römisch Katholische Kirche in beiden Punkten ganz klar mit Ja entschieden. Es gibt Heil bei den anderen, und auch Wahrheit. Ich meine die beiden Konzilsdokumente Nostra aetate und Lumen gentium: Es gibt bei den anderen etwas von dem Licht, das alle Menschen erleuchtet. Darin liegt gewiss noch keine Anerkennung der Ebenbürtigkeit der anderen Religionen mit der römisch-katholischen Kirche, aber es ist doch in aller Form eine Möglichkeit zur Wahrheit eingeräumt. Gut, das sind zunächst zwei Gesichtspunkte. Ich glaube, die Heilsfrage ist weitgehend durchdiskutiert unter uns, sagen wir, unter westlichen „Normaltheologen", nämlich dass es Heil auch für die anderen gibt. Das ist nicht kontrovers, nach meiner Wahrnehmung.

Was ich noch interessant fand - es war mir an einer Stelle wie eine Erleuchtung - ist dies: Wir verlangen, wenn jemand zum Christentum übertritt, dass er seinem bisherigen Glauben abschwöre, das ist für uns das normale Paradigma. Man konvertiert zum Christentum. Aber in Japan zum Beispiel ist das absolut nicht selbstverständlich. Man kann sehr wohl in manchen japanischen Religionen eine neue Religion annehmen, ohne die alte abzulegen. Das ist ein anderes Paradigma. Ich möchte das nur anmerken, damit diese Randbedingungen noch deutlicher werden. Ich fand die Bemerkungen von Herrn Moltmann, Herrn Yagi und Herrn von Brück über Schriftreligionen und Naturreligionen sehr interessant. Es ist mir einleuchtend, dass die einen zum Dialog tauglicher sind als die anderen, aber das gilt nur insofern und nur dann, wenn wir den Dialog auf der intellektuellen Ebene lokalisieren. Wenn wir aber Dialog einfach als Begegnung verstehen, als Gemeinsamkeit, als Austausch von Erfahrungen, Osmose von Erfahrungen, dann, so meine ich, besteht dieser Unterschied nicht mehr. Dies zum Dialogbegriff.

Noch zur Streitkultur ein Wort: Ich suche solche Dinge - wenn man über Dialog nachdenkt oder über Identität - zu verifizieren an Gesprächserfahrungen, die wir auch sonst haben, und zwar nicht an besonders exotischen, sondern an schlichten, guten Gesprächen mit Kollegen, mit Freunden usw. Und da möchte ich ein gutes Wort einlegen auch für die Aggression. Ich glaube, ein bisschen Aggression darf durchaus sein in bestimmten Gesprächsstadien. Der Widerspruch ist eine Triebkraft, und im erlebten Widerspruch ist oft auch ein Element von Aggression, das aber im gelingenden Gespräch nachher überwunden wird, integriert wird. Das ist mir auch aus politischen Begegnungen sehr vertraut, dass plötzlich die Aggression eingeschmolzen wird in eine höhere Synthese von Einverständnis. Natürlich ist das keine Grundsatzaggression, wie sie Herr von Brück beschrieben hat, wo ich mein Ego gegen den anderen unter allen Umständen durchsetzen will. Jetzt knüpfe ich noch einmal an das Votum von Herrn von Brück an. Wird ein Dialog ohne Streit uninteressant? Das kann sein, aber für mich ist auch ein Dialog, wo es beim Widerspruch bleibt, von einem bestimmten Punkte an uninteressant. Der Widerspruch, der Streit ist ein Element im Dialog, aber dieser zielt darüber hinaus: der Streit ist nicht der Zweck. Ich würde - auch im Unterschied zu Karl Barth - auch den Zweck der Theologie nicht als Widerspruch, Abgrenzung gegen Häresie, bestimmen wollen.

Nun ein Letztes in diesem Zusammenhang. Hat Identität immer und notwendigerweise mit Abgrenzung zu tun? Mit Definition? Gewiss auch. Aber ich sehe noch ein anderes Paradigma dafür, wobei ich Abgrenzung nicht gänzlich aus schließe, sie aber zu einem bloßen Vehikel machen möchte, in dem sich Identität bewährt. Ich stelle mir als Alternative vor: Charisma, Ausstrahlung. Die Identität residiert nicht in dem, wie ich mich vom anderen abgrenze, sondern was ich auf den anderen aus strahle und wie er auf mich ausstrahlt. Damit ist ein anderes Grundverständnis von Identität und Dialog mit im Spiel.

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