Zweites Kapitel - Die Spaltung der orientalischen Sekten
(Anmerkung der
Enzyklopädie des Islam: Die hier erfolgenden Schilderungen
sind in keinster Weise authentisch und können daher nicht als
Quelle für die Geschichte des Islam angesehen werden. Die
Wiedergabe dient nur dazu, um darzulegen, wie in der
Westlichen Welt auf den
Islam geblickt worden ist.)
Theologische Geschichte der Lehre von der
Menschwerdung. – Die menschliche und göttliche Natur Christi.
– Feindschaft der Patriarchen von Konstantinopel und
Alexandria. – Der heilige Cyrill und Nestorius. – Die dritte
allgemeine Kirchenversammlung von Ephesus. – Ketzerei des
Eutyches. – Die vierte allgemeine Kirchenversammlung von
Chalcedon. – Bürgerliche und kirchliche Zwietracht. –
Unduldsamkeit Justinians. – Die drei Kapitel. – Der
monotheletische Streit. – Zustand der orientalischen Sekten. –
I. Die Nestorianer. – II. Die Jakobiten. – III. Die Maroniten.
– IV. Die Armenier. – V. Die Kopten und Abessinier
Nach dem Erlöschen des Heidentumes hätten die Christen in
Frieden und Frömmigkeit ihren Triumph genießen können. Aber
Zwietracht war zwischen ihnen, und sie strebten mit mehr Ernst
danach, die Natur ihres Stifters zu ergründen als seine Gebote
zu befolgen. Ich habe bereits bemerkt, daß den Streitigkeiten
über die Dreieinigkeit jene der Menschwerdung folgten,
gleiches Ärgernis in der Kirche erregend, gleich unheilvoll
für den Staat, in ihrem Ursprunge noch geringfügiger, aber
viel dauerhafter in ihren Folgen. Es ist meine Absicht, in
diesem Kapitel einen Religionskampf von zweihundertfünfzig
Jahren zusammen zu drängen, die kirchliche und politische
Spaltung der orientalischen Sekten darzustellen und ihre
lärmenden oder blutigen Kämpfe durch eine kurze Untersuchung
der Lehren der Urkirchen einzuleiten.
I. Lobenswerte Rücksicht auf die Ehre der ersten Proselyten
hat die Meinung, die Hoffnung und den Wunsch erregt, daß die
Ebioniten oder wenigstens die Nazarener sich nur durch ihr
hartnäckiges Beharren auf der Ausübung der mosaischen
Gebräuche unterschieden haben könnten. Ihre Kirchen sind
verschwunden, ihre Bücher vertilgt, ihre zweifelhafte Freiheit
könnte eine Erweiterung des Glaubens gestatten, die Weichheit
ihres noch jungen Bekenntnisses durch den Religionseifer und
die Weisheit von drei Jahrhunderten verschiedenfaltig
umgeformt worden sein. Aber auch der mildeste Kritiker muß
diesen Sektierern jede Kenntnis von der reinen und
eigentlichen Göttlichkeit Christi absprechen. In der Schule
jüdischer Prophezeiungen und Vorurteile erzogen, waren sie nie
unterwiesen worden, ihre Hoffnungen über einen menschlichen
und zeitlichen Messias hinaus zu erheben. Wenn sie gleich den
Mut hatten, ihren König zu begrüßen, als er im geringen
Gewande erschien, waren sie mit ihrem gröberen Begriffe doch
nicht imstande, den Gott zu erkennen, der seine himmlischen
Eigenschaften geflissentlich unter dem Namen und der Gestalt
eines Sterblichen verborgen hatte. Die vertrauten Gefährten
Jesus von Nazareth gingen mit ihm als mit ihrem Freunde und
Landsmann um, der in allen vernünftigen und menschlichen
Verrichtungen ganz desselben Geschlechtes zu sein schien wie
sie selbst. Während seines Reifens von der Kindheit zur Jugend
und zum Mannesalter nahm er regelmäßig an Wuchs und Weisheit
zu und er verschied nach schmerzlichem Kampfe der Seele und
des Leibes am Kreuze. Er lebte und starb zum Wohle des
Menschengeschlechtes. Aber auch Leben und Tod des Sokrates
waren der Sache der Religion und der Gerechtigkeit gewidmet
gewesen, und obschon der Stoiker oder Held die demütigen
Tugenden Jesu vielleicht verachtet hätte, müssen doch die
Tränen, die er über seinen Freund und sein Vaterland vergoß,
als der reinste Beweis seiner Menschlichkeit gelten. Die
Wunder des Evangeliums konnten ein Volk nicht in Erstaunen
versetzen, das unerschrocken die glänzenderen
Wundererscheinungen des mosaischen Glaubens geschaut hatte.
Die Propheten der alten Tage hatten Krankheiten geheilt, Tote
erweckt, das Meer geteilt, der Sonne Stillstand geboten und
sich in einem feurigen Wagen zum Himmel erhoben. In dem
metaphorischen Stil der Hebräer konnte sehr wohl einem
Heiligen und Märtyrer der Titel des Sohnes Gottes beigelegt
werden.
Indessen läßt sich in dem unzulänglichen
Glaubensbekenntnisse der Nazarener und Ebioniten ein geringer
Unterschied zwischen den Ketzern nachweisen, welche die
Zeugung Christi mit der gewöhnlichen Ordnung in der Natur
verwechseln und den Schismatikern, welche die Jungfräulichkeit
seiner Mutter verehrten und die Beihilfe eines irdischen
Vaters ausschlossen. Der Unglaube der ersteren stützte sich
auf die sichtbaren Umstände seiner Geburt, die gesetzmäßige
Ehe seiner vermeintlichen Eltern Joseph und Maria und seinen
angestammten Anspruch auf das Königreich Davids und das Erbe
Judas. Aber die geheime und authentische Geschichte war in
verschiedenen Abschriften des Evangeliums des heiligen
Matthäus aufgezeichnet, die diese Sektierer lange in der
hebräischen Ursprache als den einzigen Beweis ihres Glaubens
bewahrten. Der natürliche Argwohn des sich seiner eigenen
Enthaltsamkeit bewußten Gatten wurde durch die Zusicherung (in
einem Traume) zerstreut, daß seine Gattin vom heiligen Geiste
beschattet worden wäre, und da dieses seltene häusliche Wunder
nicht in den Bereich der persönlichen Beobachtung des
Geschichtschreibers fallen konnte, so muß er derselben Stimme
Gehör geliehen haben, die dem Isaias die künftige Empfängnis
einer Jungfrau anzeigte. Der Sohn einer Jungfrau, erzeugt
durch die unbegreifliche Wirksamkeit des heiligen Geistes, war
ein Geschöpf ohne Beispiel und in jeder Eigenschaft des
Geistes und Körpers den Kindern Adams überlegen. Seit der
Einführung der griechischen oder chaldäischen Philosophie
glaubten die Juden an das Dasein, die Wanderung und die
Unsterblichkeit der Seelen, und die Vorsehung wurde durch die
Annahme gerechtfertigt, daß sie in ihrem irdischen Kerker
eingeschlossen wären, um die Sünden zu büßen, die sie in einem
früheren Zustande begangen hatten. Aber die Grade der Reinheit
und Verderbtheit waren fast unendlich. Es ließ sich in gutem
Glauben annehmen, daß der erhabenste und tugendhafteste aller
menschlichen Geister dem Sproß der Maria und des heiligen
Geistes eingehaucht wurde, daß seine Erniedrigung das Ergebnis
freier Wahl und der Gegenstand seiner Sendung die Sühnung
nicht seiner, sondern der Sünde der Welt war. Nach seiner
Rückkehr in den Himmel, seine Heimat, empfing er den
unermeßlichen Lohn seines Gehorsams: das ewige Königreich des
Messias, das von den Propheten als Frieden, Sieg und
Herrschaft dunkel geweissagt worden war. Die Allmacht konnte
die menschlichen Fähigkeiten Christi bis zum Umfange seines
himmlischen Amtes erweitern. In den Sprachen des Altertums
wurde das Wort Gott nicht streng auf den ersten Schöpfer
beschränkt, und sein vollkommener Diener und eingeborener Sohn
konnte ohne Anmaßung die religiöse wenn auch untergeordnete
Verehrung einer unterworfenen Welt in Anspruch nehmen.
II. Der Same des Glaubens, der auf dem steinigen und
undankbaren Boden Judäas langsam aufgegangen war, wurde in
voller Reife nach den glücklicheren Ländern der Heiden
verpflanzt, und die römischen oder asiatischen Fremdlinge, die
Christus nie als Menschen gesehen, waren um so geneigter, an
seine Göttlichkeit zu glauben. Der Polytheist und Philosoph,
der Grieche, der Barbar waren gleich gewohnt, sich eine lange
Reihe, eine unendliche Kette dem Throne des Lichtes
entsprossener Engel, Dämonen, Götter, Aeonen, Emanationen zu
denken. Ihnen schien es weder befremdlich noch unglaubhaft,
daß der erste dieser Aeonen, der Logos oder das Wort Gottes,
mit dem Vater von einerlei Wesenheit, auf die Erde
herabgestiegen wäre, um das menschliche Geschlecht von Lastern
und Irrtümern zu erlösen und auf die Pfade des Lebens und der
Unsterblichkeit zu führen. Aber die vorherrschende Lehre von
der Ewigkeit und Verderbtheit der Materie steckte die
Urkirchen des Ostens an. Viele bekehrte Heiden weigerten sich
zu glauben, daß sein himmlischer Geist, ein unabgetrennter
Teil des Urwesens persönlich mit einer Masse unreinen und
befleckten Fleisches vereinigt worden wäre, und in ihrem Eifer
für die Göttlichkeit Christi schworen sie frommer Weise dessen
Menschlichkeit ab. Während sein Blut fast noch auf dem
Kalvarienberge rauchte, erfanden die Doketen, eine zahlreiche
und gelehrte Sekte Asiens, jenes phantastische System, das
nachher von den Marcioniten, Manichäern und den übrigen
Unterabteilungen der gnostischen Ketzerei übernommen wurde.
Sie leugneten die Wahrheit und Echtheit der Evangelien
insofern sie auf die Empfängnis der Maria, die Geburt Christi
und die dreißig Jahre, die der Ausübung seines Lehramtes
vorangingen, bezug hatten. Ihnen zufolge erschien er zum
ersten Male an den Ufern des Jordan in vollkommener
Mannesgestalt; aber es war nur ein Bild, keine Wesenheit, eine
menschliche Gestalt von der Hand der Allmacht geschaffen, um
die Eigenschaften und Handlungen eines Menschen nachzuahmen
und seine Freunde und Feinde in eine beständige Täuschung zu
verstricken. Artikulierte Töne schlugen an die Ohren seiner
Jünger, aber das Bild, das sich ihren Sehnerven einprägte,
hielt der entscheidenden Probe der Berührung nicht stand, und
sie erfreuten sich der geistigen, nicht der körperlichen
Gegenwart des Sohnes Gottes. Die eitle Wut der Juden tobte
gegen ein unempfindliches Phantom, und die mystischen Szenen
des Leidens und Todes, der Auferstehung und Himmelfahrt
Christi wurden im Theater von Jerusalem zum besten der
Menschheit aufgeführt. Wenn man entgegnet, daß eine solche
phantastische Nachäffung, eine so beständige Täuschung des
wahrhaften Gottes unwürdig wäre, stimmten die Doketen mit nur
zu vielen ihrer rechtgläubigen Brüder in der Rechtfertigung
frommen Betruges überein. Nach dem System der Gnostiker war
der Jehova Israels der Schöpfer der Erde, ein rebellischer
oder wenigstens ein unwissender Geist. Der Sohn Gottes stieg
auf die Erde nieder, um seinen Tempel zu zertrümmern und sein
Gesetz abzuschaffen, und zur Erreichung seines heilsamen
Zweckes bezog er die Hoffnung und Weissagung eines zeitlichen
Messias geschickt auf seine eigene Person.
Einer der spitzfindigsten Kämpfer der Schule der Manichäer
hatte sich auf die gefährliche und unanständige Ansicht
berufen, daß der Gott der Christen als menschlicher Fötus nach
neun Monaten sich dem Schöße eines Weibes entwand. Frommer
Schauder verführte seine Gegner, alle sinnlichen Umstände der
Empfängnis und Geburt zu leugnen und zu behaupten, daß die
Gottheit durch Maria wie ein Sonnenstrahl durch eine
Glasscheibe drang und daß das Siegel ihrer Jungfräulichkeit
auch in dem Augenblicke unzerrissen blieb, als sie Christi
Mutter wurde. Aber die Unbesonnenheit dieser Zugeständnisse
gebar die milderen Ansichten jener Doketen, die lehrten, daß
Christus nicht ein Phantom gewesen, sondern daß er mit einem
leidensfreien und unverweslichen Leibe begabt war. Einen
solchen hat er in der Tat nach dem orthodoxen Systeme vom
Augenblick seiner Auferstehung an erlangt, und einen solchen
muß er stets besessen haben, wenn er durch die Dichtigkeit der
zwischenliegenden Materie ohne Widerstand oder Unbild zu
dringen imstande gewesen ist. Der wesentlichsten Eigenschaften
des Fleisches bar, konnte er auch von dessen Bedürfnissen und
Schwächen frei sein. Ein Fötus, der von einem unsichtbaren
Punkte zu voller Reife anwuchs, ein Kind, das den vollkommenen
männlichen Wuchs ohne irgendeine Nahrung erreichte, konnte zu
leben fortfahren, ohne den täglichen Abgang durch täglichen
Zuwachs äußeren Stoffes zu ersetzen. Jesus teilte das Mahl
seiner Jünger, ohne Hunger und Durst unterworfen zu sein, und
seine jungfräuliche Reinheit wurde nie durch sinnliche
Begierden getrübt. In betreff eines so eigentümlich
beschaffenen Körpers entstand die Frage, durch welche Mittel
und aus welchem Stoffe er ursprünglich gebildet worden, und
unsere richtigere Theologie wird durch eine Antwort, die nicht
eigentlich zum gnostischen Systeme gehört, in Erstaunen
gesetzt, nämlich, daß sowohl Form als Substanz von dem
göttlichen Wesen ausgingen. Die Idee eines reinen und
absoluten Geistes ist eine Verfeinerung der neueren
Philosophie. Die unkörperliche Wesenheit, wie sie von den
Alten der menschlichen Seele, dem himmlischen Wesen, ja der
Gottheit selbst zugeschrieben wurde, schließt den Begriff
einer Ausdehnung im Raume nicht aus, und ihre Phantasie
begnügte sich mit den Begriffen einer Natur von Luft, Feuer
oder Äther, unendlich vollkommener, als die grobe Materie der
irdischen Welt. Wenn man die Gottheit in den Raum versetzt,
muß man auch ihre Gestalt beschreiben. Die Erfahrung,
vielleicht auch nur die Eitelkeit der Menschen stellt die
Macht der Vernunft und Tugend in menschlicher Gestalt dar. Die
Anthropomorphiten, deren es unzählige unter den ägyptischen
Mönchen und afrikanischen Katholiken gab, konnten sich auf die
ausdrückliche Erklärung der Schrift stützen, daß der Mensch
nach Gottes Ebenbild geschaffen worden sei. Der ehrwürdige
Serapion, einer der Heiligen der nitrischen Wüste, leistete
mit Tränen auf sein teures Vorurteil Verzicht und beweinte wie
ein Kind seine unglückliche Bekehrung, die ihm seinen Gott
genommen und seine Seele ohne einen sichtbaren Gegenstand des
Glaubens und der Andacht gelassen habe.
III. Das waren die schwankenden Ansichten der Doketen. Eine
tiefere, obschon minder einfache Hypothese wurde von dem
Asiaten Cerinthus aufgestellt, der es wagte, dem
längstlebenden Apostel Johannes entgegenzutreten. Zwischen der
jüdischen und heidnischen Welt lebend, arbeitete er an einer
Vereinigung der Gnostiker mit den Ebioniten, indem er
behauptete, daß eine übernatürliche Vereinigung eines Gottes
und eines Menschen im Messias stattgefunden habe. Seine
mystische Lehre wurde mit mancherlei phantastischen Zusätzen
von Carpocrates, Basilides und Valentin, den Ketzern der
ägyptischen Schule, angenommen. In ihren Augen war Jesus von
Nazareth ein gewöhnlicher Sterblicher, der rechtmäßige Sohn
Josephs und der Maria; aber er war zugleich der beste und
weiseste aller Menschen, auserwählt als würdiges Werkzeug, das
Ansehen des wahrhaften und höchsten Gottes auf Erden wieder
herzustellen. Als er im Jordan getauft wurde, stieg der
Christus, der erste der Aeonen, der Sohn Gottes selbst, in
Gestalt einer Taube auf Jesu herab, um während der ihm
zugemessenen Zeit seines Lehramtes seine Seele zu bewohnen und
seine Handlungen zu lenken. Als der Messias den Händen der
Juden überliefert wurde, verließ der Christus, ein
unsterbliches und leidensloses Wesen, seine irdische Wohnung,
flog zum Pleroma oder der Welt der Geister zurück und ließ den
einsamen Jesus leiden, klagen und sterben. Aber eine solche
Flucht unterliegt wegen ihrer Gerechtigkeit und ihrem Edelmut
großen Zweifeln. Das Schicksal eines unschuldigen Märtyrers,
der von seinem himmlischen Gefährten zuerst angetrieben und
dann verlassen wurde, mußte das Mitleid und die Entrüstung der
Ungeweihten erregen. Ihre Zweifel wurden von den Sektierern,
die das Doppelsystem des Cerinthus annahmen und abänderten,
auf verschiedene Weise zum Schweigen gebracht. Sie führten an,
daß Jesus, als er ans Kreuz genagelt ward, mit einer
wunderbaren Leidensunempfänglichkeit der Seele wie des
Körpers, die ihn gegen seine scheinbaren Martern unempfindlich
machte, begabt wurde. Sie behaupteten, daß diese
augenblicklichen, obschon wirklichen Schmerzen, durch die
irdische Herrschaft von tausend Jahren, die dem Messias in
seinem Königreiche des neuen Jerusalem vorbehalten wäre,
überschwenglich belohnt würden. Sie deuteten an, daß er, wenn
er litt, zu leiden verdiente, daß die menschliche Natur keiner
unbedingten Vollkommenheit fähig sei und daß das Kreuz und
seine Pein vielleicht Sühnung der geringen Vergehen des Sohnes
Josephs vor seiner geheimnisvollen Vereinigung mit dem Sohne
Gottes waren.
IV. Alle, die an die Unkörperlichkeit der Seele, diese
schöne und hohe Lehre, glauben, müssen aus eigener Erfahrung
die Unbegreiflichkeit der Vereinigung von Geist und Materie
eingestehen. Eine ähnliche Vereinigung mit einem viel höheren,
ja sogar mit dem höchsten Grade der geistigen Fähigkeiten ist
nicht undenkbar, und in der Inkarnation eines Aeons oder
Erzengels, des vollkommensten aller erschaffenen! Geister,
liegt kein unbedingter Widerspruch oder Unsinn. Im Zeitalter
der religiösen Freiheit, das mit der Kirchenversammlung von
Nicäa endigte, bemaß jeder die Würde Christi nach seiner
eigenen, aus der noch unbestimmten Regel der Heiligen Schrift,
der Vernunft oder der Sage geschöpften Ansicht. Nachdem aber
auf den Trümmern des Arianismus seine reine und wahrhafte
Göttlichkeit begründet worden war, zitterte der Katholizismus
am Rande eines Abgrundes, wo es unmöglich war, zurückzugehen,
gefährlich zu stehen, schrecklich zu stürzen. Die vielfachen
Mißlichkeiten, die ihr Bekenntnis mit sich brachten, wurden
durch den erhabenen Charakter ihrer Theologie erhöht. Sie
zögerten auszusprechen: daß Gott selbst, die zweite Person
einer Dreieinigkeit von gleicher Wesenheit, sich im Fleische
geoffenbart habe; daß ein Wesen, welches das Weltall
durchdringt, in Marias Schoß eingeschlossen gewesen sei; daß
seine ewige Dauer nach Tagen, Monaten und Jahren im
menschlichen Dasein bemessen wurde; daß der Allmächtige
gegeißelt und gekreuzigt worden; daß er während seines
leidenslosen Lebens Schmerz und Angst gefühlt habe; daß seine
Allwissenheit von Unkenntnis nicht frei gewesen und daß der
Urquell des Lebens und der Unsterblichkeit am Kalvarienberge
versiegt sei. Diese beunruhigenden Folgerungen wurden von
Apollinaris, Bischof von Laodicäa und einer der Leuchten der
Kirche, unbefangen und mit Einfalt gelehrt. Sohn eines
gelehrten Grammatikers war er in allen Wissenschaften
Griechenlands erfahren (in den Schriften des Apollinaris
leuchten Beredsamkeit, Gelehrsamkeit und Philosophie) aber in
Demut dem Dienste der Religion geweiht. Ein würdiger Freund
des Athanasius, ein würdiger Gegner Julians, kämpfte er tapfer
gegen die Arianer und Polytheisten, und obschon er strenge
mathematische Beweise erkünstelte, offenbaren seine Kommentare
nicht nur den buchstäblichen, sondern auch den allegorischen
Sinn der Heiligen Schrift. Ein Mysterium, das bisher als ein
Nebelgebilde des Volksglaubens geschwankt hatte, wurde durch
seine Beharrlichkeit in technische Form gebracht, und er
sprach zuerst jene denkwürdigen Worte: »Eine einzige
fleischgewordene Natur Christi« aus, die noch immer mit
feindlichem Geschrei in den Kirchen Asiens, Ägyptens und
Äthiopiens widerhallen. Er lehrte, daß sich die Gottheit mit
dem Leibe eines Menschen vereinigte oder vermengte und daß der
Logos, die ewige Weisheit, im Fleische die Stelle und die
Verrichtungen einer menschlichen Seele vertreten habe. Da
jedoch dieser tiefdenkende Theolog über seine eigene Folgerung
erschrak, stammelte er ein paar schwache Entschuldigungen und
Erklärungen. Er fügte sich der von den griechischen
Philosophen geschaffenen früheren Unterscheidung zwischen der
vernünftigen und empfindenden Seele, um den Logos für die
geistigen Verrichtungen zu bewahren und das untergeordnete
menschliche Prinzip den geringeren Handlungen des physischen
Lebens vorzubehalten. Mit den gemäßigten Doketen verehrte er
Maria mehr als die geistige, denn die fleischliche Mutter
Christi, dessen Leib entweder leidenslos und unvergänglich vom
Himmel kam oder in das Wesen der Gottheit aufgenommen und
gleichsam verwandelt wurde. Die kleinasiatischen und syrischen
Gottesgelehrten, deren Schulen durch die Namen Basilius,
Gregor und Chrysostomus geehrt, durch die Namen Diodorus,
Theodorus und Nestorius verunehrt werden, bekämpften streng
das System des Apollinaris. Aber die Person des greisen
Bischofs von Laodicäa, sein Charakter und seine Würde blieben
unangetastet; ja seine Gegner wurden, da wir sie duldnerischer
Schwäche nicht zeihen können, vielleicht durch die Neuheit der
Sätze eingeschüchtert und mißtrauten der endgültigen
Entscheidung der katholischen Kirche. Das Urteil der letzteren
fiel endlich zu ihren Gunsten aus, die Ketzerei des
Apollinaris wurde verdammt und die Sonderversammlungen seiner
Schüler durch die kaiserlichen Gesetze geächtet. Aber in den
Klöstern von Ägypten bekannte man sich insgeheim zu seinen
Grundsätzen und seine Feinde fühlten den Haß des Theophilus
und Cyrillus, der nachfolgenden Patriarchen von Alexandria.
V. Der am Staube klebende Ebionit und der phantastische
Doket waren verworfen und vergessen; aber der neue Eifer gegen
die Irrtümer des Apollinaris brachte die Katholiken zu einer
scheinbaren Übereinstimmung mit Cerinthus in betreff der
doppelten Natur. Aber statt einer vorübergehenden und
gelegentlichen Übereinstimmung legten sie sich fest. Wir aber
glauben noch immer an die wesentliche, unauflösliche und ewige
Vereinigung eines wirklichen Gottes mit einem wirklichen
Menschen, der zweiten Person der Dreieinigkeit mit einer
vernunftbegabten Seele und einem irdischen Leibe. Am Beginne
des fünften Jahrhunderts war die Einheit der zwei Naturen die
herrschende Lehre der Kirche. Von allen Seiten gab man die
Unmöglichkeit zu, die Art ihrer Einheit zu begreifen oder
durch Worte auszudrücken. Aber eine geheime, unversöhnliche
Zwietracht lebte zwischen denjenigen fort, die sich am meisten
scheuten, die Gottheit und Menschlichkeit Christi zu vermengen
und denjenigen, die sich am meisten fürchteten, sie zu
trennen. Von Religionswahnsinn getrieben, verdammten beide
Parteien mit inbrünstigem Haß den Irrtum, den sie gegenseitig
als den der Wahrheit und Erlösung gefährlichsten ansahen.
Beiderseits waren sie ängstlich bestrebt, die Einheit und die
Verschiedenheit der zwei Naturen zu bewahren. Eifrig
trachteten sie diese zu verteidigen und solche Redeformen und
Lehrsymbole zu erfinden, die dem Zweifel und der
Zweideutigkeit am wenigsten unterworfen waren. Die Armut der
Begriffe und der Sprache bewog sie, der Natur und Kunst jeden
nur möglichen Vergleich zu entlehnen; aber jeder Vergleich
mißleitete ihre Phantasie zur Erklärung eines unbegreiflichen
Geheimnisses. Bei der Polemik wird ein Atom zum Ungeheuer
verzerrt, und jede Partei gab sich die größte Mühe, die
widersinnigen und gottlosen Forderungen zu übertreiben, die
aus den Grundsätzen ihrer Gegner resultierten. Um einander zu
fliehen, wanderten sie durch manches dunkle und abgelegene
Dickicht, bis sie durch die Schreckensgestalten des Cerinthus
und Apollinaris, welche die entgegengesetzten Ausgänge des
theologischen Labyrinthes bewachten, in Bestürzung gerieten.
Sowie sie einen Schimmer der Vernunft und der Ketzerei
wahrnahmen, schraken sie zusammen, lenkten ihre Schritte
wieder rückwärts und verloren sich abermals im Dunkel
undurchdringlicher Orthodoxie. Um sich von der Schuld oder dem
Vorwurfe eines verdammenswerten Irrtums zu reinigen, leugneten
sie ihre Folgerungen, erläuterten sie ihre Grundsätze,
entschuldigten sie ihre Unklugheiten, sprachen sie einstimmig
Worte der Eintracht und des Glaubens. Aber ein verborgener,
fast unsichtbarer Funke glimmte unter der Asche des Streites
fort; durch den Hauch des Vorurteiles und der Leidenschaft
entwickelte er sich schnell zu einer mächtigen Flamme: ja die
Wortstreitigkeiten der orientalischen Sekten haben die
Grundfesten der Kirche und des Staates erschüttert!
Der Name Cyrills von Alexandria ist in der Geschichte der
Religionsstreitigkeiten berühmt. Doch der Titel eines Heiligen
ist der Beweis dafür, daß seine Meinungen und seine Partei
zuletzt siegreich waren. Im Hause seines Oheims, des
Erzbischofs Theophilus, sog er die orthodoxen Lehren des
Glaubenseifers und der Herrschaft ein, und fünf Jugendjahre
verbrachte er mit Nutzen in den benachbarten Klöstern von
Nitria. Unter der Anleitung des Abtes Serapion verlegte er
sich mit solchem Eifer auf die theologischen Studien, daß er
im Laufe einer einzigen schlaflosen Nacht die vier Evangelien,
die katholischen Episteln und die Epistel an die Römer
durchzulesen vermochte. Origines verabscheute er; aber die
Schriften des Clemens und Dionysius, des Athanasius und
Basilius waren beständig in seinen Händen. Durch Theorie und
Dispute wurde sein Glaube gestärkt und sein Verstand
geschärft. In seiner Zelle lag er dem Studium der
scholastischen Theologie ob und sann über jene allegorischen
und metaphysischen Werke nach, deren Reste in sieben
umfangreichen Foliobänden jetzt friedlich an der Seite ihrer
Nebenbuhler schlummern. Cyrill betete und fastete in der
Wüste, seine Gedanken jedoch blieben, sein Freund Isidor von
Pelusium wirft ihm dies vor, immer an die Welt gefesselt. Der
ehrgeizige Einsiedler gehorchte nur zu bereitwillig dem Rufe
des Theophilus, der ihn in die tumultösen Städte- und
Kirchenversammlungen berief. Mit Zustimmung seines Oheims
übernahm er das Amt und erwarb bald den Ruf eines
Volkspredigers. Seine stattliche Figur schmückte die Kanzel,
seine klangreiche Stimme widerhallte in der Kathedrale, seine
Freunde beeilten sich, den Beifall der Gemeinde zu leiten und
zu unterstützen, und Schnellschreiber zeichneten seine Reden
auf, die in ihrer Wirkung, wenn auch nicht ihrem Gehalte nach,
mit jenen der atheniensischen Redner verglichen werden
konnten. Der Tod des Theophilus erweiterte oder verwirklichte
die Hoffnungen seines Neffen. Die Geistlichkeit von Alexandria
war zersplittert; die Soldaten und ihre Befehlshaber
unterstützten die Ansprüche des Archidiakons; aber eine
überwiegende Volksmenge verteidigte mit Mund und Hand die
Sache ihres Lieblings, und neununddreißig Jahre nach
Athanasius' Tod saß Cyrill auf dessen Thron (412-444).
Der Preis war seines Ehrgeizes nicht unwürdig. Fern vom
Hofe und an der Spitze einer großen Hauptstadt hatte der
Patriarch von Alexandria, wie er nun hieß, sich allmählich die
Stellung und Herrschaft einer weltlichen Obrigkeit angemaßt.
Er verwaltete nach eigenem Ermessen die öffentlichen wie die
privaten Wohltätigkeitsanstalten der Stadt. Seine Stimme
entflammte oder beschwichtigte die Leidenschaften der Menge.
Die zahlreichen und fanatischen Parabolanen, durch ihre
tägliche Arbeit mit dem Tode vertraut, gehorchten blind seinen
Befehlen, und die Präfekten von Ägypten wurden durch die
zeitliche Macht dieser Pontifices eingeschüchtert oder
gereizt. Von glühendem Eifer für die Verfolgung der Ketzer
beseelt, begann Cyrill seine Regierung mit der Unterdrückung
der Novatianer, der unschuldigsten und harmlosesten aller
Sektierer. Die Untersagung ihrer Religionsübungen erschien in
seinen Augen als gerechte und verdienstliche Tat, und er nahm
ihre heiligen Gefässe weg, ohne £u fürchten, die Schuld des
Kirchenraubes auf sich zu laden. Die Duldung, ja selbst die
Vorrechte der Juden, deren Zahl bis auf vierzigtausend
gestiegen war, waren durch die Gesetze der Cäsaren und der
Ptolemäer durch sieben Jahrhunderte seit Gründung von
Alexandria gesichert. Ohne irgendein richterliches Urteil,
ohne irgendeinen kaiserlichen Befehl führte der Patriarch bei
Tagesanbruch aufrührerische Scharen zum Sturme gegen die
Synagogen. Die unbewaffneten und unvorbereiteten Juden
vermochten keinen Widerstand zu leisten. Ihre Tempel wurden
dem Erdboden gleichgemacht, und nachdem der bischöfliche
Krieger seine Truppen mit der Plünderung ihrer Habe belohnt
hatte, jagte er den Rest des ungläubigen Volkes aus der Stadt.
Vielleicht durfte er sich als Entschuldigung seiner Tat auf
ihren Wohlstand, ihren Hochmut und ihren tödlichen Haß gegen
die Christen berufen, deren Blut erst kürzlich in einem
boshaft oder zufällig angezettelten Tumulte vergossen worden
war. Solche Verbrechen hätte die Obrigkeit ahnden sollen;
allein bei diesem verworrenen Angriff wurden die Unschuldigen
mit den Schuldigen vermengt, und Alexandria war um eine reiche
und tätige Kolonie ärmer. Cyrills Eifer setzte ihn der Strenge
des julischen Gesetzes aus, aber unter einer schwachen
Regierung und in einem frommgläubigen Zeitalter war er der
Straflosigkeit, ja selbst des Lobes sicher. Orestes klagte;
allein seine gerechten Klagen wurden von den Ministern des
Theodosius zu schnell vergessen, und zu sehr gedachte ihrer
der Priester, der vorgab, dem Präfekten von Ägypten zu
verzeihen, jedoch fortfuhr, ihn zu hassen. Als er durch die
Straßen fuhr, wurde er in seinem Wagen von einem Haufen von
fünfhundert nitrischen Mönchen angefallen; seine Leibwachen
flohen vor diesen Furien. Seine Beteuerungen, daß er ein
rechtgläubiger Christ wäre, wurden mit einem Steinhagel
beantwortet, und Blut strömte über das Antlitz des Orestes.
Die treuen Bürger von Alexandria eilten zu seiner Rettung
herbei, und er befriedigte auf der Stelle seine gerechte Rache
gegen den Mönch, von dem er verwundet worden war. Ammonius
starb unter der Geißel des Liktors. Auf Cyrills Befehl wurde
seine Leiche vom Boden aufgehoben und in feierlichem Zuge nach
der Kathedrale überführt. Der Name Ammonius wurde in
Thaumasius, der Wundervolle, umgewandelt; sein Grab wurde mit
den Trophäen des Märtyrertums geschmückt, und der Patriarch
bestieg die Kanzel, um die Hochherzigkeit eines Mörders und
Rebellen zu preisen. Solche Ehren begeisterten die Gläubigen,
unter der Fahne des Heiligen zu kämpfen und zu sterben, und
bald darauf stiftete er die Ermordung einer Jungfrau an, die
sich zur griechischen Religion bekannte und eine Freundin des
Orestes war, oder er tat wenigstens nichts dagegen. Hypatia,
die Tochter des Mathematikers Theon, war in die Studien ihres
Vaters eingeweiht; ihre gelehrten Kommentare erläuterten die
Geometrie des Apollonius und Diophantus, und sie lehrte sowohl
in Athen als in Alexandria öffentlich die Philosophie des
Plato und des Aristoteles. In der Blüte der Schönheit und der
Reife der Weisheit wies sie ihre Anbeter ab und unterrichtete
ihre Schüler; die durch Rang oder Verdienst ausgezeichneten
Personen brannten darauf, die philosophische Jungfrau zu
besuchen. Doch Cyrill sah mit neidischen Blicken den
prachtvollen Zug von Pferden und Sklaven, die sich vor der
Türe ihrer Akademie drängten. Unter den Christen wurde bald
das Gerücht verbreitet, daß Theons Tochter das einzige
Hindernis der Aussöhnung des Präfekten mit dem Erzbischof
wäre, und dieses Hindernis wurde daher aus dem Wege geräumt.
An einem unheilvollen Tage in der heiligen Fastenzeit wurde
Hypatia aus ihrem Wagen gerissen, nackt ausgezogen, in die
Kirche geschleppt und von dem Lektor Peter und einem Haufen
wilder und blutdürstiger Schwärmer unmenschlich geschlachtet;
das Fleisch wurde mit scharfen Austernschalen von ihren
Knochen geschabt und ihre zuckenden Gliedmaßen in die Flammen
geworfen. Geschenke taten zur rechten Zeit der Untersuchung
und Strafe Einhalt, aber die Ermordung der Hypatia hat den
Charakter und die Religion Cyrills von Alexandria mit
unauslöschlichem Makel befleckt.
Im Aberglauben befangen, verzieh man vielleicht leichter
den Mord einer Jungfrau als die Verbannung eines Heiligen, und
Cyrill hatte indes seinen Oheim zu der rechtlosen Synode der
Eiche begleitet. Als das Andenken des Chrysostomus wieder
hergestellt und geheiligt wurde, verteidigte Theophilus' Neffe
an der Spitze einer verlöschenden Partei die Richtigkeit
seines Urteils; erst nach langem Zögern und hartnäckigem
Widerstände fügte er sich dem einmütigen Willen der
katholischen Welt. Seine Feindschaft gegen die byzantinischen
Patriarchen war überlegt und eigenmäßig, keineswegs aber ein
zufälliger Ausbruch der Leidenschaft; er beneidete sie um ihre
glückliche Stellung im Glänze des kaiserlichen Hofes und
fürchtete ihren zügellosen Ehrgeiz, mit dem sie die
Metropoliten von Europa und Asien unterdrückten, Eingriffe in
die Sprengel von Antiochia und Alexandria machten und ihre
geistliche Gerichtsbarkeit bis an die Grenzen des Reiches
ausdehnten. Die andauernde Mäßigung des Attikus, des milden
Usurpators des Thrones des Chrysostomus, unterbrach die
Feindseligkeiten der orientalischen Patriarchen, bis Cyrill
endlich durch die Erhebung eines seiner Achtung und seines
Hasses würdigen Nebenbuhlers gereizt wurde. Nach der kurzen
und unruhigen Regierung des Bischofs Sisinnius von
Konstantinopel wurden die Parteien der Geistlichkeit und des
Volkes durch die Wahl des Kaisers vereint, der diesmal einen
verdienstvollen Fremden berief (428). Nestorius, in Germanicia
geboren und Mönch in Antiochia, empfahl sich durch sein
strenges Leben und durch die Beredsamkeit bei seinen
Kanzelvorträgen. Aber schon die erste Predigt, die er vor dem
frommen Theodosius hielt, verriet seinen bitteren und heftigen
Religionseifer. »Gib mir, o Kaiser«, so rief er aus, »gib mir
die Erde von Ketzern gereinigt, und ich will dir zum Tausche
das Königreich des Himmels geben. Rotte mit mir die Ketzer
aus, und ich will mit dir die Perser ausrotten.« Am fünften
Tage, so als wäre der Vertrag schon besiegelt, entdeckte,
überrumpelte und griff der Patriarch von Konstantinopel eine
kleine Versammlung der Arianer an; sie zogen den Tod der
Unterwerfung vor. Die Flammen, die aus dem Hause schlugen, das
sie in ihrer Verzweiflung angezündet hatten, um darin den
Feuertod zu finden, ergriffen bald die benachbarten Häuser,
und die triumphierenden Nestorianer wurden als Mordbrenner
gebrandmarkt. Auf beiden Seiten des Hellespontes zwang er in
seiner bischöflichen Strenge harte Formeln des Glaubens und
der Kirchenzucht auf, und schon ein chronologischer Irrtum in
betreff des Osterfestes wurde als Verbrechen gegen Kirche und
Staat bestraft. Lydien und Karien, Sardes und Miletus wurden
mit dem Blute der hartnäckigen Quartodezimaner gereinigt, und
ein Edikt des Kaisers oder vielmehr des Patriarchen führte
dreiundzwanzig Abstufungen und Arten der Schuld und Bestrafung
der Ketzer an. Aber die Verfolgung, die Nestorius mit solcher
Wut leitete, wirkte sich bald gegen ihn aus. Die Religion
diente zwar als Vorwand, aber nach dem Urteile eines
zeitgenössischen Heiligen war der Ehrgeiz der eigentliche
Beweggrund zu diesem bischöflichen Kriege.
In der syrischen Schule hatte Nestorius gelernt, die
Menschlichkeit seines Meisters Christus von der Göttlichkeit
des Herrn Jesus genau zu unterscheiden. Er verehrte die
heilige Jungfrau als Christi Mutter, aber der neue Name
»Mutter Gottes«, der seit dem arianischen Streit allmählich
aufgekommen war, verletzte seine Ohren. Von der Kanzel von
Konstantinopel predigte ein Freund des Patriarchen und nachher
der Patriarch selbst wiederholt gegen den Gebrauch oder
Mißbrauch eines den Aposteln unbekannten, von der Kirche nicht
genehmigten Wortes, das nur dazu dienen könne, die
Schüchternen zu beunruhigen, die Weltlichen zu ergötzen und
durch eine scheinbare Ähnlichkeit die alte Genealogie des
Olymps zu rechtfertigen. Nach ruhigerer Überlegung gab
Nestorius zu, daß es durch die Vereinigung der himmlischen und
weltlichen Natur und deren Verschmelzungen geduldet oder
entschuldigt werden könne. Widerspruch indes erbitterte ihn so
sehr, daß er die Verehrung des göttlichen Kindes verleugnete,
seine unpassenden Gleichnisse von ehelichen oder bürgerlichen
Genossenschaften des Lebens hervorholte und das Menschtum
Christi als das Gewand, das Werkzeug, die äußere Hülle seiner
Gottheit beschrieb. Diese gotteslästerlichen Worte
erschütterten die Pfeiler des Heiligtums. Die erfolglosen
Nebenbuhler des Nestorius überließen sich ihrem frommen oder
persönlichen Grimme, die byzantinische Geistlichkeit war
insgeheim über die Einschiebung eines Fremden erbittert, was
irgend abergläubisch oder widersinnig war, erfreute sich des
Schutzes der Mönche, und das Volk nahm für seine jungfräuliche
Beschützerin Partei. Die Predigten des Erzbischofs und der
Dienst des Altars wurden durch aufrührerisches Geschrei
gestört. Sondergemeinden sagten sich von seiner Herrschaft und
Lehre los; die Streitigkeiten wurden wie Blätter im Winde über
das ganze Reich zerstreut, und die Stimmen der Kämpfenden auf
einer geräuschvollen Bühne widerhallten in den Zellen von
Palästina und Ägypten. Es war Cyrills Pflicht, den Eifer und
die Unwissenheit seiner zahllosen Mönche aufzuklären. In der
Schule von Alexandria hatte er die Lehre der Menschwerdung
eingesogen und sich dazu bekannt, und der Nachfolger des
Athanasius handelte ganz seinem Stolze und Ehrgeize
angemessen, als er sich in Waffen gegen einen zweiten
furchtbareren und schuldigeren Arius auf dem zweiten Throne
der Hierarchie erhob. Nach einem kurzen Briefwechsel, worin
die eifersüchtigen Prälaten ihren Haß hinter der Sprache der
Hochachtung und der christlichen Milde verbargen, verkündete
der Patriarch von Alexandria dem Fürsten und Volke, dem Osten
und Westen die verdammenswerten Irrlehren des byzantinischen
Bischofs. Aus dem Osten, insbesondere auch Antiochia, empfing
er zweideutige Ratschläge der Duldung und des Schweigens, die
an beide Parteien gerichtet waren, während sie eigentlich die
Sache des Nestorius begünstigten. Der Vatikan dagegen nahm die
Boten aus Ägypten mit offenen Armen auf. Cölestin in seiner
Eitelkeit fühlte sich durch die Berufung an den Vatikan
geschmeichelt. Die parteiische Übersetzung eines Mönches
entschied den Glauben eines Papstes, der samt seiner
lateinischen Geistlichkeit von der Sprache, den Künsten und
der Theologie der Griechen nichts verstand. An der Spitze
einer italienischen Kirchenversammlung untersuchte Cölestin
den Streit, billigte das Glaubensbekenntnis des Cyrillus,
verdammte die Ansichten und die Person des Nestorius,
entsetzte den Ketzer seiner bischöflichen Würde, gab ihm eine
zehntägige Frist zum Widerruf und zur Buße und beauftragte
dessen Feind mit der Vollstreckung dieses übereilten,
ungesetzlichen Urteils. Aber während der Patriarch von
Alexandria die Blitze eines Gottes schleuderte, offenbarte er
die Irrtümer und Leidenschaften eines Sterblichen; seine zwölf
Flüche martern noch immer die orthodoxen Gläubigen, die in ihm
einen Heiligen verehren, ohne ihrer Anhänglichkeit an die
Kirchenversammlung von Chalcedon etwas vergeben zu wollen.
Seine kühnen Behauptungen sind unauslöschlich mit
apollinarischer Ketzerei befleckt, während die ernsten und
vielleicht aufrichtigen Bekenntnisse des Nestorius noch die
einsichtsvolleren und minder parteiischen Theologen der
Gegenwart befriedigen.
Aber weder der Kaiser noch der Primas des Morgenlandes
waren geneigt, dem Befehl eines italienischen Priesters zu
gehorchen. Eine Versammlung der katholischen oder vielmehr der
griechischen Kirche wurde einstimmig als das einzige
Hilfsmittel bezeichnet, um diesen kirchlichen Streit zu
schlichten oder zu entscheiden. Das von allen Seiten zu Wasser
und zu Lande zugängliche Ephesus wurde zum Orte, das
Pfingstfest (431) zum Tage der Zusammenkunft ausersehen. Jeder
Metropolit erhielt ein Einladungsschreiben, und man stellte
eine Wache auf, um die Väter zu schützen und von der Menge
abzuschließen, bis sie die Geheimnisse des Himmels und den
Glauben der Erde bestimmt haben würden. Nestorius erschien
nicht als Verbrecher, sondern als Richter. Er verließ sich
mehr auf den Einfluß als auf die Zahl seiner Prälaten. Seine
stämmigen Sklaven aus den Bädern des Zeuxippus waren sowohl
für den Angriff wie die Verteidigung bewaffnet. Aber sein
Gegner Cyrill gebot über mächtigere Waffen des Fleisches und
des Geistes. Dem Schreiben oder wenigstens dem Sinne des
kaiserlichen Einladungsschreibens entgegen, ließ er sich von
fünfzig ägyptischen Bischöfen begleiten, die vom Winke ihres
Patriarchen die Eingebung des Heiligen Geistes erwarteten. Er
hatte ein festes Bündnis mit dem Bischof Memnon von Ephesus
geschlossen. Der despotische Primas von Asien gebot über
dreißig bis vierzig bereitwillige Bischöfe, aber eine Schar
der Kirche ergebener Bauern strömte in die Stadt, um durch
Schläge und Geschrei einen metaphysischen Lehrsatz zu
verteidigen. Das Volk hielt eifrig an der Ehre der Jungfrau
fest, deren Gebeine in Ephesus ruhten. Die Flotte, mit der
Cyrill von Alexandria eintraf, war mit den Reichtümern
Ägyptens beladen. Er setzte eine zahlreiche Schar Seeleute,
Sklaven und Schwärmer ans Land, die den Fahnen des heiligen
Markus und der Mutter Gottes in blindem Gehorsam folgten.
Diese Entfaltung kriegerischer Streitkräfte schüchterte die
Väter, ja selbst die Wachen der Kirchenversammlung ein. Die
Gegner Cyrills und Marias wurden auf den Straßen beleidigt
oder in ihren Häusern bedroht; seine Beredsamkeit und
Freigebigkeit vermehrte täglich die Zahl seiner Anhänger. Bald
vermochten die Ägypter zu berechnen, daß er auf die
Anwesenheit und Stimmen von zweihundert Bischöfen zählen
könne. Aber was der Verfasser der zwölf Anathemata voraussah
und fürchtete, war der Widerstand Johanns von Antiochia, der
mit einem kleinen, jedoch achtbaren Gefolge von Metropoliten
und Theologen in kleinen Tagereisen von der fernen Hauptstadt
des Ostens heranzog. Zürnend über einen Verzug, den er als
absichtlich und verbrecherisch brandmarkte, kündete Cyrill die
Eröffnung der Synode sechzehn Tage nach dem Pfingstfeste an.
Nestorius, der auf die baldige Ankunft seiner orientalischen
Freunde baute, beharrte gleich seinem Vorgänger Chrysostomus
auf der Ableugnung der Gerichtsbarkeit, auf Ungehorsam gegen
die Vorladung seiner Feinde. Diese aber beschleunigten seinen
Prozeß, und sein Ankläger führte den Vorsitz auf dem
Richterstuhle. Achtundsechzig Bischöfe, darunter
zweiundzwanzig von erzbischöflichem Range, verteidigten die
Sache des Nestorius durch einen bescheidenen und gemäßigten
Protest; sie wurden von der Ratssitzung ihrer Brüder
ausgeschlossen. Gandidian forderte im Namen des Kaisers einen
Aufschub von vier Tagen; aber die weltliche Obrigkeit wurde
mit Schimpfworten aus der Versammlung der Heiligen vertrieben.
Diese ganze wichtige Verhandlung spielte sich in der kurzen
Zeit während eines Sommertages ab (22. Juni). Die Bischöfe
gaben ihre Stimmen abgesondert ab, aber die Gleichförmigkeit
des Stils offenbarte den Einfluß oder die Hand eines Meisters,
den man beschuldigte, ihre Urkunden und Unterschriften
gefälscht zu haben. Ohne auch nur eine einzige abfällige
Stimme erkannten sie in den Episteln Cyrills das nicäische
Glaubensbekenntnis und die Lehre der Väter an; aber die
parteiischen Auszüge aus den Briefen und Predigten des
Nestorius wurden durch Flüche und Bannstrahlen unterbrochen
und der Ketzer seiner Würde als Bischof und Geistlicher
entsetzt. Das Urteil, boshafterweise »an den neuen Judas«
überschrieben, wurde in den Straßen von Ephesus angeheftet und
verkündet; die ermüdeten Prälaten wurden, als sie aus der
Kirche der Mutter Gottes kamen, als deren Verteidiger begrüßt
und ihr Sieg durch Festbeleuchtung, Gesänge und nächtlichen
Lärm gefeiert.
Am fünften Tage danach wurde der Triumph durch die Ankunft
der entrüsteten orientalischen Bischöfe getrübt. In einem
Gemache des Gasthofes gab Johann von Antiochia, noch bevor er
den Staub von seinen Schuhen geschüttelt hatte, dem
kaiserlichen Minister Candidian Gehör, der ihm über seine
vergeblichen Bemühungen, das Ungestüm des verwegenen Ägypters
zu hemmen oder ihn zu vernichten, Bericht erstattete. Mit
gleicher Eile und gleichem Ungestüm entsetzte die aus fünfzig
Bischöfen bestehende orientalische Synode Cyrill und Memnon
ihrer bischöflichen Würden, verdammte in den zwölf Anathemen
die giftige apollinarische Ketzerei und beschrieb den Primas
von Alexandria als ein zur Zerstörung der Kirche geborenes und
erzogenes Ungeheuer. Sein Thron war fern und unzugänglich,
aber sie beschlossen auf der Stelle, der Herde von Ephesus die
Segnung eines treuen Hirten angedeihen zu lassen. Der wachsame
Memnon ließ jedoch die Kirchen vor ihnen schließen und warf
eine starke Besatzung in die Kathedrale. Unter Candidians
Befehl rückten die Truppen zum Sturme vor; die Außenposten
wurden besiegt und niedergemetzelt, aber der Platz blieb
uneinnehmbar. Die Belagerer zogen sich zurück. Ein kräftiger
Ausfall verfolgte sie. Sie verloren ihre Pferde und viele
Soldaten erlitten gefährliche Keulen- und Steinwunden.
Ephesus, die Stadt der Jungfrau, wurde durch Wut und Geschrei,
durch Aufruhr und Blut geschändet. Die einander befeindenden
Synoden schleuderten Bannflüche und Exkommunikationen aus
ihren geistlichen Geschützen, und der Hof des Theodosius wurde
durch die feindseligen und widerspruchsvollen Darstellungen
bloßgestellt. Während einer Periode von drei Monaten versuchte
der Kaiser geschäftig jedes Mittel, um diesen theologischen
Streit zu schlichten, ausgenommen das beste, nämlich
Gleichgültigkeit und Verachtung. Er unternahm es, die Anführer
durch ein gemeinsames Urteil der Lossprechung oder Verdammung
zu entfernen oder einzuschüchtern. Er versah seine
Stellvertreter in Ephesus mit ausgedehnten Vollmachten und
stellte Militär zu ihrer Verfügung. Er forderte von jeder
Partei die Absendung von acht gewählten Abgeordneten zu einer
freien und unparteiischen Besprechung in der Nähe der
Hauptstadt, fern von jeder Berührung mit dem wütenden Volk.
Aber die Orientalen weigerten sich nachzugeben, und die
Katholiken, stolz auf ihre Anzahl und ihre lateinischen
Verbündeten, verwarfen alle Bedingungen der Einigung oder
Duldung. Die Geduld des milden Theodosius war erschöpft.
Entrüstet löste er diesen bischöflichen tumultuösen Rat auf,
der heute, so viele Jahrhunderte später, den ehrwürdigen Titel
der dritten allgemeinen Kirchenversammlung für sich in
Anspruch nimmt. »Gott ist mein Zeuge«, ließ sich der fromme
Fürst vernehmen, »daß ich nicht der Urheber dieser Verwirrung
bin. Die Vorsehung wird den Schuldigen erkennen und bestrafen.
Kehret in eure Sprengel zurück, und eure persönlichen Tugenden
mögen das Unheil und Ärgernis eurer Zusammenkunft wieder
gutmachen.« Sie kehrten in ihre Sprengel zurück, aber
dieselben Leidenschaften, welche die Synode von Ephesus
zerrüttet hatten, verbreiteten sich über die ganze
morgenländische Welt. Nach drei hartnäckigen und
unentschiedenen Feldzügen ließen sich Johann von Antiochia und
Cyrill von Alexandria zu gegenseitigen Erklärungen und zur
brüderlichen Umarmung herbei. Aber die scheinbare Aussöhnung
der beiden Patriarchen muß mehr der Politik als der
Überzeugung, mehr ihrer gegenseitigen Müdigkeit als ihrer
christlichen Milde zugeschrieben werden.
Der byzantinische Bischof hatte dem Kaiser ein
verderbliches Vorurteil gegen den Charakter und das Benehmen
seines ägyptischen Nebenbuhlers eingeflößt. Ein Schreiben voll
Drohungen und Schmähungen, das den Vorladungsbrief begleitete,
bezeichnete ihn als vorlauten, übermütigen und neidischen
Priester, der die Einfachheit des Glaubens verwirre, den
Frieden der Kirche und des Staates störe und durch seine
listigen Sonderbriefe an die Gemahlin und Schwester des
Theodosius sich erdreiste, den Samen der Zwietracht in der
kaiserlichen Familie selbst vorauszusetzen oder dort
auszustreuen. Auf Befehl seines Souveräns hatte sich Cyrill
nach Ephesus begeben, wo ihn die Obrigkeiten im Interesse des
Nestorius und der Orientalen befeindeten, bedrohten und
einkerkerten und die Truppen von Lydien und Jonien
zusammenzogen, um das fanatische und lärmende Gefolge des
Patriarchen zu unterdrücken. Ohne die kaiserliche Erlaubnis
abzuwarten, entfloh er seinen Wächtern, schiffte sich eilig
ein, verließ die Synode und flüchtete nach seiner
bischöflichen Feste in Sicherheit und Unabhängigkeit. Aber
seine schlauen Sendlinge arbeiteten sowohl am Hofe als in der
Stadt mit Erfolg daran, den Zorn des Kaisers zu besänftigen
und seine Gunst zu erlangen. Der schwache Sohn des Arkadius
wurde abwechselnd von seiner Gattin und von seiner Schwester,
von den Eunuchen und den Frauen des Palastes regiert.
Aberglaube und Habsucht waren ihre vorherrschenden
Leidenschaften, und die Häupter der rechtgläubigen Partei
ließen kein Mittel unversucht, jenen in Bestürzung zu
versetzen und diese zu befriedigen. Konstantinopel und die
Vorstädte waren durch zahlreiche Klöster geheiligt, und die
frommen Äbte Dalmatius und Eutyches hatten ihren Eifer und
ihre Treue der Sache Cyrills, der Verehrung der Maria und der
Einheit Christi gewidmet. Vom ersten Augenblick ihres
Mönchslebens an hatten sie sich niemals unter die Menschen
gemischt oder den unheiligen Boden der Stadt betreten. Aber in
diesem wichtigen Augenblick der Gefahr für die Kirche entband
eine erhabenere und unerläßlichere Pflicht sie ihres Gelübdes.
An der Spitze eines langen Gefolges von Mönchen und
Einsiedlern, die brennende Wachslichter in den Händen trugen
und Litaneien zur Ehre der Mutter Gottes sangen, zogen sie aus
ihren Klöstern nach dem Palast. Das außerordentliche
Schauspiel erbaute und entflammte das Volk, und der zitternde
Monarch schenkte den Bitten und Beschwörungen der Heiligen
Gehör, die kühn verkündeten, daß niemand auf Seligkeit hoffen
könne, der nicht an der Person und dem Glaubensbekenntnisse
des rechtmäßigen Nachfolgers des Athanasius festhielte. Zu
gleicher Zeit wurde jeder Zugang zum Thron mit Gold erkauft.
Unter dem züchtigen Vorwand von Belobungen und Segnungen
bestach man die Höflinge beiderlei Geschlechts nach Maßgabe
ihres Einflusses und ihrer Habsucht. Aber ihre unaufhörlichen
Forderungen leerten die Heiligtümer von Konstantinopel und
Alexandria, und die Macht des Patriarchen reichte nicht aus,
um das gerechte Murren seiner Geistlichkeit, daß bereits eine
Schuldenlast von sechzigtausend Pfund zur Bestreitung dieser
Bestechung gemacht worden sei, zum Schweigen zu bringen.
Pulcheria, die ihrem Bruder die Bürde eines Reiches abgenommen
hatte, war die festeste Stütze der Rechtgläubigen, und so
innig war die Synode und der Hof miteinander verbunden, daß
Cyrill des Erfolges sicher war, wenn es ihm gelang, einen
Eunuchen aus der Gunst des Theodosius zu verdrängen und einen
anderen einzuschieben. Indessen konnte sich der Ägypter weder
eines glorreichen noch eines entscheidenden Sieges rühmen. Der
Kaiser beharrte mit ungewohnter Festigkeit bei seinem
Versprechen, die Unschuld der orientalischen Bischöfe zu
schützen und Cyrill milderte seine Bannflüche und bekannte
sich doppelsinnig und widerstrebend zu einer zweifachen Natur
Christi, bevor ihm gestattet wurde, seine Rache gegen den
unglücklichen Nestorius zu stillen.
Der unbesonnene und hartnäckige Nestorius wurde vor
Beendigung der Synode von Cyrill unterdrückt, vom Hofe
verraten und von seinen orientalischen Freunden schwach
unterstützt. Ein Gefühl der Furcht oder der Entrüstung
bestimmte ihn noch zur rechten Zeit, den Ruhm einer
freiwilligen Abdankung für sich in Anspruch zu nehmen. Sein
Wunsch wurde erfüllt oder wenigstens sein Ansuchen gern
gewährt; er wurde mit Ehren von Ephesus nach seinem alten
Kloster in Antiochia geleitet, und kurz darauf wurden seine
Nachfolger Maximian und Proklus als die rechtmäßigen Bischöfe
von Konstantinopel anerkannt. Aber in seiner stillen Zelle
vermochte der abgesetzte Patriarch die Unschuld und
Zufriedenheit eines gewöhnlichen Mönches nicht mehr zu finden.
Er bedauerte die Vergangenheit, war unzufrieden mit der
Gegenwart und hatte Ursache, die Zukunft zu fürchten. Die
orientalischen Bischöfe lösten einer nach dem anderen ihre
Sache von einem verhaßten Namen, und jeder Tag verminderte die
Zahl der Schismatiker, die Nestorius als den Bekenner des
Glaubens verehrten. Nachdem er sich vier Jahre in Antiochia
aufgehalten hatte, unterzeichnete Theodosius ein Edikt, das
ihn auf eine Stufe mit dem Zauberer Simon stellte, seine
Meinungen und Anhänger ächtete, seine Schriften zum
Scheiterhaufen verdammte und ihn selbst zuerst nach Petra in
Arabien und zuletzt nach der Oasis, einer der Inseln der
Lybischen Wüste verbannte. Ausgeschlossen von der Kirche und
der Welt, wurde der Verbannte fortwährend von
Religionsschwärmern verfolgt und von Plünderern heimgesucht.
Ein wandernder Stamm der Blemmyer oder Nubier drang in seinen
einsamen Kerker. Auf dem Rückwege entließen sie eine Schar
nutzloser Gefangener. Kaum hatte aber Nestorius die Ufer des
Nils erreicht, als er einsehen mußte, daß er besser aus einer
römischen und rechtgläubigen Stadt in die mildere Knechtschaft
von Wilden entflohen wäre. Seine Flucht wurde als neues
Verbrechen bestraft. Die Gesinnung des Patriarchen beseelte
die bürgerlichen und kirchlichen Gewalten von Ägypten.
Obrigkeiten, Soldaten, Mönche quälten frommerweise den Feind
Christi und Cyrills, und der Ketzer wurde abwechselnd bis an
die Grenzen von Äthiopien geschleppt und wieder zurückberufen,
bis sein greiser Körper den Beschwerden oder Unfällen der
häufigen Reisen erlag. Sein Geist aber blieb unabhängig und
ungebeugt. Seine Hirtenbriefe schüchterten den Statthalter der
Thebais ein. Er überlebte den katholischen Tyrannen von
Alexandria, und nach sechzehnjähriger Verbannung würde ihm die
Kirchenversammlung von Chalcedon vielleicht in die
Gemeinschaft der Kirche wieder aufgenommen haben. Der Tod
hinderte jedoch Nestorius, ihrer Vorladung Folge zu leisten.
Die Art seiner Krankheit verlieh dem schimpflichen Gerücht,
daß seine Zunge, das Werkzeug der Gotteslästerung, von Würmern
zerfressen worden sei, einigen Halt. Er wurde in einer unter
dem Namen Chemnis oder Panopolis oder Akmim bekannten Stadt
Oberägyptens begraben. Der unsterbliche Haß der Jakobiten hat
jahrhundertelang die Sitte, Steine gegen sein Grab zu
schleudern und die törichte Sage bewahrt, daß es nie vom Regen
des Himmels bewässert werde, der doch in gleichem Maße auf die
Gerechten wie auf die Gottlosen niederfällt. Die
Menschlichkeit mag dem Schicksale des Nestorius eine Zähre
weihen, der Gerechte aber ist zur Bemerkung gezwungen, daß er
nur die Verfolgung erlitt, die er bei anderen gebilligt und
vielen zugefügt hatte.
Der Tod des alexandrinischen Primaten nach
zweiunddreißigjähriger Regierung überließ die Katholiken der
Übermäßigkeit des Religionseifers und dem Mißbrauch des
Siegers. Die monophysitische Lehre (eine inkarnierte Natur)
wurde in den orientalischen Kirchen und Klöstern gepredigt;
den ursprünglichen Glauben des Apollinaris schützte die
Heiligkeit Cyrills, und der Name des Eutyches, seines
ehrwürdigen Freundes, ward jener Sekte beigelegt, die der
syrischen Ketzerei des Nestorius am schroffsten
gegenüberstand. Sein Nebenbuhler Eutyches war Abt oder
Archimandrit oder Oberer über dreihundert Mönche. Aber die
Meinungen eines einfachen und ungelehrten Einsiedlers würden
verborgen geblieben sein, da er in der Zelle bereits siebzig
Jahre verbracht hatte, wenn nicht der ingrimmige oder unkluge
byzantinische Bischof Flavian das Ärgernis vor den Augen der
christlichen Welt aufgedeckt hätte. Er berief unverzüglich die
Geistlichkeit seines Sprengels. Geschrei und Hinterlist
befleckten diese Versammlung, die den greisen Ketzer in ein
scheinbares Bekenntnis verstrickte, Christus' Leib sei nicht
vom Fleische der Jungfrau Maria gewesen. Um sich gegen ihr
parteiisches Urteil zu schützen, verlangte Eutyches eine
allgemeine Kirchenversammlung, und seine Sache wurde von
seinem Paten Chrysaphius, dem regierenden Eunuchen des
Palastes und von seinem Genossen Dioskorus, der dem Neffen des
Theophilus auf dem Throne, im Glaubensbekenntnisse, an
Talenten und Lastern nachgefolgt war, kräftig unterstützt. Auf
besonderen Befehl des Theodosius war die zweite Synode von
Ephesus (August 449)nach richtiger Auswahl aus zehn
Metropoliten und zehn Bischöfen aus jeder der sechs großen
Provinzen des morgenländischen Reiches zusammengesetzt; einige
Ausnahmen aus Gunst oder der Verdienste wegen erhöhten die
Zahl bis auf einhundertfünfunddreißig, und auch der Syrer
Barsumas erhielt als Oberhaupt und Stellvertreter der Mönche
die Aufforderung, mit den Nachfolgern der Apostel zu sitzen
und zu stimmen. Auch diesmal jedoch unterdrückte der
despotische alexandrinische Patriarch die Freiheit der
Verhandlungen. Die gleichen geistlichen und weltlichen Waffen
wurden abermals aus den Arsenalen von Ägypten genommen. Die
asiatischen Veteranen, eine Schar Bogenschützen, dienten unter
dem Befehle des Dioskorus, und die noch furchtbareren Mönche,
die der Vernunft und dem Mitleide unzugänglich waren,
belagerten die Tore der Kathedrale. Die Väter nahmen allem
Anschein nach allgemein und ungezwungen das
Glaubensbekenntnis, ja sogar die Anatheme des Cyrill an, und
die Ketzerei des Glaubens an zwei Naturen wurde in den
Personen und Schriften des gelehrtesten Orientalen feierlich
verdammt. »Mögen diejenigen, die Christus teilen, mit dem
Schwerte geteilt, mögen sie in Stücke gehauen, mögen sie
lebendig verbrannt werden!« waren die frommen Wünsche einer
christlichen Synode. Die Unschuld und Heiligkeit des Eutyches
wurde ohne Zaudern anerkannt, aber die Prälaten, insbesondere
die von Thracien und Asien, wollten ihren Patriarchen nicht
gern wegen Ausübung oder gar wegen Mißbrauch seiner
gesetzlichen Amtsgewalt absetzen. Sie umfaßten die Knie des
Dioskorus, während er mit drohender Miene
[fehlende/vertauschte Zeile/n im Buch. Re] auf insbesondere
die von Thrazien und Asien, wollten ihren Pa-
Vergehen seines Bruders zu verzeihen und seine Würde zu
achten. »Wollt ihr einen Aufruhr erregen?« rief der
unerbittliche Tyrann. »Wo sind die Wachen?« Auf diese Worte
hin brach eine wütende Schar Mönche und Soldaten mit Stöcken,
Schwertern und Ketten in die Kirche; die zitternden Bischöfe
verbargen sich hinter dem Altar oder unter den Bänken, und da
sie durchaus kein Verlangen nach dem Märtyrertum trugen,
unterschrieben sie einer nach dem anderen ein leeres Papier,
auf das nachher das Verdammungsurteil des byzantinischen
Bischofs gesetzt wurde. Flavian wurde unverzüglich den Bestien
dieses geistlichen Amphitheaters ausgeliefert; die Mönche
wurden durch Zuruf und Beispiel des Barsumas angeeifert, die
Unbilden Christi zu rächen. Der Patriarch von Alexandria soll
seinen Amtsbruder von Konstantinopel beschimpft, geschlagen,
gestoßen und mit Füßen getreten haben. Sicher ist, daß das
Opfer, bevor es den Ort seiner Verbannung erreichen konnte, am
dritten Tage an den Wunden und Quetschungen starb, die es in
Ephesus erlitten hatte. Die Teilnehmer dieser zweiten Synode
sind mit Recht als eine Schar Räuber und Mörder gebrandmarkt
worden, indes haben wohl die Ankläger des Dioskorus seine
Gewalttätigkeiten übertrieben, um die Feigheit und die
Unbeständigkeit ihres eigenen Benehmens zu beschönigen.
Der Glaube von Ägypten hatte die Oberhand behalten, aber
die besiegte Partei wurde von demselben Papste unterstützt,
der sich ohne Furcht der feindlichen Wut Attilas und
Genserichs entgegengestellt hatte. Die Theologie des Leo, sein
berühmtes Tome oder Schreiben über das Mysterium der
Inkarnation, war von der Synode von Ephesus unberücksichtigt
gelassen worden. Sein Ansehen und das der lateinischen Kirche
wurde in seinen Legaten beschimpft, die der Sklaverei und dem
Tode entflohen, um die traurige Geschichte von der Tyrannei
des Dioskorus und dem Märtyrertum Flavians zu erzählen. Seine
Provinzialsynode vernichtete das regelwidrige Verfahren jener
von Ephesus; da aber dieser Schritt selbst eine
Unregelmäßigkeit war, betrieb er die Einberufung einer
allgemeinen Kirchenversammlung in den freien und
rechtgläubigen Provinzen von Italien. Von seinem unabhängigen
Throne aus sprach und handelte der römische Bischof ohne
Gefahr als das Oberhaupt der Christen. Seine Verordnungen
wurden willfährig von Placidia und ihrem Sohne Valentinian
abgeschrieben, die sich an ihre morgenländischen Kollegen
wandten, um den Frieden und die Einheit der Kirche
wiederherzustellen. Die Puppe auf dem orientalischen
Kaiserthrone jedoch wurde mit gleicher Geschicklichkeit von
dem Eunuchen geleitet, und Theodosius ließ sich ohne Zögern zu
der Antwort bewegen, daß die Kirche bereits Frieden genieße
und triumphiere und daß der neuerliche Brand durch die
gerechte Bestrafung der Nestorianer gelöscht worden sei.
Vielleicht wären die Griechen noch immer in die Ketzerei der
Monophysiten verstrickt, wenn nicht das Pferd des Kaisers zu
rechter Zeit gestrauchelt wäre. Theodosius verschied, seine
rechtgläubige Schwester Pulcheria folgte ihm mit einem
nominellen Gemahl auf den Thron. Chrysophius wurde verbrannt,
Dioskorus fiel in Ungnade, man berief die Verbannten zurück,
und das Tome Leos wurde von den orientalischen Bischöfen
unterschrieben. Indessen konnte der Papst mit seinem
Lieblingsplane einer lateinischen Kirchenversammlung nicht
durchdringen. Er verschmähte es, in der griechischen Synode,
die alsbald zu Nicäa in Bithynien versammelt wurde, den
Vorsitz zu führen; seine Legaten forderten in gemessenem Tone
die Anwesenheit des Kaisers, und die erschöpften Väter wurden
nach Chalcedon unter die unmittelbare Aufsicht Marcians und
des Senats von Konstantinopel versetzt. Eine Viertelmeile vom
thrakischen Bosporus stand die Kirche der heiligen Euphemia
auf dem Gipfel eines sanft geneigten, aber hohen Berges; der
Dreibau wurde als ein Wunder der Kunst gepriesen, und der
unbegrenzte Blick über Land und Meer konnte wohl in einem
Sektierer erhebende Gedanken über den Gott des Weltalls
auslösen. Im Kirchenschiff saßen sechshundertdreißig Bischöfe,
aber die Legaten hatten den Vorrang vor den Patriarchen des
Ostens. Einer der Legaten war ein einfacher Priester. Der
Ehrenplatz blieb dreißig Laien von senatorischem oder
konsularischem Range vorbehalten. Das Evangelium war prunkend
im Mittelpunkte aufgestellt, die Glaubensregel jedoch wurde
von den päpstlichen und kaiserlichen Ministern bestimmt,
welche die dreizehn Sitzungen (8. Oktober bis 1. November 451)
des Konzils von Chalcedon leiteten. Ihre parteiische
Einmischung brachte das unmäßige Geschrei und die für die
bischöfliche Würde entehrenden Verwünschungen zum Schweigen.
Aber auf die förmliche Anklage der Legaten hin mußte Dioskorus
den Platz eines in der Meinung seiner Richter bereits
verurteilten Verbrechers einnehmen. Die gegen Nestorius minder
feindlich als gegen Cyrill gesinnten Orientalen begrüßten die
Römer als ihre Befreier. Thrazien, Pontus und Asien waren
gegen die Mörder Flavius' erbittert und die neuen Patriarchen
von Konstantinopel und Antiochia sicherten sich ihre
Stellungen, indem sie ihren Wohltäter aufgaben. Die Bischöfe
von Palästina, Makedonien und Griechenland hingen zwar dem
Glauben Cyrills an, aber vor versammelter Synode, in der Hitze
der Schlacht gingen die Anführer vom rechten zum linken Flügel
über und entschieden den Sieg durch ihre rechtzeitige Flucht.
Von den siebzehn Bischöfen, die von Alexandria mitgesegelt
waren, ließen sich vier ihrer Treue abwendig machen. Die
übrigen dreizehn fielen zur Erde und flehten die Gnade der
Kirchenversammlung unter Schluchzen und Weinen und mit der
pathetischen Erklärung an, daß sie im Falle der Nachgiebigkeit
bei ihrer Rückkehr nach Ägypten von dem entrüsteten Volke
ermordet werden würden. Man ließ späte Reue die Schuld oder
den Irrtum der Mitschuldigen des Dioskorus sühnen; aber ihre
Sünden wurden auf sein Haupt gehäuft, weder verlangte noch
hoffte er auf Verzeihung, und die Gemäßigten, die für eine
allgemeine Verzeihung sprachen, wurden durch Sieges- und
Rachegeschrei übertönt. Um den Ruf seiner gewesenen Anhänger
zu retten, entdeckte man geschickt einige persönliche
Vergehen: seine verwegene und ungesetzliche Ausschließung des
Papstes aus der Kirchengemeinschaft und seine frevelhafte
Weigerung (während er doch als Gefangener festgehalten wurde),
der Vorladung der Synode Folge zu leisten. Zeugen wurden
vorgeladen, um Beweise seines Stolzes, seiner Habsucht und
Grausamkeit zu erbringen, und die Kirchenväter hörten mit
Abscheu, daß die Almosen der Kirchen an Tänzerinnen
verschwendet würden, daß sein Palast, ja selbst sein Bad den
Freudendirnen von Alexandria geöffnet wäre, und daß der
Patriarch die schändliche Pansophia oder Irene öffentlich als
seine Geliebte unterhalten hätte.
Wegen dieser ärgerlichen Dinge wurde Dioskorus von der
Synode abgesetzt und vom Kaiser verbannt, sein Glaube jedoch
in Anwesenheit und mit der stillschweigenden Billigung der
Kirchenväter für rein erklärt. Die klugen Kirchenväter setzten
die Ketzerei des Eutyches, der nie vor ihren Richterstuhl
geladen ward, voraus, ohne sich über sie auszusprechen und sie
saßen still und beschämt da, als ein kühner Monophysit ihnen
ein Werk Cyrills vor die Füße warf und sie aufforderte, in ihm
selbst die Lehre des Heiligen zu ächten. Wenn wir die Akten
von Chalcedon, so wie sie von der orthodoxen Partei
aufgezeichnet worden sind, unparteiisch durchlesen, finden
wir, daß die meisten Bischöfe die einfache Einheit Christi
bekannten und das Zugeständnis, daß er von oder aus zwei
Naturen gebildet worden sei, konnte entweder ein früheres
Dasein oder eine spätere Vereinigung der Empfängnis des
Menschen und der Menschwerdung Gottes andeuten. Die römische,
mit größerer Bestimmtheit ausgeprägte Theologie nahm die die
Ägypter am meisten verletzende Lehre an, daß Christus in zwei
Naturen sei, und diese wichtige Fassung, die man eher
auswendig lernen als verstehen konnte, hätte beinahe eine
Spaltung zwischen den katholischen Bischöfen hervorgerufen.
Sie hatten das Tome Leos mit Ehrfurcht, vielleicht sogar mit
Aufrichtigkeit unterschrieben, beteuerten jedoch nachher in
zwei aufeinanderfolgenden Verhandlungen, daß es weder rätlich
noch recht sei, über die geheiligten Grenzsteine
hinauszugehen, die in Nicäa, Konstantinopel und Ephesus nach
der Schrift und der Überlieferung festgelegt worden wären.
Endlich gaben sie dem ungestümen Anliegen ihrer Gebieter nach,
aber ihr Beschluß wurde, nachdem er durch besondere Abstimmung
und leidenschaftlichen Zuruf gutgeheißen worden war, in der
nächsten Sitzung durch den Widerstand der Legaten und ihrer
orientalischen Freunde umgestoßen. Umsonst riefen die Bischöfe
im Chore: »Die Entscheidung der Kirchenväter ist rechtsgültig
und unabänderlich! Die Ketzer sind nun entdeckt! Fluch den
Nestorianern! Sie sollen die Synode verlassen! Sie sollen nach
Rom zurückgehen!« Die Legaten drohten, der Kaiser blieb
beharrlich, und ein Ausschuß von achtzehn Bischöfen verfaßte
einen neuen Beschluß, der der Versammlung wider ihren Willen
aufgedrungen wurde. Im Namen der vierten allgemeinen
Kirchenversammlung wurde Christus in einer Person, aber in
zwei Naturen der katholischen Welt verkündet. Über die
Ketzerei des Apollinaris und das Glaubensbekenntnis Cyrills
ging man stillschweigend hinweg. Die Meisterhand des
theologischen Künstlers baute den Weg zum Paradies als
gefährliche Brücke über den Abgrund. Die Synode von Chalcedon
triumphiert noch jetzt in den protestantischen Kirchen, aber
der Streit hat sich gelegt, und die frömmsten Christen der
Gegenwart kennen ihren eigenen Glauben in betreff der
Menschwerdung nicht oder kümmern sich nicht darum.
Weit verschieden davon war der Charakter der Griechen und
Ägypter unter den orthodoxen Regierungen Leos und Marcians.
Diese frommen Kaiser erzwangen durch Waffen und Edikte die
Anerkennung des Symbols ihres Glaubens; ja, fünfhundert
Bischöfe erklärten aus Gewissen oder Ehrgefühl, daß die
Beschlüsse der Synode von Chalcedon mit vollem Recht sogar mit
dem Schwert verteidigt werden dürften. Die Katholiken
bemerkten mit Genugtuung, daß dieselbe Kirchenversammlung
sowohl von den Nestorianern als auch von den Monophysiten
gehaßt werde; aber die Nestorianer waren entweder weniger
ungestüm oder weniger mächtig, und der Osten wurde durch die
hartnäckigen und blutdürstigen Monophysiten zerrüttet. Ein
Heer von Mönchen besetzte Jerusalem; sie plünderten, sengten
und mordeten im Namen der einen menschgewordenen Natur,
befleckten das Heilige Grab mit Blut und bewachten in
rebellischem Aufruhr die Tore der Stadt gegen die kaiserlichen
Truppen. Die Ägypter wünschten sich den verbannten und in
Ungnade gefallenen Dioskorus, ihren geistlichen Vater, zurück
und verabscheuten seinen Nachfolger, der ihnen durch die
Kirchenväter von Chalcedon aufgedrungen worden war. Der
erzbischöfliche Thron des Proterius mußte durch eine Wache von
zweitausend Soldaten verteidigt werden. Der Erzbischof führte
einen fünfjährigen Krieg gegen das Volk von Alexandria und
fiel auf die erste Kunde von Marcians Tod als Opfer ihres
Religionseifers. Am dritten Tage vor dem Osterfeste wurde der
Patriarch in der Kathedrale belagert und in der Taufkapelle
ermordet. Die Reste seines verstümmelten Leichnams wurden den
Flammen, seine Asche dem Winde überlassen. Die Tat war durch
die Erscheinung eines angeblichen Engels eingegeben worden,
eines ehrgeizigen Mönches, der unter dem Namen »die Katze
Thimotheus« Dioskorus in Amt und Meinungen nachfolgte. Der
tödliche Aberglaube wurde auf beiden Seiten durch den
Grundsatz der Wiedervergeltung entflammt. Infolge eines
metaphysischen Streites wurden mehrere Tausende erschlagen und
die Christen aller Stände der wesentlichen Genüsse des
geselligen Lebens und der Segnungen der Taufe und des heiligen
Abendmahles beraubt. Eine etwas übertriebene Fabel jener
Zeiten dürfte eine allegorische Schilderung dieser Fanatiker
sein, die sich selbst und einander marterten. »Unter dem
Konsulat des Venantius und Celer«, erzählt ein Bischof, »wurde
das Volk von Alexandria und von ganz Ägypten von einem
außerordentlichen und teuflischem Wahnsinn befallen. Große und
Kleine, Sklaven und Freie, Mönche und Priester, die
Eingeborenen des Landes, die sich der Kirchenversammlung von
Chalcedon widersetzten, verloren ihre Sprache und Vernunft,
bellten gleich Hunden und rissen mit ihren Zähnen das Fleisch
von ihren eigenen Händen und Armen.«
Endlich, nach dreißigjähriger Unordnung und Wirrnis, trat
(482) das berühmte Henotikon des Kaisers Zeno in Kraft, das
unter seiner und unter Anastasius' Regierung von allen
Bischöfen des Ostens unterzeichnet werden mußte. Der Klerus
lacht vielleicht über die Anmaßung eines Laien, der
Glaubensartikel festsetzte, oder er verwirft eine solche
Handlung. Wenn sich indes ein Kaiser mit derartigen Dingen
beschäftigt, kann sein Geist weder von Vorurteilen noch vom
Eigennutz befangen sein. Und gerade in der Kirchengeschichte
erscheint Zeno am wenigsten verächtlich. Das Henotikon gefiel
den Ägyptern am besten. Nichtsdestoweniger vermochten die
eifersüchtig suchenden Augen unserer orthodoxen Schulmänner
nicht den geringsten Flecken darin zu entdecken. Es stellt den
katholischen Glauben der Menschwerdung mit Genauigkeit dar,
ohne die besonderen Ausdrücke oder Lehrsätze der feindlichen
Sekten anzunehmen oder zu verwerfen. Ein feierliches Anathema
wird gegen Nestorius und Eutyches, gegen alle Ketzer
ausgesprochen, die Christus Natur teilen oder vermengen oder
zu einem Phantom herabwürdigen. Ohne die Zahl oder den Artikel
des Wortes Natur zu bestimmen, wird das reine System des
heiligen Cyrill, der Glaube von Nicäa, Konstantinopel und
Ephesus ehrfurchtsvoll bestätigt; statt aber den Entschlüssen
des vierten Konzils beizustimmen, endigt das Edikt mit dem
Tadel aller entgegengesetzten Lehren, wenn solche zu Chalcedon
oder anderswo aufgestellt worden wären. Unter diesem
vieldeutigen Ausdrucke hätten Freunde wie Feinde der letzten
Synode ruhig in Brüderlichkeit leben können. Die vernünftigen
Christen beruhigten sich bei dieser Art der Duldung; aber ihr
Verstand war schwach und unstet, und ihr Gehorsam wurde von
ihren heftigen Brüdern als furchtsam und knechtisch verachtet.
Es war schwer, in betreff eines Gegenstandes, der alle
Gedanken und Gespräche der Menschen in Anspruch nahm, strenge
Neutralität zu beobachten; ein Buch, eine Predigt, ein Gebet
entzündete wieder die Flamme des Streites, und die Bande der
kirchlichen Gemeinschaft wurden durch die persönlichen
Feindseligkeiten der Bischöfe abwechselnd zerrissen und wieder
gefestigt. Zwischen Nestorius und Eutyches bestanden tausend
abgestufte Unterschiede in der Sprache und den Meinungen. Die
Acephaler von Ägypten und die römischen Päpste, die zwar
gleich mutig, aber ungleich stark waren, standen sich in den
äußersten Extremen gegenüber. Die Acephaler, ohne König oder
Bischof, waren seit über dreihundert Jahren von den
Patriarchen von Alexandria getrennt, welche der
Kirchengemeinschaft von Konstantinopel beigetreten waren, ohne
eine förmliche Verdammung der Synode von Chalcedon zu
verlangen. Wegen der Annahme der Lehren der
Kirchengemeinschaft von Alexandria, ohne förmliche Billigung
derselben Synode, wurden die Patriarchen von Konstantinopel
von den Päpsten in Bann getan. Ihr unbeugsamer Despotismus
verwickelte die rechtgläubigsten der griechischen Kirchen in
diese geistige Ansteckung, leugnete oder bezweifelte die
Gültigkeit ihrer Sakramente und nährte fünfunddreißig Jahre
hindurch die Spaltung des Ostens und Westens, bis sie zuletzt
vier byzantinische Bischöfe aus ihren Gebeten ausschlossen,
die es gewagt hatten, sich der Herrschaft des heiligen Petrus
zu widersetzen. Vor dieser Periode war der ungesicherte
Waffenstillstand zwischen Konstantinopel und Ägypten durch die
sich gegenseitig bekämpfenden Prälaten gebrochen worden.
Makedonius, welcher der nestorianischen Ketzerei verdächtig
war, verteidigte in der Verbannung die Synode von Chalcedon,
während der Nachfolger Cyrills ihren Sturz durch eine
Bestechungssumme von zweitausend Pfund Gold zu erkaufen
wünschte.
In diesen fieberhaften Zeiten genügte der Sinn oder
vielmehr der Klang einer Silbe, den Frieden eines Reiches zu
stören. Das Trisagion (dreimal heilig) »heilig, heilig, heilig
ist der Herr, Gott der Heerscharen!« wird von den Griechen für
die Hymne, welche die Engel und Cherubim vor dem Thron Gottes
ewig wiederholen, gehalten und war der Kirche von
Konstantinopel gegen das Ende des fünften Jahrhunderts auf
jene wunderbare Weise offenbart worden. Das andächtige
Antiochia fügte bald hinzu: »der für uns gekreuzigt wurde!«
Diese entweder an Christus allein oder an die Dreieinigkeit
gerichtete Dankeseinschaltung läßt sich durch die Regeln der
Theologie rechtfertigen und ist allmählich von den Katholiken
des Ostens und Westens angenommen worden. Aber ein
monophysitischer Bischof hatte sie erdacht. Die Gabe eines
Feindes wurde zuerst als eine entsetzliche und gefährliche
Gotteslästerung verworfen, und die verwegen eingeführte
Neuerung hätte dem Kaiser Anastasius beinahe Thron und Leben
gekostet. Es fehlten dem Volke von Konstantinopel alle
vernünftigen Freiheitsgrundsätze; wohl aber galt ihm die Farbe
eines Wagenlenkers im Zirkus oder die Auslegung eines
Mysteriums in den Schulen als rechtmäßiger Grund zum Aufruhr.
Das Trisagion wurde von den beiden Chören in der Kathedrale
mit und ohne diese unheilvolle Zugabe gesungen, und wenn ihre
Lungen erschöpft waren, griffen sie zu ausgiebigeren Mitteln,
zu Stöcken und Steinen. Die Angreifer wurden vom Kaiser
bestraft und vom Patriarchen in Schutz genommen, und Krone und
Inful hingen von dem Ausgange dieses wichtigen Streites ab.
Die Straßen füllten sich augenblicklich mit unzähligen
Schwärmen von Männern, Weibern und Kindern; die Mönche
marschierten in geschlossenen Reihen und schrien und fochten
an ihrer Spitze: »Christen, dies ist der Tag des Märtyrertums!
Lasset uns unsere geistlichen Väter nicht verlassen! Fluch dem
manichäischen Tyrannen! Er ist unwürdig zu regieren!« Dies war
der Ruf der Katholiken, und die Galeeren lagen mit
eingehangenen Rudern vor dem Palaste, bis der Patriarch dem
Reuigen verzieh und die empörte Menge zum Schweigen gebracht
hatte. Der Triumph des Makedonius wurde durch schleunige
Verbannung gehindert, aber der Eifer seiner Herde abermals
durch dieselbe Frage aufgestachelt: »Ob eine Person der
heiligen Dreieinigkeit gekreuzigt worden sei?« Bei diesem
wichtigen Anlaß stellten die blauen und grünen Parteien von
Konstantinopel ihre Zwietracht ein, und die bürgerliche und
militärische Macht sank ihnen gegenüber in Nichts zusammen.
Die Schlüssel der Stadt und die Fahnen der Leibwachen wurden
auf dem Forum des Konstantin, dem Hauptposten und Lager der
Gläubigen, hinterlegt. Tag und Nacht waren sie unaufhörlich
mit Hymnensingen zu Ehren ihres Gottes oder mit Plünderung und
Ermordung der Diener ihres Fürsten beschäftigt. Das Haupt
seines Lieblingsmönches, »des Freundes des Feindes der
Dreieinigkeit«, wurde auf einer Lanze umhergetragen, und das
Feuer, das sie an Gebäude ketzerischer Bewohner gelegt hatten,
verbreitete sich, ohne Unterschiede zu machen, über die
orthodoxesten Bauwerke. Die Standbilder des Kaisers wurden
zerbrochen. Er selbst hielt sich in einer Vorstadt verborgen,
bis er es nach drei Tagen wagte, die Gnade seiner Untertanen
anzuflehen. Ohne sein Diadem und in der Stellung eines
Bittenden erschien Anastasius auf dem Throne im Zirkus. Die
Katholiken wiederholten vor ihm ihr echtes Trisagion; sie
jubelten über sein Anerbieten, den Purpur niederzulegen, das
er durch einen Herold stellen ließ. Sie hörten auf seine
Mahnung, daß, weil nicht alle herrschen könnten, sie sich
zuvörderst über die Wahl eines Souveräns einigen sollten.
Endlich verlangten sie den Tod zweier verhaßter Minister, die
ihr Gebieter ohne Zögern verurteilte, den Löwen vorgeworfen zu
werden. Diese wütenden, aber kurzen Aufstände wurden durch
Vitalian geschürt, der sich mit einem Heer Bulgaren und
Hunnen, größtenteils Götzendienern, zum Verfechter des
katholischen Glaubens erklärte. In diesem frommen Aufruhr
verheerte er Thrakien, belagerte Konstantinopel und rottete
fünfundsechzigtausend seiner Mitchristen aus, bis er die
Zurückberufung der Bischöfe, Genugtuung für den Papst und das
Festhalten an dem Konzil von Chalcedon erwirkte, ein
orthodoxer Vertrag, den der sterbende Anastasius widerwillig
unterzeichnete, der Oheim des Justinian jedoch treu vollzog.
Das war der Ausgang des ersten aller Religionskriege (514),
die im Namen und von den Nachfolgern des Gottes des Friedens
geführt worden sind.
Wir haben Justinian bereits in dem verschiedenartigen Licht
eines Fürsten, eines Eroberers und eines Gesetzgebers gesehen.
Als Theolog werden wir ihn jetzt kennenlernen, da die
Theologie einen sehr bedeutenden Zug in seinem Charakter
bildete. Der Souverän sympathisierte mit seinen Untertanen in
ihrer Verehrung lebender und abgeschiedener Heiliger; sein
Kodex und noch mehr seine Vorlagen bestätigen und erweitern
die Vorrechte der Geistlichkeit, und in jedem Streite zwischen
einem Mönche und einem Laien war er geneigt auszusprechen, daß
Wahrheit, Unschuld und Gerechtigkeit sich stets auf Seite der
Kirche befänden. In seinen öffentlichen und geheimen
Andachtsübungen war der Kaiser emsig und musterhaft. Seine
Gebete, Nachtwachen und Fasten trugen das Gepräge strenger
Kasteiung. Er war überzeugt, daß er der persönlichen Eingebung
Gottes teilhaftig geworden sei. Er hatte sich dem Schutz der
heiligen Jungfrau und des Erzengels Michael anvertraut, und
als er eines Tages von einer schweren Krankheit genas, wurde
das der wunderbaren Hilfe der heiligen Märtyrer Cosmas und
Damian zugeschrieben. Die Hauptstadt und die Provinzen des
Ostens wurden mit den Denkmälern seiner Religion geschmückt,
und obschon der weitaus größere Teil dieser kostspieligen
Bauten seinem Geschmack oder seiner Prunksucht zugeschrieben
werden muß, ist es doch wahrscheinlich, daß den Kaiser bei
diesen Bauten ein echtes Gefühl der Liebe und Dankbarkeit
gegen seine unsichtbaren Wohltäter leitete. Unter den
kaiserlichen Titeln war ihm der Beiname Pius der angenehmste;
die Förderung zeitlicher und geistlicher Wohlfahrt der Kirche
betrachtete er als oberste Pflicht seines Lebens, und oft war
er weniger Landesvater als Glaubensverteidiger. Die
Streitigkeiten des Zeitalters sagten seinem Charakter und
Verstande zu, und die eigentlichen Theologen mußten innerlich
den Eifer eines Uneingeweihten belächeln, der ihre Kunst
betrieb und seine eigene vernachlässigte. »Was könnt ihr«,
sagte ein kühner Verschwörer zu seinen Genossen, »von eurem
bigotten Tyrannen fürchten? Schlaflos und unbewaffnet sitzt er
ganze Nächte in seiner Stube, beratschlagt mit geistlichen
Graubärten und wendet die Blätter ihrer theologischen Bücher
um.« Das Wissen aus diesen nächtlichen Studien wurde in
mancher Besprechung entfaltet, in der Justinian als der
lauteste und spitzfindigste Zänker glänzte, in mancher
Predigt, die als Edikt oder Schreiben dem Reiche die Theologie
seines Gebieters verkündete. Während die Barbaren in die
Provinzen einbrachen, während die siegreichen Legionen unter
den Fahnen Belisars und Narses' marschierten, begnügte sich
der Nachfolger Trajans, unbekannt im Lager, an der Spitze
einer Synode zu siegen. Wenn Justinian zu diesen Synoden einen
unbeteiligten und verständigen Zuschauer eingeladen hätte,
würde er erfahren haben können: »daß religiöses Gezänke das
Kind des Hochmutes und der Torheit sei; daß echte Frömmigkeit
am lobenswertesten sich durch Schweigen und Unterwerfung
kundgebe; daß der Mensch, der seine eigene Natur nicht kennt,
sich nicht vermessen solle, die Natur seines Gottes zu
erforschen und daß es für uns zu wissen hinreiche, daß Macht
und Güte die Eigenschaften der vollkommenen Gottheit sind.«
Duldung war nicht die Tugend der Zeiten und Milde gegen
Empörer ist selten die Tugend der Fürsten gewesen. Wenn aber
ein Fürst den engherzigen und reizbaren Charakter eines
Zänkers hat, wird er leicht verleitet, den Mangel an Gründen
durch die Fülle seiner Macht zu ersetzen und ohne Erbarmen
diejenigen zu züchtigen, die sich geflissentlich gegen seine
Beweise verschließen. Die Regierung Justinians bietet ein
ununterbrochenes vielgestaltiges Schauspiel der Verfolgung. Er
übertraf seine trägen Vorgänger sowohl in der Erfindung von
Gesetzen, wie in der Strenge ihrer Ausführung. Drei Monate nur
wurden für die Bekehrung oder Verbannung aller Ketzer
festgesetzt, und wenn er ihnen nachsichtig einen unsicheren
Aufenthalt gestattete, waren sie unter seinem eisernen Joch
nicht nur der Wohltaten der Gesellschaft, sondern auch der
allgemeinen Menschen- und Christenrechte beraubt. Nach
vierhundert Jahren noch beseelte die Montanisten von Phrygien
jener wilde Enthusiasmus für religiöse Schwärmer und
Propheten, den sie von ihren männlichen und weiblichen
Aposteln, den auserlesenen Werkzeugen des Parakletes,
eingesogen hatten. Sobald sich ihnen katholische Priester und
Soldaten näherten, griffen sie mit Freuden zur Märtyrerkrone.
Versammlung- und Gemeindehaus wurden von den Flammen verzehrt,
aber sogar noch dreihundert Jahre nach dem Tode ihres Tyrannen
waren diese Urschwärmer nicht gänzlich vertilgt. Unter dem
Schutze der gotischen Bundestruppen hatte die arianische
Kirche in Konstantinopel der Strenge der Gesetze getrotzt:
ihre Geistlichkeit tat es an Reichtum und Prunk dem Senate
gleich, und das Gold und Silber, dessen sich der räuberische
Justinian bemächtigte, konnte allenfalls als die den Provinzen
abgenommene Beute und als die Trophäe der Barbaren in Anspruch
genommen werden. Es gab noch immer unter den Menschen, sowohl
in hohen wie in niederen Kreisen, heimliche Heiden. Sie
erregten die Entrüstung der Christen, die es vielleicht nicht
gern sahen, daß Fremdlinge Zeugen ihrer inneren Zwistigkeiten
waren. Ein Bischof wurde zum Glaubensinquisitor ernannt. Er
entdeckte bald am Hofe wie in der Stadt Beamte,
Rechtsgelehrte, Ärzte und Sophisten, die noch immer dem
Aberglauben der Griechen anhingen. Ihnen wurde allen Ernstes
bedeutet, daß sie ohne Verzug zwischen dem Mißfallen Jupiters
und der Ungnade Justinians zu wählen hätten und daß sie ihren
Abscheu gegen das Evangelium nicht länger unter der Ärgernis
erregenden Maske der Gleichgültigkeit oder Gottlosigkeit
verbergen dürften. Der Patrizier Photius war vielleicht der
einzige, der wie seine Ahnen zu leben und zu sterben
entschlossen war; er tötete sich mit seinem Dolche und ließ
seinem Tyrannen die armselige Genugtuung, daß dieser seinen
leblosen Körper schimpflich aussetzen lassen konnte. Seine
schwächeren Glaubensgenossen unterwarfen sich ihrem irdischen
Monarchen, unterzogen sich den Zeremonien der Taufe und waren
bestrebt, durch außergewöhnlichen Eifer den Verdacht der
Götzendienerei von sich abzuwälzen oder deren Schuld zu
sühnen. Das Vaterland Homers, Schauplatz des trojanischen
Krieges, bewahrte noch die letzten Spuren seiner Mythologie;
durch die Emsigkeit desselben Bischofs wurden siebzigtausend
Heiden in Kleinasien, Phrygien, Lydien und Karien entdeckt und
bekehrt, sechsundneunzig Kirchen für die neuen Proselyten
gebaut und durch die fromme Freigebigkeit Justinians mit
leinenen Gewändern, Bibeln, Liturgien und goldenen und
silbernen Gefäßen versehen. Die Juden, die nach und nach ihrer
Freiheit beraubt worden waren, wurden durch ein drückendes
Gesetz gequält, das sie zwang, das Osterfest an demselben Tage
zu begehen, an welchem es von den Christen gefeiert wurde. Sie
hatten um so mehr Grund sich zu beklagen, weil die Katholiken
selbst mit den astronomischen Berechnungen ihres Souveräns
nicht übereinstimmten: das Volk von Konstantinopel verzögerte
den Anfang der Fasten um eine ganze Woche nach dem Zeitpunkte,
der schließlich von der Behörde festgesetzt worden war, und es
hatte das Vergnügen, sieben Tage zu fasten, während auf Befehl
des Kaisers Fleisch zum Verkauf ausgeboten wurde. Die
Samaritaner von Palästina waren ein bunt durcheinander
gewürfelter Menschenstamm, eine zweifelhafte Sekte, von den
Heiden als Juden, von den Juden als Schismatiker, von den
Christen als Götzendiener verworfen. Schon war das von ihnen
verabscheute Kreuz auf ihrem heiligen Berge Garizim
aufgepflanzt worden; aber die Verfolgung des Justinian ließ
ihnen nur die Wahl zwischen Taufe und Empörung. Sie wählten
die letztere, erhoben sich unter der Fahne eines verzweifelten
Führers und rächten die erlittenen Unbilden an dem Leben, dem
Eigentume und den Tempeln eines wehrlosen Volkes. Die
Samaritaner wurden zuletzt durch die regulären Truppen des
Ostens unterworfen. Zwanzigtausend fanden den Tod,
zwanzigtausend verkauften die Araber an die Ungläubigen von
Persien und Indien, und der Rest dieses unglücklichen Volkes
sühnte das Verbrechen des Hochverrates mit der Sünde der
Heuchelei. Man hat berechnet, daß in dem samaritanischen
Kriege, der die einst fruchtbare Provinz in eine menschenleere
und kahle Wildnis verwandelte, einhunderttausend römische
Untertanen ausgerottet wurden. Aber nach dem
Glaubensbekenntnisse Justinians war die Niedermetzelung
Ungläubiger kein Mord, und er bestrebte sich frommer Weise,
die Einheit des christlichen Glaubens mit Feuer und Schwert
herzustellen.
Bei solchen Gesinnungen lag ihm ob, wenigstens immer auf
dem rechten Pfade zu bleiben. In den ersten Jahren seiner
Regierung zeigte er seinen Eifer als Schüler und Beschützer
der Rechtgläubigen. Nach Aussöhnung der Griechen mit den
Lateinern wurde das Tome des heiligen Leo als das
Glaubensbekenntnis des Kaisers und des Reiches aufgestellt.
Die Nestorianer und Eutychianer waren auf beiden Seiten mit
doppelter Schärfe der Verfolgung preisgegeben, und die vier
Synoden von Nicäa, Konstantinopel, Ephesus und Chalcedon
wurden in einem Kodex von einem katholischen Gesetzgeber
genehmigt. Aber während Justinian die Einheit des Glaubens und
Gottesdienstes zu bewahren strebte, hatte seine Gattin
Theodora, deren Laster offenbar mit Frömmelei nicht
unvereinbar waren, den monophysitischen Lehren Gehör
geschenkt, und die offenen und heimlichen Feinde der Kirche
erhoben sich wieder und vermehrten sich bei dem Lächeln ihrer
gnadenreichen Beschützerin. Hauptstadt, Palast und Ehebett
wurden durch geistliche Zwietracht zerrüttet. So zweifelhaft
war aber die Aufrichtigkeit des kaiserlichen Paares, daß ihre
scheinbare Uneinigkeit von vielen einem geheimen und
verderblichen Bündnisse gegen die Religion und das Glück des
Volkes zugeschrieben wurde. Der berühmte Streit, betreffend
die drei Kapitel, der mehr Bände gefüllt hat als er Zeilen
verdienen würde, trägt tiefe Spuren dieses spitzfindigen und
unaufrichtigen Geistes. Dreihundert Jahre waren nun
verflossen, seit der Körper des Origenes im Grabe verfaulte.
Seine Seele, an deren Vorhandensein er geglaubt hatte, befand
sich in den Händen ihres Schöpfers, aber seine Schriften
wurden von den Mönchen von Palästina gierig gelesen. Der
scharfsichtige Justinian vermochte in diesen Schriften mehr
als zehn metaphysische Irrtümer zu entdecken, und der Urvater
wurde gemeinsam mit Pythagoras und Plato durch die
Geistlichkeit den ewigen Höllenflammen überliefert, die er zu
leugnen gewagt hatte. Unter dem Deckmantel dieses Vorspieles
wurde ein verräterischer Streich gegen das Konzil von
Chalcedon geführt. Die Kirchenväter hatten mit Ungeduld dem
Lobe Theodors von Mopsu Hestia zugehört; sie hatten
gerechterweise oder mit Nachsicht sowohl Theodoret von Cyrrhus
als auch Ibas von Edessa wieder in die Gemeinschaft der Kirche
aufgenommen. Aber diese orientalischen Bischöfe waren mit
Ketzerei befleckt, die man ihnen vorwarf; der erste war der
Lehrer, die beiden anderen waren die Freunde des Nestorius
gewesen. Die verdächtigsten Stellen wurden unter dem Titel der
drei Kapitel angeprangert, und durch ihre Verdammung mußte die
Ehre einer Synode angetastet werden, deren Name von der ganzen
katholischen Welt mit aufrichtiger oder vorgeblicher Ehrfurcht
genannt wurde. Wenn diese Bischöfe, sie mochten nun schuldig
oder unschuldig sein, im Tode Vernichtung gefunden hatten,
weckte sie wahrscheinlich das Geschrei nicht, das hundert
Jahre später über ihren Gräbern erhoben wurde. Und wenn sie
sich bereits in den Fängen des Satans befanden, konnten ihre
Qualen durch Menschen weder verstärkt noch gemildert werden.
Erfreuten sie sich dagegen in der Gemeinschaft der Heiligen
und Engel des Lohnes ihrer Frömmigkeit, so mußten sie die
eitle Wut der theologischen Insekten belächeln, die noch auf
der Oberfläche der Erde krochen. Das vorderste dieser
Insekten, der römische Kaiser, streckte seinen Stachel und
spritzte sein Gift aus, vielleicht ohne die eigentlichen
Beweggründe der Theodora und ihrer kirchlichen Partei zu
sehen. Die Opfer waren seiner Gewalt nicht mehr unterworfen,
und der Stil seiner heftigen Edikte konnte nur ihre Verdammung
kundtun und die Geistlichkeit des Ostens auffordern, mit ihm
im vollen Chore Bannflüche und Verwünschungen auszustoßen. Der
Osten pflichtete etwas zögernd seinem Souverän bei. Die fünfte
allgemeine Kirchenversammlung, aus drei Patriarchen und
einhundertfünfundsechzig Bischöfen bestehend, wurde in
Konstantinopel (533) abgehalten; die Verfasser sowie die
Verteidiger der drei Kapitel wurden aus der Gemeinschaft der
Heiligen ausgeschlossen und dem Fürsten der Finsternis
feierlich überantwortet. Die lateinischen Kirchen jedoch
hielten fester an der Ehre Leos und der Synode von Chalcedon,
und wenn sie wie gewöhnlich unter dem Banner Roms gestritten
hätten, würden sie vernunftgemäß und nach menschlichem
Ermessen vielleicht gesiegt haben. Aber ihr Oberhaupt war
Gefangener ihres Feindes. Der durch Simonie geschändete Thron
des heiligen Petrus wurde durch den feigen Vigilius verraten,
der nach langem, unstetem Kampfe dem despotischen Justinian
und den sophistischen Griechen nachgab. Seine Abtrünnigkeit
erbitterte die Lateiner, und nur zwei Bischöfe fanden sich, um
ihre Hände seinem Diakon und Nachfolger Pelagius segnend
aufzulegen. Aber die beharrlichen Päpste stempelten allmählich
ihre Gegner mit dem Namen Schismatiker; die Kirchen von
Illyrien, Afrika und Italien wurden durch bürgerliche und
kirchliche Obrigkeiten nicht ohne einige Hilfe des Militärs
unterdrückt. Die Barbaren bekannten sich zum Glauben des
Vatikans, und nach Ablauf eines Jahrhunderts nahm auch die
Spaltung wegen der drei Kapitel ein Ende, die in Aquileja im
Jahre 698 gänzlich behoben wurde. Aber die religiöse
Unzufriedenheit der Italiener hatte bereits die Eroberungen
der Langobarden gefördert, und die Römer selbst waren gewohnt,
an dem Glauben ihres byzantinischen Tyrannen zu zweifeln und
seine Regierung zu verabscheuen. Justinian ging in dem
schwierigen Unternehmen, seine und seiner Untertanen
unbeständige Meinungen zu festigen, weder stetig noch
folgerichtig vor. In seiner Jugend erbitterte ihn die
geringste Abweichung von der Rechtgläubigkeit; in seinen allen
Tagen überschritt er das Maß gemäßigter Ketzerei, und sowohl
Jakobiten als auch Katholiken nahmen Anstoß an seiner
Erklärung, daß der Leib Christi unverweslich sei und er im
Mannesalter weder die Bedürfnisse noch die Schwächen fühlte,
die unseres Fleisches Erbteil sind. Diese phantastische
Meinung wurde in den letzten Edikten Justinians verkündigt,
und im Augenblicke seines Verscheidens hatte sich die
Geistlichkeit geweigert, ihnen Folge zu leisten. Der Fürst war
zur Verfolgung und das Volk zum Märtyrertume und Widerstand
entschlossen. Der Bischof Nicetius von Trier redete aus
sicherer Ferne jenseits der Grenzen seiner Gewalt den
Monarchen des Ostens mit Worten der Macht und Liebe an:
»Erhabener Justinian, gedenke deiner Taufe und deines
Glaubensbekenntnisses. Beflecke deine grauen Haare nicht mit
Ketzerei. Rufe deine Kirchenväter aus der Verbannung, deine
Anhänger vom Verderben zurück. Es kann dir nicht unbekannt
sein, daß bereits Italien und Gallien, Spanien und Afrika
deinen Fall beklagen und deinen Namen mit Anathemen belegen.
Wenn du nicht ohne Verzug widerrufst, was du gelehrt hast,
wenn du nicht mit lauter Stimme ausrufst, ich habe mich
geirret, ich habe gesündigt, Fluch dem Nestorius, Fluch dem
Eutyches, so wirst du deine Seele denselben Flammen
überliefern, in denen die ihrigen ewig brennen werden!«
Justinian starb ohne Zeichen der Reue. Sein Tod stellte den
Frieden der Kirche einigermaßen wieder her, und die
Regierungen seiner vier Nachfolger, Justin, Tiberius,
Mauritius und Phocas, sind wegen dem seltenen aber glücklichen
Umstand hervorzuheben, daß sie nicht in der Kirchengeschichte
des Orients aufscheinen. Sinne und Vernunft können am
wenigsten auf sich selber einwirken; das Auge ist dem Sehen,
die Seele dem Denken höchst unzugänglich und doch denken wir,
ja fühlen sogar, daß ein Wille, ein einziges Prinzip des
Handelns zu unserem vernünftigen und selbstbewußten Sein
wesentlich notwendig ist. Als Heraklius aus dem persischen
Kriege zurückkam, befragte der rechtgläubige Held seine
Bischöfe, ob der Christus, den er anbete, in einer Person,
aber zwei Naturen unter dem Einfluß eines einzigen oder
doppelten Willens stände. Sie antworteten, er sei ein einziges
Wesen, und der Kaiser fühlte sich ermuntert, die Jakobiten von
Ägypten und Syrien durch das Bekenntnis zu einer Lehre
auszusöhnen, die ganz gewiß harmlos, ja wahrscheinlich richtig
war, da sie sogar von den Nestorianern selbst gelehrt wurde.
Der Versuch hatte keinen Erfolg, und die furchtsamen oder
fanatischen Katholiken vermieden sogar den Schein eines
Rückzuges vor einem schlauen und verwegenen Feind. Die
rechtgläubige (herrschende) Partei erfand neue Arten des
Ausdruckes, der Frage, der Auslegung; jede der beiden Naturen
Christi begabten sie mit einer eigentümlichen und besonderen
Willenskraft; aber der Unterschied entzog sich dem
Verständnis, sowie sie behaupteten, der menschliche und
göttliche Wille sei unwandelbar der gleiche. Diese krankhafte
Streitsucht war von den gewöhnlichen Symptomen begleitet, die
griechischen Geistlichen jedoch, wie gesättigt von dem
endlosen Streite über die Menschwerdung, träufelten heilsamen
Rat in das Ohr des Fürsten und des Volkes. Sie erklärten sich
als Monotheleten (Verteidiger der Einheit des Willens), aber
sie behandelten die Worte als neu, die Fragen als überflüssig
und empfahlen religiöses Schweigen als der Klugheit und Milde
des Evangeliums am angemessensten. Dieses Gebot des Schweigens
wurde nacheinander durch die Ekthesis oder Auseinandersetzung
des Heraklius (639), durch den Typus oder das Muster seines
Enkels Konstans (648) auferlegt, und die Patriarchen von Rom,
Konstantinopel, Alexandria und Antiochia unterschrieben die
kaiserlichen Edikte teils mit Freuden, teils mit Widerstreben.
Aber der Bischof und die Mönche von Jerusalem schlugen Lärm;
die lateinischen Kirchen gewahrten in der Sprache, ja sogar im
Stillschweigen der Griechen eine versteckte Ketzerei, und der
Gehorsam des Papstes Honorius gegen die Befehle seines
Souveräns wurde durch seine kühneren und unwissenden
Nachfolger verleugnet und getadelt. Sie verdammten die
fluchwürdige und abscheuliche Ketzerei der Monotheleten,
welche die Irrlehren eines Manes, eines Apollinaris, eines
Eutyches u. a. wieder auffrischten; sie unterzeichneten das
Urteil der Ausschließung aus der Kirchengemeinschaft auf dem
Grabe des heiligen Petrus; die Tinte wurde mit dem
Abendmahlweine, Christi Blut, vermengt, und keine
Feierlichkeit wurde unterlassen, die ein gläubiges Gemüt mit
Schauder und Entsetzen erfüllen mußte. Als Stellvertreter der
abendländischen Kirche anathematisierten Papst Martin und
seine laleranensische Synode das treulose und verbrecherische
Stillschweigen der Griechen; einhundertfünf italienische
Bischöfe, die meisten Konstans' Untertanen, erdreisteten sich,
seinen ruchlosen Typus und die gottlose Ekthesis seines
Großvaters zu verwerfen und die Verfasser wie ihre Anhänger
mit einundzwanzig berüchtigten Ketzern, den Abtrünnigen der
Kirche und Stimmführern des Teufels, auf eine Stufe zu
stellen. Eine solche Beschimpfung konnte auch unter der
mildesten Regierung nicht unbestraft bleiben. Papst Martin
endete seine Tage auf dem ungastlichen Gestade des taurischen
Chersonesus, und seinem Orakel, dem Abt Maximus, wurde auf
unmenschliche Weise die Zunge herausgerissen und die rechte
Hand abgeschnitten. Aber derselbe unbezähmbare Geist lebte in
ihren Nachfolgern fort, und die triumphierenden Lateiner
rächten ihre neuerliche Niederlage und verwischten die Schmach
der drei Kapitel. Die Synoden von Rom wurden in der sechsten
allgemeinen Versammlung von Konstantinopel (7. November 680
bis 16. September 681) im Palaste und in Gegenwart eines neuen
Konstantin, eines Abkömmlings des Heraklius, bestätigt. Der
kaiserliche Bekehrer bekehrte den byzantinischen Patriarchen
und die Mehrheit der Bischöfe; die Dissidenten wurden mit
ihrem Oberhaupte, Macarius von Antiochia, zu den geistlichen
und weltlichen Strafen der Ketzerei verurteilt. Der Osten nahm
schließlich die Lehren des Westens an, und es ward jener
Glaube festgesetzt, der die Katholiken lehrt, daß zwei Willen
oder Willenskräfte in der Person Christi vereint sind. Die
Majestät des Papstes und der römischen Synode wurde durch zwei
Priester, einen Diakon und drei Bischöfe vertreten; aber diese
unbekannten Lateiner besaßen weder Waffen für den Zwang, noch
Schätze zur Bestechung, noch Worte zur Überredung, und ich
weiß nicht, wodurch es ihnen gelang, den stolzen griechischen
Kaiser zu bewegen, den Katechismus seiner Kindheit
abzuschwören und die Religion seiner Väter zu verfolgen.
Vielleicht waren Mönche und Volk von Konstantinopel dem
lateranensischen Glauben günstig, obwohl er in der Tat der
minder begünstigte von beiden ist, eine Vermutung, die durch
die unnatürliche Mäßigung der griechischen Geistlichkeit
unterstützt wird, die sich in diesem Kampfe ihrer Schwäche
bewußt zu sein schien. Während die Synode beriet, schlug ein
Schwärmer eine raschere Entscheidung durch Erweckung eines
Toten zum Leben vor; die Prälaten wohnten dem Versuche bei,
aber das offenbare Mißlingen deutet an, daß die Monotheleten
die Leidenschaften und Vorurteile der Menge nicht auf ihrer
Seite hatten. Als in der nächsten Generation der Sohn
Konstantins von den Jüngern des Macarius abgesetzt und
erschlagen wurde, genossen sie die Wonnen der Rache und
Herrschaft; das Bild der sechsten Kirchenversammlung wurde
verstümmelt und die Originalakten den Flammen überliefert.
Zwei Jahre später jedoch wurde ihr Beschützer vom Throne
gestürzt, die Bischöfe des Ostens wurden von ihrer durch die
Umstände hervorgerufenen Übereinstimmung erlöst, der römische
Glaube ward durch die orthodoxen Nachfolger des Bardanes
wieder befestigt, und man vergaß die schönen Probleme der
Menschwerdung über dem volkstümlicheren Streit um die
Bilderverehrung.
Vor Ende des siebenten Jahrhunderts wurde die Lehre der
Menschwerdung, die in Rom und Konstantinopel festgesetzt
worden war, gleichfalls auf den fernen Inseln Britannien und
Irland gepredigt. Dieselben Begriffe wurden von allen
Christen, deren Liturgie in griechischer oder lateinischer
Sprache gehalten ward, anerkannt oder vielmehr dieselben Worte
wiederholt. Ihre Anzahl so wie ihr sichtbarer Glanz gaben
ihnen einen Anspruch auf den Namen Katholiken, aber im Osten
wurden sie mit dem minder ehrenvollen Namen Melchiten oder
Königsdiener belegt, Menschen, deren Glaube, statt auf den
Grundlagen der Schrift, Vernunft oder Überlieferung zu
beruhen, durch die willkürliche Gewalt eines zeitlichen
Monarchen festgesetzt worden war und noch fortwährend
aufrechterhalten wurde. Ihre Gegner konnten die Worte der
Kirchenväter von Konstantinopel anführen, die sich selbst als
Sklaven des Königs bekannten; sie konnten mit boshafter Freude
erzählen, wie die Beschlüsse von Chalcedon durch den Kaiser
Marcian und seine jungfräuliche Gemahlin eingegeben und
abgeändert wurden. Die herrschende Partei schärft ganz
natürlich die Pflicht der Unterwerfung ein, und nicht minder
natürlich ist es, daß die Dissidenten die Grundsätze der
Freiheit fühlen und verteidigen. Unter der Geißel der
Verfolgung arteten die Nestorianer und Monophysiten in
Rebellen und Flüchtlinge aus, und den ältesten und
nützlichsten Bundesgenossen Roms wurde gelehrt, den Kaiser
nicht als das Haupt, sondern als den Feind der Christen zu
betrachten. Die Sprache, das leitende Prinzip, das die
Menschen vereinigt oder trennt, unterschied bald die Sektierer
des Ostens durch ein besonderes und dauerndes Abzeichen, das
jeden Verkehr und jede Hoffnung auf Versöhnung zunichte
machte. Die lange Herrschaft der Griechen, ihre Kolonien und
vor allem ihre Beredsamkeit, hatte eine Sprache verbreitet,
ohne Zweifel die vollkommenste, die Menschenkunst je erfunden
hat. Aber die Masse des Volkes, sowohl in Syrien als in
Ägypten, beharrte auf dem Gebrauch ihrer Nationalsprache,
jedoch mit dem Unterschiede, daß die Koptische auf die rohen
und schriftunkundigen Bauern des Nils beschränkt blieb,
während das Syrische von dem assyrischen Gebirge bis zum Roten
Meere der Dichtkunst und Lehre vorbehalten war. Nach Armenien
und Abessinien war die griechische Sprache und Gelehrsamkeit
gedrungen, und die barbarischen, durch die Studien des neuen
Europa aufgefrischten Sprachen dieser Länder wurden von den
Bewohnern des römischen Reiches nicht verstanden. Das Syrische
und Koptische, das Armenische und Äthiopische ist dem Dienste
ihrer Kirchen geweiht und ihre Theologie durch einheimische
Übersetzungen der heiligen Schrift als auch der beliebtesten
Kirchenväter bereichert. Der Funke des Streites, der zuerst
durch eine Predigt des Nestorius entzündet worden war, glüht
noch heute im Orient weiter, und die feindseligen Gemeinden
bewahren noch immer den Glauben und die Kircheneinrichtungen
ihrer Stifter. In ihrer Unwissenheit, Armut und Knechtschaft
verwarfen die Nestorianer und Monophysiten die geistliche
Oberhoheit Roms und liebten ihre türkischen Gebieter, die
ihnen gestatteten, einerseits den heiligen Cyrill und die
Synode von Chalcedon, anderseits den Papst Leo und das Konzil
von Ephesus zu anathematisieren. Die Rolle, die sie bei dem
Sturze des orientalischen Reiches spielten, fordert unsere
Aufmerksamkeit, und der Leser mag sich mit den verschiedenen
Schilderungen begnügen: I. der Nestorianer; II. der Jakobiten;
III. der Maroniten; IV. der Armenier; V. der Kopten; VI. der
Abessinier. Den drei ersteren ist das Syrische gemeinsam, von
den letzteren Sekten hat jede eine eigene Nationalsprache. Die
jetzigen Bewohner von Armenien und Abessinien wären aber
unfähig, mit ihren Altvordern zu reden, und die Christen von
Ägypten und Syrien, welche die Religion der Araber verwarfen,
haben deren Sprache angenommen. Die Zeit hat das Priestertum
unterstützt, und im Osten wie im Westen wird Gott in einer
veralteten Sprache angerufen, welche die Mehrzahl der Gemeinde
nicht versteht.
I. Die ketzerische Lehre des unglücklichen Nestorius
erlosch sehr schnell sowohl in seinem Geburtslande als in
seinem bischöflichen Sprengel. Die orientalischen Bischöfe,
die in Ephesus in seiner Gegenwart dem anmaßenden Cyrill
Widerstand geleistet hatten, ließen sich durch dessen spätere
Zugeständnisse erweichen. Dieselben Prälaten oder ihre
Nachfolger unterzeichneten ohne Widerrede die Beschlüsse von
Chalcedon; die Macht der Monophysiten söhnte sie mit den
Katholiken in Übereinstimmung leidenschaftlichen Fanatismusses,
des Eigennutzes und der Toleranz aus, und ihr letztes
Widerstreben erlosch bei der Verteidigung der drei Kapitel.
Ihre Brüder, die entweder minder gemäßigt oder aufrichtiger
waren, wurden durch Gesetze unterdrückt, und schon zur Zeit
des Regierungsanfanges Justinians hielt es schwer, eine
nestorianische Kirche innerhalb der Grenzen des römischen
Reiches zu finden. Jenseits dieser Grenzen hatten sie eine
neue Welt entdeckt, wo sie auf Freiheit hoffen und nach
Eroberung streben konnten. In Persien hatte trotz des
Widerstandes der Magier das Christentum tiefe Wurzel gefaßt,
und die Völker des Ostens ruhten in seinem heilbringenden
Schatten. Der Katholikos oder Primas residierte in der
Hauptstadt; er und seine Metropoliten, Bischöfe und
Geistlichkeit stellten den Glanz und die Ehren einer
geordneten Hierarchie dar. Sie freuten sich der Zunahme der
Proselyten, die sich vom Zendavest zum Evangelium, vom
weltlichen zum mönchischen Leben bekehrten, und ihr Eifer
wurde durch die Anwesenheit eines schlauen und furchtbaren
Feindes angestachelt. Die persische Kirche war von syrischen
Glaubensboten gestiftet worden, deren Sprache, Kirchenzucht
und Lehren eng mit ihrer ursprünglichen Einrichtung verwoben
waren. Der Katholikos wurde von seinen eigenen Suffraganen
gewählt, aber seine Sohnesabhängigkeit von den Patriarchen von
Antiochia wird von den Canones der orientalischen Kirche
bezeugt. In der persischen Schule in Edessa erlernten die
kommenden Geschlechter getreulich ihre theologische Sprache;
sie studierten die syrische Übersetzung der zehntausend Bände
Theodors von Mopsu Hestia und verehrten den apostolischen
Glauben und das heilige Märtyrertum seines Schülers Nestorius,
dessen Person und Sprache den Völkern jenseits des Tigris
gleich unbekannt waren. Die erste unverlöschliche Lehre des
Bischofs Ibas von Edessa unterwies sie, die Ägypter zu
verfluchen, die auf der Synode von Ephesus die beiden Naturen
Christi gottloserweise verschmolzen hatten. Die Flucht der
Lehrer und Schüler, die aus dem Athen Syriens zweimal
vertrieben wurden, erzeugte eine Schar Missionäre, entflammt
durch Religionseifer und Rache. Und die strenge Einheit der
Monophysiten, die unter den Regierungen des Zeno und
Anastasius auf den Thronen des Ostens saßen, reizte ihre
Gegner in einem freien Lande, eher eine moralische als eine
physische Einheit der beiden Naturen Christi zu behaupten.
Seit der ersten Verkündigung des Evangeliums hatten die
sassanidischen Könige mit argwöhnischen Blicken ein Geschlecht
Fremder und Abtrünniger betrachtet, welche die Religion der
Erbfeinde ihres Vaterlandes angenommen hatten und deren Sache
unterstützten. Die königlichen Edikte hatten ihnen oft den
gefährlichen Verkehr mit der syrischen Geistlichkeit verboten;
diese fortschreitende Spaltung war dem eifersüchtigen, stolzen
Perozes willkommen, und er schenkte einem schlauen Prälaten
Gehör, der Nestorius als Persiens Freund schilderte und in ihn
drang, sich die Treue seiner christlichen Untertanen dadurch
zu sichern, daß er den Opfern und Feinden des römischen
Tyrannen einen gerechten Vorzug einräume. Die Mehrzahl des
Volkes und der Geistlichkeit waren Nestorianer; sie wurden
durch die Gunst des Despoten ermutigt und mit dessen Schwerte
bewaffnet. Viele ihrer schwächeren Brüder erschraken aber bei
dem Gedanken, sich von der christlichen Welt gänzlich
loszusagen, und der Tod von siebentausendsiebenhundert
Monophysiten oder Katholiken festigte die Einheit des Glaubens
und der Verfassung der persischen Kirchen. Ihre kirchlichen
Einrichtungen zeichneten sich durch ein freisinniges Prinzip
der Vernunft oder wenigstens der Politik aus. Die klösterliche
Strenge ließ nach und wurde langsam vergessen. Milde
Stiftungen wurden für die Erziehung der Waisen und Findlinge
errichtet. Das Gesetz des Zölibates, das die Griechen und
Lateiner so dringend empfahlen, blieb von der persischen
Geistlichkeit unberücksichtigt, und die Zahl der Vermählten
wurde durch die öffentlichen und wiederholten Ehen der
Priester, Bischöfe, ja selbst des Patriarchen vermehrt. Unter
diese Fahne natürlicher und religiöser Freiheit strömten aus
allen Provinzen des morgenländischen Reiches Scharen von
Flüchtlingen; die engherzige Bigotterie Justinians wurde durch
die Auswanderung seiner fleißigsten Untertanen bestraft. Sie
brachten die Kriegskunst, Literatur und Wissenschaften nach
Persien, und diejenigen, die würdig waren vorgezogen zu
werden, wurden im Dienste eines einsichtsvollen Monarchen
befördert. Den Heeren Nushirwans leisteten die verzweifelten
Sektierer, die noch in ihren Vaterstädten des Ostens verborgen
waren, Beistand mit Rat, Geld und Truppen. Für ihren Eifer
wurden sie mit den Kirchen der Katholiken belohnt. Als aber
diese Städte und Kirchen von Heraklius wieder erobert wurden,
zwang sie ihr offenkundiger Hochverrat und ihre Ketzerei,
Zuflucht in dem Reiche ihres auswärtigen Verbündeten zu
suchen. Aber die scheinbare Ruhe der Nestorianer wurde oft
gefährdet und zuweilen erschüttert. Sie waren in die
allgemeinen Übel des orientalischen Despotismus verstrickt;
ihre Feindschaft gegen Rom vermochte nicht immer ihre
Anhänglichkeit an das Evangelium zu sühnen. Einer Kolonie von
dreihunderttausend Jakobiten, den Gefangenen von Antiochia und
Apamea wurde erlaubt, einen Altar vor dem Katholikos und im
Sonnenglanze des Hofes zu errichten. Justinian hatte in seinen
letzten Vertrag einige Bedingungen einfließen lassen, die
darauf abzielten, die Duldung der Christen in Persien zu
vergrößern und ihre Stellung zu befestigen. Der Kaiser, dem
Gewissensbisse fremd waren, vermochte allerdings die Ketzer,
welche die Autorität der heiligen Synoden leugneten, weder zu
bemitleiden noch zu achten, aber er hoffte, daß sie allmählich
die Vorteile einer Vereinigung mit dem römischen Reich und der
römischen Kirche einsehen würden, und wenn es ihm auch nicht
gelang, ihre Dankbarkeit zu gewinnen, so konnte er doch
hoffen, die Eifersucht ihres Souveräns gegen sie zu erregen.
In viel späterer Zeit ließ der allerchristlichste König wegen
des Glaubens und aus politischen Gründen die Lutheraner in
Paris verbrennen und in Deutschland beschützen.
Der Wunsch, Seelen für Gott und Untertanen für die Kirche
zu gewinnen, hat zu allen Zeiten die Tätigkeit der
christlichen Priester angespornt. Nach der Eroberung von
Persien trugen sie ihre geistlichen Waffen nach dem Norden,
Osten und Süden, und das einfache Evangelium wurde mit den
Farben der syrischen Theologie bemalt und geschmückt. Im
sechsten Jahrhundert wurde nach den Berichten eines
nestorianischen Reisenden das Christentum mit Erfolg den
Baktrianern, Hunnen, Persern, Indern, Persarmeniern, Medern
und Elamiten gepredigt. Vom Persischen Meerbusen bis zum
Kaspischen Meere gab es unzählige Kirchen der Barbaren, und
ihr neuerworbener Glaube leuchtete durch die Zahl und
Heiligkeit ihrer Mönche und Märtyrer. Die Pfefferküste von
Malabar und die Inseln des Ozeans, Soctora und Ceylon
bevölkerten sich mit einer immer zunehmenden Menge Christen,
und die Bischöfe und Geistlichen dieser entlegenen Gegend
empfingen ihre Ordination von dem Katholikos in Babylon. In
späterer Zeit überschritten die glaubenseifrigen Nestorianer
die Schranken, die den ehrgeizigen und neugierigen Griechen
und Persern gesetzt waren. Die Missionäre von Balch und
Samarkand folgten ohne Furcht den wandernden Tartaren und
schlichen sich in die Lager der Imaustäler und an den Ufern
der Selinga ein. Sie setzten diesen unkundigen Hirten
metaphysische Glaubenslehren auseinander und empfahlen diesen
blutdürstigen Kriegern Menschlichkeit und Ruhe. Ein Khan,
dessen Macht sie ruhmredig übertrieben, soll sogar aus ihren
Händen das Sakrament der Taufe, ja selbst der Priesterweihe
empfangen haben, und der Name Priester oder Presbyter Johann
hielt lange das leichtgläubige Europa in Atem. Man gestattete
dem königlichen Bekehrten den Gebrauch eines tragbaren Altars;
aber er schickte eine Gesandtschaft an den Patriarchen, um
anzufragen, wie er sich in der Fastenzeit der tierischen
Nahrung enthalten und wie er das heilige Abendmahl in einer
Wüste, die weder Korn noch Wein hervorbringt, feiern solle.
Die Nestorianer betraten bei ihren Reisen zu Wasser und zu
Land China durch den Hafen von Kanton und durch die nördliche
Residenz von Sigan. Unähnlich den römischen Senatoren, welche
die Rolle von Priestern und Auguren mit einem Lächeln
übernahmen, sind die Mandarine, die sich öffentlich als
Philosophen geberden, in ihren Häusern jeder Art von
Aberglauben ergeben. Sie ehrten und vermengten die Götter von
Palästina und Indien, aber die Ausbreitung des Christentums
weckte die Eifersucht des Staates, und nach kurzer Gunst und
Verfolgung kam die fremde Sekte in Vergessenheit. Unter der
Herrschaft der Kalifen war die nestorianische Kirche von China
bis Jerusalem und Cypern verbreitet, und man berechnete, daß
ihre Angehörigen samt den Jakobiten die Zahl der griechischen
und lateinischen Gemeinden überstiegen. Ihre Hierarchie
bestand aus fünfundzwanzig Metropoliten oder Erzbischöfen,
aber mehrere von ihnen waren wegen der Entfernung und den
Gefahren, welche die Wege unsicher machten, von persönlicher
Amtsverwaltung unter der Bedingung befreit, daß sie ihren
Glauben und ihren Gehorsam alle sechs Jahre dem Katholikos
oder Patriarchen von Babylon bezeigen sollten: eine
unbestimmte Formulierung, die nacheinander auf die königlichen
Residenzen von Seleukia, Ktesiphon und Bagdad angewendet
worden ist. Diese fernen Zweige sind seit langer Zeit
ausgestorben, und der alte patriarchalische Stamm teilt sich
jetzt in die Elidschahs von Mosul, die fast in gerader Linie
von den echten und ursprünglichen Repräsentanten hergeleitet
werden können, die Josephs von Amida, die mit der römischen
Kirche ausgesöhnt sind, und die Simeone von Van oder Ormia,
die von den persischen Sophis im sechzehnten Jahrhundert an
der Spitze von vierzigtausend Familien aufgewiegelt wurden.
Man gibt jetzt die Gesamtzahl der Nestorianer, die als
Chaldäer oder Assyrer mit der gelehrtesten und mächtigsten
Nation der orientalischen Länder im Altertum identifiziert
werden, auf dreihunderttausend an.
Nach der Legende des Altertums predigte der heilige Thomas
in Indien das Evangelium. Gegen Ende des neunten Jahrhunderts
wurde sein Grab in der Nähe von Madras von den Gesandten König
Alfreds besucht. Eine Ladung Perlen und Gewürze, die sie
mitbrachten, belohnte den Eifer des englischen Monarchen, der
die ausgedehntesten Pläne für Handel und Entdeckungsreisen
hegte. Als die Portugiesen zuerst den Seeweg nach Indien
fanden, waren die Christen des heiligen Thomas seit
Jahrhunderten an der Küste von Malabar ansässig, und die
Verschiedenheit ihres Charakters und ihrer Hautfarbe bezeugte
die Beimischung des Blutes eines fremden Stammes. An
Waffentüchtigkeit, in den Künsten, vielleicht auch an Tugend
übertrafen sie die Eingeborenen von Hindostan. Die Landwirte
pflanzten Palmen, die Kaufleute wurden durch den Pfefferhandel
reich, die Soldaten hatten vor den Nairen oder Edlen von
Malabar den Vorrang, und ihre Vorrechte wurden aus Dankbarkeit
oder Furcht von den Königen von Kochin, ja sogar von den
Zamorin geachtet. Sie erkannten einen Hindu-Souverän an,
wurden aber in Wirklichkeit von dem Bischof von Angamala
regiert. Er führte seinen alten Titel eines Patriarchen von
Hindostan, seine tatsächliche Gerichtsbarkeit jedoch
erstreckte sich über vierzehnhundert Kirchen, und er war mit
der Obsorge über zweihunderttausend Seelen betraut. Ihre
Religion würde sie zu den festesten und wärmsten
Bundesgenossen der Portugiesen gemacht haben, aber die
Inquisitoren entdeckten bald in den Christen des heiligen
Thomas die unverzeihliche Schuld der Ketzerei und des
Schismas. Statt sich als Untertanen des römischen Papstes, des
geistlichen und weltlichen Monarchen des Erdballs zu bekennen,
hingen sie wie ihre Vorfahren der Kirchengemeinschaft des
nestorianischen Patriarchen an. Die Bischöfe, die er zu Mosul
ordinierte, trotzten den Gefahren des Meeres und des Landes,
um ihren Sprengel an der Küste von Malabar zu erreichen. In
ihrer syrischen Liturgie geschah der Namen Theodor und
Nestorius fromme Erwähnung; sie beteten die beiden Naturen
Christi vereint an. Der Name Mutter Gottes beleidigte ihr Ohr,
und sie ließen der Jungfrau Maria, die der lateinische Glaube
fast zum Range einer Göttin erhoben hatte, nur wenig Ehren
zukommen. Als ihr Bild den Schülern des heiligen Thomas zuerst
gezeigt wurde, riefen sie entrüstet aus: »Wir sind Christen,
keine Götzendiener!« Bei ihrer einfachen Andacht begnügten sie
sich mit der Verehrung des Kreuzes. Ihre Trennung von der
abendländischen Welt hatte sie in Unkenntnis der Fortschritte
eines Jahrtausends gelassen, und ihre Übereinstimmung mit dem
Glauben und der Religion des fünften Jahrhunderts hätte
Protestanten wie Papisten in gleichem Grade enttäuscht. Es war
die erste Sorge der Diener Roms, allen Verkehr mit dem
nestorianischen Patriarchen abzuschneiden; mehrere seiner
Bischöfe starben in den Kerkern der Inquisition. Die
hirtenlose Herde wurde von den Portugiesen, den intriganten
Jesuiten und dem glaubenseifrigen Erzbischof Alexis de Menezes
von Goa bei seiner persönlichen Besichtigung der Küste von
Malabar angegriffen. Die Synode von Diamper, auf der er den
Vorsitz führte, vollendete das fromme Werk der
Wiedervereinigung und zwang streng die Lehren und die
Einrichtungen der römischen Kirche auf, ohne die Ohrenbeichte,
dieses stärkste kirchliche Werkzeug, zu vergessen. Das
Andenken Theodors und des Nestorius wurde verdammt und Malabar
der Herrschaft des Papstes, des Primas und der Jesuiten
unterworfen, die sich des Sitzes von Angamala oder Cranganor
bemächtigten. Sechzig Jahre der Knechtschaft und der Heuchelei
(1599–1663) wurden geduldig ertragen. Kaum aber war das
portugiesische Reich durch die mutigen und tätigen Holländer
erschüttert worden, als sich die Nestorianer kräftig und
erfolgreich für die Religion ihrer Väter erhoben. Die Jesuiten
waren nicht imstande, die Macht zu verteidigen, die sie
mißbraucht hatten; die Waffen von vierzigtausend Christen
waren gegen sie gerichtet, und der indische Archidiakon
betreute die Nestorianer, bis von dem Patriarchen von Babylon
eine neue Zufuhr bischöflicher Gaben und syrischer
Glaubensboten eintreffen konnte. Seit der Vertreibung der
Portugiesen wird der nestorianische Glaube an der Küste von
Malabar frei bekannt. Die holländischen und englischen
Handelsgesellschaften sind tolerant gegen diesen, wenn aber
Unterdrückung minder kränkend ist als Verachtung, so haben die
Christen des heiligen Thomas Ursache, sich über die kalte und
stille Gleichgültigkeit ihrer europäischen Brüder zu beklagen.
II. Die Geschichte der Monophysiten ist minder reichhaltig
und interessant als die der Nestorianer. Unter den Regierungen
des Zeno und des Anastasius sicherten sich ihre schlauen
Häupter die Vermittlung der Fürsten, usurpierten die Throne
des Orients und erdrückten die Schulen der Syrier auf ihrem
heimatlichen Boden. Die monophysitische Lehre wurde von dem
Patriarchen Severus von Antiochia mit besonderer Klugheit
bestimmt; er verdammte in der Sprache des Henotikon die
Ketzereien des Nestorius und Eutyches, behauptete entgegen dem
letzteren die Wirklichkeit des Leibes Christi und zwang die
Griechen zuzugeben, daß er ein Lügner war, der die Wahrheit
sprach. Aber Annäherung der Begriffe vermochte die Heftigkeit
der Leidenschaft nicht zu zügeln. Jede Partei staunte, daß man
über einen so geringfügigen Unterschied streiten könne. Der
Tyrann von Syrien erzwang sein Glaubensbekenntnis, und während
seiner Regierung wurde das Blut von dreihundertfünfzig Mönchen
vergossen, die vielleicht nicht ohne Herausforderung oder
Widerstand ihrerseits unter den Mauern von Apamea erschlagen
wurden. Der Nachfolger des Anastasius pflanzte im Osten die
orthodoxe Fahne wieder auf. Severus floh nach Ägypten und sein
Freund, der beredte Xenaias, der den Nestorianern von Persien
entronnen war, wurde in der Verbannung von den Melchiten
Paphlagoniens erwürgt. Vierundfünfzig Bischöfe wurden von
ihren Thronen vertrieben, achthundert Geistliche ins Gefängnis
geworfen, und trotz der Gunst der Theodora hätten die
orientalischen ihrer Hirten beraubten Herden nach und nach
entweder verschwinden oder sich der siegreichen Religion
unterwerfen müssen. In dieser geistlichen Not wurde die im
Abstieg begriffene Partei durch die Anstrengungen eines
Mönches neu belebt, vereinigt und verewigt, und der Name des
Jakobus Baradäus lebt in der Bezeichnung Jakobiten fort.
Jakobus erhielt von den heiligen Bekennern in ihren Kerkern in
Konstantinopel die Vollmachten eines Bischofs von Edessa und
Apostels des Ostens, auch die Ordination von achtzigtausend
Bischöfen, Priestern und Diakonen fließt aus derselben
unerschöpflichen Quelle. Der eifrige Glaubensbote wurde durch
die schnellen Dromedare eines frommen Araberhäuptlings
befördert; die Lehre und Kirchenzucht der Jakobiten wurde
insgeheim in Justianians Gebieten befestigt, und jeder Jakobit
wurde gezwungen, die Satzungen des römischen Gesetzgebers zu
übertreten und sich seinen Haß zuzuziehen. Die Nachfolger des
Severus, ob sie auch in Klöstern oder Dörfern verborgen lagen,
ob sie ihre geächteten Häupter in den Höhlen der Einsiedler
oder in den Zelten der Sarazenen bargen, behaupteten, ja
behaupten noch ihr unverjährbares Recht auf Titel, Rang und
Vorrechte eines Patriarchen von Antiochia. Unter der milderen
Herrschaft der Ungläubigen residieren sie ungefähr eine Stunde
von Merdin in dem angenehm liegenden Kloster Zapharan, das sie
mit Zellen, Wasserleitungen und Anpflanzungen verschönt haben.
Den zweiten, aber sehr ehrenvollen Platz behauptet der
Maphrian, der in seinem Palast in Mosul selbst dem
nestorianischen Katholikos, mit dem er um die Oberhoheit über
den Orient streitet, trotzt. Unter den Patriarchen und dem
Maphrian hat man in den verschiedenen Jahrhunderten der
jakobitischen Kirche einhundertfünfzig Erzbischöfe und
Bischöfe gezählt; aber die Ordnung der Hierarchie ist
erschlafft oder aufgelöst, und der größere Teil ihrer Sprengel
beschränkt sich auf die Umgebung des Tigris und Euphrat. Die
Städte Aleppo und Amida, die von den Patriarchen häufig
besucht werden, haben einige reiche Kaufleute und fleißige
Handwerker, die Mehrzahl aber verdient ihren kärglichen
Unterhalt durch tägliche Arbeit, und Armut mag ebensowohl als
der Glaube der Grund ihrer übertriebenen Enthaltsamkeit sein:
Fünf jährliche Fasten, während der Geistliche sowohl als
Weltliche sich nicht nur des Fleisches und der Eier, sondern
auch des Weines, Öles und der Fische enthalten müssen! Ihre
Anzahl schätzt man auf fünfzig- bis achtzigtausend Seelen, die
den Rest einer einst volkreichen Kirche bilden, die unter dem
Druck von zwölf Jahrhunderten gelitten hat. Doch haben sich in
dieser langen Periode einige verdienstvolle Fremde zum
monophysitischen Glauben bekehrt; der Vater des berühmten
Primas des Ostens, Abulpharagius, im Leben wie im Tod wahrhaft
ausgezeichnet, ist ein Jude gewesen. Er war ein
ausgezeichneter Schriftsteller in der syrischen und arabischen
Sprache, Dichter, Arzt, Geschichtschreiber, scharfsinniger
Philosoph und gemäßigter Theolog. Nach seinem Tode wohnte dem
Leichenbegängnisse sein Nebenbuhler, der nestorianische
Patriarch, mit einem Gefolge von Griechen und Armeniern bei,
die ihre Streitigkeiten vergaßen und gemeinsame Tränen über
dem Grabe eines Feindes vergossen. Die Sekte, die durch die
Tugenden Abulpharagius geehrt wurde, scheint jedoch unter dem
Range ihrer nestorianischen Brüder zu stehen. Ihre Fasten sind
strenger, ihre inneren Spaltungen zahlreicher und ihre
Gelehrten (insofern ich es zu beurteilen vermag) weiter von
Vernunft entfernt. Einiges mag allerdings auf die Strenge der
monophysitischen Theologie geschoben werden, noch mehr aber
auf den stärkeren Einfluß der Mönche. In Syrien, Ägypten und
Äthiopien haben sich die jakobitischen Mönche seit jeher durch
ihre strengen Kasteiungen und durch ihre albernen Legenden
ausgezeichnet. Lebendig und tot werden sie als die Lieblinge
der Gottheit verehrt. Das Kreuz des Bischofs und Patriarchen
wird ihren ehrwürdigen Händen vorbehalten, und sie übernehmen
die Führung über Menschen, während sie noch von den
Gewohnheiten und Vorurteilen des Klosters strotzen.
III. Nach dem Sprachgebrauche der orientalischen Christen
werden die Monotheleten in jedem Zeitalter Maroniten genannt,
ein Name, der allmählich von einem Einsiedler auf ein Kloster,
von einem Kloster auf eine Nation übertragen worden ist.
Syrien war der Schauplatz der religiösen Raserei des Maron,
eines Heiligen oder Wilden des fünften Jahrhunderts. Die
Städte von Apamea und Emesa stritten sich um seine Reliquien.
Eine stattliche Kirche wurde über seinem Grab errichtet, und
sechshundert Jünger wohnten in ihren einsamen Zellen an den
Ufern des Orontes. In den Streitigkeiten betreffend die
Inkarnation, hielten sie scharf die orthodoxe Linie zwischen
den Sekten des Nestorius und Eutyches, aber die unglückliche
Frage wegen eines Willens oder einer Wirksamkeit in den zwei
Naturen Christi entstand durch ihre müßige Forschsucht. Ihr
Proselyt, der Kaiser Heraklius, wurde als Maronit von Emesa
abgewiesen. Er fand eine Zuflucht in dem Kloster seiner Brüder
und vergalt ihre theologische Lehre, indem er ihnen ein großes
und reiches Gebiet schenkte. Name und Lehre dieser ehrwürdigen
Schule wurden unter den Griechen und Syriern fortgepflanzt,
und ihr Eifer wurde von dem Patriarchen Macarius von Antiochia
vor der Synode von Konstantinopel durch die Erklärung
illustriert, daß er sich tausendmal lieber in Stücke hauen und
ins Meer werfen lassen würde, als den doppelten Willen Christi
bekennen wolle. Eine ähnliche, aber minder grausame Verfolgung
bekehrte bald die wehrlosen Untertanen der Ebene, während der
ruhmvolle Titel Mardaiten oder Rebellen den kraftvollen
Bewohnern des Libanon wegen ihrer Tapferkeit verblieb. Johann
Maron, einer der gelehrtesten und beliebtesten ihrer Mönche,
nahm den Titel eines Patriarchen von Antiochia an. Sein Neffe
Abraham verteidigte an der Spitze der Maroniten ihre
bürgerliche und religiöse Freiheit gegen die orientalischen
Tyrannen. Der Sohn des orthodoxen Konstantin verfolgte mit
frommem Hasse ein kriegerisches Volk, das als das festeste
Bollwerk seines Reiches gegen die gemeinsamen Feinde Christi
und Roms hätte verwendet werden können. Ein griechisches Heer
brach in Syrien ein. Das Kloster des heiligen Maron wurde
verbrannt, die tapfersten Häuptlinge wurden verraten oder
ermordet und eine Kolonie von zwölftausend ihrer Anhänger nach
den fernen Grenzen von Armenien und Thrakien verschickt. Aber
das geringe Volk der Maroniten hat das byzantinische Reich
überlebt und genießt noch jetzt unter seinen türkischen
Gebietern freie Religionsübung und unterliegt milder
Knechtschaft. Ihre einheimischen Regenten werden aus dem alten
Adel gewählt; der Patriarch träumt sich in seinem Kloster
Canobin noch immer auf dem Throne von Antiochia. Neun Bischöfe
bilden eine Synode, und hundertfünfzig Priester, die sich ihre
Heiligsprechung vorbehalten, sind mit der Sorge über
hunderttausend Seelen betraut. Ihr Land erstreckt sich vom
Kamm des Libanongebirges bis zum Gestade von Tripolis. Die
allmähliche Verflachung bietet ihnen auf einem kleinen Raume
jede Art des Bodens und Klimas. Dort wachsen von den heiligen,
unter der Wucht des Schnees emporragenden Zedern alle Pflanzen
bis zu dem Weine, den Maulbeer- und Ölbäumen des fruchtbaren
Tales. Im zwölften Jahrhundert söhnten sich die Maroniten,
indem sie den monotheletischen Irrtum abschworen, mit den
lateinischen Kirchen von Antiochia und Rom aus. Dieses Bündnis
wurde durch die ehrgeizigen Päpste und die sich in Not
befindlichen Syrer oft erneuert. Aber es bleibt natürlich
fraglich, ob die Vereinigung je vollkommen oder aufrichtig
gewesen ist. Die gelehrten Maroniten des Kollegiums in Rom
haben sich umsonst bemüht, ihre Altvordern von der Schuld der
Ketzerei und des Schismas freizusprechen.
IV. Seit dem Zeitalter Konstantins hatten die Armenier ihre
Anhänglichkeit an die christliche Religion und an das
christliche Reich bewahrt. Die Zerrüttungen ihres Vaterlandes
und ihre Unkenntnis der griechischen Sprache hatten ihre
Geistlichkeit abgehalten, der Synode von Chalcedon
beizuwohnen. Vierundachtzig Jahre schwebten sie in Ungewißheit,
bis sich die Sendlinge Julians von Halikarnaß ihres Glaubens
bemächtigten. Julian war durch die Gründe oder den Einfluß
seines Nebenbuhlers Severus, des monophysitischen Patriarchen
von Antiochia, in Ägypten, ihrem gemeinsamen Verbannungsorte,
bekehrt worden. Die Armenier allein sind reine Schüler des
Eutyches, ein unglücklicher Stammvater, da der größte Teil
seiner geistlichen Nachkommenschaft von ihm abgefallen ist.
Sie allein hielten an der Meinung fest, daß Christus aus einem
göttlichen und unverweslichen Stoff geschaffen worden sei oder
ohne Erschaffung existiere. Ihre Gegner werfen ihnen die
Anbetung eines Phantoms vor, und sie schleudern die Anklage
zurück, indem sie die Lästerung der Jakobiten verlachen oder
verfluchen, die der Gottheit die elenden Schwächen des
Fleisches zuschreiben, ja sogar bei ihr die natürlichen
Wirkungen der Nahrung und Verdauung annehmen. Die Religion der
Armenier konnte weder durch die Gelehrsamkeit noch Macht
seiner Einwohner großen Ruhm erlangen. Das Königtum erlosch
gleichzeitig mit dem Entstehen ihres Schismas, und ihre
christlichen Könige, die an den Grenzen von Kilikien im
dreizehnten Jahrhundert auftauchten und untergingen, waren die
Schützlinge der Lateiner und die Vasallen des türkischen
Sultans von Ikonium. Der hilflosen Nation war es selten
gestattet, die Ruhe der Knechtschaft zu genießen. Armenien war
von den frühesten Zeiten bis zum achtzehnten Jahrhundert der
Schauplatz immerwährender Kriege. Die Länder zwischen Tauris
und Erivan sind durch die grausame Politik der Sophis
entvölkert worden, und Myriaden christlicher Familien wurden
in die fernen Provinzen von Persien verschickt, um dort
umzukommen oder sich zu vermehren. Unter der Rute der
Unterdrückung ist der Glaube der Armenier inbrünstig und
unerschrocken geblieben; sie haben die Krone des Märtyrertums
häufig dem weißen Turban Mohammeds vorgezogen. Sie hassen
zutiefst die Irrtümer und die Abgötterei der Griechen, und
ihre vorübergehende Vereinigung mit den Lateinern entbehrt
ebensosehr der Wahrheit wie das Anerbieten ihres Patriarchen,
tausend Bischöfe zum Fußfall zum römischen Papst zu senden.
Der Katholikos oder Patriarch der Armenier residierte im
Kloster Edschmiasin, drei Stunden von Erivan entfernt.
Siebenundvierzig Erzbischöfe, von denen jeder vier bis fünf
Suffraganen hat, werden von ihm geweiht; es sind aber
größtenteils nur Titularprälaten, die durch ihre Anwesenheit
und Dienstleistung seinem einfachen Hofe Würde verleihen.
Sobald sie ihre Liturgie verrichtet haben, bestellen sie den
Garten und unsere Bischöfe werden mit Erstaunen hören, daß die
Strenge ihres Lebens mit der Erhöhung ihres Ranges zunimmt.
Der Patriarch erhält in den achtzigtausend Städten oder
Dörfern, die seiner geistlichen Herrschaft unterworfen sind,
von jeder Person über fünfzehn Jahre eine kleine und
freiwillige Steuer; aber die jährlich eingehende Summe von
sechshunderttausend Kronen reicht nicht hin, die
unaufhörlichen Anforderungen, die seiner Mildtätigkeit
gestellt werden, zu befriedigen oder den Tribut zu zahlen.
Seit Anfang des siebzehnten Jahrhunderts haben die Armenier
einen großen und gewinnbringenden Anteil am Handel des Orients
genommen. Ihre Karawane macht auf ihrer Rückkehr von Europa
gewöhnlich in der Nachbarschaft von Erivan halt, die Altäre
werden mit den Früchten ihres Fleißes geschmückt und der
Glaube des Eutyches wird in ihren neuen Gemeinden in der
Berberei und in Polen gepredigt.
V. In den übrigen Teilen des römischen Reiches vermochte
der despotische Fürst die Sektierer eines gehaßten Glaubens
auszurotten oder zum Schweigen zu bringen. Aber die
halsstarrigen Ägypter beharrten im Widerstande gegen die
Synode von Chalcedon, und Justinian gab sich dazu her, eine
Zwietracht abzuwarten und sie zu benutzen. Die monophysitische
Kirche von Alexandria wurde durch die Streitigkeiten der an
die Sterblichkeit des Körpers Christi glaubenden und der an
sie nicht glaubenden zerrüttet, und nach dem Tode des
Patriarchen unterstützte jede der beiden Parteien ihre
Kandidaten. Gajan war der Schüler Julians, Theodosius war der
Zögling des Severus gewesen; die Ansprüche des ersteren
stützten sich auf die Mönche und Senatoren der Stadt und der
Provinz, Theodosius berief sich auf seine frühere Weihe, die
Gunst der Kaiserin Theodora und die Waffen des Eunuchen Narses,
die in einem ehrenvolleren Kriege hätten verwendet werden
können. Die Verbannung des vom Volke geliebten Kandidaten nach
Karthago und Sardinien entfachte die Gärung in Alexandria, und
nach einem Schisma von hundertsiebzig Jahren verehrten die
Gajaniten noch immer das Andenken und die Lehre ihres
Stifters. Die Macht der Menge wurde in einem verzweifelten und
blutigen Kampfe gegen Kriegskunst auf die Probe gestellt. Die
Straßen waren mit den Leichen der Bürger und Soldaten
angefüllt, die frommen Frauen bestiegen die Dächer ihrer
Häuser und schleuderten alle scharfen und schweren Hausgeräte
auf die Köpfe der Feinde, und Narses verdankte seinen Sieg
schließlich nur den Flammen, womit er die dritte Hauptstadt
der römischen Welt verheerte. Aber der Stellvertreter
Justinians hatte nicht zu Gunsten eines Ketzers gesiegt.
Theodosius selbst wurde alsbald, aber mit Milde, entfernt und
Paul von Tanis, ein orthodoxer Mönch, auf den Thron des
Athanasius erhoben (538). Die ganze Regierungsgewalt wurde zu
seiner Unterstützung aufgeboten; er durfte die Herzoge und
Tribunen von Ägypten anstellen oder entfernen; die Verteilung
von Brot, die Diokletian bewilligt hatte, wurde eingestellt,
die Kirchen wurden geschlossen und dadurch eine ketzerische
Nation gleichzeitig ihrer geistlichen und leiblichen Nahrung
beraubt. Der Tyrann wurde seinerseits durch das
glaubenseifrige Volk geachtet, und niemand, die knechtischen
Melchiten ausgenommen, dachte daran, ihn als Mensch, als
Christ oder als Bischof zu begrüßen. So groß ist jedoch die
Verblendung des Ehrgeizes, daß Paul, nachdem er wegen
Mordanklage vertrieben worden war, sich mittels einer
Bestechungssumme von siebenhundert Pfund Goldes um seine
Wiedereinsetzung auf denselben verächtlichen und verhaßten
Posten bewarb.
Sein Nachfolger Apollinaris (551) betrat die feindliche
Stadt in militärischem Aufzuge, gleich gerüstet zur Schlacht
wie zum Gebet. Seine Truppen, die die Waffen bereithielten,
wurden in den Straßen verteilt; die Tore der Kathedrale wurden
bewacht und eine erlesene Schar im Chore aufgestellt, um ihren
Befehlshaber zu verteidigen. Er stand aufrecht auf seinem
Throne und bot sich, das Obergewand des Kriegers von sich
werfend, den Augen der Menge in der Tracht des Patriarchen von
Alexandria dar. Erstaunen hielt ihre Zungen im Zaum. Kaum aber
hatte Apollinaris das Tome des heiligen Leo zu lesen begonnen,
als sich ein Regen von Flüchen, Schmähungen und Steinen über
den verhaßten Diener des Kaisers und der Synode ergoß. Der
Nachfolger der Apostel befahl sogleich den Angriff. Die
Soldaten wateten bis an die Knie im Blute. Zweihunderttausend
Christen sollen durch das Schwert umgekommen sein; eine
unglaubliche Anzahl, selbst wenn sie nicht an einem einzigen
Tage, sondern in den achtzehn Regierungsjahren des Apollinaris
niedergemetzelt wurden. Zwei darauffolgende Patriarchen,
Eulogius und Johann, arbeiteten an der Bekehrung der Ketzer
mit Waffen und Gründen, die dem evangelischen Berufe
angemessener waren. Eulogius entfaltete seine theologische
Gelehrsamkeit in manchem Bande, worin er die Irrtümer des
Eutyches und Severus vergrößerte und es versuchte, die
zweideutige Sprache des heiligen Cyrill mit dem orthodoxen
Glaubensbekenntnisse des Papstes Leo und der Kirchenväter von
Chalcedon in Übereinstimmung zu bringen. Die Mildtätigkeit
Johanns des Almosengebers war entweder durch Frömmigkeit,
Wohlwollen oder Politik hervorgerufen.
Siebentausendfünfhundert Arme wurden auf seine Kosten
unterhalten. Er fand bei seiner Thronbesteigung achttausend
Pfund Gold im Kirchenschatze vor. Er sammelte aus den
Beisteuern der Gläubigen weitere zehntausend; dennoch konnte
sich der Primas in seinem Testament rühmen, daß er nicht mehr
als den dritten Teil der kleinsten aller Silbermünzen zu
hinterlassen habe. Die Kirchen von Alexandria wurden den
Katholiken übergeben, die monophysitische Religion in Ägypten
geächtet und ein Gesetz wieder aufgefrischt, das die
Eingeborenen von allen Ehren und Begünstigungen des Staates
ausschloß.
Eine wichtigere Eroberung blieb noch übrig: die des
Patriarchen, des Orakels und Regenten, der ägyptischen Kirche.
Theodosius hatte den Drohungen wie den Versprechungen
Justinians mit dem Mute eines Apostels oder Schwärmers
Widerstand geleistet. »Das waren«, erwiderte der Patriarch,
»die Verheißungen des Versuchers, als er die Reiche der Erde
zeigte. Aber meine Seele ist mir teurer als Leben und
Herrschaft. Die Kirchen sind in der Gewalt des Fürsten, der
den Leib töten kann; aber mein Gewissen gehört mir selbst. In
Verbannung, Armut und Ketten werde ich fest bei dem Glauben
meiner heiligen Vorgänger Athanasius, Cyrillus und Dioskorus
beharren. Fluch dem Tome des Leo und der Synode von Chalcedon!
Fluch allen, die ihres Glaubens sind! Nackt kam ich aus meiner
Mutter Leibe, nackt werde ich in die Erde hinuntersteigen.
Mögen diejenigen, die Gott lieben, mir nachfolgen und ihre
Seligkeit wahren.« Nachdem er seine Brüder getröstet hatte,
schiffte er sich nach Konstantinopel ein und unterwarf sich in
sechs aufeinanderfolgenden Unterredungen nicht der fast
unwiderstehlichen Macht der kaiserlichen Gegenwart. Palast und
Stadt nahmen seine Anschauung günstig auf; der Einfluß
Theodoras gewährte ihm sicheres Geleite und ehrenvolle
Entlassung, und er endete seine Tage zwar nicht auf dem
Throne, aber doch in seinem Vaterlande. Bei der Nachricht von
seinem Tode gab Apollinaris den Großen und der Geistlichkeit
ein unpassendes Gastmahl. Aber seine Freude wurde durch die
Kunde von einer neuen Wahl gemäßigt, und während er den
Reichtum von Alexandria genoß, herrschte sein Nebenbuhler in
den Klöstern der Thebais und wurde durch freiwillige Gaben des
Volkes unterhalten. Das Andenken des Theodosius brachte
dauernd Patriarchen hervor, und die monophysitischen Kirchen
von Syrien und Ägypten waren durch den Namen der Jakobiten und
die Glaubensgemeinschaft verbunden. Aber der nämliche, auf
eine kleine Sekte der Syrier beschränkte Glaube dehnte sich
über die ganze ägyptische oder koptische Nation aus, welche
die Beschlüsse der Synode von Chalcedon fast einstimmig
verwarf. Tausend Jahre waren nun verflossen, seitdem Ägypten
aufgehört hatte, ein Königreich zu sein, seitdem die Eroberer
von Asien und Europa auf den gefügigen Nacken eines Volkes
ihre Füße gesetzt hatten, eines Volkes, dessen alte Weisheit
und Macht über alle geschichtlichen Urkunden hinausreicht. Der
Kampf der Glaubenseifrigen mit den Verfolgern entzündete in
den Ägyptern wieder einige Funken des Nationalgeistes. Sie
schworen mit einer fremden Ketzerei die Sitte und Sprache der
Griechen ab; jeder Melchit galt in ihren Augen als Ausländer,
jeder Jakobit als Bürger. Ehebündnisse mit den ersteren, sogar
die von der Menschlichkeit gebotenen Dienste wurden als
Todsünden verdammt; die Eingeborenen entsagten aller Treue für
den Kaiser, und seine Befehle wurden in einer gewissen
Entfernung von Alexandria nur unter dem Einflüsse einer
Militärmacht vollzogen. Eine hochherzige Anstrengung würde die
Religion und Freiheit von Ägypten gerettet haben, seine
sechshundert Klöster hätten Myriaden heiliger Krieger
entsenden können, für die der Tod keine Schrecken haben
konnte, weil ihnen das Leben keine Tröstungen und Freuden bot.
Aber es ist ein Unterschied zwischen tätigem und leidendem
Mute; der Fanatiker, der ohne Schmerzenslaut die Qualen der
Folter oder des Scheiterhaufens aushält, zittert und flieht
vor einem bewaffneten Feind. Die kleinmütigen Ägypter waren
nur mehr imstande, eine Änderung der Gebieter zu wünschen;
Chosroes verheerte das Land, aber die Jakobiten freuten sich
unter seiner Herrschaft eines kurzen wenn auch unsicheren
Friedens. Der Sieg des Heraklius erneuerte und erschwerte die
Verfolgung. Der Patriarch entwich abermals aus Alexandria in
die Wüste. Auf seiner Flucht wurde Benjamin durch eine Stimme
ermutigt, die ihm gebot, nach Ablauf von zehn Jahren den
Beistand eines fremden Volkes zu erwarten, die gleich den
Ägyptern, den alten Brauch der Beschneidung pflogen. Die Art
und Natur dieser Befreiung werden wir später kennenlernen.
Jetzt aber überspringe ich einen Zeitraum von elf
Jahrhunderten, um das Elend der Jakobiter von Ägypten zu
betrachten. Die volkreiche Stadt Kairo ist die Residenz ihres
dürftigen Patriarchen und eines Überrestes von zehn Bischöfen
oder gewährt ihnen vielmehr Obdach. Vierzig Klöster haben die
Einbrüche der Araber überdauert, aber infolge Knechtschaft und
Abtrünnigkeit ist das Koptenvolk bis auf fünfundzwanzig- oder
dreißigtausend Familien herabgesunken, ein Haufe unwissender
Bettler, deren einziger Trost in dem größeren Elend des
griechischen Patriarchen und seiner winzigen Gemeinde liegt.
VI. Der koptische Patriarch, Aufrührer gegen den Kaiser
oder Sklave des Kalifen, rühmte sich dauernd des kindlichen
Gehorsams der Könige von Abyssinien und Äthiopien. Er belohnte
ihre Huldigung durch Übertreibung ihrer Macht, behauptete
dreist, daß sie hunderttausend Pferde und eine gleiche Anzahl
von Kamelen ins Feld bringen, daß ihre Hand die Wasser des
Nils aussenden oder zurückhalten könne und daß der Friede und
Reichtum von Ägypten selbst in dieser Welt nur durch die
Fürbitte des Patriarchen zu erhalten sei. Theodosius hatte in
der Verbannung in Konstantinopel seiner Beschützerin die
Bekehrung der schwarzen Völkerschaften vom Wendekreise des
Krebses bis an die Grenzen von Abyssinien empfohlen. Der
rechtgläubige Kaiser argwöhnte ihre Absicht und suchte sie zu
vereiteln. Die rivalisierenden Missionäre, ein Melchit und ein
Jakobit, schifften sich zu gleicher Zeit ein; die Kaiserin
jedoch fand aus Liebe oder Furcht wirksameren Gehorsam. Der
katholische Priester wurde von dem Statthalter der Thebais
zurückgehalten, während der König von Nubien und sein Hof
eilig in dem Glauben des Dioskorus getauft wurden. Der säumige
Gesandte Justinians wurde mit Ehren empfangen und entlassen,
als er aber die Ketzerei und den Verrat der Ägypter anklagte,
sagte der bekehrte Neger, wie ihm gelehrt worden, daß er seine
Brüder, die wahren Gläubigen, niemals den rachsüchtigen
Anhängern der Synode von Chalcedon preisgeben werde. Mehrere
Jahrhunderte hindurch wurden die Bischöfe von Nubien von den
jakobitischen Patriarchen von Alexandria ernannt und geweiht.
Das Christentum herrschte bis ins zwölfte Jahrhundert, und
noch haben sich einige Gebräuche und einige Ruinen in den
wilden Städten von Sennaar und Dongola erhalten. Endlich aber
führten die Nubier ihre Drohung, zur Götzenverehrung
zurückzukehren, aus. Das Klima erforderte die Vielweiberei,
und sie haben schließlich den Sieg des Korans der Erniedrigung
durch das Kreuz vorgezogen. Eine metaphysische Religion mag zu
fein für die Fassungskraft eines Negers sein, aber ein
Schwarzer oder ein Papagei kann abgerichtet werden, die Worte
des chalcedonischen oder monophysitischen
Glaubensbekenntnisses zu wiederholen.
Tiefere Wurzel schlug das Christentum in dem abessinischen
Reiche (530), und obschon die Verbindung mit der Mutterkirche
von Alexandria oft siebzig, ja hundert Jahre unterbrochen
blieb, erhielt sie ihre Kolonie doch in beständiger
Abhängigkeit. Sieben Bischöfe bildeten einst die abessinische
Synode; wäre ihre Zahl auf zehn gestiegen, so hätten sie einen
unabhängigen Primaten wählen dürfen. Einer ihrer Könige
wünschte, seinen Bruder auf den kirchlichen Thron zu erheben.
Aber man hatte das Ereignis vorausgesehen, verweigerte die
Vermehrung und beschränkte das bischöfliche Amt allgemein auf
den Abuna, das Oberhaupt und den Schöpfer der abyssinischen
Priesterschaft. Der Patriarch ersetzte die erledigte Stelle
jedesmal durch einen ägyptischen Mönch, denn ein Fremder
erscheint in den Augen des Volkes ehrwürdiger und minder
gefährlich in denen des Monarchen. Als sich im sechsten
Jahrhundert das Schisma von Ägypten befestigte, waren die
beiden Parteien mit ihren Beschützern Justinian und Theodora
bestrebt, einander in Erwerbung eines fernen und unabhängigen
Landes zuvorzukommen. Die emsige Kaiserin trug abermals den
Sieg davon, und die fromme Theodora hat in dieser abgelegenen
Kirche den Glauben und die Kirchenzucht der Jakobiten
eingeführt. Auf allen Seiten von Feinden ihrer Religion
umgeben, schlummerten die Äthiopier fast tausend Jahre, der
Welt uneingedenk, die ihrer vergessen hatte. Sie wurden von
den Portugiesen geweckt, die das südliche Vorgebirge von
Afrika umschifften und in Indien und dem Roten Meere
erschienen, gleich als wären sie von einem fernen Planeten
niedergestiegen. In den ersten Augenblicken des
Zusammentreffens bemerkten die Untertanen von Rom und die von
Alexandria mehr die Ähnlichkeit als die Unterschiede ihres
Glaubens, und jede der beiden Nationen erwartete von einem
Bündnisse mit ihren christlichen Brüdern die größten Vorteile.
Die Äthiopier waren in ihrer einsamen Lage fast wieder in
ihren Urzustand zurückgesunken. Ihre Schiffe, die bis Ceylon
Handel getrieben hatten, wagten es kaum, die Flüsse von Afrika
zu befahren; die Trümmer von Axuma waren verlassen, die Nation
in Dörfern zerstreut, und ihr Kaiser, der diesen prunkenden
Titel führte, begnügte sich, im Frieden wie im Kriege mit
einem unbeweglichen Lager als Residenz. Im Bewußtsein ihrer
Dürftigkeit hatten die Abessinier den vernünftigen Plan gefaßt,
europäische Gewerbe und Künste einzuführen, und ihre Gesandten
in Rom und Lissabon erhielten Auftrag, um eine Kolonie von
Schmieden, Zimmerleuten, Zieglern, Maurern, Buchdruckern,
Wundärzten und Ärzten zum Nutzen ihres Vaterlandes zu bitten.
Aber die öffentliche Gefahr forderte bald die unverzügliche
und ausgiebige Hilfe an Waffen und Soldaten, um ein
kriegerisches Volk gegen die Barbaren, die das Innere
verheerten, und gegen die Türken und Araber zu verteidigen,
die in furchtbaren Mengen von der Meeresküste heranrückten.
Äthiopien wurde durch vierhundertfünfzig Portugiesen gerettet,
die im Felde die angeborene Tapferkeit der Europäer
entwickelten und Musketen und Kanonen besaßen. Im ersten
Schrecken hatte der Kaiser versprochen, sich und seine
Untertanen mit dem katholischen Glauben auszusöhnen; ein
lateinischer Patriarch vertrat die Oberhoheit des Papstes. Man
glaubte, daß das Reich, dem man den zehnfachen Umfang gab,
mehr Gold enthalte als die amerikanischen Minen und baute die
ausschweifendsten habsüchtigen Hoffnungen auf die freiwillige
Unterwerfung der afrikanischen Christen.
Aber die Gelübde, die der Schmerz erpreßt hatte, wurden bei
wiederkehrender Gesundheit abgeschworen. Die Abessinier hingen
noch immer dem monophysitischen Bekenntnisse mit
unerschütterlicher Standhaftigkeit an; ihr matter Glaube wurde
durch Zank entflammt, sie brandmarkten die Lateiner mit dem
Namen Arianer und Nestorianer und warfen denjenigen, welche
die zwei Naturen Christi trennten, Anbetung von vier Göttern
vor. Den jesuitischen Missionären wurde Fremona zur
Gottesverehrung oder vielmehr zur Verbannung angewiesen. Ihre
Geschicklichkeit in den edlen wie mechanischen Künsten, ihre
theologische Gelehrsamkeit und ihr anständiges Benehmen
flößten sicherlich Hochachtung ein; es fehlte ihnen jedoch die
Gabe der Wunder, und sie suchten vergebens um Verstärkung
europäischer Truppen an. Geduld während vierzig Jahren und
Gewandtheit verschafften ihnen endlich günstigeres Gehör. Zwei
Kaiser von Abessinien ließen sich zu dem Glauben überreden,
daß Rom das zeitliche und ewige Glück seiner Verehrer sichern
könne. Der erste dieser königlichen Bekehrten verlor Krone und
Leben; das Heer der Rebellen war von dem Abuna geweiht worden,
der ein Anathem gegen den Abtrünnigen schleuderte und seine
Untertanen von dem Treueide entband. Der Tod Zadenghels wurde
durch den mutigen und glücklichen Susneus gerächt, der den
Thron unter dem Namen Segued bestieg und das fromme
Unternehmen seiner Verwandten mit größerer Kraft fortsetzte.
Der Kaiser erklärte sich nach dem Gaukelspiele eines
ungleichen Kampfes zwischen den Jesuiten und seinen
ungelehrten Priestern zum Proselyten der Synode von Chalcedon,
voraussetzend, daß Geistlichkeit und Volk ohne Verzug die
Religion ihres Fürsten annehmen würden. Auf die Freiheit der
Wahl folgte ein Gesetz, das bei Todesstrafe den Glauben an die
zwei Naturen Christi gebot. Den Abessiniern wurde
eingeschärft, am Sabbath zu arbeiten und zu spielen, und
Segued sagte sich vor Europa und Afrika von seiner Verbindung
mit der alexandrinischen Kirche los.
Ein Jesuit, Alphonso Mendez, katholischer Patriarch von
Äthiopien, nahm im Namen des Papstes Urban VIII. die Huldigung
und Abschwörung des Büßlings an (1620). »Ich bekenne«, sprach
der Kaiser kniend, »ich bekenne, daß der Papst der
Stellvertreter Christi, der Nachfolger des heiligen Petrus und
der Gebieter der Welt ist. Ihm schwöre ich wahrhaft Gehorsam
und lege ihm meine Person und mein Königreich zu Füßen.« Ein
ähnlicher Eid wurde von seinem Sohne, Bruder, der
Geistlichkeit, den Edlen, ja sogar von den Frauen des Hofes
geleistet; der lateinische Patriarch wurde mit Ehren und
Reichtümern bedacht, und seine Missionare errichteten ihre
Kirchen oder Zitadellen an den bestgelegenen Punkten des
Reiches. Die Jesuiten selbst beklagen die verderbliche
Unklugheit ihres Oberhauptes, das die Milde des Evangeliums
und die Politik des Ordens vergaß, um übereilt mit Gewalt die
römische Liturgie und die portugiesische Inquisition
einzuführen. Er verdammte den alten, in dem äthiopischen Klima
mehr der Gesundheit als des Glaubens wegen zuerst erfundenen
Brauch der Beschneidung. Eine neue Taufe und Weihe wurde den
Eingeborenen aufgezwungen; sie zitterten vor Schauder, als die
heiligsten ihrer Väter aus den Gräbern gerissen, die
erlauchtesten ihrer Lebenden von einem fremden Priester in den
Bann getan wurden. Die Abyssinier erhoben sich zur
Verteidigung ihrer Religion und Freiheit mit verzweifelter,
aber erfolgloser Wut. Fünf Aufstände wurden im Blut der
Empörer ausgelöscht, zwei Abunas in der Schlacht getötet,
Tausende und Tausende auf dem Felde niedergemetzelt oder in
ihren Höhlen erstickt, und weder Verdienst, noch Rang, noch
Geschlecht konnte die Feinde Roms von schmählichem Tod retten.
Aber der siegreiche Monarch wurde zuletzt durch die
Standhaftigkeit der Nation, durch seine Mutter, seinen Sohn
und seine treuesten Freunde überwunden. Segued lieh der Stimme
des Mitleids, der Vernunft, vielleicht der Furcht Gehör und
sein Edikt, wodurch er Gewissensfreiheit verkündete, enthüllte
zugleich die Tyrannei und die Schwäche der Jesuiten. Basilides
vertrieb nach seines Vaters Tode den lateinischen Patriarchen
und gab der Nation den Glauben und die Kirchenzucht von
Ägypten zurück (1632). Die monophysitischen Kirchen
widerhallten von dem Triumphgesange, »daß die Schafe von
Äthiopien jetzt von den Hyänen des Westens befreit wären«. Die
Tore dieses einsamen Reiches schlössen sich für immer gegen
europäische Künste, Wissenschaften und Glaubenswut.