Der Islam im Dialog

Der Islam im Dialog - Aufsätze

Prof. Abdoldjavad Falaturi

Inhaltsverzeichnis

Scheindialoge

Die hier explizit ausgeführten Anforderungen scheinen kaum in der Praxis bewusst berücksichtigt zu werden. Erfahrungsgemäß handelt es sich oft um eine belastende Atmosphäre, worunter die religiösen Zwiegespräche leiden. Das liegt daran, dass sie von Motivationen getragen werden, wofür der Ausdruck Dialog lediglich als ein legitimierendes Instrumentarium verwendet wird. Man hat es somit mit Scheindialogen zu tun.

Es sind die Fälle, wo von vorneherein eine gegenseitige Skepsis unter den am Dialog Beteiligten herrscht:

- die Fälle, wo eine negative Einschätzung des Glaubens des Partners Ansatz für Fragestellungen liefert;

- die Fälle, wo die Überheblichkeit, bezogen auf die eigene Sache, von vornherein die Wahrnehmung des Partners und seiner Überzeugung unmöglich macht;

- die Fälle, wo die Geringschätzung des Partners nie zulässt, von ihm etwas Positives zu lernen;

- die Fälle, wo die Gespräche dazu dienen sollen, die bereits bestehenden Voreingenommenheiten und Vorurteile zu bestätigen; ganz besonders durch die Engpässe, die man dem Partner in den Weg stellt.

- die Fälle, wie die als negativ zu bewertenden Erscheinungen (Gewalt, Frau) im Überzeugungsbereich des Partners zum Dialogausgangspunkt gewählt werden;

- die Fälle, wo das Festhalten an den herkömmlichen Feindbildern die Sicht für die Aufarbeitung der Vergangenheit zugunsten einer hoffnungsvollen Gegenwart und Zukunft sperrt;

- die Fälle, wo die Absicht besteht, den Gesprächspartner auf die Anklagebank zu setzen und ihn zu verurteilen, um sich auf seine Kosten zu profilieren;

- die Fälle, wo die Gesprächspartner nicht bereit sind, selbstkritisch über die eigene Religion, über die eigene Religionsgemeinschaft und über die Entwicklung der eigenen Geschichte zu reflektieren;

- die Fälle, wo die versteckten Absichten wie zum Beispiel Missionierungsgedanken die Gespräche tragen, bei denen de facto der Dialog als ein apologetisches Werkzeug unter Anwendung aller missionarischer Künste (latente Diffamierung der Religion des Partners und unauffällige Hervorhebung der Vorzüge der eigenen Überzeugung) benutzt wird; und schließlich die Fälle, wo extreme Gründe, wie aktuelle politische Anlässe – und diese beherrschen leider heute sogar die Dialogszene der Gesprächspartner – seit der islamischen Revolution im Iran und ganz besonders im Zusammenhang mit dem Golfkrieg – eine Dialogveranstaltung nach der anderen heraufbeschwören lassen, bei denen der Dialog bestimmte aktuelle Erscheinungen aus dem Kontext der Lehre, der Geschichte und dem Überzeugungsfeld herausgreift und ein wahrlich verzerrtes und zu verurteilendes Bild von der Religion und der Kultur des anderen (das geschieht besonders zum Nachteil des Islam) konstruiert. Der Dialog wird lediglich als ein politisches Mittel zur Herabwürdigung des Partners missbraucht, und die Dialogveranstalter als bewusste oder unbewusste Mitläufer der unberechenbaren Politik eingesetzt.

Dialogthemen sind in solchen Fällen Schlagwörter, die im Zuge der langwierigen politischen Auseinandersetzungen zwischen dem Westen und den orientalischen, insbesondere den muslimischen Ländern entstanden sind und nie aufhören werden zu entstehen, solange es herrschende und beherrschte Länder gibt. Bei den Schlagwörtern, so alt ihre Ursprünge auch sein mögen und so unterschiedlich sie auch formuliert werden, handelt es sich um ein und dasselbe Ziel. Sie sollen stets eine Gefahr, eine mysteriöse Gefahr für den Westen signalisieren, um das Spannungsfeld zwischen den beherrschten und herrschenden Ländern anzuheizen, um dementsprechende Aktionen und Unternehmungen vor der Weltöffentlichkeit zu legitimieren.

Wir wissen alle, dass unser Leben heute mehr als je zuvor von einer gewissen Politik vorgeplant und durch die Medien programmiert wird. Es ist eine Gewissensfrage, ob die für den christlichen und islamischen Glauben Verantwortlichen sich in diesen Strudel hineinziehen lassen dürfen. Sollten wir zusehen – und sogar mitmachen -, dass die Religion mit allen neuen technologischen Mitteln ein neues verfeinertes Instrument zur Erreichung eines skrupellosen und politischen Eigennutzes diffamiert wird?

Wäre der Gott der Bibel und der Gott des Korans als Gott der Armen und Unterdrückten mit uns, die im Namen dieser Religion operieren, einverstanden? Ich weiß es nicht. Das ist eine Mahnung, die ich in erster Linie an mich und an sie alle richte. Wenn ich hier ausführlicher auf dieses Phänomen eingehe, so liegt es einfach in der Tatsache, dass ich kaum in den letzten Jahren, ganz besonders nach dem Untergang der UdSSR, ein Gespräch erlebt habe, bei dem dieser extreme Anlass, der weltpolitische, nicht dominierend gewesen ist. Das zerschlägt alle Friedenshoffnung mittels der Religionen und widerspricht ganz und gar dem Thema unserer Veranstaltung. Es bleibt in solchen Fällen kein Platz dafür, über die Hermeneutik der Religionen nachzudenken.

Es geht hier nicht - und kann auch nicht - darum, die Scheindialoge zu verurteilen und sie zu unterbinden. Hier geht es um Hermeneutik des Dialogs. Das kann nur erreicht werden, wenn von vorneherein klargestellt ist, was und mit welcher latenten oder offenen Zielsetzung unter dem Deckmantel des Dialoges verfolgt wird.

Dialog im oben genannten Sinne und unter der geschilderten Rahmenbedingung soll heute die Anhänger verschiedener Religionen in die Lage versetzen können, je in seinem eigenen Glauben ein neues Identitätsbewusstsein zu erlangen. Auch die Theologie kann daraus profitieren. Diese - ob christlich oder islamisch - basierte bislang in der Hauptsache auf apologetischen Grundlagen: auf dem Negativen bei dem Anderen und auf dem Positiven bei sich. Eine neue Ära der Theologie kann - und soll - jeweils auf der Grundlage des Selbstverständnisses des anderen eingeleitet werden. Es lässt sich vorausahnen, wie viele neue Ansätze, Anregungen, Thesen, Theorien und sogar im nachhinein neue Interpretationen eigener Religionsgeschichte daraus hervorgehen können; eine gegenseitige positive Befruchtung ist die kleinste Folge daraus.

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