Löffler: Ich bin Paul Löffler, Mitglied der Projektgruppe
„Begegnung mit dem Islam", die diese Veranstaltung vorbereitet
hat. Im Namen der Gruppe begrüße ich Sie herzlich. Wir sind
eine neue Projektgruppe beim Kirchentag mit einem Versuch, der
bisher so noch nicht stattgefunden hat, nämlich im Rahmen des
Kirchentages ein Gespräch mit Muslimen in Gang zu setzen. Wir
versuchen das, indem wir in vier Veranstaltungen vier
Schneisen schlagen.
Jetzt geht es darum, eine Bestandsaufnahme zu machen, im
Blick auf die Vergangenheit der christlich-muslimischen
Beziehungen und auf die Hoffnungen, Möglichkeiten und
Schwierigkeiten ihrer Zukunft. Ich begrüße dazu in besonderer
Weise und mit Dank für ihre Bereitschaft zu diesem Gespräch
fünf Herren auf dem Podium: Professor Carsten Colpe,
allgemeiner Religionshistoriker an der Universität in Berlin,
als Moderator; die beiden muslimischen Theologen, Professor
Falaturi aus dem Iran, jetzt Professor der Islamkunde an der
Universität Köln und Direktor der Islamischen
Wissenschaftlichen Akademie dort; Dr. Smail Balic,
Oberstaatsbibliothekar und ehemaliger Universitätslektor für
orientalische Sprachen in Wien, führender Muslim in Österreich
und Mitglied der islamisch-christlichen Arbeitsgruppe zu
Ausländerproblemen in der Bundesrepublik.
Dann als christliche Theologen: Dr. John B. Taylor aus
England, Islamwissenschaftler und Direktor des Dialogprogramms
des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf. Schließlich hier
am Ort, von der Universität Hamburg, Theologieprofessor
Hans-Jochen Margull, langjähriger Vorsitzender des
Ökumenischen Arbeitsausschusses zu Fragen des Dialogs. Bevor
die fünf sich selber vorstellen, weil wir meinen, dass die
Erfahrung von Dialog mit der persönlichen Geschichte eines
jeden zusammenhängt, will ich noch wenige Worte zum Ablauf und
zum Vorgehen sagen. Nach der Vorstellung findet eine
Gesprächsrunde auf dem Podium statt und dann sind Sie dran,
Fragen zu stellen an die Mitglieder des Podiums. Wir bitten
Sie allerdings, zu verstehen, dass bei mehr als 2000 Menschen
hier im Saal, dies nur möglich ist, indem einige von Ihnen
Ihre Fragen schriftlich formulieren.
Colpe: Als Religionshistoriker habe ich mich mit der
Begegnung und Auseinandersetzung von Kulturen und Religionen
im Altertum beschäftigt - also in vorislamischer Zeit. Von da
aus bin ich auf Analogien und Parallelen in der Gegenwart
gekommen und versuche nun, die alten Vorgänge auch im Lichte
der neuen zu erklären und umgekehrt. Weil daran, damals wie
auch heute, das Christentum beteiligt war und ist und für
dieses bei uns eine besondere Wissenschaft zuständig ist,
musste ich mich auch viel mit dem methodischen Verhältnis
zwischen Theologie und Religionsgeschichte beschäftigen, was
heute anscheinend ein besonders wichtiges Problem ist.
Gegenwärtig bin ich zusammen mit Christoph Elsas u. a. an
einem Projekt in einer türkischen Großstadt beteiligt,
eingebettet in West-Berlin, die mit etwa 120000 Türken, bis
auf weiteres, die größte türkische Stadt außerhalb der Türkei
ist. Wir versuchen dort, Hilfestellungen zu erarbeiten für die
Beantwortung der Frage, wie im Prozess der politischen und
sozialen Integration von türkischen und deutschen Bewohnern
Berlins die religiöse und kulturelle Identität unserer neuen
islamischen Mitbürger gewahrt werden kann.
Falaturi: Nach Abschluss meines Studiums der islamischen
Theologie und Philosophie an verschiedenen wissenschaftlichen
Zentren im Iran kam ich Ende 1954 nach Deutschland, um hier
mein Studium der abendländischen Geisteswissenschaften
(Philosophie, Psychologie, Pädagogik, vergleichende
Religionswissenschaft) fortzusetzen. Über den deutschen
Philosophen Immanuel Kant habe ich meine Doktorarbeit „Zur
Interpretation der kantschen Ethik im Lichte der Achtung"
geschrieben und über die „Umgestaltung der griechischen
Philosophie durch die islamische Denkweise" meine
Habilitationsarbeit. Diese intensive Beschäftigung mit beiden
Kulturen ist der Grund dafür, dass ich ständig einen Dialog
der beiden Kulturen in mir empfinde, wobei das Christentum und
der Islam als jeweils kulturbildende Faktoren eine vorrangige
Rolle spielen.
Schon lange Zeit, bevor das Phänomen „Dialog der
Religionen" hier in der christlichen Welt ins Leben gerufen
wurde, nämlich bereits im Wintersemester 1955, etwa drei
Monate nach meiner Ankunft in Deutschland, hielt ich meinen
ersten Vortrag über das Thema „Judentum, Christentum und
Islam" vor Dozenten und Studenten der evangelischen Theologie
im Albert-Schweitzer-Haus in Mainz.
Mir ging es darum, diese Religionen auf ihren gemeinsamen
Kern „Glaube an einen einzigen Gott" aufmerksam zu machen und
auf die Unsinnigkeit hinzuweisen, dass sie sich statt dessen
gegenseitig zu bekämpfen versuchen.
Unbeirrt von allen später aufkommenden berechtigten oder
unberechtigten Motivationen „eines Dialoges zwischen den
Religionen" habe ich seit dieser Zeit, d.h. seit 1955, dieses
Zwiegespräch als Student und Dozent fortgeführt. Dabei
entdeckte ich neue, mir noch nie bewusst gewordene, geistige
Dimensionen im Islam und fand zugleich einen Zugang zu der
Logik der christlichen Lehre abendländischer Prägung. Ich
hoffe nach wie vor, unabhängig von allen externen Strömungen
und Motivationen, diesen, meinen eigenen, völlig unabhängigen
Weg fortsetzen zu können.
Balic: Ich bin ein Muslim mit Europaerfahrung, weil ich in
einer christlichen Umwelt zur Welt gekommen und aufgewachsen
bin. Ich habe acht Jahre lang islamische Theologie an einer
humanistisch-islamischen Lehranstalt in Sarajewo/Bosnien
studiert, in einer Stadt, die, leider Gottes, zu einem
traurigen Ruhm gekommen ist.
In Deutschland lehre ich seit langem; hier habe ich meine
Studien abgeschlossen, die ich teilweise in Österreich (Wien)
und teilweise in Deutschland, nämlich in Leipzig und Breslau,
betrieben hatte. Ich bin am Dialog der Religionen sehr
interessiert. Aus diesem Grunde habe ich an zahlreichen
Gesprächen teilgenommen und bin auch Vorstandsmitglied der
Weltkonferenz der Religionen für den Frieden. Außerdem bin ich
Vorstandsmitglied der Ständigen Konferenz der europäischen
Juden, Christen und Muslime.
Gerade als ein Muslim, der in einer gemischten,
pluralistischen Gesellschaft Jahrzehnte hindurch gelebt hat,
habe ich meine eigenen Erfahrungen gesammelt - Erfahrungen,
die mich nun auf diesen Weg des Gesprächs gewiesen haben und
auch in Zukunft weisen werden.
Ich bin ehemaliger Hochschullektor und derzeit Fachreferent
für orientalische Sprachen und die islamische Kultur an der
österreichischen Nationalbibliothek. Ich habe einige Werke
geschrieben, vor allem über die islamische Kulturgeschichte,
über die Geschichte der Muslime vom Balkan, teils in
jugoslawischer, teils in deutscher Sprache. ich bin außerdem
Mitarbeiter zahlreicher Zeitschriften in Deutsch,
Jugoslawisch, Arabisch und Türkisch. Übrigens gebe ich eine
Zeitschrift heraus, die ihre besonderen Notlage hervorhebt:
die Zeitschrift „Islam und der Westen." Das ist eine
Zeitschrift mit einer gewissen kritischen Einstellung zu der
heutigen Entwicklung in der islamischen Welt. Zuletzt sei noch
erwähnt, dass ich mich auch sozial betätigt habe, vor allem
dadurch, dass ich eine österreichische Organisation
„Moslemischer Sozialdienst" gegründet habe. Ich stehe nämlich
auf dem Standpunkt, dass der Islam sich heutzutage in
verstärkter Weise sozial betätigen müsse, denn die sozial
benachteiligte Bevölkerungsschicht dieser Welt ist ein großes
Problem - nicht nur für den Islam, sondern für die ganze Welt.
Taylor: Als ich vor fast 25 Jahren klassische Philologie in
England studierte, klopfte es eines Tages an meine Tür. Ein
junger Muslim stellte sich mir als Präsident der islamischen
Studentengemeinde vor und fragte, ob ich in meiner Eigenschaft
als Präsident der Christlich-Ökumenischen-Gesellschaft einer
offiziellen Begegnung zwischen Muslimen und Christen zustimmen
würde, um verschiedene gesellschaftsbezogene und theologische
Themen von gemeinsamem Interesse zu diskutieren. Ich war zwar
überrascht, aber auch erfreut und akzeptierte diese Einladung
zum Gedankenaustausch über unsere Hoffnungen und Ängste,
unsere Überzeugungen und Bestrebungen. Dieses Erlebnis hat
mich vielleicht dazu bewogen, den Islam systematisch zu
studieren, und zwar sowohl an westlichen als auch an
islamischen Universitäten.
Später wurde ich Dozent für die Geschichte des Islam und
habe mit christlichen und muslimischen Studenten gearbeitet.
Dabei habe ich selbst so viel von den Studenten gelernt, dass
ich in meinem Herzen immer Student geblieben bin. Auch habe
ich herausgefunden, dass man, wenn man den Islam studieren
will, gerade in einer europäischen Stadt wie Birmingham in
persönliche Beziehungen zu Muslimen, Juden, Hindus und anderen
eintreten- und mit ihnen zusammen z. B. religiösen Unterricht,
Gottesdienste etc, gestalten muss. Ich arbeite jetzt seit acht
Jahren für den Ökumenischen Rat der Kirchen im Programm zur
Förderung des Dialogs mit Vertretern verschiedener Religionen
und Ideologien. Dabei geht es nicht nur um das Gespräch über
soziale und geistige Fragen, sondern auch darum, Wege für eine
praktische Zusammenarbeit zu finden.
Die Zusammenarbeit zwischen Christen und Muslimen ist nicht
einfach, wenn man an die Ereignisse auf Zypern, im Libanon,
auf den Philippinen, im Sudan etc. oder gar an die rassischen
Spannungen in Westeuropa denkt. Wenn auch die Religion diese
Konflikte nicht ausgelöst hat, so hat sie es doch mitunter
versäumt, angesichts von politischen und verfassungsmäßigen
Schwierigkeiten ihrem Versöhnungsauftrag nachzukommen.
Ein Teil unserer Arbeit im Ökumenischen Rat der Kirchen ist
der Veränderung von Einstellungen und Verhaltensweisen den
Kirchen selbst gewidmet. Dadurch sollen die Christen zum
Dialog ermutigt und veranlasst werden, ihre Nächsten zu lieben
und ihnen zu dienen. Der andere Teil unserer Arbeit besteht
darin, mit unseren Nächsten zusammenzuarbeiten - mit Muslimen,
Juden, Hindus, Buddhisten und anderen Menschen, die
verschiedenen Überlieferungen und zeitgenössischen Ideologien
anhängen. Die Initiative zu solcher Zusammenarbeit geht dabei
von beiden Seiten aus. Unsere Arbeit wird mehr und mehr von
den Kirchen unterstützt und der Dialog als eine der den
Christen von Gott übertragenen Aufgaben anerkannt.
Margull: Einige Jahre hindurch habe ich an dem Werk, von
dem John Taylor gesprochen hat, im Weltkirchenrat mitgewirkt.
Meine theologische Spezialisierung führte mich von der
Missionswissenschaft zur Ökumene- und Religionswissenschaft.
1970 war ich mitbeteiligt an dem ersten vom Weltkirchenrat
zustande gebrachten weltweiten Dialog zwischen Hindus,
Buddhisten, Muslimen und Christen, wobei ich begann, über das
Buchwissen hinauszugehen und erste Schritte im Verstehen von
Menschen anderer religiöser Traditionen zu machen. In diesem
Zusammenhang lernte ich dann auch Dr. Askari kennen, der einer
meiner Lehrmeister auf dem Gebiet des Islam wurde. Mitbemüht
bin ich gewesen um die Ausbildung eines sogenannten Trialogs,
d.h. des Gespräches zwischen Juden, Christen und Muslimen.
In diesem Zusammenhang habe ich Prof. Falaturi und Dr.
Balic kennengelernt. Vielleicht darf ich bei dieser
Gelegenheit die Anregung geben, dass wir auf dem nächsten
Kirchentag die eine oder andere Veranstaltung zusammen mit der
Arbeitsgemeinschaft Christen und Juden haben, um die
Gemeinsamkeit dessen zum Ausdruck kommen zu lassen, die in dem
gewagten Wort von den drei abrahamitischen Religionen
angedeutet wird. Zum Schluss, gerade an dieser Stelle, ein
Hinweis auf das christlich-jüdische Gespräch. Es hat auch hier
in Hamburg eine seiner Stellen. Wir haben am Fachbereich Ev.
Theologie der Universität Hamburg in jedem zweiten Jahr ein
ganzes Semester lang einen jüdischen Gastprofessor.
COLPE: Wir wollen nicht sofort mit Positionen und Austausch
von Gedanken beginnen, sondern uns zunächst einmal besinnen,
warum so etwas in den vergangenen Jahrhunderten oft so schwer
möglich war. Daher werden wir uns zunächst mit den
historischen Belastungen der Beziehungen zwischen Muslimen und
Christen beschäftigen. Beim zweiten Durchgang wollen wir dann
die Probleme und Hoffnungen im Blick auf die Zukunft des
Dialoges eröffnen. Es wird sich sehr wahrscheinlich
herausstellen, dass in beiden Durchgängen eine Reihe von
Sachfragen, vor allem auch theologische Sachfragen, zur
Sprache kommen, die früher die Beziehungen belastet oder gar
unmöglich gemacht haben. Das sind dann zugleich diejenigen,
die aufgearbeitet werden müssen, damit in Zukunft der Dialog
besser möglich sein wird.
Margull: Ich habe in Beirut einmal eine Geschichte von
einem alten, gütigen islamischen Theologen gehört, der in
einer Unterhaltung gesagt haben soll: Im heiligen Koran ist an
einigen Stellen würdig von Jesus die Rede, aber nirgends in
der Bibel wird der Prophet Muhammad - Friede sei über ihm -
erwähnt. Das, so sagte er, ist unhöflich! Die Geschichte habe
ich mir nicht deswegen gemerkt, weil über sie damals herzlich
gelacht worden ist-, der Text des Alten und Neuen Testaments
war schließlich schon längst abgeschlossen, als in Mekka und
Medina der Prophet Muhammad seine Offenbarung empfing.
Ich habe sie mir vielmehr gemerkt, weil mit ihr nach meiner
Auslegung etwas Beherzigenswertes gesagt werden sollte. Der
alte Gelehrte einer muslimischen Gemeinschaft in Beirut wollte
meiner Meinung nach sagen, dass weder die Juden noch die
Christen den Propheten Muhammad, wenn sie ihn überhaupt zur
Kenntnis genommen haben, so positiv zu würdigen in der Lage
waren, wie es sich gehört. Er sprach also die Diskriminierung
des Propheten Muhammad, des durch ihn empfangenen Korans
Gottes, des Islam und schließlich der Muslime an — eine
Diskriminierung seitens der Christen, seitens der Kirche und
der gesamten westlichen Welt, eine Nichtachtung, eine
Unterbewertung, ja eine Verachtung, offen oder versteckt,
durch die Jahrhunderte des Mittelalters und der Neuzeit
hindurch bis in unsere Tage. Das, so meinte der alte Mann in
seiner Art, sei zumindest unhöflich.
Vor einigen Jahren fragte mich der damalige Imam der
Hamburger Moschee, woher es eigentlich käme, dass den Muslimen
und dem Islam in Europa so viel Misstrauen entgegengebracht
wird. Dabei kam mir die Frage, ob es damit zusammenhinge, dass
die christliche Tradition ein Bewusstsein von der
Abgeschlossenheit der Offenbarung Gottes in Jesus Christus
geschaffen hat, in dem die Kunde von weiterer Offenbarung dann
nur störend und verärgernd wirken kann, zumal ja der
Offenbarungsträger, der Prophet Muhammad, aus einer uns immer
fremdgebliebenen Welt gekommen ist. Eine andere unmittelbarere
Antwort, die ich schlecht finde, die aber sehr aufschlussreich
ist, ist mir neulich begegnet, als ich nach einer Diskussion
über unser Verhältnis zu unseren türkischen Mitbürgern eine
ältere, aus dem süddeutschen Raum stammende Dame sagen hörte:
„Seien Sie vorsichtig, die Türken sind jetzt vielleicht dabei,
auf kaltem Wege das zu erreichen, was sie mit ihrem Versuch
der militärischen Eroberung des Abendlandes nicht geschafft
haben." Hier regen sich die Erinnerungen an die Türken vor
Wien 1529, ein Ereignis, das bekanntlich Luther stark
beschäftigte, und 1683, als es den Prinzen Eugen, den Edlen
Ritter, gab.
Neben christlicher Theologie hat also die fast
tausendjährige Geschichte der Spannungen und der Kämpfe
zwischen Orient und Okzident für das bei uns herrschende
Misstrauen gegenüber dem Islam gesorgt.
Nun werden Sie mit meiner Geschichte vom alten muslimischen
Theologen in Beirut schon bemerkt haben, dass ich mich bemühe,
Muslime zu verstehen — schon aus Höflichkeit, vielmehr aber
aus Mitmenschlichkeit, im letzten jedoch aus Hochachtung vor
dem Glauben echter Muslime. Will man sie verstehen, muss man
die andere Seite der Geschichte sehen. Beispiel Jerusalem: Die
erste Gebetsrichtung der Muslime war die nach Jerusalem, der
Stadt monotheistischen Glaubens. Als wahre Monotheisten
erhoben sie Anspruch, in dieser Stadt zu dem einen Gott zu
beten. Schon sechs Jahre nach dem Tod des Propheten Muhammad,
durch den sie von dem einen Gott gehört hatten, zogen sie in
diese Stadt ein, das war im Jahre 638. Der abendländischen
Christenheit war das auf die Dauer unerträglich.
Sie bewerkstelligte etwas, was sie nie aus sich hätte
hervorbringen sollen: die Kreuzzüge. Im Jahre 1099 fiel die
Stadt Jerusalem, in der Juden, Christen und Muslime -freilich
unter der Bestimmung der Muslime - zusammenlebten. Es fiel
also die Stadt Jerusalem, die Stadt des Friedens, den
eifernden, das Schwert schwingenden, ruhm- und besitzsüchtigen
und grausamen Kreuzrittern zum Opfer. Sie taten dabei etwas,
was unsere Volksüberlieferung immer nur den alten Türken
zugeschrieben hat: Sie missionierten mit dem Schwert. Nach dem
Fall Jerusalems kam die Bewegung in Gang, die, die Türken
schließlich bis vor die Tore von Wien brachte.
Im Gegenzug setzten die abendländischen, westlichen,
christlichen Reiche zur Beherrschung des Orient an und machten
die stolzen islamischen Völker zum Objekt des politischen,
wirtschaftlichen, kulturellen und religiösen Kolonialismus.
Das ging bis 1964. Nachwirkungen haben wir bis heute im
Libanon. Für die Muslime war all dies eine Demütigung. Am
leidvollsten war schließlich, dass ihnen 1967 Jerusalem
verloren ging; nun nicht an die Christen, wohl aber an einen
neuen Staat, den sie vom Westen gestützt sehen.
So wird verständlich, dass Vorsicht, Misstrauen und Angst
auf beiden Seiten bestehen, ein Misstrauen, das sich aus alten
Ängsten nährt. In beiden Religionen gilt nun, dass der Mensch
nicht leben soll aus seinen schlechten Erfahrungen. Er soll
vielmehr leben aus Gott. Wenn im Islam gerufen wird: „Allahu
Akbar", so ist zuerst dieses gemeint: Gott ist größer. Er ist
größer als wir, er steht weit über unseren geschichtlichen
Erfahrungen und will unseren Blick weg von uns auf sich
richten. Das sage ich jetzt zustimmend als Christ. Bei aller
Unterschiedenheit, bei aller kräftigen Unterschiedenheit von
Christentum und Islam ist doch für Christ und Muslims eines
klar: es ist nur ein Gott. Und unsere gegenseitigen schlechten
Erfahrungen sind kleiner als er. Von daher, meine ich, könnte
Misstrauen schwinden und Vertrauen wachsen.
Balic: Ich möchte auch gerne mit einer Anekdote beginnen.
Auch gelehrte Leute können sich irren, auch gebildete Menschen
können von falschen Vorstellungen, von fixen Ideen, beherrscht
werden. So war eine deutsche Mittelschulprofessorin entsetzt,
als sie im Rahmen einer Diskussion erfahren musste, dass die
Südmolukker, die bekanntlich vor einigen Jahren durch ihre
politischen Krawalle in Holland in den Verruf des Terrorismus
kamen, keine Muslime, sondern Christen sind. Die gute Dame
hatte bis dahin geglaubt, dass alle Terroristen unseres
Zeitalters Muslime sind. Wir sehen also, zu was für einem
Irrtum eine fixe Idee führen kann. Eine solche Idee war eben
auch die Vorstellung des muslimischen Gelehrten im Libanon,
dass die Bibel nicht höflich sei dem Islam gegenüber;
natürlich ein Nonsens für denjenigen, der weiß, dass die Bibel
lange Zeit vor dem Qur‘an und lange Zeit vor dem Auftreten
Muhammads geschrieben worden ist.
Die geschichtlichen Begegnungen des Christentums und des
Islam haben sich auf drei verschiedenen Ebenen entwickelt: auf
der theologischen, auf der kulturellen und auf der politischen
Ebene.
Trotz scheinbar unüberbrückbarer Gegensätze in der
Gotteslehre - man denke etwa an die strikte Ablehnung der
Trinität - haben sich die beiden Religionen nicht immer als
totale Gegensätze verstanden. Der Islam hat im Christentum von
Anfang an eine Vorstufe der von Gott gewollten
Offenbarungsreligion gesehen. Das Christentum hingegen hat
ursprünglich den Islam als eine christliche Häresie empfunden.
Der Qur‘an - oder, wie man hier sagt, der Koran - als
Grundquelle des Islam oder als Grundquelle der islamischen
Lehre, spricht, wie Sie schon gehört haben, mit Anerkennung
und Achtung nicht nur von Jesus, - er heißt im islamischen
Sprachgebrauch „3Isa„ - und seiner Mutter. Auch den Christen
als solchen wird im Qur‘an ein gutes Zeugnis ausgestellt. Vor
allem die christliche Frömmigkeit und die in ihr begründete
asketische Lebensweise der Mönche werden den Gläubigen als
nachahmenswerte Beispiele vor Augen geführt. Kein Wunder, dass
sich dann bereits im 8. Jahrhundert eine islamische Askese
entfalten konnte, die stark unter dem Einfluss des
christlichen Mönchtums von Syrien stand. Um diese Zeit gerade
gab es Begegnungen zwischen dem Islam und der griechischen
Welt. Sie werden sicherlich wissen, dass damals sehr viele
griechische Werke ins Arabische übersetzt wurden.
Auf dieser Basis ist dann die spätere arabische bzw.
islamische Kultur entstanden. Es wurden viele Werke antiker
Philosophen, Ärzte und Naturforscher ins Arabische übersetzt,
und so erweiterten die islamischen Gelehrten, die gleichzeitig
auch Theologen waren, ihren Horizont. Durch diese
Hellenisierung hat sich eine weitere Annäherung an das von
Paulus bereits in den hellenistischen Kulturkreis eingeführte
Christentum ergeben. Damals waren sich eigentlich der Islam
und das Christentum sehr, sehr nahe. Islamische Theologen, die
in dieser geistigen Atmosphäre gewirkt haben, wurden im
Mittelalter als christliche Theologen empfunden; ja,
Aristoteles wurde von beiden Religionen beansprucht. Die einen
meinten, er sei ein Christ, die anderen meinten, er sei ein
Muslim gewesen. - Das war wiederum ein Irrtum der Gelehrten.
Erst nach dem Sieg der Orthodoxie im 10. Jahrhundert begann
man sich stärker auseinanderzuleben. Politische Konfliktstoffe
und eine zunehmende Orientalisierung oder - besser gesagt -
Asiatisierung des Islam vertieften diese Kluft. Wenn ich sage
„Orientalisierung des Islam", so meine ich vor allem die
Volksreligion, die religiöse Gedankenwelt des Volkes, aber
auch teilweise die Orthodoxie selbst. Die Kreuzzüge, die
Inquisition und die Türkenkriege bewirkten schließlich eine,
so könnte man sagen, fast unversöhnliche Feindschaft und Hass.
Der „Mohammedaner", wie irrtümlich der Muslim, also der
Bekenner des Islam, bezeichnet wird, wurde zum klassischen
Feindbild des Christentums.
Zu dem Ausdruck ‚,Mohammedaner" sei mir gestattet zu
bemerken, dass er deshalb falsch ist, weil im islamischen
Glaubensverständnis die Religion, die von Gott kommt, immer
ein und dieselbe gewesen ist; sie geht sozusagen durch die
ganze Geschichte. Der Islam ist eigentlich eine Botschaft, die
sich durch die ganze Geschichte zieht. Selbst Jesus Christus
ist, so paradox es Ihnen vielleicht klingt, in den Augen der
Muslime ein Muslim gewesen. Aus diesem Grunde ist es falsch,
die Anhänger des Islam „Mohammedaner" zu nennen. Sie selbst
verstehen sich als Muslime, d. h. als diejenigen, die das
Leben im Zeichen der Hingabe an Gott als das höchste Ideal zu
bewältigen suchen.
Umgekehrt der abendländische Christ, aber nicht als
solcher, nicht als Christ, sondern als Franke, Alemanne,
Moskowiter wurde in der islamischen Welt als Feind empfunden.
Merkwürdigerweise hat man nie von diesem Feind als vom
Christen geredet. Man hat vielmehr immer eine andere
Bezeichnung gebraucht:
Franken, Alemannen, darunter waren die Deutschen zu
verstehen, Moskowiter, d.h. die Russen, die Leute, die von
Moskau herkommen.
lm Mittelalter ist das Bild des Islam infolge gegenseitiger
Exklusivität, Fanatismus oder politischer Zweckmäßigkeit stark
verzerrt worden. Zusätzliche negative
Bewusstseinsbeeinträchtigung durch neuzeitliche Autoren hat es
auch gegeben, so etwa durch Voltaire und in neuerer Zeit durch
Karl Marx oder durch gewisse Priester, wie Pater Lammens und
andere mehr. Andererseits, Christenhass hat es in der
islamischen Welt auch gegeben, etwa wegen der Torpedierung des
osmanischen Reiches durch Aufstände, wegen der Kapitulationen,
wegen der wirtschaftlichen Ausbeutung und der Sabotage, dann
später wegen der Kolonialkriege, nicht zuletzt auch wegen der
Mission.
Trotz der Dialogbereitschaft elitärer Kreise sind die
geistigen Waffen, leider Gottes, immer noch nicht ganz
verstummt. Der Muslimhass und die gegen den Islam gerichteten
literarischen Spitzen wirken fort - so etwa bei Ivo Andric,
dem jugoslawischen Nobelpreisträger, bei Franz Werfel, bei
lvan Mazuranic und bei anderen mehr. Das alles trägt zum
Weiterbestand des Misstrauens bei. Andererseits sehen wir in
der islamischen Sphäre die Verteufelung des Westens im Zuge
der sogenannten „Renaissance des Islam". Dort hören wir auch
häufig Schlagworte gegen die Freimaurer, die Kirche, die
Kommunisten und die Zionisten. Das sind aber Worte, die
hauptsächlich in faschistoiden Gruppierungen anzutreffen sind;
so auch in Gruppierungen, die sich sehr gerne auf den Islam
berufen.
Auf der theologischen Ebene hat der Islam gewisse
Bibelinhalte, darunter vor allem die Prophetengeschichten,
relativiert. Diese Prophetengeschichten üben im Koran eher
eine literarisch-ästhetische als eine dogmatisch-bestimmende
Funktion aus. Sie bezwecken lediglich einen psychologischen
oder moralischen Effekt. Dogmatisch sind sie kaum relevant und
somit beinahe aufgebbar. Dies ist wichtig zu wissen, wenn etwa
christologische Themen angeschnitten werden. Die Geschichte
von Christus hat eben im Islam eine andere Dimension als im
Christentum. Der große Nazarener ist im Qur‘an lediglich ein
großer Gottesbote mit von Gott eingegebener Weisheit und mit
Vortrefflichkeiten der Propheten. Im islamischen Christusbild
kommen eher jene Züge, die einigen modernen christlichen
Theologen wie Hans Küng irgendwie sehr sympathisch vorkommen,
zum Ausdruck, als die Züge, die, die normale orthodoxe
christliche Theologie zu vertreten pflegt. Hier zeichnet sich,
meines Erachtens, die Möglichkeit eines befruchtenden
interreligiösen Gesprächs ab.
Das islamische Offenbarungsverständnis, nach dem Gott nur
zeitweise - von Zeit zu Zeit, - und zwar durch die Propheten
zu der Menschheit gesprochen hat, bildet die zweite erhebliche
Schwierigkeit für die vertiefte Begegnung zwischen den beiden
Religionen. Dieses Offenbarungsverständnis des Islam hat zu
einem historischen Fixierung geführt, die sich um so
nachteiliger auswirkt, als diese auch heute noch, wie zu
Muhammads Zeiten, vielfach die Religion und die Politik als
unzertrennliche Zwillingsschwestern ansieht. Doch diese
Grundhaltung wird von vielen Muslimen angezweifelt. Sie wird
infrage gestellt, und zwar aufgrund der theologischen
Argumente. Ein stärkerer Erfahrungsaustausch, ein vertieftes
Gespräch kann hilfreich sein, dass der Islam bei aller Treue
zu seiner eigenen Identität den Anschluss an die moderne Zeit
findet. Insofern sehe ich auch die an uns Muslime gerichtete
Einladung zu diesem Kirchentag nicht nur als eine freundliche
Geste, sondern auch als einen Ausdruck der ernsten Sorge um
die gemeinsame Zukunft der Menschheit.
Colpe: Wir haben, so denke ich, aus diesem Beitrag gelernt,
wie sich historische Fehlentwicklungen gegenseitig
herausfordern und zu immer größeren Fehlern verstärken.
Eingeschlossen darin sind Missverständnisse über
Auslegungsfragen der Heiligen Schrift und über das Verständnis
von Offenbarung, Gott und Jesus überhaupt. Wir sollten
vielleicht diese letzteren als theologische Sachfragen einen
Augenblick herauslassen und uns zunächst an die historischen
Fehlentwicklungen halten. Wenn man sie nicht wiederholen will,
muss man sie kennen. Und man muss dann eine Strategie
entwickeln, wie man sie künftig vermeiden kann.
Taylor: Als methodistischer Laie habe ich gelernt, meine
Predigten nach drei Punkten zu gliedern, und als britischer
Dozent konzentriere ich mich in Vorträgen ebenfalls auf drei
Punkte - und nicht auf 20, wie es in Deutschland üblich zu
sein scheint.
Heute möchte ich folgende drei Punkte ansprechen:
1. Internationale Dialoge entwickeln sich aus Dialogen auf
Ortsebene bzw. leiten diese in die Wege.
2. Dialoge auf Ortsebene finden erfahrungsgemäss vor allem
in Situationen statt, in denen ein dringendes Bedürfnis danach
besteht.
3. Die Dialogthemen sind sehr vielfältig; wir können etwa
mit praktischen Fragen beginnen, sollten dann aber eine
Ausweitung des Gesprächs auf spirituelle und theologische
Fragen nicht fürchten.
1. Internationale Dialoge: Nicht nur die christlichen
Kirchen, sondern auch islamische Organisationen und
Institutionen haben in den letzten Jahren mehr und mehr
Dialogtagungen veranstaltet oder gefördert. Man sprach
miteinander über Glauben in der modernen Welt, über
Menschenrechte, Verkündigung, nationale Integration, das
Verständnis von Prophezeiung, von der Schrift usw. Darüber
hinaus begann man jedoch auch, Zusammenarbeit in humanitären
Projekten zu üben, z.B. in der Flüchtlingshilfe, in der
Aufklärungsarbeit, die uns helfen soll, unseren Nächsten
besser kennenzulernen, sowie auch in Einrichtungen, die
unseren gemeinsamen Alltag darstellen: Krankenhäuser,
Fabriken, Schulen usw. Wir versuchen, diese Tagungen gemeinsam
zu planen und gehen dabei von gegenseitiger Achtung und von
der Respektierung der Identität des anderen aus.
Wir bemühen uns, seine Integrität, seine Bedürfnisse und
seine Rechte vollkommen zu akzeptieren, anstatt eine letztlich
doch künstliche Integration anzustreben. Auf diesen Tagungen
suchen wir nicht nur nach Differenzen, sondern in erster Linie
nach Gemeinsamkeiten. Wir ermutigen weniger zur Polemik denn
zur Selbstkritik; es geht uns mehr darum, Künftiges
vorzubereiten, als über Vergangenes zu klagen - obwohl auch
das sehr wichtig sein kann. Die Dialogtagungen des
Ökumenischen Rates sind ein Zeichen für neues Engagement und
Interesse seitens unserer Mitgliedskirchen - der
protestantischen wie der orthodoxen - und seitens unserer
katholischen Mitmenschen. Auch bei unseren muslimischen
Partnern ist eine Öffnung zu beobachten.
2. Dialog trotz aller Probleme: Wenn sich der Dialog in den
vergangenen Jahren insgesamt sehr positiv entwickelt hat, so
hat es doch gleichzeitig auch einige herbe Enttäuschungen
gegeben. Journalisten und Politikern zufolge haben die
politischen Konflikte im Libanon, in Eritrea und auf den
Südphilippinen sowie auch die Rassenspannungen in europäischen
Städten religiöse Ursachen.
Es ist ganz ohne Frage beschämend, dass sich die Religion
bislang nicht als versöhnende Kraft erwiesen hat - dazu fehlt
es ihr an Stärke -‚ aber schließlich sind manche Probleme
weniger durch eine Praktizierung der Religion als vielmehr
durch ihre Vernachlässigung entstanden. Gerade in diesen
Konfliktgebieten wäre Dialog am dringendsten angezeigt. Ich
denke hier z. B. an eine Muslimin, die nach einer unserer
Tagungen auf die Südphilippinen zurückkehrte und dort
gemeinsame christlich-muslimische Gebetsstunden für den
Frieden durchführte. Oder auch an die christlichen
Krankenschwestern, die im Südlibanon muslimische
Krankenpfleger ausbilden - manche ihrer Mitchristen halten sie
für verrückt, sich gerade in dieser Zone aufzuhalten, aber
diese Schwestern wollen ihrer Solidarität mit ihren leidenden
Mitmenschen konkret Ausdruck geben, ungeachtet der Tatsache,
ob sie Muslime oder Christen, Palästinenser oder Libanesen
sind.
Ich denke auch an ostafrikanische Dörfer, in denen Christen
den Muslimen beim Bau der Moschee und umgekehrt Muslime den
Christen beim Bau der Kirche helfen, wo sie dann gemeinsam
Gott danken für seine Gaben, und wo sie in Zeiten der Not und
Verzweiflung gemeinsam zu ihm beten. In manchen Fällen ist es
wichtiger, die Risiken eines Dialogs auf sich zu nehmen,
anstatt zu warten, bis eine perfekte Dialogtheologie vorliegt.
3. Dialog zur Vertiefung unseres Glaubens: Es ist ein
Irrtum zu meinen, Dialog berge grundsätzlich die Gefahr eines
Kompromisses oder Verlustes. Selbstverständlich dürfen wir
keine Kompromisse eingehen, aber wir sollten Verständnis,
Geduld und Bescheidenheit üben. Und wir sollten uns bewusst
machen, wieviel wir einander geben und voneinander lernen
können. Eine kleine Arbeitsgruppe nordafrikanischer Muslime
und europäischer Christen, die sich seit einigen Jahren
regelmäßig trifft, um über das Schriftverständnis beider
Traditionen nachzudenken, hat die Erfahrung gemacht, dass
diese Gespräche jedem Teilnehmer geholfen haben, auch seinen
eigenen Glauben besser zu verstehen und zu festigen. Wenn ein
Christ sieht, wie sehr ein Muslim Jesus aufgrund seiner
jungfräulichen Geburt, seiner Wunder und seiner - wie der
Islam lehrt - Errettung vorm Kreuzestod verehrt, dann wird er
sich in seinem christlichen Glauben zugleich gedemütigt und
positiv herausgefordert sehen. Ein Muslim wiederum, der
entdeckt, wie sehr ein Christ - trotz unnachsichtiger Kritik -
seine Bibel liebt und verehrt, mag ermutigt werden, das
göttliche Wort des Korans vertrauensvoller und doch mit aller
Ehrfurcht zu erforschen. Diese Art von Entdeckungen und
gegenseitiger Bereicherung zeigt uns, dass wir im Dialog nicht
nur unserem Nächsten begegnen und ihn besser verstehen lernen,
sondern dass wir in unserem Nächsten auch Gott begegnen, und
dass Gott unserem Nächsten Gelegenheit gibt, Ihn in uns
wiederzufinden. Ebenso wie wir Gott lieben lernen durch die
Liebe zu unserem Nächsten, so können wir - indem wir jede
Gelegenheit wahrnehmen, unserem Nächsten zu begegnen, Ihm zu
dienen und von ihm zu lernen - auch lernen, Gott aufs neue zu
begegnen und zu finden.
Colpe: Dialog bedeutet also nicht einfach, dass zwei
Menschen in Gegenwart voneinander Worte artikulieren und sich
gegenseitig ihre Standpunkte klarmachen, sondern darin liegt
ein ganz besonderes Verständnisproblem. Ich denke, Herr
Falaturi wird in der Lage sein zu sagen, dass darüber schon
eine viel intensivere Reflexion auf das hin, was Theologie
eines Dialoges sein könnte, stattgefunden hat.
Falaturi: Der erste, der in der Geschichte dieser drei
Religionen zu einer Gemeinsamkeit aufgerufen hat, war der
Verkünder des Islam, Muhammad. Koran, Sure 3, Vers 64: „Sag:
Ihr Leute der Schrift! Kommt her zu einem Wort, das zwischen
euch und uns gleich ist: dass wir Gott allein dienen, ihm
nichts beigesellen und dass wir uns nicht untereinander an
anstatt Gottes zu Herren nehmen. Wenn sie sich aber abwenden,
dann sagt: Bezeugt, dass wir (Gott)ergebene sind!"
Die Basis und die Motivation dieses Aufrufes waren rein
religiöser Natur. Auf dieser Basis hat sich auch die
islamische Kultur in ihrer Geschichte, und zwar in einer
ständigen Wechselwirkung mit beiden Religionen, bis ins späte
Mittelalter entwickelt. Die Unterbrechung eines Zwiegesprächs
auf höchster geistiger Ebene hat keiner der Kulturen gut
getan. Die einseitigen Entwicklungen zeigen heute mehr denn je
ihre Gefahren.
Der heute anstehende Dialog geht allerdings auf die
Initiative der abendländischen Christenheit zurück. Dieser
muss daher von den Initiatoren dem Wesen, der Motivation und
der Zielsetzung nach deutlicher erläutert werden, wenn man die
Vorbehalte, die vor allem bei den Muslimen gegenüber einem
Dialog vorhanden sind, ausräumen möchte. Es kommt nämlich
nicht darauf an, dass hier oder auch in manchen islamischen
Ländern eine sehr geringe Anzahl der sogenannten
intellektuellen Muslime sich - aus welchen Gründen auch immer
- für einen solchen Dialog einsetzt, aber über etwa 90 Prozent
der Muslime dies gar nicht registrieren oder sogar dagegen
plädieren, indem sie diesen Dialog in Folge der Jahrhunderte
langen unangenehmen Erfahrungen als ein neues Mittel zur
Erreichung alter Ziele ansehen.
Hoffnungen: Die Ernsthaftigkeit und die von politischen und
wirtschaftlichen Motivationen entfernte Unabhängigkeit eines
Dialoges kann hauptsächlich durch Taten und nicht nur durch
Worte bewiesen werden: Dass diese drei Religionen Abraham als
ihren Urvater nachweisen und sich über viele ähnliche
gemeinsame Phänomene freuen, reicht nicht aus. Nebst Abbau der
Vorurteile auf allen Seiten muss man mehr an eine faktische
praktische Gemeinsamkeit denken, z.B. an die Ursituationen, in
denen Moses, Jesus und Muhammad die Lehre verkündet haben:
Moses ist als Retter eines von der gewaltsamen Herrschaft
unterdrückten Volkes aufgetreten. Das gleiche gilt für Jesus
und Muhammad.
Man muss ehrlich und mutig die Frage stellen, was Moses,
Jesus und Muhammad getan hätten, wenn sie heute in unserer
Gesellschaft als einer Weltgesellschaft, samt aller ihrer
unterschiedlichen Ideologien und Denkrichtungen, in
Erscheinung treten würden? Auf wessen Seite hätten sie sich
gestellt? Auf die Seite der unsichtbaren politischen und
wirtschaftlichen Macht in ihrer unterschiedlichen Prägung oder
auf die Seite der davon Betroffenen?
Ein glaubwürdiger, hoffnungsversprechender und praktischer
Dialog dieser drei Religionen, der die Vorbehalte ausräumen
kann, ist bei der heutigen Weltsituation, unter anderem, durch
eine Rückbesinnung auf die Ursituation dieser drei Religionen
möglich. Die Initiatoren eines ernsthaften Dialogs, ob sie
Christen, Juden oder Muslime sind, müssen imstande sein, der
bedrohenden unsichtbaren Macht immer und überall, in welcher
Form auch immer - also ohne Einschränkung - demonstrativ
entgegenzuwirken und durch ihre Tat, nämlich durch den
Versuch, die leidende Mehrheit der Menschen auf der Erde zu
retten, und zwar in einer unabhängigen Form, den Beginn eines
neuen friedlichen Zeitalters zu bestimmen.
Colpe: Wir sind jetzt dabei und daran, die theologischen
Sachfragen beantworten zu müssen, zumindest ansprechen zu
müssen. So scheint es mir, dass wir zunächst einmal die Frage
nach dem unterschiedlichen Verständnis der Dreieinigkeit kurz
aufgreifen sollten, dann vielleicht die Frage nach der
Abgeschlossenheit der Offenbarung‚ dann die merkwürdige Frage,
wieso islamische Philosophie als christliche verstanden werden
konnte, und schließlich: Was ist gerechter Krieg oder heiliger
Krieg, und wie verhält sich Politik und Religion im Islam
zueinander?
Margull: Die Trinität ist eine sehr schwierige Frage. Ich
will mir Mühe geben, sie möglichst bündig, plastisch und
natürlich korrekt anzugehen.
Es wird von muslimischer Seite heute hier und da zu
bedenken gegeben, dass die Texte der christlichen
Trinitätslehre, besonders die auf den ersten ökumenischen
Konzilen geschaffenen Dokumente zum trinitarischen Verständnis
christlichen Gottesglaubens, dass solche offiziellen
theologischen Darlegungen in der frühen Welt des Islam nicht
zugänglich waren. Demzufolge habe sich die frühe muslimische
Gemeinschaft, die anfing, sich mit dem christlichen Glauben
auseinander zusetzen, auf die Kenntnisse zum trinitarischen
Gottesglauben verlassen müssen, die in der damaligen Zeit bei
christlichen Gemeinschaften - sagen wir - populär gang und
gäbe waren. Danach ergab sich im Islam - an dieser Stelle
warte ich auf Widerspruch oder Kommentierung meiner
muslimischen Kollegen - eine Vorstellung oder die Befürchtung,
dass die Christen an drei Götter glaubten, dass man im
Christentum also den Bereich der monotheistischen Religion
verlassen habe und der christliche Glaube sich bereits wieder
im Feld der schon überwunden geglaubten polytheistischen
Religionen befände. In populärer Weise konnte es sich dann auf
muslimischer Seite so darstellen, als ob die Christen an Gott
oder den Vater, an Maria oder eine Muttergottheit und
schließlich an einen Sohn glaubten, der vielleicht aus der
Verbindung der ersten zwei hervorgegangen war. Eine solche
Vorstellung ist natürlich von der Kirche nie vertreten worden.
Und der trinitarische Gottesglaube spricht ja auch nicht von
Maria, sondern von Gott-Vater, Gott-Sohn und Gott-Geist, dem
einen Gott.
Im Islam als einem streng monotheistischen Glauben ist und
wird das trinitarische Gottesverständnis als eine Gefahr
betrachtet, und zwar in dem Bemühen, Gott als den einen Gott
zu bezeugen und den Glauben an den einen Gott zu bewahren vor
einer sogenannten Beigesellung (Pirk), mit der Gott eine
andere Gottheit beigesellt wird. Und infolge dieses
Aufpassens, dass da „Pirk" ja nicht geschehe, ist eine sehr
starke Abgrenzung gegenüber dem trinitarischen Gottesglauben
der Christen erfolgt. Demzufolge sind dann auch keine Schritte
gemacht worden, sich mit dem trinitarischen Gottesglauben zu
befassen und ihn verstehen zu wollen. Für das gegenwärtige
christlich-islamische Gespräch könnte ich mir denken, dass man
sich über einem Text zusammensetzt, in dem der trinitarische
Gottesglaube der Christen verbindlich zum Ausdruck gekommen
ist. In Frage kommt das Athanasianische Glaubensbekenntnis.
Die Christen werden dabei die Freiheit haben, dessen
Einführung und den Schlussteil einmal beiseite zu legen, sich
also auf die Darlegung des trinitarischen Gottesglaubens zu
beschränken. Es könnte dabei herauskommen, dass die Christen
den Muslimen deutlich werden lassen, dass es Gott als der
Heilige Geist ist, der den Christen sagt, dass der Christus
Jesus mehr als ein Prophet ist und dass durch Gott als den
Heiligen Geist deutlich wird, dass Gnade über Gesetz steht.
Colpe: Vielleicht können Sie, Herr Bali, direkt zu diesem
Thema aus muslimischer Sicht etwas sagen und das verbinden mit
der Frage, wie unterschiedlich das Bewusstsein der
Abgeschlossenheit der Offenbarung ist, das sich für uns mit
dem Stichwort aus dem Koran verknüpft: Muhammad ist das Siegel
der Propheten. Die Reihe der Propheten wird mit ihm besiegelt,
ist zu Ende und geht nicht weiter.
Balic: Im islamischen Glaubensverständnis ist Gott vor
allem erhaben über alle Merkmale der Vergänglichkeit und der
Beschränktheit. Gerade die Geburt und der Tod sind die
typischsten Merkmale der menschlichen Vergänglichkeit bzw. der
Beschränktheit. Dementsprechend ist es nach dem islamischen
Glaubensverständnis nicht möglich, dass Gott in diese
Denkweise irgendwie miteinbezogen wird: dass Gott sterben oder
geboren werden könnte.
Sonst wäre er kein Gott. Was die Trinität anbelangt, so
bezieht sich die islamische Kritik vor allem auf die faktische
Lage im Christentum. Es ist nämlich geschichtlich so gewesen,
dass viele einfache Christen an eine Dreieinigkeit in der Form
geglaubt haben, dass da ein Vater, eine Mutter und ein Sohn
bestehen. Diese Sachlage hat die Kritik des Islam
hervorgerufen. Natürlich ist das ein sehr kompliziertes
Problem, das man nicht so ohne weiteres abfertigen kann. Es
ist auch nicht Platz, hier darüber zu diskutieren. Wir Muslime
nehmen mit Freude zur Kenntnis, dass die Christen sich auch zu
einem Gott bekennen. Darauf kommt es letzten Endes an.
Die islamische These bzw. eher das Schlagwort, dass
Muhammad der letzte Prophet wäre, dass er „Siegel der
Propheten" ist, muss man auch aus dem historischen
Zusammenhang verstehen. Zu seiner Zeit hatten sich nämlich
zwei oder drei Leute gemeldet, die auch Anspruch erhoben,
Propheten zu sein, also falsche Propheten. Und schon aus
diesem Grund war es notwendig, das Axiom aufzustellen, dass
Muhammad der letzte Prophet ist.
Weiter war das notwendig, wegen der Absicherung in alle
Zukunft. Es war vorauszusehen, dass auch in Zukunft derartige
Schwierigkeiten auftauchen könnten. Das ist das eine. Was nun
den Islam an sich anbelangt, was seine Zukunftsgestaltung
anbelangt, so hat Muhammad selbst gesagt, dass nach dem Ende
der Propheten, also nach seinem Tode, es die Gelehrten sein
werden, die das federführende Wort in der Gesellschaft haben.
Er hat wortwörtlich gesagt: „Die Gelehrten sind die Nachfolger
der Propheten." Es ist heute so eine Zeit, in der die
Gelehrten durch ihren Sachverstand uns manches zu vermitteln
haben, und wir haben nur die Grundlinien in den religiösen
Schriften in der Bibel, in der Thora, im Evangelium und im
Qur‘an.
Colpe: Ihnen ist vielleicht aus dem, was Herr Balic gesagt
hat, deutlich geworden, wie eng mit scheinbar theologischen
Fragen auch allgemeinere wissenschaftliche Fragen
zusammenhängen. Gelehrte als Nachfolger von Propheten, das
gibt z. B. der Philosophie eine ganz andere Funktion im
islamischen Denken. Man ist immer wieder überrascht, wieviel
auch Nichtstudierte darüber wissen, so dass wir uns jetzt wohl
der Frage zuwenden können, welche Position die Philosophie im
islamischen Denken hat und welche bei uns.
Falaturi: Zunächst ist es eine umstrittene Frage unter den
Gelehrten, ob man je von einer jüdischen oder islamischen oder
christlichen Philosophie sprechen kann. Diese Religionen
hatten nicht die Aufgabe, irgendeine Philosophie
hervorzubringen; ihre Aufgabe erschöpfte sich im Religiösen.
Dennoch spricht man von einer jüdischen, islamischen und
christlichen Philosophie. Das liegt darin begründet, dass die
Anhänger dieser Religionen versucht hatten, das Gedankengut
des Gesehenen zu adaptieren und es jeweils durch ihre eigene
Religion zu modifizieren. Das begann mit Philon von Alexandria
und wurde dann später auch durch die Christen fortgesetzt.
Unter den Kirchenvätern, d. h. aufgrund ihrer Abneigung gegen
die Philosophie, wurde diese Entwicklung im Abendland eine
Zeit lang unterbrochen. Dann kamen die Muslime. Sie fingen an,
sich mit anderen Kulturen vertraut zu machen und haben sich
nach einer nicht allzu langen Zeit hauptsächlich deinem
griechischen Gedankengut zugewandt. Hier, und das ist sehr
interessant, wie auch Herr Balic sagte, geschieht die
Übernahme hauptsächlich durch Vermittlung der christlichen
Nestorianer. Die Muslime übernahmen diese Übersetzungen und
fingen an, sie zu islamisieren. Infolge der Kreuzzüge wurde
das Interesse der Christen dafür geweckt. Die arabischen
philosophischen Texte mussten ins Lateinische übersetzt
werden. Diesmal waren es zum großen Teil die Juden, die sich
daran beteiligt haben.
Nun zur sachlichen Erläuterung, weil hier vorher die Frage
gestellt wurde, wieweit eine islamische Philosophie
christliche Philosophie sein oder werden kann und wie es mit
der Naturphilosophie steht.
Wenn wir von Philosophie sprechen, müssen wir daran denken,
dass das, was islamisch, christlich oder jüdisch ist und zur
Debatte steht, mehr die metaphysische, theologische Seite der
Philosophie ausmacht und nicht die naturwissenschaftliche. In
diesem Sinne, also auf der theologischen Ebene, haben
tatsächlich die Muslime mehr als die Christen je zuvor (in
ihrer Einstellung zur Philosophie) versucht, aus der
griechischen Philosophie eine islamische Lehre zu machen. Als
eine so islamisierte Lehre wieder im Abendland Anklang
gefunden hatte - ich denke an Albertus Magnus, Thomas von
Aquin und andere - standen diese trotzdem vor einem Problem
(und das ist sehr interessant), nämlich dem Problem, dass sie
nicht alles so übernehmen konnten, wie es sich die Muslime
gedacht hatten.
Die Übersetzungen zeigen, dass an bestimmten Stellen
einfach hilflos modifiziert wurde: z.B. konnte die Vorstellung
des Monotheismus im Islam, die in der islamischen Philosophie
ganz klar zum Tragen kommt, nicht in eine Vorstellung vom
Monotheismus hineinpassen, die mit Trinitätsgedanken verbunden
ist - wie Herr Margull schon andeutete. In solchen Fällen fand
eine Modifikation statt.
Was aber hauptsächlich und bis heute sogar bei manchen
deutschen Philosophen zu sehen ist, sind die ontologischen
Leistungen und Begriffsbildungen der islamischen Philosophen,
die in die mittelalterliche Philosophie übernommen wurden und
heute noch gebräuchlich sind, allerdings in anderer Form und
sogar in der Sprache von Heidegger und Nikolai Hartmann
vorhanden sind.
Colpe: Eine weitere Frage, die auch aus dem Publikum
gestellt wurde, ist die nach dem gerechten Krieg, auch
heiliger Krieg genannt. Es gibt dafür im Arabischen ein Wort:
„jihad", das übersetzt werden muss mit „die Anstrengung" es
ist eine Anstrengung, Gott zur Ehre zu verhelfen. Sie kann den
Gebrauch von Waffen einschließen, aber es ist nicht in erster
Linie ein Krieg, schon gar nicht eine gewaltsame Unterwerfung
der Welt unter den islamischen Glauben.
Im allgemeineren Sinne des Wortes Islam „Hingabe" oder „Ergebung
an Gott" wird vorausgesetzt, dass potentiell die ganze Welt
islamisch ist, und dieser Anspruch kann verteidigt werden. Das
Wort „heilig", das man immer dazusetzt - bitte beachten Sie
das -‚ ist ein Wort aus der europäischen Religionswissenschaft
und hat eigentlich schon diskriminierenden Charakter. Es gibt
in arabischen, türkischen und persischen Quellen kein Wort,
das jemals dem Wort „jihad" hinzugesetzt wird, welches mit
„heilig" übersetzt werden müsste. Ich empfehle Ihnen, einfach
von dem Problem des gerechten Krieges zu sprechen. Das ist ein
Problem, das auch das Abendland vielfach verhandelt hat, oder,
um alle Missverständnisse auszuschließen, einfach das
arabische Wort „jihad" zu gebrauchen. Wir stehen damit bei der
Frage nach dem Verhältnis von Religion und Politik.
Taylor: Wir müssen sehr vorsichtig sein, wenn wir
versuchen, Dinge zu vergleichen. Meistens sehen wir etwas
idealisiert in unserer Kultur und realistisch in der anderen,
was am besten bei uns ist, was am schlechtesten bei ihnen ist.
Das dürfen wir niemals in einem Dialog tun. Es ist gefährlich,
wenn wir nur unsere politischen Ideale auf der einen Seite
sehen und dann eine Karikatur des „jihad" machen. Es ist auch
gefährlich, wenn wir als Christen eine Karikatur vom Islam als
etwas nur Politischem zeichnen und wenn unsere islamischen
Brüder eine Karikatur vom Christentum als etwas nur
Spirituellem zeichnen. Beide Religionen sind genauso in dieser
Welt und in der nächsten Welt gegründet. Wir müssen genauso
spirituell wie politisch sein und unsere islamischen Brüder
genauso.
Colpe: Ich komme nun zu einer Gruppe von Fragen aus dem
Publikum, die wir nicht angesprochen haben:
a) zur Praxis des Dialogs,
b) zum Wahrheits- und Gottesverständnis,
c) zur Christologie, zur Einzigartigkeit Jesu, zur
Sündenvergebung,
d) zu Christen als Minderheiten in islamischen Ländern.
Die erste Gruppe von Fragen zur Praxis des Dialogs darf ich
vielleicht selber beantworten. Es fragt jemand: „Was empfehlen
Sie einer christlichen Gemeinde, wenn sie innerhalb der
Ortsgemeinde mit einer großen Zahl von muslimischen Mitbürgern
zusammenleben muss?" Eine ähnliche Frage: „Wie ist es Christen
und Muslimen möglich, im alltäglichen Leben einen Dialog zu
ermöglichen und zu praktizieren?" Ich meine: Man muss
Arbeitskreise gründen. Das geht am besten von Kirchengemeinden
aus, zu denen man die Muslime einlädt, die man aus der
Nachbarschaft kennt. Es wird sich schon am aller ersten Abend
herausstellen, dass man sich über die Problemstellung, die
Fragestellung im Alltag sehr schnell verständigt.
Und es ergeben sich daraus schon eine Fülle von gemeinsamen
Berührungspunkten. Es wird sich sogar zeigen, dass relativ
rasch die türkischen oder anderen islamischen Mitbürger in der
Lage sind, ähnliche Arbeitskreise zu gründen. Man muss nur
beständig sein, man muss sich regelmäßig treffen, man muss
eine Tagesordnung machen, Protokoll führen, es das nächste Mal
besprechen. Daraus ergibt sich eine Kontinuität, über die Sie
alle überrascht sein werden.
Es wurde dann die Frage gestellt: „Sind gelegentliche
gemeinsame Gottesdienste von Christen, Muslimen und Juden
möglich und ratsam?" Ratsam sind sie auf jeden Fall. Sie sind
auch möglich. Ich kann von einer eigenen Erfahrung berichten.
Am Tage des ausländischen Mitbürgers im vorigen Jahr, am 28.
September 1980, haben wir einen christlich-islamischen
Gottesdienst veranstaltet, leider noch ohne Juden, aber das
werden wir in diesem Jahr versuchen. In diesem Gottesdienst
habe ich selber eine Auslegung der Fatiha gegeben, der ersten
Sure des Korans, und es hat eine Koranrezitation
stattgefunden. Und die biblische Schriftauslegung war auf
Fragestellung der Muslime ausgerichtet. Es waren auch
zahlreiche Muslime anwesend - eine sehr erfreuliche Erfahrung
für uns. Es gibt natürlich auch hier immer wieder Rückschläge.
Eine andere Frage lautet: „Heute wurde viel von Toleranz
gesprochen. In der Praxis, d.h. im Verhältnis zwischen
ausländischen Mitbürgern und deutschen Christen sieht das oft
leider anders aus. Der türkische Imam predigt in einer Moschee
Christenhass." Wir wollen nicht leugnen, dass so etwas
geschieht; aber in so einem Fall muss man ihn besuchen oder
einladen, feststellen, ob er vielleicht seinerseits auf
Ausländerhass bei uns reagiert. Schon die bloße Tatsache, dass
man ihn besucht oder einlädt, baut enorm viele Schranken ab,
und es lässt sich auch relativ bald klären, welche Motive ein
solcher Christenhass hat. Das kann dann in die Arbeitskreise
einmünden, von denen ich vorhin gesprochen habe.
Die Fragen der zweiten Gruppe sind zum Teil direkt an Prof.
Falaturi gerichtet:
„Ist der Begriff Monotheismus als Einheitsformel tragfähig
oder müsste nicht vielmehr nach dem Inhalt des jeweiligen
Gottesbegriffs gefragt werden?" Eine ähnliche Frage: „Soll es
sich um ein und denselben Gott handeln, den Christen und
Muslime anbeten?", „Kann die Gleichsetzung: ‚Gott ist Liebe‘,
begründet durch Identifikation mit dem gekreuzigten Christus,
von Muslimen nachvollzogen werden? Vielleicht können Sie
darauf antworten?"
Falaturi: Das ist eine in der Tat leicht zu stellende und
schwierig zu beantwortende Frage. Wenn man von einer dieser
Fragen ausgeht, von der Frage nach den Eigenschaften Gottes,
wird man doch gestehen müssen, dass ein beachtlicher
Unterschied in der Vorstellung von Gott vorhanden ist.
Ich möchte mit der Hauptformulierung der Gottesvorstellung
im Islam anfangen. Dann werden wir uns vielleicht den
Unterschied plastischer vorstellen können. Der Islam fängt
bewusst bei der Bezeugung der Einheit Gottes nicht mit „Es
gibt nur einen Gott" an, sondern er negiert zunächst alles,
was außer dem einen Gott ist, und dann kommt er zu der
positiven Aussage. Er sagt zunächst „Es gibt keinen Gott - es
werden also zuerst alle Götter und Gottheiten negiert und dann
erst wird das Positive ausgedrückt: ... außer dem einzigen
Gott". Dieser leicht ausgesprochene Satz hat einen so tiefen
Sinn und einen so weiten Horizont, dass man ihn kaum mit einem
Glaubensbekenntnis anderer Religionen vergleichen kann, vor
allem in dieser seiner Negation, also in dem Negieren jeder
Art von Kraft neben Gott.
Darin ist zugleich auch eine Anspielung auf die christliche
Vorstellung von Gott enthalten, sich z.B. Jesus als irgendeine
wirkende Macht neben Gott vorzustellen. Der Islam lehnt diese
Vorstellung somit ausdrücklich ab. Wenn man im christlichen
Monotheismus das Wesen Jesus einbezieht, so kann der Islam das
nicht akzeptieren. Gerade um diesen Punkt geht es überhaupt.
Und das ist, sofern wir vom Monotheismus der drei Religionen
reden, der Hauptunterschied zwischen dem Islam, d. h. der
Vorstellung, die der Islam von einem Monotheismus hat, und der
Vorstellung, die ein Christ vom Monotheismus hat. Auf die
Einzelheiten, d.h. darauf, wie die Trinität entstanden ist,
brauchen wir hier nicht einzugehen.
Gehen Sie aber nun ganz hoch und noch höher und stellen Sie
sich die Angelegenheit in höheren Sphären vor, nämlich in der
Sphäre der Beziehung Gottes zu Jesus. Die Fleischwerdung
Gottes in Jesus bzw. die Gottessohnschaft Jesu kann der Islam
im Christentum nicht akzeptieren. Sonst wird die Person Jesus
im Koran derart gelobt und es werden ihm so viele
Beschaffenheiten zugesprochen‘ wie sonst keiner anderen
Person, nicht einmal der Person Muhammads selbst. Er wird als
„Wort" Gottes (kalimatu-llah), als Geist Gottes (ruhu-llah)
gepriesen, aber nicht als jemand, der neben Gott oder durch
Gott irgendwelchen Einfluss hat. Er ist vielmehr in seiner
Funktion Gesandter und Diener Gottes.
Jetzt kommen wir zur Kreuzigung. Hier finden wir auch noch
einmal einen großen Unterschied: Diese in der Auffassung vom
Koran als übermenschlich und überirdisch dargestellte Person
Jesus soll auch nach der Auffassung des Korans in einer
übermenschlichen Art und Weise das irdische Leben verlassen
haben. Die Kreuzigung lehnt der Koran jedoch ab. Jesus ist
nach der koranischen Auffassung nicht gekreuzigt worden. Koran
Sure 4, Vers 157: „Und sie (die Feinde Jesu) sagten: Wir haben
Christus Jesus, den Sohn der Maria und Gesandten Gottes,
getötet. - Aber sie haben ihn nicht getötet und nicht
gekreuzigt. Vielmehr erschien ihnen ein anderer von seinen
Feinden ähnlich, so dass sie ihn mit Jesus verwechselten und
töteten." Was aber die außergewöhnliche Art seines Todes
betrifft, so heißt es im Koran Sure 3, Vers 55: „(Damals) als
Gott sagte: Jesus! Ich werde dich (nunmehr) abberufen und zu
mir erheben und rein machen (von den Anwürfen) derer, die
ungläubig sind. „Somit wird eine eigene Art der Himmelfahrt
Jesu vom Koran bestätigt. Das einzige, was Jesus demnach nicht
sein kann, was aber den Kern der christlichen Lehre ausmacht,
ist diejenige seiner Beschaffenheiten, die, die Trinität
ermöglicht. Diese Christologie des abendländischen
Christentums kann man im Islam nicht akzeptieren, und es hilft
auch kein Dialog darüber hinweg. Und ich würde auch sagen,
dass man bitte davon absehen soll. Der Dialog soll lediglich
jedem die Möglichkeit geben, zur Logik der Religion seines
Partners einen Zugang zu finden. Ein Dialog bedeutet nicht
Gleichsetzung dieser monotheistischen Religionen.
Colpe: Daran schließt sich die dritte Frage an: „Muss der
Dialog nicht vordergründig bleiben, solange der Muslim die
Rolle des Muhammad über den absoluten Heilsanspruch stellt?
Kann der Dialog geführt werden, wenn der Erlösungstod Jesu
ausgeklammert wird? Warum gibt es im Islam keinen Sündenfall?
Jesus sagt von sich, ich bin der Weg, die Wahrheit und das
Leben."
Margull: In unserem Dialog der gegenwärtigen Jahre - und
wir haben einen solchen interreligiösen Dialog ja noch nicht
länger als etwa 25 Jahre - in diesem Dialog haben wir die
Erfahrung gemacht, dass im Wahrheitsanspruch einer Religion
immer ein Urteil über andere Religionen liegt, also eine
Verurteilung anderer Religionen vorgenommen wird. Wenn es
christlicherseits im korrekten biblischen Zitat heißt: „Jesus
Christus spricht: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das
Leben", dann sind andere Wege ausgeschlossen und verurteilt.
Aber nun kommt es auf die Betonung an. Wenn gesagt wird: „Ich
bin der Weg, die Wahrheit und das Leben", dann nimmt mit der
Stärke der Betonung das Maß der Verurteilung zu, bis nur noch
die Diskriminierung bleibt. Überdies scheint mir, dass sich
christliche Mission bei einer maßlosen Betonung der Artikel in
diesem Bibelvers selbst aufhebt.
Wenn nun andererseits Muslime den Absolutheitsanspruch des
Islam genauso laut und strikt vertreten, wie es Christen für
das Christentum tun - auch das gibt es - dann findet damit
eine Verurteilung der christlichen Religion statt, in deren
Folge ein solcher Muslim eigentlich nur noch auf die
lslamisierung der gesamten Welt zugehen kann, letztendlich mit
starken Mitteln.
Sie müssen es also auch einmal von dieser Seite sehen. Die
Frage, die sich echte Muslime dabei stellen, ob solches noch
wirklich muslimisch ist, entspricht der Frage des gläubigen
Christen, ob es wirklich noch christlich ist, wenn ich mit
einem Satz von Christus immer schon eine Verurteilung eines
anderen Menschen, einer anderen Religion, einer anderen
Tradition im Munde führe. Ich glaube, das ist nicht
christlich. Christlich wäre es, verschiedene
Absolutheitsansprüche, die es gibt - jede Religion hat einen
Absolutheitsanspruch -‚ diese Absolutheitsansprüche
miteinander zu diskutieren und zu sehen, ob wir nicht doch
miteinander ins Gespräch kommen können, ob sich nicht doch in
diesem Gespräch gemeinsame Fragen stellen, und zwar auch die
Frage, was der Satz heißt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und
das Leben", und wie dieser Satz sich auf beiden Seiten
geschichtlich ausgewirkt hat.
Dass wir uns darüber unterrichten und damit auch
Vergangenheitsbewältigung betreiben, halte ich für wichtig. Im
übrigen wird es dann so sein, dass in einem Dialog, in den ein
Christ und in den ein Muslim eintreten, zunächst das Interesse
da sein wird, auf den anderen zu hören. Ich als Christ werde
ein großes Interesse daran haben, einen Muslim daraufhin zu
befragen, wie er sich selber versteht, um von meinen
Vorurteilen wegzukommen.
Es passiert dann, wenn man einem Menschen zuhört und sich
ihm öffnet, so dass dieser ein großes Interesse daran hat,
einen Christen zu befragen, wie eigentlich sein christlicher
Glaube aussieht. Die Erfahrung im Dialog ist dann die, dass
Menschen, über alle Barrieren der Absolutheitsansprüche
hinweg, zu ihrem je unterschiedlich begründeten Glauben ins
Gespräch kommen. Dieses Glaubensgespräch gehört für die
Betroffenen zu den stärksten Erfahrungen ihres Lebens. Ich
zögere nicht zu sagen, dass hier Gott selber am Werke ist, der
uns beide, Muslim wie Christ, die wir ja nach dem einen Gott
fragen, miteinander ins Gespräch bringt. Und wer weiß, wohin
die Reise geht?
Colpe: Zu meinem großen Bedauern können wir viele Fragen
jetzt nicht mehr behandeln. Das Hauptproblem für Sie alle wird
sein, die theologischen Sachfragen, die hier erörtert worden
sind, mit den Alltagsproblemen zusammenzubringen, die Ihnen im
Umgang mit ihren muslimischen Nachbarn begegnen.
Es wird sich aber zeigen, dass die Bewusstheit dessen, was
islamisch ist, bei diesen Nachbarn im Verhältnis zum Alltag
stärker entwickelt ist als bei uns Deutschen - ausgenommen
die, die kirchlich eng gebunden sind - das Bewusstsein dessen,
was christlich ist. So wird es sich zunächst gar nicht um eine
Begegnung von Gläubigen handeln, die schon auf der ganzen
Linie wissen, was sie sind. Bereits die Vorbereitung auf diese
Begegnung, welche die ganze nächste Generation andauern wird,
sollte uns dazu verhelfen, uns einmal abgesehen von unserer
deutschen Bürgerlichkeit, also anders als wir es gewöhnt sind,
auf unsere christliche Überlieferung zu besinnen. Mit diesem
Wunsch möchte ich diese Veranstaltung schließen.