Viertes Kapitel - Die Franken
(Anmerkung der
Enzyklopädie des Islam: Die hier erfolgenden Schilderungen
sind in keinster weise authentisch und können daher nicht als
Quelle für die Geschichte des Islam angesehen werden. Die
Wiedergabe dient nur dazu, um darzulegen, wie in der
Westlichen Welt auf den
Islam geblickt worden ist.)
Einführung, Verehrung und Verfolgung der
Bilder. – Empörung Italiens und Roms. – Weltliche Herrschaft
der Päpste. – Eroberung Italiens durch die Franken. –
Wiedereinführung der Bilder. – Charakter und Krönung Karls des
Großen. – Wiederherstellung und Verfall des römischen
Kaisertums im Abendlande. – Unabhängigkeit Italiens. –
Verfassung des deutschen Reiches
In der Verbindung der Kirche mit dem Staate habe ich jene
stets nur als dem letzteren dienend und sich auf ihn beziehend
betrachtet, eine heilsame Maxime, wenn sie nur in Wirklichkeit
wie in der Darstellung stets heilig gehalten worden wäre. Ich
habe geflissentlich die orientalische Philosophie der
Gnostiker, die Vorherbestimmung und Gnade und die merkwürdige
Verwandlung des Abendmahls in den wirklichen Leib Christi dem
Forschen sinnender Theologen überlassen. Mit Emsigkeit und
Vergnügen habe ich aber bei denjenigen Ereignissen der
Kirchengeschichte verweilt, die einen wesentlichen Einfluß auf
das Sinken und den Fall Roms hatten, bei der Ausbreitung des
Christentums, der Verfassung der katholischen Kirche, dem
Sturz des Heidentums und den Sekten, die aus den mysteriösen
Streitigkeiten über die Dreieinigkeit und die Menschwerdung
entstanden sind. An die Spitze dürfen wir mit Recht die
Bilderverehrung stellen, um die im achten und neunten
Jahrhundert so grimmig gestritten wurde, weil ein
Glaubensstreit die Empörung von Italien, die weltliche
Herrschaft der Päpste und die Wiederherstellung des römischen
Reiches im Abendlande zur Folge hatte.
Die ersten Christen hatten einen unbezwinglichen Abscheu
vor der Verehrung und dem Mißbrauch von Bildern, und dieser
Abscheu muß ihrer Abstammung von den Juden und ihrer
Feindschaft gegen die Griechen zugeschrieben werden. Das
mosaische Gesetz hatte alle bildlichen Darstellungen der
Gottheit streng verboten, und diese Vorschriften waren in den
Grundsätzen und dem Leben des auserwählten Volkes fest
verankert. Die christlichen Redner wendeten sich gegen die
törichten Bildner und verspotteten sie, die sich vor dem Werke
ihrer eigenen Hände beugten. Die Standbilder aus Erz und
Marmor, die von ihnen künstlerisch geschaffen wurden, hätten
eher von ihrem Gestell springen müssen, um die schaffende
Kraft des Künstlers anzubeten. Es konnte sein, daß einige neue
und unvollkommen Bekehrte vom gnostischen Schlage die
Standbilder Christi und des heiligen Paulus mit profanen Ehren
krönten, wie sie dies mit jenen des Aristoteles und Pythagoras
taten, aber der öffentliche Gottesdienst der Rechtgläubigen
war einfach und geistig. Die erste Erwähnung der
Bilderverehrung stammt von der Kirchenversammlung von
Illiberis, wo sie getadelt wurde, dreihundert Jahre nach
Beginn der christlichen Zeitrechnung. Unter Konstantins
Nachfolgern, im Frieden und in der Üppigkeit der
triumphierenden Kirche ließen sich die klugen Bischöfe herab,
zum Besten der Menge die Verehrung sichtbarer Dinge zu
unterstützen, und nach dem Sturz des Heidentums fürchteten sie
sich vor einem gehässigen Vergleich nicht länger. Die erste
Verehrung von Symbolen war die des Kreuzes und der Reliquien.
Die Heiligen und Märtyrer, um deren Fürbitte man flehte, saßen
zur Rechten Gottes, und die gnadenreichen und oft
übernatürlichen Wunder, die dem Volksglauben zufolge bei ihrem
Grab geschahen, gaben den frommen Pilgern, die diese
entseelten Überreste, die Denkmäler ihrer Verdienste und
Leiden besuchten, berührten und küßten, unbestrittene
Heiligung. Aber ein bei weitem interessanteres Denkmal als der
Schädel oder die Sandalen eines dahingeschiedenen Frommen ist
die treue Abbildung seiner Person und Gestalt durch Malerei
oder Bildhauerei. In jedem Jahrhundert sind solche den
menschlichen Gefühlen zusagende Abbildungen aus persönlicher
Freundschaft oder öffentlicher Achtung wegen in Schutz
genommen worden. Die Standbilder der römischen Kaiser
erhielten bürgerliche, fast religiöse Ehrenbezeigungen; eine
minder prunkende aber aufrichtige Verehrung wurde den
Standbildern der Weisen und Patrioten gezollt. Aber diese
profanen Tugenden, diese glänzenden Sünden verschwanden
angesichts der heiligen Männer, die für ihr himmlisches und
ewiges Vaterland gestorben waren. Zuerst wurde der Versuch
vorsichtig und zweifelnd gemacht. Man erlaubte zur Belehrung
der Unwissenden, zur Befeuerung der Lauen und um den
heidnischen Proselyten zu schmeicheln, umsichtig die Verehrung
dieser ehrwürdigen Gemälde. Langsam aber unvermeidlich wurden
die Ehren, die man dem Original erwies, auf die Kopie
übertragen. Der fromme Christ betete vor dem Bilde eines
Heiligen, und der heidnische Ritus der Kniebeugungen, der
Lichter und des Weihrauches schlich sich in die Gebräuche der
katholischen Kirche ein. Fromme oder vernünftige Zweifel
wurden durch das mächtige Zeugnis der Erscheinungen und Wunder
zum Schweigen gebracht; Gemälde, die sprechen, sich regen,
bluten, müssen mit göttlicher Kraft begabt sein und dürfen als
die geeigneten Gegenstände religiöser Verehrung betrachtet
werden. Auch der kühnste Maler konnte bei dem verwegenen
Versuch beben, den unendlichen Geist, den ewigen Vater, der
das Weltall durchdringt und erhält, in Gestalt und Farben
darzustellen. Leichter versöhnt sich die gläubige Seele damit,
die Engel und vor allem den Sohn Gottes in Menschengestalt,
die sie auf Erden anzunehmen sich herabgelassen haben, zu
malen und anzubeten. Die zweite Person der heiligen
Dreieinigkeit war mit einem wirklichen und sterblichen Leibe
ausgestattet; aber dieser Leib war zum Himmel aufgefahren, und
wenn nicht irgendein Bild davon seinen Schülern vor Augen
gestellt worden wäre, hätte die geistige Verehrung Christi
leicht durch die sichtbaren Reliquien und Darstellungen der
Heiligen verdrängt werden können. Ähnliches war für die
Jungfrau Maria erforderlich und günstig. Ihr Grab war
unbekannt, und an die Himmelfahrt ihrer Seele wie ihres Leibes
wurde von den gläubigen Griechen und Lateinern geglaubt. Der
Gebrauch und sogar die Verehrung der Bilder war vor Ablauf des
sechsten Jahrhunderts fest begründet; die Griechen und Asiaten
hingen mit Inbrunst an ihnen. Das Pantheon und der Vatikan
schmückten sich mit den Zeichen eines neuen Glaubens. Kälter
aber wurde dieser scheinbare Götzendienst von den rohen
Barbaren und der arianischen Geistlichkeit des Westens
aufgenommen. Die Statuen in Erz oder Marmor, welche die Tempel
des Altertums füllten, waren den christlichen Griechen
anstößig, und eine ebene Fläche mit Farben ist stets als eine
anständigere und harmlosere Art der Nachahmung angesehen
worden.
Die Güte und die Wirkung eines Porträts hängen von seiner
Ähnlichkeit mit dem Original ab, aber die Christen der Urzeit
kannten die Züge Christi, seiner Mutter und der Apostel nicht.
Das Standbild Christi in Paneas in Palästina war aller
Wahrscheinlichkeit nach das eines irdischen Erlösers. Die
Gnostiker und ihre profanen Denkmäler wurden verworfen, und
die Phantasie der menschlichen Künstler konnte nur durch die
heimliche Nachahmung irgendeines heidnischen Modells geleitet
werden. In dieser Verlegenheit wurde durch eine kühne und
geschickte Erfindung auf einmal die Ähnlichkeit des Bildes und
die unschuldige Verehrung außer Zweifel gestellt. Ein neuer
Fabelbau wurde durch eine syrische Volkssage auf den
Briefwechsel Christi mit Abgarus gestützt, die in den Tagen
des Eusebius so berühmt war und von den neueren Anwälten nur
mit Widerstreben aufgegeben worden ist. Der Bischof von
Cäsarea gedenkt des Briefes, aber er vergißt höchst seltsamer
Weise des Bildes Christi, des vollständigen Abdruckes seines
Gesichtes auf Leinwand, womit er den königlichen Fremden
belohnte, der seine heilende Kraft angerufen und ihm die feste
Stadt Edessa zum Schutze gegen die boshaften Juden angeboten
hatte. Die Unwissenheit der ersten Kirche wird dadurch
erklärt, daß das Bild lange in einer Blende der Mauer
verborgen war, aus der es nach fünfhundert Jahren von einem
Bischof hervorgeholt und zur gelegenen Zeit den Andächtigen
gezeigt wurde. Seine erste und glorreichste Tat war die
Befreiung der Stadt von Chosroes Nushirwan und es wurde bald
als das geheiligte Pfand der göttlichen Verheißung verehrt,
daß Edessa nie von einem auswärtigen Feinde eingenommen werden
solle. Es ist allerdings wahr, daß Prokopius die doppelte
Befreiung von Edessa den reichen und tapferen Bürgern
zuschreibt, die einmal den Abzug des persischen Monarchen
erkauften und das andere Mal seine Angriffe zurückwiesen. Er
wußte nichts, der profane Geschichtsschreiber, von dem
Zeugnisse, das er in der Kirchengeschichte des Evagrius zu
geben gezwungen war, daß das Palladium auf dem Walle
ausgesetzt worden sei, und daß das Wasser, womit man das
heilige Antlitz besprengte, statt zu löschen, den Flammen neue
Nahrung gegeben habe. Nach diesem wichtigen Dienste wurde das
Bild von Edessa ehrfürchtig und dankbar aufbewahrt; und wenn
die Armenier die Legende verwarfen, beteten die
leichtgläubigeren Griechen das Bildnis an, das nicht das Werk
eines irdischen Malers, sondern die unmittelbare Schöpfung des
Originales war. Stil und Inhalt einer byzantinischen Hymne
mögen andeuten, wie weit die Verehrung von der gröbsten
Götzendienerei entfernt war. »Wie können wir mit sterblichen
Augen dieses Bild betrachten, dessen himmlischen Glanz die
Scharen des Himmels nicht zu schauen wagen! Er, der im Himmel
wohnt, läßt sich heute herab, uns durch sein ehrwürdiges Bild
zu besuchen; er, der auf Cherubim thront, sucht uns diesen Tag
in einem Gemälde heim, das der Vater mit seiner unbefleckten
Hand gezeichnet, das er auf eine unaussprechliche Weise
geformt hat und das wir heiligen, indem wir es mit Furcht und
Liebe anbeten.« Vor dem Ende des sechsten Jahrhunderts waren
diese nicht von Menschen gemachten (im Griechischen ein Wort)
Bilder in den Lagern und Städten des morgenländischen Reiches
verbreitet. Sie waren Gegenstände der Verehrung und Werkzeuge
der Wunder, ja in der Stunde der Gefahr oder des Aufruhrs
konnte die Schaustellung dieser ehrwürdigen Bilder die
Hoffnungen der römischen Legionen beleben, ihren Mut
auffrischen oder ihre Wut bändigen. Von diesen Gemälden war
der größte Teil Kopien. Sie konnten nur auf eine geringe
Ähnlichkeit Anspruch erheben. Es gab aber auch einige bessere,
die ihre Ähnlichkeit unmittelbarer von dem Original
herleiteten, das zu diesem Zweck mit einer wunderbaren und
zeugenden Kraft begabt war. Den besten schrieb man dieselbe
Wunderkraft wie dem Bilde von Edessa zu; dazu gehört das Tuch
der Veronika in Rom oder in Spanien oder in Jerusalem, das
dadurch entstand, daß Christus in seinem Schmerzenskampfe und
blutigem Schweiß ein Tuch über sein Gesicht breitete und es
einer frommen Matrone schenkte. Dieses fruchtbare Beispiel
wurde schleunigst bezüglich der Jungfrau Maria und der
Heiligen und Märtyrer nachgeahmt. In der Kirche in Diospolis
in Palästina waren die Züge der Mutter Gottes tief in eine
Marmorsäule eingeprägt. Der Osten und Westen ist vom heiligen
Lukas geschmückt worden und der Evangelist, der vielleicht ein
Arzt war, wurde genötigt, das in den Augen der ersten Christen
so gottlose und verhaßte Gewerbe eines Malers auszuüben. Der
olympische Jupiter, wie ihn Homer und Phidias schuf, konnte
einen Philosophen zu augenblicklicher Andacht begeistern aber
diese orthodoxen Bilder waren schlecht und platt von
mönchischen Künstlern in der äußersten Entartung des
Geschmackes und Geistes gezeichnet.
Die Verehrung der Bilder hatte sich fast unmerklich in die
Kirche eingeschlichen, und jeder kleine Schritt sagte einem
gläubigen Gemüt als Trost zu und sprach frei von Sünde. Aber
im Anfang des achten Jahrhunderts, auf der Höhe des Mißbrauchs,
wurden die furchtsamen Griechen durch die Besorgnis gequält,
sie könnten unter der Maske des Christentums die Religion
ihrer Väter wiederhergestellt haben. Sie hörten mit Schmerz
und Entrüstung den Namen Götzendiener, diese ewige
Beschuldigung der Juden und Mohammedaner, die aus dem
mosaischen Gesetze und dem Koran einen unsterblichen Haß gegen
gemalte Bilder und alle darauf bezügliche Verehrung eingesogen
hatten. Die Knechtschaft der Juden konnte ihren Eifer zähmen
und ihr Ansehen herabsetzen, aber die triumphierenden
Muselmanen, die in Damaskus herrschten und Konstantinopel
bedrohten, warfen Wahrheit und Sieg in die Waagschale. Die
Städte von Syrien, Palästina und Ägypten prunkten alle mit den
Bildern Christi, Marias und der Heiligen, und jede Stadt nahm
für sich die Hoffnung oder Verheißung einer wunderbaren
Verteidigung in Anspruch. Die schnell erobernden Araber
bezwangen in zehn Jahren Städte wie Bilder. Ihrer Meinung nach
hatte der Herr der Heerscharen ein entscheidendes Urteil über
die Anbetung und Verachtung dieser stummen und leblosen Bilder
gefällt. Den Angriffen der Perser hatte Edessa allerdings
getrotzt, aber auch die auserwählte Stadt, die Braut Christi,
wurde in das allgemeine Verderben verwickelt, und die
Ungläubigen führten das göttliche Bild als Siegeszeichen mit
sich. Nach dreihundert Jahren wurde das Palladium der Andacht
von Konstantinopel für ein Lösegeld von zwölftausend Pfund
Silber, die Freilassung von zweihundert Muselmanen und einen
immerwährenden Waffenstillstand für das Gebiet von Edessa
wieder erworben. In dieser Zeit der Not und des Entsetzens
wandten die Mönche ihre Beredsamkeit zur Verteidigung der
Bilder an. Sie versuchten zu beweisen, daß die Sünde und das
Schisma des größten Teiles der Orientalen sie um die Gunst
dieser unschätzbaren Symbole gebracht und deren Wunderkraft
vernichtet habe. Jetzt aber stellten sich ihnen viele einfache
und verständige Christen entgegen, die sich auf das Zeugnis
der Texte, der Tatsachen und auf die Urzeit der Religion
beriefen und insgeheim eine Reform der Kirche wünschten. Da
die Verehrung der Bilder niemals durch ein allgemeines Gesetz
eingeführt worden war, hatten die Verschiedenheiten der
Menschen und Sitten, der Grad örtlicher Bildung und die
persönlichen Charaktere der Bischöfe deren Fortschritte im
morgenländischen Reiche bald verzögert und bald beschleunigt.
Die leichtsinnige Hauptstadt und die erfinderische
byzantinische Geistlichkeit hing innig an dieser glänzenden
Art der Andacht, während die unzivilisierten und fernen
Distrikte Asiens dieser Neuerung fernblieben. Viele große
Gemeinden der Gnostiker und Arianer bewahrten auch nach ihrer
Bekehrung den einfachen Gottesdienst, und die Armenier, Roms
kriegerischste Untertanen, hatten sich sogar im zwölften
Jahrhundert mit der Verehrung der Bilder noch nicht
ausgesöhnt. In diesen verschiedenen Menschen bildeten sich
Quellen des Vorurteils und Abscheus; in den anatolischen und
thrakischen Städten von geringerer Bedeutung konnte aber ein
glücklicher Krieger, Prälat oder Eunuch entscheidenden Einfluß
auf Kirche und Staat gewinnen.
Der glücklichste dieser Abenteurer war Kaiser Leo III., der
aus den isaurischen Gebirgen kommend, auf den Thron des
Morgenlandes stieg. Er verstand sich weder auf heilige noch
auf weltliche Wissenschaften. Erziehung aber, Verstand und
vielleicht Verkehr mit Juden und Arabern hatten dem
kriegerischen Bauern Haß gegen die Bilder eingeflößt, und er
hielt es für seine fürstliche Pflicht, seinen Untertanen die
Gebote seines eigenen Gewissens aufzuerlegen. Im Beginne einer
noch nicht gefestigten Regierung, während zehn mühevollen,
gefährlichen Jahren, unterwarf sich Leo in niedriger
Heuchelei, beugte sich vor Dingen, die er verachtete und
stellte den römischen Bischof durch jährlich erfolgende
Beteuerungen seiner Rechtgläubigkeit und seines Eifers
zufrieden. Seine ersten Schritte zur Reformierung der Religion
zeigten Mäßigung und geschahen mit Behutsamkeit; er
versammelte einen großen Rat von Senatoren und Bischöfen und
setzte mit ihrer Einwilligung fest, daß die Bilder vom
Heiligtum und Altar weggenommen und in einer angemessenem Höhe
in der Kirche, wo sie zwar dem Volke sichtbar, aber nicht
zugänglich wären, aufgestellt werden sollten. Aber es war auf
beiden Seiten unmöglich, den Trieb der Verehrung zu zügeln;
von ihrem hohen Standpunkte erbauten die heiligen Bilder ihre
Verehrer auch fernerhin und spotteten des Tyrannen. Er selbst
wurde durch Widerstand und Schmähung gereizt, ja seine eigene
Partei klagte ihn an, seine Pflicht unvollständig zu erfüllen
und drang in ihn, das Beispiel des jüdischen Königs
nachzuahmen, der ohne Bedenken die eherne Schlange des Tempels
zerbrochen habe. Durch ein zweites Edikt verbot er die
Verehrung religiöser Gemälde und befahl auch deren
Vernichtung; die Kirchen Konstantinopels und des Ostens wurden
vom Bilderdienste gereinigt; die Bilder Christi, der Jungfrau
oder der Heiligen wurden zerschlagen oder mit einer Schicht
Kalk überstrichen. Die Bilderfeinde wurden von fünf
despotischen, glaubenseifrigen Kaisern unterstützt und
Morgenland und Abendland in einen aufsehenerregenden Streit
von hundertzwanzigjähriger Dauer verwickelt. Es war die
Absicht des isaurischen Leos gewesen, die Verdammung der
Bilder als einen Glaubensartikel durch eine allgemeine
Kirchenversammlung verkünden zu lassen; aber die Einberufung
einer solchen Versammlung war erst seinem Sohne Konstantin
vorbehalten. Obschon diese Versammlung später von Gläubigen
als eine Zusammenkunft von Narren und Atheisten gebrandmarkt
worden ist, entdeckt man in ihren, nur zum Teil vorhandenen
und verstümmelten Akten, Spuren von Vernunft und Frömmigkeit.
Die Verhandlungen und Beschlüsse mehrerer Provinzialsynoden
führten zur Berufung einer allgemeinen Kirchenversammlung, die
in den Vorstädten von Konstantinopel zusammentrat (754) und
aus der achtunggebietenden Anzahl von
dreihundertachtunddreißig Bischöfen aus Europa und Anatolien
bestand; denn die Patriarchen von Antiochia und Alexandria
waren die Sklaven des Kalifen, und der römische Papst hatte
die Kirchen Italiens und des Westens der Gemeinschaft der
griechischen entzogen. Diese byzantinische Synode maßte sich
den Rang und die Gewalt der siebenten allgemeinen
Kirchenversammlung an; dieser Titel selbst jedoch war eine
Anerkennung der sechs vorhergehenden Versammlungen, die das
Gebäude des katholischen Glaubens mühsam aufgebaut hatten.
Nach sechsmonatlicher ernster Beratung fällten und
unterschrieben die dreihundertachtunddreißig Bischöfe die
einstimmigen Beschlüsse: daß alle sichtbaren Symbole Christi,
mit Ausnahme des heiligen Abendmahls, entweder
gotteslästerlich oder ketzerisch wären; daß die
Bilderverehrung eine Verderbnis des Christentums und eine
Erneuerung des Heidentums sei; daß alle solchen Denkmäler
zerbrochen oder ausgelöscht werden sollten und daß diejenigen,
die sich weigern würden, ihre Bilder auszuliefern, sich des
Ungehorsams gegen die Kirche und den Kaiser schuldig machen
würden. Sie priesen laut das Verdienst ihres zeitlichen
Erlösers und übertrugen die Vollstreckung ihrer geistlichen
Rügen seinem Eifer und seiner Gerechtigkeit. In Konstantinopel
gab wie bei allen früheren Kirchenversammlungen der Kaiser den
Bischöfen die Richtschnur für den Glauben. Diesmal vermute ich
jedoch, daß die große Mehrheit der Prälaten ihr Gewissen aus
Furcht und Hoffnung opferte. Seit langer Zeit waren die
Christen weit von der Einfachheit des Evangeliums abgekommen,
und es war für sie nicht leicht, sich in den Irrgängen des
Labyrinths zurechtzufinden. Die Verehrung der Bilder hing,
wenigstens für eine fromme Phantasie, unzertrennlich mit dem
Kreuze, der Jungfrau, den Heiligen und ihren Reliquien
zusammen; der geheiligte Boden war in eine Wolke von Wundern
und Gesichten gehüllt, und Forsch- und Zweifelsucht durch den
gewohnten Gehorsam und Glauben erstickt. Konstantin selbst
wird allerdings beschuldigt, sich die kaiserliche Freiheit
herausgenommen zu haben, die katholischen Mysterien
bezweifelt, geleugnet und verhöhnt zu haben, aber sie waren
tief in dem Glauben seiner Bischöfe verankert, und der kühnste
Bilderstürmer konnte nur mit geheimem Schauer die seinem
himmlischen Beschützer geweihten Denkmäler des Volksglaubens
angreifen. In der Reformation des sechzehnten Jahrhunderts
hatten Freiheit und Kenntnisse alle Fähigkeiten des Menschen
erweitert; der Durst nach Neuerungen überwältigte die
Ehrfurcht vor dem Altertum, und das kräftige Europa konnte
jene Phantome verachten, welche die kränklichen, schwachen und
knechtischen Griechen erschreckten.
Abstrakte Ketzerei kann dem Volke nur durch das Geschmetter
kirchlicher Trompeten kund werden, aber die Entweihung und den
Sturz sichtbarer Gottheiten muß auch der Unwissendste
gewahren, auch der Kälteste fühlen. Die ersten
Feindseligkeiten Leos waren gegen ein erhöht angebrachtes
Christusbild im Vorhofe über dem Tore des Palastes gerichtet.
Eine Leiter war aufgestellt worden, aber eine Schar Zeloten
und Weiber rüttelte daran mit solcher Wut, daß unter ihrem
frommen Freudengeschrei die Diener des Frevels von der Höhe
stürzten und auf dem Pflaster zerschmetterten, und die
Verbrecher, die mit Recht für Mord und Aufruhr litten,
vernichteten die Ehren alter Märtyrer. In häufigen Tumulten in
Konstantinopel und in den Provinzen widersetzte man sich der
Vollstreckung der kaiserlichen Edikte; Leo selbst geriet in
Gefahr, seine Beamten wurden niedergemetzelt, und das
enthusiastische Volk konnte nur durch die kräftigsten
Anstrengungen der Zivil- und Militärgewalt unterdrückt werden.
Die zahlreichen Inseln des Archipelagus waren mit Bildern und
Mönchen angefüllt; ihre Verehrer schworen ohne Bedenken den
Feinden Christi, seiner Mutter und der Heiligen Rache,
bemannten eine Flotte, entfalteten ihr geheiligtes Panier und
steuerten kühn nach dem Hafen von Konstantinopel, um einen
neuen Günstling Gottes auf den Thron zu setzen. Sie verließen
sich auf Wunder, aber ihre Wunder vermochten nichts gegen das
griechische Feuer, und nach ihrer Niederlage und Verbrennung
ihrer Flotte waren die schutzlosen Inseln den milden oder
gerechten Siegern preisgegeben. Der Sohn Leos hatte im ersten
Jahre seiner Regierung einen Zug gegen die Sarazenen
unternommen; während seiner Abwesenheit bemächtigte sich sein
Anverwandter Artavasdes, der ehrgeizige Verfechter des
orthodoxen Glaubens, der Hauptstadt, des Palastes und des
Purpurs. Triumphierend wurde die Verehrung der Bilder wieder
erlaubt; der Patriarch legte entweder seine Heuchelei ab oder
verheimlichte seine Gesinnungen, und der Usurpator wurde
sowohl im alten als im neuen Rom anerkannt. Konstantin suchte
Zuflucht in den Gebirgen seiner Väter, stieg von ihnen aber
bald an der Spitze seiner kühnen und getreuen Isaurier herab.
Sein entscheidender Sieg vernichtete die Fanatiker und mit
ihnen ihre Prophezeiungen. Seine lange Regierung war von
Aufruhr, Verschwörung, gegenseitigem Hasse und blutiger Rache
zerrüttet; die Verfolgung der Bilder diente seinen Gegnern als
Beweggrund oder Vorwand, und wenn sie das Diadem nicht
errangen, wurden sie von den Griechen mit der Märtyrerkrone
belohnt. Bei jedem offenen wie geheimen Verrate fühlte der
Kaiser die unversöhnliche Feindschaft der Mönche, der getreuen
Sklaven des Glaubens, dem sie ihre Reichtümer und ihren
Einfluß verdankten. Sie beteten, predigten, sprachen,
entflammten die Menge und verschworen sich; aus der Einöde von
Palästina wurde ein Strom von Schmähungen ausgegossen und der
heilige Johannes von Damaskus, der letzte der griechischen
Kirchenväter, weihte das Haupt des Tyrannen sowohl in dieser
wie in jener Welt dem Verderben. Ich kann nicht untersuchen,
inwieweit die Mönche ihre wirklichen oder vorgeblichen Leiden
herausgefordert oder übertrieben haben oder wie viele durch
den grausamen Kaiser Leben und Gliedmaßen, Augen und Bärte
verloren haben. Er züchtigte den einzelnen und schritt dann
zur Abschaffung des ganzen Standes, und da dieser reich und
unnütz war, wurde sein Ingrimm durch Habsucht aufgestachelt
und durch Patriotismus gerechtfertigt. Der furchtbare Name und
die Sendung des Drachen, seines Generalvisitators, erregten
den Schrecken und Abscheu des Volkes. Die Gemeinden der Mönche
wurden aufgelöst, die Gebäude in Vorratshäuser oder Kasernen
verwandelt und die Ländereien, die bewegliche Habe und das
Vieh eingezogen. Die Vorgänge in späteren Zeiten unterstützten
die erhobene Anschuldigung, daß viele mutwillige oder boshafte
Untaten an den Reliquien, ja sogar an den Büchern der Klöster
verübt worden sind. Zugleich mit den Mönchen, wurde die
öffentliche und häusliche Verehrung der Bilder streng
geächtet, und es scheint, daß die feierliche Abschwörung der
Bilderverehrung von den Untertanen oder wenigstens von der
Geistlichkeit des morgenländischen Reiches gefördert wurde.
Der geduldige Osten schwor mit Widerwillen seine
geheiligten Bilder ab; aber die unabhängigen Italiener hingen
fest an ihnen und verteidigten sie kraftvoll. An kirchlichem
Range und in der Gerichtsbarkeit waren der
konstantinopolitanische Patriarch und der römische Papst
einander gleich. Aber der griechische Prälat war ein
Haussklave seines Gebieters, auf dessen Wink er abwechselnd
auf den Thron stieg und vom Thron ins Kloster wanderte. Die
gefährliche und ferne Stellung mitten unter den Barbaren des
Westens machte die römischen Bischöfe mutig und frei. Daß sie
vom Volke gewählt wurden, machte sie den Römern wertvoller;
sie halfen mit ihrem großen Einkommen der öffentlichen sowie
der häuslichen Armut ab, und die Schwäche oder die
Nachlässigkeit der Kaiser zwang sie, sowohl im Frieden als im
Krieg, für die Sicherheit der Stadt zu sorgen. In der Schule
des Unglücks sog der Priester allmählich die Tugenden und den
Ehrgeiz eines Fürsten ein; der Italiener, Grieche oder Syrer,
der den Stuhl des heiligen Petrus bestieg, verfolgte dieselbe
Politik, und nach dem Verlust der Legionen und Provinzen
stellten die genialen Päpste mit Glück die Oberhoheit Roms
abermals her. Man stimmt darin überein, daß ihre Herrschaft
sich im achten Jahrhundert auf Empörung stützte und daß diese
Empörung durch die Ketzerei der Bilderstürmer veranlaßt und
gerechtfertigt wurde; das Verhalten des zweiten und dritten
Gregor in diesem denkwürdigen Kampfe wird von Freunden und
Feinden verschieden ausgelegt. Die byzantinischen
Schriftsteller erklären einmütig, daß sie nach einer
fruchtlosen Ermahnung die Trennung des Ostens vom Westen
erklärten und dem frevelhaften Tyrannen das Einkommen und die
Herrschaft von Italien entzogen. Noch klarer drücken sich die
Griechen, welche die päpstlichen Triumphe sahen, über die
Ausschließung aus der Kirchengemeinschaft aus, und da sie an
ihrer Religion fester hingen als an ihrem Vaterland, so
zollten sie dem Eifer und der Orthodoxie dieser apostolischen
Männer Lob statt Tadel. Die neuen Verfechter der Sache Roms
nahmen gierig das Lob an und waren mit der Trennung
einverstanden; diese große und glorreiche Absetzung
königlicher Ketzer wird von den Kardinälen Baronius und
Bellarmin gepriesen und wenn man sie fragt, warum ähnliche
Bannstrahlen nicht auch gegen die Nerone und Juliane des
Altertums geschleudert worden sind, so antworten sie, daß die
Schwäche der ersten Kirche der alleinige Grund für ihre
geduldige Treue gewesen sei. Die eifrigen Protestanten, welche
die Entrüstung und Besorgnis der Fürsten und Obrigkeiten
erregen, verbreiten sich über den Hochmut und Hochverrat der
beiden Gregore gegen ihren rechtmäßigen Souverän. Sie werden
nur von den gemäßigten Katholiken, hauptsächlich der
gallikanischen Kirche, verteidigt, die den Heiligen ehren ohne
die Sünde zu billigen. Diese gemeinsamen Verteidiger der Krone
und der Inful bemühen sich, die wahren Tatsachen durch
Gerechtigkeit, Schrift und Überlieferung zu beweisen und
berufen sich auf das Zeugnis der Lateiner und die Biographien
und Briefe der Päpste selbst.
Zwei echte Briefe von Gregor II. an Kaiser Leo sind noch
vorhanden. Wenn sie auch nicht als vollkommenste Muster der
Logik und Beredsamkeit gepriesen werden können, so zeigen sie
doch das Bild oder wenigstens die Maske des Stifters der
päpstlichen Monarchie. »Zehn reine und glückliche Jahre«,
wendet sich Gregor an den Kaiser, »hatten wir alljährlich den
Trost, deine kaiserlichen, von deiner eigenen Hand
unterschriebenen Briefe zu empfangen, die geheiligten Pfänder
deiner Anhänglichkeit an den orthodoxen Glauben unserer Väter.
Wie beklagenswert ist die Umwandlung! Wie entsetzlich das
Ärgernis! Du klagst nun die Katholiken der Götzendienerei an
und verrätst durch deine Anklage deine eigene Unfrömmigkeit
und Unwissenheit. Wir sind gezwungen, uns dieser Unwissenheit
anzupassen; die ersten Elemente der Heiligen Schrift reichen
zu deiner Widerlegung hin, und wenn du in eine
grammatikalische Schule trätest und dich zum Feinde unseres
Gottesdienstes erklärtest, würden dir die einfältigen und
frommen Kinder ihre ABC-Bücher, an den Kopf werfen.« Nach
diesem höflichen Gruß sucht der Papst den Unterschied zwischen
den Götzen des Altertums und den Bildern der Christen zu
zeigen. Jene waren die phantastischen Vorstellungen von
Phantomen und Dämonen zu einer Zeit, wo der wahre Gott seine
Person noch in keiner sichtbaren Gestalt geoffenbart hatte.
Die letzteren sind die echten Abbildungen Christi, Marias und
der Heiligen, die durch viele Wunder diese Verehrung gebilligt
haben. Und fürwahr, er mußte auf die Unwissenheit Leos bauen,
weil er behauptete, daß Bilder seit dem apostolischen
Zeitalter und bei den sechs Synoden der katholischen Kirche
verehrt wurden. Als besseren Grund führt er den gegenwärtigen
Besitz an Bildern und ihren allgemeinen Gebrauch an; die
Übereinstimmung der christlichen Welt mache eine allgemeine
Kirchenversammlung überflüssig, ja Gregor erklärt offen, daß
solche Versammlungen nur unter der Regierung eines
rechtgläubigen Fürsten von Nutzen sein könnten. Dem
unverschämten und unmenschlichen, mit der schweren Schuld
eines Ketzers beladenen Leo empfiehlt er Frieden, Schweigen
und unbedingte Unterwerfung unter seine geistlichen Führer von
Konstantinopel und Rom. Die Grenzen der bürgerlichen und
kirchlichen Gewalt werden vom Papst bestimmt. Jener eignet er
den Körper, dieser die Seele zu; das Schwert der Gerechtigkeit
befinde sich in den Händen der Obrigkeit, die furchtbare Waffe
der Exkommunikation sei der Geistlichkeit anvertraut, und in
der Ausübung des göttlichen Berufes werde ein eifriger Sohn
seinen sündhaften Vater nicht schonen; der Nachfolger des
heiligen Petrus könne mit Recht die Könige der Erde züchtigen.
»Du fassest nach uns, o Tyrann, mit fleischlicher und
kriegerischer Hand; unbewaffnet und nackt können wir nur
Christus anrufen, den Fürsten der himmlischen Heerscharen, auf
daß er dir einen Teufel sende, um deinen Leib zu zerstören und
deine Seele zu retten. Du erklärst mit törichtem Übermut: ich
werde einen Befehl nach Rom senden, werde das Bild des
heiligen Petrus zertrümmern, und Gregor soll, gleich seinem
Vorgänger Martin, in Ketten vor die Stufen des kaiserlichen
Thrones geschleppt werden. Wollte Gott, es wäre mir gestattet,
in die Fußstapfen des heiligen Martin zu treten; aber möge das
Schicksal Konstans den Verfolgern der Kirche als Warnung
dienen! Nach seiner gerechten Verdammung durch die Bischöfe
von Sizilien wurde der Tyrann in der Fülle seiner Sünden durch
einen Diener seines Hauses getötet. Der Heilige wird noch von
den Völkern Skythiens verehrt, unter denen er verbannt sein
Leben endete. Unsere Pflicht aber gebietet, zur Erbauung und
Beschützung des Volkes zu leben, auch haben wir nicht nötig,
unser Heil von dem Ausgang eines Kampfes abhängig zu machen.
Unfähig, wie du bist, deine römischen Untertanen zu
verteidigen, mag vielleicht die Lage der Stadt am Meere sie
deinen Räubereien aussetzen; wir aber können uns nach der
ersten Festung der Lombarden begeben, die nur vierundzwanzig
Meilen entfernt ist, und dann – kannst du die Winde verfolgen.
Weißt du nicht, daß die Päpste das Band der Vereinigung, die
Mittler des Friedens zwischen dem Osten und dem Westen sind?
Die Augen der Nationen sind uns zugewendet, und sie verehren
den Apostel Petrus, dessen Bild du zu zerbrechen drohst. Die
fernen Königreiche des Westens bringen ihre Huldigungen
Christus und seinem Stellvertreter dar, und in diesem
Augenblicke schicken wir uns an, einen seiner mächtigsten
Monarchen zu besuchen, der sich sehnt, aus unseren Händen das
Sakrament der Taufe zu empfangen. Die Barbaren haben sich dem
Evangelium unterworfen, während du allein taub bist gegen die
Stimme des Hirten. Diese frommen Barbaren sind voll Wut; sie
dürsten, die Verfolgung des Ostens zu rächen. Gib dein
verwegenes und verderbliches Beginnen auf; denke nach,
zittere, bereue. Wenn du beharrst, sind wir an dem Blute, das
in dem Kampfe vergossen werden wird, unschuldig; möge es auf
dein Haupt fallen!«
Dem ersten Angriff Leos auf die Bilder von Konstantinopel
hatte eine Schar von Fremden aus Italien und dem Westen als
Zeugen beigewohnt, die mit Schmerz und Entrüstung vom Frevel
des Kaisers erzählten. Aber bei Empfang seines Ächtungsediktes
zitterten sie für ihre heimischen Gottheiten; die Bilder
Christi, der Jungfrau, der Engel, Märtyrer und Heiligen wurden
in allen Kirchen Italiens verboten und dem Papst bedeutet, er
habe zwischen der kaiserlichen Gunst als Preis für seine
Willfährigkeit oder der Absetzung und Verbannung als Strafe
seines Ungehorsams zu wählen. Weder Religionseifer noch
Politik gestatteten ihm zu zögern, und Gregors stolzer Ton dem
Kaiser gegenüber beweist sein Vertrauen entweder in die
Wahrheit seiner Lehre oder auf die Mittel für seinen
Widerstand. Ohne sich auf Gebete und Wunder zu verlassen,
waffnete er sich kühn gegen den öffentlichen Feind und machte
in seinen Hirtenbriefen die Italiener auf die Gefahr und ihre
Pflicht aufmerksam. Ravenna, Venedig, die Stadt des Exarchats
und der Pentapolis blieben der Religion treu; ihre
Streitkräfte zu Wasser und zu Land bestanden größtenteils aus
Eingeborenen, und Patriotismus und Religionseifer gingen auch
auf die fremden Söldner über. Die Italiener schworen, in
Verteidigung des Papstes und der heiligen Bilder zu sterben;
das römische Volk war seinem Vater ergeben, und selbst die
Lombarden waren begierig, am Verdienst und den Vorteilen
dieses heiligen Krieges teilzunehmen. Die hochverräterischste
Handlung und die schnellste Rache war das Umstürzen der
Standbilder Leos. Die wirksamste und dem Volk wohlgefälligste
Handlung der Empörer bestand darin, ihm den Tribut von Italien
zu verweigern und ihm eine Macht zu rauben, die er kürzlich
durch die Ausschreibung einer neuen Kopfsteuer mißbraucht
hatte. Eine Art Verwaltung wurde durch die Wahl von
Obrigkeiten und Statthaltern beibehalten. So groß war die
Entrüstung der Italiener, daß sie sich anschickten, einen
rechtgläubigen Kaiser zu wählen und ihn mit Heer und Flotte
nach dem Palast von Konstantinopel zu führen. In diesem Palast
wurden die römischen Bischöfe, der zweite und dritte Gregor,
als die Urheber der Empörung verdammt, und man ließ nichts
unversucht, sich durch List oder Gewalt ihrer Personen zu
bemächtigen und nach ihrem Leben zu trachten. Die Stadt wurde
wiederholt von Hauptleuten der Leibwache, Herzögen und
Exarchen von hoher Würde mit geheimen Aufträgen besucht oder
angegriffen; sie landeten mit fremden Truppen, erhielten
einige Unterstützung im Lande, und das fromme Neapel muß
darüber erröten, daß ihre Väter der Ketzerei anhingen. Aber
der Mut und die Wachsamkeit der Römer wiesen diese geheimen
oder öffentlichen Angriffe zurück. Die Griechen wurden
geschlagen und niedergemetzelt, ihre Anführer erlitten einen
schimpflichen Tod, und die Päpste, wie auch immer zur Milde
geneigt, weigerten sich, zugunsten dieser schuldbelasteten
Opfer einzuschreiten. In Ravenna hatten die verschiedenen
Stadtviertel seit langer Zeit eine blutige Erbfehde
gegeneinander geführt; in religiösen Streitigkeiten fanden sie
dafür neue Nahrung. Aber die Verehrer der Bilder waren
zahlenmäßig überlegen oder mutiger, und der Exarch, der dem
Sturm Einhalt tun wollte, verlor in einem Volksaufstande das
Leben. Um diese ruchlose Tat zu bestrafen und seine Herrschaft
in Italien wieder herzustellen, sandte der Kaiser eine Flotte
und ein Heer in den adriatischen Meerbusen. Nachdem die
Griechen durch Winde und Wellen große Verluste und Verzögerung
erlitten hatten, landeten sie in der Nähe von Ravenna, drohten
die schuldige Stadt zu verheeren und das Beispiel Justinians
II. der eine frühere Empörung mit Aushebung und Hinrichtung
von fünfzig der vornehmsten Bürger bestraft hatte, nachzuahmen
und vielleicht zu übertreffen. Die Frauen und die
Geistlichkeit lagen in Sack und Asche auf der Erde und
beteten, die Männer standen zur Verteidigung ihrer Vaterstadt
unter Waffen. Die gemeinsame Gefahr hatte die Parteien
vereint, und sie beschlossen, die Entscheidung durch eine
Schlacht einer langen Belagerung vorzuziehen. An einem
hartnäckig durchfochtenen Tage, an dem die beiden Heere
abwechselnd wichen und vorrückten, sah man ein Phantom, hörte
man eine Stimme, und Ravenna siegte durch seinen Glauben an
den Sieg. Die Fremden zogen sich nach ihren Schiffen zurück,
aber von den dichtbevölkerten Ufern stießen unzählige Boote
ab, und die Gewässer des Po waren von Blut so verpestet, daß
sich das Volk aus Vorurteil sechs Jahre des Genusses der
Fische des Flusses enthielt. Die Einführung eines jährlichen
Festtages verewigte die Verehrung der Bilder und den Abscheu
gegen den griechischen Tyrannen. Gerade während des Triumphes
der katholischen Waffen berief der Papst in Rom eine Synode
von dreiundneunzig Bischöfen gegen die Ketzerei der
Bilderstürmer ein. Mit ihrer Zustimmung sprach er eine
allgemeine Exkommunikation gegen alle diejenigen aus, die es
wagen würden, die Überlieferung der Väter und die Bilder der
Heiligen durch Wort oder Tat anzugreifen. In dieses Urteil war
der Kaiser stillschweigend mitinbegriffen, aber es scheint,
daß der Bannfluch über seinem schuldigen Haupte vorerst nur
schwebte. Kaum hatten die Päpste ihre eigene Sicherheit, die
Verehrung der Bilder und die Freiheit von Rom und Italien
befestigt, als sie auch in ihrer Strenge nachließen und die
Reste der byzantinischen Herrschaft wahrten. Ihre Ratschläge
verzögerten und verhinderten die Wahl eines Kaisers, und sie
ermahnten die Italiener, sich von der römischen Monarchie
nicht zu trennen. Man gestattete dem Exarchen, innerhalb der
Mauern von Ravenna zu residieren, freilich mehr Gefangener als
Gebieter, und bis zur Kaiserkrönung Karls des Großen wurde die
Verwaltung von Rom und Italien im Namen der Nachfolger
Konstantins geführt. Das freie Rom, von Augustus unterdrückt,
wurde nach siebenhundertfünfzigjähriger Knechtschaft der
Verfolgung Leo dem Isaurier entzogen. Die Triumphe der Konsuln
waren von den Kaisern vernichtet worden. Im Sinken und Verfall
des Reiches hatte sich der Gott Terminus, die geheiligte
Grenze, allmählich vom Ozean, dem Rhein, der Donau und dem
Euphrat zurückgezogen, und Rom war auf sein altes Gebiet von
Viterbo bis Terracina und von Narni bis an die Mündung des
Tiber beschränkt. Als die Könige verbannt wurden, ruhte die
Republik auf fester, durch Weisheit und Tugend geschaffener
Grundlage. Die Führung teilten miteinander zwei auf ein Jahr
gewählte Obrigkeiten; der Senat leitete die Verwaltung und
erteilte Rat, und die gesetzgebende Gewalt hatten die
Volksversammlungen, die nach einem wohlberechneten
Eigentumsmaßstabe und nach Verdiensten zusammengestellt waren.
Unbekannt mit einem üppigen Leben, hatten die ersten Römer
Regierungs- und Kriegskunst ausgebildet. Der Wille der
Gemeinden war unumschränkt, die Rechte der einzelnen wurden
heilig gehalten, hundertdreißigtausend Bürger wurden zur
Verteidigung und Eroberung bewaffnet, und aus einer Schar von
Räubern und Geächteten war eine Nation entstanden, die
Freiheit verdiente und nach Ruhm strebte. Als aber die
Souveränität der griechischen Kaiser erlosch, war Rom
entvölkert und verfallen; Sklaverei waren die Römer gewohnt,
in Freiheit lebten sie nur selten, und sie staunten und
erschraken über sie. Die letzte Spur der ehemaligen Verfassung
war aus dem Leben und Gedächtnis der Römer verschwunden, und
es fehlte ihnen an Kenntnis oder Tugend, das Gebäude der
Republik neu aufzubauen. Ihre kärglichen Reste, Nachkommen von
Sklaven und Fremden, waren in den Augen der siegreichen
Barbaren verächtlich. So oft die Franken oder Lombarden ihre
bitterste Verachtung gegen einen Feind ausdrücken wollten,
nannten sie ihn einen Römer und »mit diesem Namen«, sagt der
Bischof Luitprand, »bezeichnen wir alles, was niederträchtig,
was feige, was treulos ist, die äußerste Habsucht und
Üppigkeit und jedes Laster, das die Würde der menschlichen
Natur schänden kann«. Die Römer waren durch die Notwendigkeit
in die harte Form einer republikanischen Regierung gegossen
worden; sie sahen sich gezwungen, einige Richter für den
Frieden, einige Anführer für den Krieg zu wählen. Die Edlen
versammelten sich, um zu beraten, und ihre Beschlüsse konnten
nicht ohne Einigung oder Zustimmung der Menge durchgeführt
werden. Der Name des römischen Senats und Volkes lebte wieder
auf, aber der Geist war ein anderer, und ihre neue
Unabhängigkeit wurde durch Zügellosigkeit und Unterdrückung
geschändet. Der Mangel an Gesetzen konnte nur durch den
Einfluß der Religion ersetzt werden, und ihre auswärtigen und
einheimischen Maßnahmen wurden durch den Bischof bestimmt.
Seine Almosen, seine Predigten, sein Briefwechsel mit den
Königen und Prälaten des Westens, seine neuerlichen Dienste,
Dankbarkeit und Eid gewöhnten die Römer daran, ihn als die
höchste Obrigkeit oder den Fürsten der Stadt zu betrachten.
Die christliche Demut der Päpste wurde durch den Namen dominus
oder Herr nicht berührt. Man sieht noch ihr Bild und ihre
Inschrift auf den ältesten Münzen. Ihre zeitliche Herrschaft
ist jetzt durch tausendjährige Herrschaft befestigt, und ihr
edelstes Recht entstand durch die Wahl eines freien Volkes,
das sie aus der Sklaverei erlöst haben.
In den Kämpfen des alten Griechenland genoß das heilige
Volk von Elis dauernden Frieden unter dem Schutz Jupiters und
durch Abhaltung der olympischen Spiele. Ein Heil wäre es für
die Römer gewesen, wenn ein ähnliches Vorrecht das Eigentum
des heiligen Petrus gegen die Drangsale des Krieges geschützt
hätte, wenn die Christen, welche die heiligen Schwellen
besuchten, ihre Schwerter in der Nähe des Apostels und seines
Nachfolgers in die Scheide gesteckt hätten. Aber dieser
mystische Kreis hätte nur durch den Stab eines Gesetzgebers
und Weisen gezogen werden können. Ein solches friedliches
System war mit dem Religionseifer und dem Ehrgeiz der Päpste
unvereinbar. Die Römer waren nicht gleich den Bewohnern von
Elis den unschuldigen und stillen Arbeiten des Ackerbaues
zugetan, und die Barbaren von Italien, obgleich durch das
Klima milder geworden, standen, was die Einrichtungen des
öffentlichen und Privatlebens betrifft, tief unter den
griechischen Staaten. Ein merkwürdiges Beispiel der Reue und
Frömmigkeit gab der Lombardenkönig Luitprand. In Waffen am
Tore des Vatikans hörte der Sieger auf die Stimme Gregors II.,
zog seine Truppe zurück, gab seine Eroberungen auf, besuchte
ehrfurchtsvoll die Kirche des heiligen Petrus und brachte,
nachdem er seine Andacht verrichtet hatte, sein Schwert und
seinen Dolch, seinen Panzer und Mantel, sein silbernes Kreuz
und seine goldene Krone auf dem Grabe des Apostels zum Opfer.
Aber diese religiöse Inbrunst war Selbsttäuschung, vielleicht
ein augenblicklicher Einfall. Das Gefühl des Eigennutzes ist
stark und dauert an, Liebe zu Krieg und Raub lag im Charakter
der Lombarden, und sowohl Fürst als Volk wurden durch die
Unordnung in Italien, die Schwäche Roms und den
unkriegerischen Beruf seines neuen Oberhauptes in
unwiderstehliche Versuchung geführt. Nach den ersten Edikten
der Kaiser erklärten sie sich zu Verfechtern der Bilder.
Luitprand brach in die Provinz Romagna, die bereits diesen
besonderen Namen führte, ein, die Katholiken des Exarchats
unterwarfen sich willig seiner bürgerlichen und militärischen
Gewalt, und zum erstenmal wurde ein auswärtiger Feind in die
uneinnehmbare Festung Ravenna eingelassen. Diese Stadt und
Festung wurde durch die emsigen und seemächtigen Venezianer
schnell wieder erlangt, und die getreuen Untertanen gehorchten
der Ermahnung Gregors, indem sie die päpstliche Schuld Leos
von der allgemeinen Sache des römischen Reiches trennten. Die
Griechen waren des Dienstes weniger als die Lombarden der
Unbill eingedenk; die beiden Nationen, feindlich in ihrem
Glauben, vereinigten sich in einem gefährlichen und
unnatürlichen Bündnis. Der König und der Exarch zogen zur
Eroberung von Spoleto und Rom aus. Der Sturm verbrauste ohne
Erfolg, aber die Politik Luitprands beunruhigte Italien, da
dieser Feindseligkeiten mit Waffenstillständen abwechseln
ließ. Sein Nachfolger Astolphus erklärte sich gleichzeitig zum
Feind des Kaisers und des Papstes. Ravenna wurde durch Gewalt
oder List eingenommen, und diese entscheidende Eroberung
beendete die Herrschaft der Exarchen, die mit untergeordneter
Macht seit den Zeiten Justinians und dem Sturz der gotischen
Monarchie regiert hatten. Rom wurde aufgefordert, den
siegreichen Lombarden als seinen rechtmäßigen Souverän
anzuerkennen. Eine jährliche Abgabe von einem Goldstück wurde
als das Lösegeld jedes Bürgers festgesetzt und das Schwert aus
der Scheide gezogen, um die Buße bei Nichtzahlung
einzutreiben. Die Römer zauderten, baten und klagten, und die
drohenden Barbaren wurden durch Waffen und Unterhandlungen
hingehalten, bis die Päpste die Freundschaft eines
Bundesgenossen und Rächers jenseits der Alpen gewonnen hatten.
Der erste Gregor hatte in seiner Bedrängnis Karl Martell um
Hilfe angefleht, des Helden des Jahrhunderts, der die
fränkische Monarchie unter dem bescheidenen Titel eines
Majordomus und Herzogs beherrschte und durch seinen
entscheidenden Sieg über die Sarazenen sein Vaterland und
vielleicht Europa vom mohammedanischen Joch errettet hatte.
Die päpstlichen Gesandten wurden von Karl mit gebührender
Ehrfurcht empfangen, aber der Umfang seiner Geschäfte und die
kurze Dauer seines Lebens hinderten ihn, sich in die
Angelegenheiten Italiens anders als freundlich vermittelnd und
erfolglos einzumischen. Sein Sohn Pipin, der Erbe seiner Macht
und Tugenden, nahm das Amt eines Verteidigers der römischen
Kirche an, und der Eifer des fränkischen Fürsten scheint durch
Ruhmsucht und Religion angeregt worden zu sein. Aber die
Gefahr bestand an den Ufern des Tiber, die Helfer befanden
sich an jenen der Seine, und unser Mitgefühl bleibt bei der
Schilderung fernen Elends kalt. Stephan III. faßte trotz den
Tränen der Römer den hochherzigen Entschluß, die Höfe der
Lombardei und Frankreichs persönlich zu besuchen, um seinen
Feind durch Bitten zu erweichen oder das Mitleid und die Hilfe
eines Freundes zu gewinnen. Nachdem er das verzweifelte Volk
durch Litaneien und Kanzelreden besänftigt hatte, trat er
seine beschwerliche Reise in Begleitung der Gesandten des
fränkischen Monarchen und des griechischen Kaisers an. Der
König der Lombarden war unerbittlich; aber seine Drohungen
konnten weder die Klagen zum Schweigen bringen, noch die
Schnelligkeit des römischen Bischofs hemmen, der über die
Apenninen ging, in der Abtei St. Moritz ausruhte und sich
beeilte, seinen Beschützer zu begrüßen, der weder im Kriege
noch in der Freundschaft versagte. Stephan wurde als der
Nachfolger des Apostels empfangen; in der nächsten Versammlung
auf dem März- oder Maifelde wurden seine Unbilden einer
frommen und kriegerischen Nation geschildert, und er ging über
die Alpen nicht als Flehender, sondern als Eroberer an der
Spitze eines fränkischen Heeres zurück, das der König
persönlich anführte. Die Lombarden leisteten schwachen
Widerstand, willigten in einen schimpflichen Frieden und
schworen, die Besitzungen der römischen Kirche zurückzugeben
und deren Heiligkeit zu ehren. Kaum aber waren die Franken
abgezogen, als Astolph seine Versprechen vergaß und seine
Schmach rächte. Rom wurde abermals von seinen Truppen
eingeschlossen und Stephan bekräftigte, besorgt, seine
eifrigen transalpinischen Bundesgenossen zu ermüden, seine
Klagen und Bitten durch ein beredtes Schreiben im Namen des
heiligen Petrus selbst. Der Apostel versicherte seinen
Adoptivsöhnen, dem König, der Geistlichkeit und den
fränkischen Edlen, daß sie im Geist leben sollten, wenn ihr
irdischer Leib gestorben sei; daß sie nun die Stimme des
Stifters und Beschützers der römischen Kirche hörten und ihr
gehorchen müßten; daß die Jungfrau, die Engel, Heiligen,
Märtyrer und alle himmlischen Heerscharen einstimmig auf
Erfüllung der Bitte drängen und sie belohnen würden; daß
Reichtümer, Sieg und das Paradies ihre fromme Unternehmung
belohnen, und daß ewige Verdammnis die Strafe für ihre
Vernachlässigung sein würde, wenn sie gestatteten, daß sein
Grab, sein Tempel und sein Volk in die Hände der treulosen
Lombarden fielen. Der zweite Zug Pipins war nicht minder rasch
und glücklich als der erste: der heilige Petrus wurde
zufrieden gestellt. Rom war abermals gerettet, und Astolph war
durch das Schwert eines fremden Herrschers Gerechtigkeit und
Aufrichtigkeit gelehrt worden. Nach dieser doppelten
Züchtigung befanden sich die Lombarden ungefähr zwanzig Jahre
in einem Zustand der Erschöpfung und des Verfalles. Aber ihre
Herzen waren durch ihre Lage nicht gedemütigt, und statt die
friedlichen Tugenden der Schwachen anzunehmen, reizten sie
trotzig die Römer durch eine Wiederholung von Ansprüchen,
durch Ausflüchte und Einfälle, die sie ohne Überlegung
unternahmen und ohne Ruhm beendeten. Die erlöschende Monarchie
wurde von allen Seiten durch den eifrigen und klugen Papst
Hadrian und durch die Übermacht des genialen und glücklichen
Karl des Großen, des Sohnes Pipins, bedrängt. Diese Helden der
Kirche und des Staates waren durch öffentliche und persönliche
Freundschaft verbunden, und während sie den Gefallenen in den
Staub traten, stellten sie ihr Vorgehen als Gerechtigkeit und
Mäßigung dar. Die Pässe der Alpen und die Mauern von Pavia
waren die einzige Schutzwehr der Lombarden; jene wurden vom
Sohne Pipins überrumpelt, diese von ihnen belagert, und nach
zweijähriger Einschließung übergab Desiderius, der letzte
ihrer eingeborenen Fürsten, sein Zepter und seine Hauptstadt.
Unter der Herrschaft eines auswärtigen Königs, aber im Besitze
ihrer Nationalgesetze, wurden die Lombarden mehr die Brüder
als die Untertanen der Franken, die ihre Herkunft, Sitten und
Sprache vom gleichen deutschen Ursprung herleiteten.
Die gegenseitigen Verpflichtungen zwischen den Päpsten und
der karolingischen Familie bilden das wichtige Glied zwischen
der alten und neuen, zwischen der profanen und der
Kirchengeschichte. Durch die Eroberung von Italien erlangten
die Verteidiger der römischen Kirche eine günstige
Gelegenheit, ein scheinbares Recht, die Wünsche des Volkes,
die Gebete und Umtriebe der Geistlichkeit zu beeinflussen.
Aber die wesentlichsten Geschenke der Päpste an die Karolinger
waren die Würde eines Königs von Frankreich und eines
Patriziers von Rom.
I. Unter der Priestermonarchie des heiligen Petrus begannen
die Nationen wieder zu ihrer Gewohnheit zurückzukehren, an den
Ufern des Tiber ihre Könige, ihre Gesetze und ihre Orakel zu
suchen. Die Franken unterschieden zwischen ihrer tatsächlichen
und nominellen Regierung. Alle Gewalt eines Herrschers wurde
durch den Majordomus Pipin ausgeübt, und nichts fehlte ihm in
seinem Ehrgeiz als der königliche Titel. Tapfer zerschmetterte
er seine Feinde, vermehrte seine Freunde durch »eine
Freigebigkeit, sein Vater war der Retter der Christenheit
gewesen, und seine Ansprüche waren außer persönlichen
Verdiensten seit vier Generationen begründet. Noch war der
schwache Childeridi, Chlodwigs letzter Abkömmling, König, aber
sein veraltetes Recht reizte höchstens zum Aufruhr. Die Nation
wünschte eine einfache Verfassung herzustellen, und Pipin,
zugleich Untertan und Fürst, brannte vor Ehrgeiz, seinen
eigenen Rang zu erhöhen und das Glück seines Hauses zu
begründen. Der Majordomus und die Edlen waren durch einen
Treueid an das königliche Phantom gebunden; das Blut Chlodwigs
war in ihren Augen rein und heilig, und ihre gemeinsamen
Abgesandten wandten sich an den römischen Bischof, damit er
ihre Zweifel zerstreue und sie ihres Versprechens entbinde.
Das Interesse des Papstes Zacharias, des Nachfolgers der
beiden Gregore, bestimmte ihn, die Fragen zu entscheiden, und
zwar zu ihren Gunsten. Er erklärte, daß die Nation mit vollem
Recht in ein und derselben Person sowohl den Titel als die
Macht eines Königs vereinigen dürfe und daß der unglückliche
Childerich, ein Opfer des Staatswohls, abgesetzt, geschoren
und für den Rest seiner Tage in ein Kloster gesperrt werden
solle. Die Franken nahmen eine ihren Wünschen so angenehme
Antwort als die Meinung eines Kasuisten, den Ausspruch eines
Richters oder das Orakel eines Propheten an. Das merowingische
Geschlecht verschwand von der Erde, und Pipin wurde durch die
Stimme eines freien Volkes, das gewohnt war, seinen Gesetzen
zu gehorchen und unter seiner Fahne zu ziehen, auf den Schild
erhoben. Seine Krönung wurde zweimal mit dem Segen der Päpste
vollzogen, durch den heiligen Bonifaz, den Apostel von
Deutschland und durch den dankbaren Stephan III., der im
Kloster St. Denis ein Diadem auf das Haupt seines Wohltäters
setzte. Die Salbung der Könige von Israel wurde nachgeahmt.
Der Nachfolger des heiligen Petrus nahm den Charakter eines
göttlichen Gesandten an, ein deutscher Häuptling wurde in den
Gesalbten des Herrn verwandelt, und dieser jüdische Ritus hat
sich durch Aberglauben und Eitelkeit des neueren Europas
verbreitet und erhalten. Die Franken wurden ihres alten Eides
entbunden, aber ein furchtbarer Bannfluch gegen sie und ihre
Nachkommen geschleudert, wenn sie es jemals wagen sollten,
sich dieselbe Freiheit noch einmal zu gestatten oder einen
anderen König zu wählen, als aus dem heiligen und
verdienstvollen Geschlecht der karolingischen Fürsten. Ohne
irgendeine künftige Gefahr zu ahnen, freuten sich diese
Fürsten der gegenwärtigen Sicherheit. Der Geheimschreiber
Karls des Großen bekräftigt, daß das französische Zepter durch
die Macht der Päpste übertragen worden sei, und sie berufen
sich bei ihren kühnsten Unternehmungen mit Zuversicht auf
diese entscheidende und erfolgreiche Ausübung ihrer weltlichen
Gerichtsbarkeit.
II. Infolge der Umwandlung in Sitten und Sprachen waren die
römischen Patrizier weit entfernt und von den Senatoren des
Romulus oder den Palastbeamten Konstantins, von den freien
Edlen der Republik oder von den fingierten Vätern des Kaisers.
Nach der Wiedereroberung von Italien und Afrika durch
Justinian erforderte die Wichtigkeit und Gefahr dieser fernen
Provinz die Anwesenheit einer höchsten Person, die bald
Exarch, bald Patrizier genannt wurde. Diese Statthalter von
Ravenna, dehnten ihre Gerichtsbarkeit über die Stadt Rom
nehmen, dehnten ihre Gerichtsbarkeit über die Stadt Rom aus.
Seit der Empörung von Italien und dem Untergang des Exarchats
hatte die Not die Römer gezwungen, einen Teil ihrer
Unabhängigkeit zum Opfer zu bringen. Aber selbst da übten sie
das Recht aus, über sich selbst zu verfügen, und Senat und
Volk bekleideten nacheinander Karl Martell und seine
Nachkommen mit der Würde eines Patriziers von Rom. Die
Anführer einer mächtigen Nation würden einen knechtischen
Titel und ein untergeordnetes Amt verschmäht haben, aber es
wurde damit dokumentiert, daß die Herrschaft der griechischen
Kaiser dadurch erloschen war, und während der Erledigung des
Reiches empfingen sie eine rühmlichere Ehrenstelle vom Papste
und von der Republik. Die römischen Gesandten überreichten
diesen Patriziern die Schlüssel zum Grab des heiligen Petrus
als Pfand und Symbol der Souveränität und eine geweihte Fahne,
die sie berechtigt und verpflichtet waren, zur Verteidigung
der Kirche und der Stadt zu entfalten. Zur Zeit Karl Martells
und Pipins bedrohten die lombardischen Könige zwar Roms
Sicherheit, deckten aber dessen Freiheit, und das Patriziat
bedeutete bloß einen Titel und zeigte das Bündnis mit diesen
fernen Beschützern an. Die Macht und Politik Karls des Großen
vernichtete einen Feind und zwang ihnen einen Gebieter auf.
Bei seinem ersten Besuch in der Hauptstadt wurde er mit allen
Ehren, die sonst dem Exarchen, dem Stellvertreter des Kaisers,
gezollt wurden, empfangen, und diese Ehren wurden durch die
Freude und Dankbarkeit des Papstes Hadrian I. vergrößert.
Sowie er Nachricht von dem unerwarteten Anzug des Monarchen
erhielt, sandte er ihm die Obrigkeiten und Edlen Roms mit der
Fahne bis auf dreißig Meilen entgegen. In der Entfernung von
einer Meile war die flaminische Straße von den Bürgern der
Nationalgemeinden der Griechen, Lombarden, Sachsen usw.
besetzt; die römische Jugend stand unter Waffen, und die
Kinder zarteren Alters trugen Palmen und Ölzweige in den
Händen und sangen das Lob ihres Befreiers. Beim Anblick der
Kreuze und der Fahnen der Heiligen stieg er vom Pferde, führte
den Zug der Edlen nach dem Vatikan und küßte, als er die
Treppe hinanging, fromm jede Stufe der Schwelle der Apostel.
Im Porticus erwartete ihn Hadrian an der Spitze seiner
Geistlichkeit; sie umarmten sich als Freunde und
Gleichgestellte, aber auf dem Wege zum Altar ging der König
oder Patrizier dem Papst zur Rechten. Auch begnügte sich der
Franke keineswegs mit diesen eitlen und leeren
Ehrenbezeigungen. In den sechsundzwanzig Jahren, die zwischen
der Eroberung der Lombardei und seiner Kaiserkrönung
vergingen, war Rom, das er mit dem Schwert befreit hatte, Karl
dem Großen unterworfen. Das Volk schwur ihm und seiner Familie
Treue; in seinem Namen wurde das Geld geschlagen und die
Justiz verwaltet sowie die Wahl der Päpste durch ihn geprüft
und bestätigt. Mit Ausnahme eines ursprünglichen Rechtes der
Souveränität blieb keinerlei Art von Vorrecht übrig, das der
Kaiser dem Patrizier von Rom gewähren konnte.
Die Dankbarkeit der Karolinger kam ihren Verpflichtungen
gleich. Sie sind als die Retter und Wohltäter der römischen
Kirche geheiligt. Doch ihr Eigentum an Landgütern und Häusern
wurde durch ihre Güte in zeitliche Herrschaft über Städte und
Provinzen verwandelt, und die Schenkung des Exarchats war die
erste Frucht der Eroberungen Pipins. Astolphus verließ
seufzend seine Beute; die Schlüssel und Geißeln der
vornehmsten Städte wurden dem fränkischen Gesandten
ausgeliefert, und er brachte sie im Namen seines Gebieters vor
dem Grabe des heiligen Petrus dar. In weitem Sinne konnte man
unter dem Exarchat alle Provinzen Italiens verstehen, die dem
Kaiser und seinem Stellvertreter gehorcht hatten; seine
strengen und eigentlichen Grenzen schlössen aber nur die
Gebiete von Ravenna, Bologna und Ferrara ein, und sein
unabtrennbares Anhängsel war die Pentapolis, die sich längs
des Adriatischen Meeres von Rimini bis Ankona erstreckte und
im Binnenland bis zu den Apenninen reichte. Man hat den
Ehrgeiz und die Habsucht der Päpste in dieser Verhandlung
streng verdammt. Vielleicht hätte ein demütiger christlicher
Priester ein irdisches Königreich zurückweisen sollen, das er
nicht wohl regieren konnte, ohne auf die Tugenden seines
Berufes Verzicht zu leisten. Vielleicht würde ein treuer
Untertan, ja nur ein hochherziger Feind sich weniger beeilt
haben, die Beute mit den Barbaren zu teilen, und wenn der
Kaiser Stephan Auftrag gegeben hatte, in seinem Namen wegen
der Wiedererstattung des Exarchates zu unterhandeln, so werde
ich den Papst von dem Vorwurf der Verräterei und Falschheit
nicht freisprechen. Aber nach der strengen Auslegung der
Gesetze kann jeder ohne Unrecht annehmen, was sein Wohltäter
ohne Unrecht schenken kann. Der griechische Kaiser hatte sein
Recht auf das Exarchat aufgegeben oder verwirkt, und Astolph
wurde durch die stärkeren Karolinger zerbrochen. Nicht in der
Sache des Bilderstürmers hatte Pipin sich selbst und sein Heer
in einem doppelten Feldzug jenseits der Alpen aufs Spiel
gesetzt; er besaß seine Eroberungen, konnte sie mit Recht
veräußern und antwortete den zudringlichen Griechen, daß ihn
keine irdische Rücksicht je bewegen werde, die Gabe
zurückzunehmen, die er dem römischen Papst für Nachlassung
seiner Sünden und Rettung seiner Seele gegeben hätte. Das
glänzende Geschenk war ohne Beschränkung gegeben worden, und
die Welt erblickte zum erstenmal einen christlichen Bischof,
der mit Vorrechten eines weltlichen Fürsten bekleidet war: der
Wahl der Obrigkeit, der Handhabung der Rechtssprechung, den
Besteuerungsrechten und dem Reichtum des Palastes von Ravenna.
Zur Zeit der Auflösung des lombardischen Königreiches suchten
die Bewohner des Herzogtums Spoleto eine Zuflucht gegen den
Sturm, schoren ihr Haupt nach römischer Art, erklärten sich zu
den Dienern und Untertanen des heiligen Petrus und
vervollständigten durch diese freiwillige Unterwerfung den
gegenwärtigen Umfang des Kirchenstaates. Dieser mysteriöse
Kreis wurde durch die mündliche oder schriftliche Schenkung
Karls des Großen, der im ersten Entzücken des Sieges sich
selbst und den griechischen Kaiser aller Städte und Inseln,
die einst zum Exarchate gehört hatten, beraubte, zu einem
unbestimmten Umfang erweitert. In den kühleren Augenblicken
während seiner Abwesenheit aber betrachtete er nachdenklich
die neue Größe seines geistlichen Verbündeten mit
eifersüchtigen und neidischen Blicken. Der Erfüllung seiner
und seines Vaters Versprechungen wich er aus; der König der
Franken und Lombarden behauptete, daß die Rechte des Reiches
unveräußerlich seien, und in seinem Leben wie nach seinem Tod
wurden sowohl Ravenna als Rom in dem Verzeichnisse seiner
Hauptstädte angeführt. Die Souveränität des Exarchates schwand
den Päpsten unter den Händen weg; sie fanden in den
Erzbischöfen von Ravenna gefährliche und heimische
Nebenbuhler. Die Edlen und das Volk verschmähten das
priesterliche Joch, und in den unruhigen Zeiten blieb ihnen
nichts als die Erinnerung an diesen alten Anspruch, den sie
jedoch in einem günstigeren Zeitalter wieder aufgefrischt und
verwirklicht haben.
Betrug ist die Hilfsquelle der Schwäche und List, und der
starke aber unwissende Barbar wurde oft im Netze
priesterlicher Politik gefangen. Der Vatikan und der Lateran
waren ein Arsenal und eine Fabrik, in denen je nach
Gelegenheit eine vielfältige Sammlung falscher oder echter,
veränderter oder verdächtiger Urkunden, wenn sie nur das
Interesse der römischen Kirche förderten, hervorgeholt oder
verborgen werden konnten. Vor Ende des achten Jahrhunderts
hatte irgendein apostolischer Schreiber, vielleicht der
berüchtigte Isidor, die Dekretalen und die Schenkung
Konstantins, diese zwei magischen Pfeiler der geistlichen und
weltlichen Monarchie der Päpste, verfaßt. Diese merkwürdige
Schenkung wurde der Welt durch ein Schreiben Hadrians I.
bekannt, worin er Karl den Großen ermahnt, die Freigebigkeit
Konstantins des Großen nachzuahmen und in seinem Namen die
Schenkung wieder zu erneuern. Nach der Legende war der erste
christliche Kaiser vom heiligen Sylvester, Bischof von Rom,
vom Aussatz geheilt und im Wasser der heiligen Taufe gereinigt
worden; niemals wurde ein Arzt glorreicher belohnt! Sein
kaiserlicher Proselyt verließ Sitz und Eigentum des heiligen
Petrus, erklärte seinen Entschluß, eine neue Hauptstadt im
Osten zu gründen und überließ den Päpsten die unbeschränkte
und ewige Souveränität über Rom, Italien und die Provinzen des
Westens. Diese Erdichtung brachte die wohltätigsten Wirkungen
hervor. Die griechischen Fürsten wurden dadurch der Usurpation
überführt und die Empörung Gregors diente nun zur
Wiederaufnahme seines ererbten Rechtes. Die Päpste waren von
ihrer Schuld zur Dankbarkeit befreit, und die nominellen
Schenkungen der Karolinger waren nicht mehr als eine gerechte
und unwiderrufliche Wiedererstattung eines kleinen Teiles des
Kirchenstaates. Die Souveränität von Rom hing nicht mehr von
der Wahl eines wankelmütigen Volkes ab, und die Nachfolger des
heiligen Petrus und Konstantins waren mit dem Purpur und den
Vorrechten der Kaiser bekleidet. So groß war die Unwissenheit
und Leichtgläubigkeit jener Zeiten, daß auch die
unwahrscheinlichste Fabel mit derselben Ehrfurcht in
Griechenland und in Frankreich aufgenommen wurde und sich noch
in den Dekreten des kanonischen Rechtes befindet. Die Kaiser
waren so wenig wie die Römer imstande, eine Fälschung zu
entdecken, die ihre Rechte und Freiheit vernichtete; der
einzige Widerstand zeigte sich in einem sabinischen Kloster,
das im Anfang des zwölften Jahrhunderts die Echtheit und
Gültigkeit der Schenkung Konstantins bestritt. Zur Zeit des
Wiederauflebens der Wissenschaften und der Freiheit wurde
diese unechte Urkunde von Laurentius Valla, einem beredten
Kritiker und römischen Patrioten, gebrandmarkt. Seine
Zeitgenossen im fünfzehnten Jahrhundert staunten über seine
lästerliche Kühnheit; so groß und unwiderstehlich sind aber
die Fortschritte der Vernunft, daß die Fabel noch vor Ende des
nächsten Jahrhunderts von den Geschichtsschreibern und
Dichtern mit Verachtung und von den Verteidigern der römischen
Kirche mit bescheidenem Tadel verworfen wurde. Die Päpste
selbst haben über die Leichtgläubigkeit der Menge gelächelt;
aber ein falsches und veraltetes Recht heiligt noch immer ihre
Herrschaft und durch ein ähnliches Glück, wie es die
Dekretalen und die sibyllinischen Orakel begleitet hat, blieb
das Gebäude stehen, nachdem die Grundfesten untergraben worden
waren.
Während die Päpste in Italien ihre Freiheit und Herrschaft
begründeten, wurden die Bilder, die erste Ursache ihrer
Empörung, im Orient wieder eingeführt. Unter der Regierung
Konstantins V. hatte die vereinte Staats- und Kirchengewalt
den Bilderdienst abgeschafft, ohne ihn völlig auszurotten. Die
Bilder wurden insgeheim von den Mönchen und Frauen, die am
meisten zur Andacht neigen, geliebt, und ihr inniges Bündnis
trug zuletzt den Sieg über die Vernunft und Macht des Mannes
davon. Leo IV. hielt die Religion seines Vaters und Großvaters
mit geringerer Strenge; aber seine Gattin, die schöne und
ehrgeizige Irene, hatte den Eifer der Athener eingesogen, die
mehr die Erben der Götzendienerei ihrer Ahnen waren als ihrer
Philosophie. Zu Lebzeiten ihres Gemahls wurden ihre Gefühle
durch die Gefahr und die nötige Verstellung entflammt, und sie
konnte nicht mehr tun, als einige ihr treue Mönche beschützen
und fördern, die sie aus ihren Höhlen holte und auf die
erzbischöflichen Throne des Ostens setzte. Als aber Irene in
ihrem und ihres Sohnes Namen herrschte, konnte sie ernster den
Sturz der Ikonoklasten betreiben. Der erste Schritt zur
künftigen Verfolgung war ein Edikt allgemeiner
Gewissenfreiheit. Bei Wiedereinberufung der Mönche wurden
tausend Bilder zur öffentlichen Verehrung aufgestellt und
tausend Legenden von ihren Leiden und Wundern erdichtet. Die
bischöflichen Sitze wurden, wenn sich dazu eine günstige
Gelegenheit ergab, mit Klugheit besetzt. Diejenigen, die sich
am gierigsten um die Gunst der Erde oder des Himmels bewarben,
kamen dem Urteile voraus und schmeichelten sich bei ihrer
Fürstin ein; die Beförderung ihres Geheimschreibers Tarasius
zum Patriarchen von Konstantinopel gab Irene endlich die
Herrschaft über die morgenländische Kirche. Aber die
Beschlüsse der allgemeinen Kirchenversammlung konnten nur
durch eine ähnliche Versammlung aufgehoben werden. Die
einberufenen Ikonoklasten fühlten sich kühn als Herren und
waren Verhandlungen abgeneigt, und die schwache Stimme der
Bischöfe verhallte in dem furchtbaren Geschrei der Soldaten
und des Volkes von Konstantinopel. Das Zögern und die Umtriebe
während eines Jahres, die Versetzung der mißvergnügten Truppen
und die Fortsetzung einer zweiten rechtgläubigen Synode zu
Nicäa entfernten diese Hindernisse, und die Bischöfe waren
nach griechischer Sitte abermals den Fürsten ausgeliefert.
Nicht mehr als achtzehn Tage wurden zur Vollbringung dieses
wichtigen Werkes verwendet (787); die Ikonoklasten erschienen
nicht als Richter, sondern als Verbrecher oder Büßende. Das
Schauspiel wurde durch die Anwesenheit der Legaten des Papstes
Hadrian und der orientalischen Patriarchen feierlich
gestaltet. Die Beschlüsse wurden von Tarasius, der den Vorsitz
führte, verfaßt und durch den Zuruf und die Unterschrift von
dreihundertfünfzig Bischöfen genehmigt. Sie erklärten
einstimmig, daß die Verehrung der Bilder der heiligen Schrift
den Vätern und Versammlungen der Kirche angemessen sei, sie
zweifelten aber, ob diese Verehrung bezüglich oder unmittelbar
sei, ob die Gottheit und das Bild Christi auf dieselbe Art der
Anbetung ein Recht hätten. Die Akten dieses zweiten Konsiliums
von Nicäa sind noch vorhanden, ein merkwürdiges Denkmal der
Unredlichkeit und der Torheit. Ich will nur das Urteil der
Bischöfe über den Wert der Bilderverehrung einerseits, der
Moralität anderseits anführen. Ein Mönch hatte mit dem Teufel
der Hurerei einen Waffenstillstand unter der Bedingung
abgeschlossen, daß er ihn in seinem täglichen Gebete vor einem
Gemälde, das in seiner Zelle hing, stören dürfe. Seine
Gewissenzweifel gaben ihm ein, den Abt um Rat zu fragen. »Ehe
du es unterlassest, Christus und seine Mutter in ihren
heiligen Bildern zu verehren«, antwortete der Kasuist, »ist es
besser, daß du in jedes Schandhaus gehest und jede Schanddirne
der Stadt besuchest.«
Für die römische Kirche ist es etwas peinlich, daß die zwei
Fürsten, welche die zwei Kirchenversammlungen von Nicäa
beriefen, mit dem Blute ihrer Söhne befleckt waren. Die
Beschlüsse der zweiten dieser Versammlungen wurden von der
despotischen Irene genehmigt, streng ausgeführt, und sie
verweigerte ihren Gegnern die Duldung, die sie anfangs ihren
Freunden gewährt hatte. Während der fünf folgenden
Regierungen, einer Periode von achtunddreißig Jahren, wurde
der Kampf zwischen den Bilderverehrern und Bilderstürmern mit
unverminderter Wut und wechselndem Erfolge fortgesetzt. Aber
ich fühle keine Neigung, dieselben Ereignisse im einzelnen zu
wiederholen. Nikephorus gewährte allgemeine Freiheit und
erlaubte jede Religionsausübung, aber die einzige Tugend, die
er während seiner Regierung zeigte, wird von den Mönchen als
die Ursache seines zeitlichen und ewigen Verderbens angegeben.
Michael I. war abergläubisch und schwach, doch die Heiligen
und Bilder waren nicht im Stande, ihn auf dem Throne zu
erhalten. Leo V. bekannte auch im Purpur die Religion der
Armenier, und die aufrührerischen Anführer wurden zu einer
zweiten Verbannung verurteilt. Ihr Beifall würde den Mord
eines gottlosen Tyrannen geheiligt haben, aber sein Mörder und
Nachfolger, der zweite Michael, war durch seine Herkunft mit
der phrygischen Ketzerei verbunden. Er versuchte zwischen den
streitenden Parteien zu vermitteln, und der unbezähmbare Geist
der Katholiken drängte ihn allmählich den andern zu. Er war
infolge seiner Schüchternheit mäßig; doch sein Sohn
Theophilus, der Furcht wie dem Mitleid gleich unzugänglich,
war der letzte und grausamste der Ikonoklasten. Der
Enthusiasmus der Zeiten war gegen sie, und die Kaiser, die den
Strom einzudämmen suchten, wurden durch den Volkshaß erbittert
und bestraft. Nach dem Tode des Theophilus wurde endlich der
Sieg der Bilder von einer zweiten Frau, seiner Witwe Theodora,
die er als Vormünderin des Reiches eingesetzt hatte,
vollendet. Ihre Maßregeln waren kühn und entscheidend. Die
Erdichtung von einer späterfolgten Reue reinigte den Ruf und
erlöste die Seele ihres verstorbenen Gemahls; das Urteil über
bilderstürmerische Patriarchen, das früher auf Verlust der
Augen lautete, wurde in zweihundert Geißelhiebe verwandelt;
die Bischöfe zitterten, die Mönche jubelten und ein orthodoxer
Festtag erinnert jährlich an den Triumph der Bilder. Eine
Frage blieb noch übrig, ob sie nämlich mit einer eigenen
innewohnenden Heiligkeit begabt wären: die Griechen des elften
Jahrhunderts verhandelten darüber, und da diese Ansicht meiner
Meinung nach die unsinnigste ist, so wundere ich mich, daß sie
nicht ausdrücklicher bejaht wurde. Im Westen nahm Papst
Hadrian I. die Beschlüsse der nicäischen Versammlung, die
jetzt von den Katholiken als die siebente in der Ordnung der
allgemeinen Kirchenversammlungen verehrt wird, an und
verkündete sie. Rom und Italien gehorchten der Stimme ihres
Vaters, der größte Teil der lateinischen Christen jedoch war
auf der Bahn des Glaubens weit zurückgeblieben. Die Kirchen
von Frankreich, Deutschland, England und Spanien schlugen
einen mittleren Kurs zwischen der Anbetung und der Zerstörung
der Bilder ein, die sie in ihre Kirchen nicht als Gegenstände
der Verehrung, sondern als sprechende und nützliche Denkmäler
des Glaubens und der Geschichte aufnahmen. Eine heftige
Parteischrift wurde im Namen Karls des Großen verfaßt und
herausgegeben. Unter seinem Vorsitz versammelte sich in
Frankfurt eine Synode von dreihundert Bischöfen; sie
mißbilligten die Wut der Bilderstürmer, tadelten aber streng
den Glauben der Griechen, und die Beschlüsse ihrer
vorgeblichen Kirchenversammlung wurden von den Völkern des
Westens lange verachtet. Die Bilderverehrung machte bei ihnen
nur stille und langsame Fortschritte; aber die europäischen
und amerikanischen Länder entschuldigt für ihr Zögern die
große Götzendienerei, die der Reformation vorausging.
Nach der nicäischen Synode und unter der Regierung der
frommen Irene war es, daß die Päpste die Trennung von Rom und
Italien durch die Übertragung der Kaiserwürde auf den minder
orthodoxen Karl den Großen vervollständigten. Sie waren
gezwungen, zwischen den rivalisierenden Nationen zu wählen;
die Religion bildete nicht den einzigen Beweggrund ihrer Wahl,
und während sie die Schwächen ihrer Freunde verdeckten,
betrachteten sie widerwillig und argwöhnisch die katholischen
Tugenden ihrer Feinde. Die andauernde Feindschaft zwischen den
beiden Hauptstädten war in der Verschiedenheit der Sitten und
der Sprache begründet. Sie waren einander durch ein
siebzigjähriges feindliches Gegeneinanderstehen entfremdet.
Während dieser Spaltung hatten die Römer die Freiheit und die
Päpste die Souveränität gekostet; ihre Unterwerfung würde sie
der Rache eines eifersüchtigen Tyrannen ausgesetzt haben, und
die Empörung Italiens hatte sowohl die Ohnmacht als auch die
Tyrannei des byzantinischen Hofes geoffenbart. Die
griechischen Kaiser hatten die Bilderverehrung hergestellt,
aber die Besitzungen in Kalabrien und die illyrische Diözese
nicht zurückgegeben, welche die Ikonoklasten dem Nachfolger
des heiligen Petrus entrissen hatten. Papst Hadrian bedrohte
sie mit der Exkommunikation, wenn sie diese praktische
Ketzerei nicht schleunig abschwüren. Die Griechen waren jetzt
orthodoxer, aber ihre Religion konnte durch den regierenden
Monarchen getrübt werden; die Franken waren jetzt
widerspenstig, doch ein scharfes Auge konnte ihre baldige
Bekehrung zur Anbetung der Bilder voraussehen. Der Name Karls
des Großen war durch die polemische Bitterkeit seiner
Geheimschreiberei befleckt; aber der Eroberer paßte sich mit
dem Gleichmut eines Staatsmannes den verschiedenen Sitten
Frankreichs und Italiens an. Bei seinen vier Pilgerfahrten
oder Besuchen im Vatikan umarmte er die Päpste in Freundschaft
und Frömmigkeit, kniete vor dem Grabe und folglich auch vor
dem Bilde des Apostels nieder und schloß sich ohne Bedenken
allen Gebeten und Umzügen der römischen Liturgie an. Konnte
Klugheit oder Dankbarkeit den Päpsten erlauben, ihrem
Wohltäter zu entsagen? Hatten sie ein Recht, sein Geschenk des
Exarchats zu veräußern? Besaßen sie die Macht, seine Regierung
in Rom abzuschaffen? Der Titel eines Patriziers stand unter
dem Verdienst und der Größe Karls des Großen, und nur indem
sie das abendländische Reich wieder ins Leben riefen, konnten
sie ihre Verpflichtungen abtragen oder ihre Herrschaft
sichern. Durch die entscheidende Maßnahme schnitten sie für
immer alle Ansprüche der Griechen ab; aus der Erniedrigung zu
einer Provinzialstadt erhob sich abermals das majestätische
Rom. Die lateinischen Christen vereinigten sich unter einem
höchsten Herrscher in ihrer alten Hauptstadt, und die Eroberer
des Westens empfingen die Krone von den Nachfolgern des
heiligen Petrus. Die römische Kirche gewann einen
eifersüchtigen und achtungswerten Verteidiger; im Schatten der
großen Macht der Karolinger konnte der Bischof mit Ehre und
Sicherheit die Regierung der Stadt leiten.
Vor dem Sturze des Heidentums in Rom hatte die Bewerbung um
das reiche Bistum häufig Tumult und Blutvergießen veranlaßt.
Das Volk war minder zahlreich geworden, aber die Zeiten waren
wilder, der Preis wichtiger und die vornehmen Geistlichen, die
nach dem Range eines Souveräns trachteten, haben ingrimmig um
den Stuhl des heiligen Petrus gekämpft. Die Regierung Hadrians
I. übertrifft frühere und folgende Zeiten; die Mauern Roms,
das heilige Partimonium, der Sturz der Lombardei und die
Freundschaft Karls des Großen waren seine Ruhmestrophäen. Er
baute in der Stille am Throne seiner Nachfolger und
entwickelte in einem beschränkten Raum die Tugenden eines
großen Fürsten. Sein Andenken wurde geehrt, aber bei der
nächsten Wahl ein Priester des Lateran, Leo III. dem Neffen
und Liebling Hadrians, den dieser zu den ersten Würden der
Kirche befördert hatte, vorgezogen. Die Unzufriedenen
verbargen unter Ergebung oder Reue die schwärzesten Rachepläne
vier Jahre lang bis zum Tage eines Umzuges, an dem ein
wütender Haufe von Verschworenen die unbewaffnete Menge
zerstreute und der geheiligten Person des Papstes Schläge und
Wunden zufügte. Ihre Absicht, sein Leben oder seine Freiheit
zu nehmen, mißlang jedoch, vielleicht durch ihre eigene
Bestürzung und Reue. Leo blieb für tot auf dem Platze liegen;
bei seinem Erwachen aus der Ohnmacht, der Folge seines
Blutverlustes, erlangte er Sprache und Gesicht wieder, und
dieses natürliche Ereignis wurde als wunderbare
Wiedererlangung seiner Sehkraft und Sprache ausgeschmückt,
deren er durch das Messer der Mörder beraubt, zweimal beraubt
worden wäre. Er entkam aus seinem Gefängnis nach dem Vatikan.
Der Herzog von Spoleto eilte zu seiner Befreiung herbei. Karl
der Große nahm Anteil an seinen Leiden und empfing oder erbat
sich in seinem Lager von Paderborn in Westphalen einen Besuch
des römischen Bischofs. Leo ging mit einem Geleite von Grafen
und Bischöfen, seinen Beschützern und Richtern seiner
Unschuld, über die Alpen zurück, und nicht ohne Widerstreben
verschob der Sachsenbezwinger bis ins folgende Jahr die
persönliche Ausübung dieser frommen Pflicht. Auf seiner
vierten und letzten Wallfahrt wurde er in Rom mit den einem
König und Patrizier gebührenden Ehren empfangen. Leo reinigte
sich durch einen Eid von den ihm zur Last gelegten Verbrechen;
seine Feinde wurden zum Schweigen gebracht, und der
fluchwürdige Angriff gegen sein Leben mit der milden Strafe
der Verbannung geahndet. Am Christfeste des letzten Jahres des
achten Jahrhunderts erschien Karl der Große in der
Peterskirche und hatte, um der Eitelkeit Roms zu genügen, die
einfache Tracht seines Vaterlandes mit dem Gewande eines
Patriziers vertauscht. Nach der Feier der heiligen Mysterien
setzte Leo plötzlich eine kostbare Krone auf sein Haupt, und
der Dom widerhallte vom Freudengeschrei des Volkes: »Langes
Leben und Sieg Karl, dem frömmsten Augustus, von Gott zum
großen und friedereichen Kaiser der Römer gekrönt!« Haupt und
Leib Karls des Großen wurden königlich gesalbt; er wurde
gleich den Cäsaren vom Papste begrüßt oder kniend verehrt.
Sein Krönungseid enthielt das Versprechen, den Glauben und die
Vorrechte der Kirche aufrecht zu erhalten, und die ersten
Früchte zahlte er in reichen Gaben auf den Gräbern der
Apostel. Der Kaiser beteuerte in vertrautem Gespräche, daß er
in Unkenntnis von Leos Absichten gewesen sei, die durch seine
Abwesenheit an diesem denkwürdigen Tage nicht hätten
durchgeführt werden können. Aber die Vorbereitungen zur Feier
mußten das Geheimnis enthüllt haben, und die Reise Karls des
Großen zeigt sein Wissen darum und seine Erwartung; er hatte
bekannt, daß der kaiserliche Titel das Ziel Seines Ehrgeizes
sei, und ein römischer Senat hatte ausgesprochen, daß derselbe
die einzig angemessene Belohnung seines Wertes und seines
Verdienstes wäre.
Die Benennung groß ist oft beigelegt und zuweilen verdient
worden, aber Karl der Große ist der einzige Fürst, bei dem der
Titel mit dem Namen unwiderruflich verbunden worden ist.
Dieser Name, mit dem Beisatze der Heilige, findet sich im
römischen Kalender aufgenommen, und der Heilige wird, ein
seltenes Glück, mit den Lobsprüchen der Geschichtsschreiber
und Philosophen eines aufgeklärten Jahrhunderts geschmückt.
Sein wirkliches Verdienst wird ohne Zweifel durch die
Primitivität des Volkes und der Zeiten, aus der er auftauchte,
erhöht, aber ebenso seine scheinbare Größe durch einen
unrichtigen Vergleich übertrieben, gleichwie die Ruinen von
Palmyra durch die Nacktheit der umliegenden Wüste einen
zufälligen Glanz erhalten. Ohne Ungerechtigkeit gegen seinen
Ruf kann ich in der Heiligkeit und Größe des Wiederherstellers
des abendländischen Kaisertums einige Flecken sehen. Unter
seinen moralischen Tugenden leuchtet Keuschheit nicht eben
sehr hervor, aber sein öffentlicher Ruf konnte durch seine
neun Weiber oder Geliebten, durch viele kleinere oder kürzere
Liebschaften, durch die Menge von Bastarden, die er der Kirche
vermachte, durch das lange Zölibat und die Sitten seiner
Töchter, die der Vater mit zu zärtlicher Leidenschaft geliebt
haben soll, nicht wesentlich gefährdet werden. Man wird mir
kaum erlauben, den Ehrgeiz eines Eroberers anzuklagen; aber an
einem Tage gerechter Wiedervergeltung dürften die Söhne seines
Bruders Karlmann, die merovingischen Fürsten von Aquitanien
und die viertausendfünfhundert Sachsen, die auf einem Fleck
enthauptet wurden, etwas gegen die Gerechtigkeit und
Menschenliebe Karls des Großen vorzubringen haben. Seine
Behandlung der besiegten Sachsen war ein Mißbrauch der Rechte
eines Siegers; seine Gesetze waren nicht minder blutdürstig
als seine Waffen, und bei der Prüfung seiner Beweggründe muß,
was man an Bigotterie abzieht, dem Temperament zugeschrieben
werden. Der Leser, der eine sitzende Lebensart führt, wird
über Karls unaufhörliche geistige und körperliche Tätigkeit
staunen, und nicht minder wurden seine Untertanen und Feinde
durch seine plötzliche Gegenwart in einem Augenblicke
überrascht, in dem sie ihn an den fernsten Enden seines
Reiches vermuteten; weder Friede noch Krieg, weder Sommer noch
Winter waren für ihn eine Zeit der Ruhe, und unsere Phantasie
vermag die Annalen seiner Regierung mit der Örtlichkeit seiner
Unternehmungen nicht leicht in Übereinstimmung bringen. Aber
dieser Tätigkeitsdrang war mehr eine nationale als eine
persönliche Tugend; das Wanderleben der Franken verging auf
Jagden, Wallfahrten und in kriegerischen Abenteuern, und die
Reisen Karls des Großen, bei denen er zahlreiches Gefolge
hatte, zeichnen sich durch einen wichtigeren Zweck aus. Sein
kriegerischer Ruhm muß nach Prüfung seiner Truppen, seiner
Feinde und seiner Taten bemessen weiden. Alexander siegte mit
den Armeen Philipps, aber die zwei Helden, die Karl dem Großen
vorangingen, hinterließen ihm ihre Namen, ihr Beispiel und die
Gefährten ihrer Siege. Er unterdrückte an der Spitze seiner
kampferprobten und überlegenen Heere wilde oder entartete
Nationen, die nicht fähig waren, sich zu ihrer gemeinsamen
Sicherheit zu verbünden; auch traf er, was Zahl, Heereszucht
oder Waffen betrifft, nie auf einen gleichen Gegner. Die
Kriegskunst war mit den Künsten des Friedens verlorengegangen
und lebte mit ihnen wieder auf; aber seine Feldzüge sind mit
keiner Belagerung, keiner Schlacht von besonderer Wichtigkeit
und Erfolg ausgezeichnet, und er hat mit Neid die
Siegeszeichen seines Großvaters über die Sarazenen betrachtet.
Nach seinem Feldzuge in Spanien wurde seine Nachhut in den
Pyrenäen vernichtet. Die Soldaten, deren Lage hoffnungslos,
deren Tapferkeit nutzlos war, haben wahrscheinlich mit dem
letzten Atemzug die mangelnde Geschicklichkeit oder Vorsicht
ihres Feldherrn beklagt. Ich erwähne mit Ehrfurcht die Gesetze
Karls des Großen, denen ein achtbarer Richter so hohes Lob
gezollt hat. Sie bildeten kein System, sondern nur eine Reihe
gelegentlicher und Kleinigkeiten betreffende Edikte zur
Abstellung der Mißbräuche, Reform der Sitten, Verwaltung
seiner Meierhöfe, Sorgfalt für das Federvieh, ja sogar zum
Verkauf der Eier. Er wünschte die Gesetze und den Charakter
der Franken zu veredeln, und seine Versuche, wie schwach und
unvollkommen sie auch waren, verdienen Lob; die eingewurzelten
Zeitübel wurden durch seine Regierung abgeschafft oder
gemildert, aber ich vermag in seinen Satzungen nur selten den
allgemeinen Überblick und den unsterblichen Geist eines
Gesetzgebers zu entdecken, der zum Besten der Nachwelt
fortlebt. Die Einheit und der Bestand seines Reiches hingen an
dem Leben eines einzigen Mannes; er ahmte die gefährliche
Gewohnheit nach, sein Reich unter seine Söhne zu teilen. Trotz
seiner zahlreichen Reichstage schwankte doch die ganze
Verfassung zwischen Anarchie und Despotismus. Seine Achtung
vor der Frömmigkeit und Gelehrsamkeit der Geistlichkeit
verleitete ihn, diesen ehrgeizigen Stand mit zeitlicher
Herrschaft und politischer Macht auszustatten, und als sein
Sohn Ludwig durch die Bischöfe beraubt und abgesetzt wurde,
konnte er mit Recht seinem unklugen Vater die Schuld daran
geben. Seine Gesetze legten die Zahlung des Zehnten auf, weil
die Dämonen in der Luft verkündet hatten, die Nichtentrichtung
dieser Steuer wäre die Ursache der letzten Mißernte gewesen.
Die geistigen Verdienste Karls des Großen werden durch
Gründung von Schulen, Einführung der Künste, durch die Werke,
die unter seinem Namen herauskamen und durch seinen vertrauten
Verkehr mit den Untertanen und Fremden bestätigt, die er an
seinen Hof lud, um sowohl den Fürsten als das Volk zu
erziehen. Seine eigenen Studien waren mühsam, unvollständig
und spät angestellt; wenn er Latein sprach und Griechisch
verstand, waren die Anfangsgründe dieser Sprachen mehr aus dem
Umgange als aus Büchern geschöpft, und der Kaiser strebte erst
im reifen Alter danach, sich die Kunst des Schreibens zu eigen
zu machen. Grammatik und Logik, Musik und Astronomie wurden in
jener Zeit nur zum Nutzen des Aberglaubens gepflegt. Aber die
Forschbegier des menschlichen Geistes mußte schließlich zu
dessen Veredlung führen, und es gereicht Karl dem Großen zu
höchstem Glanz und Ehren, daß er die Wissenschaft aufblühen
ließ. Die Würde seiner Person, die Länge seiner Regierung, das
Glück seiner Waffen, die Kraft seiner Herrschaft und die
Ehrfurcht ferner Nationen erheben ihn über den königlichen
Troß, und Europa beginnt eine neue Zeitrechnung mit der
Wiederherstellung des abendländischen Kaisertums.
Dieses Kaisertum war des Titels nicht unwürdig. Einige der
schönsten Königreiche Europas bildeten das Erbe oder wurden
von einem Fürsten erobert, der zu gleicher Zeit in Frankreich,
Spanien, Italien, Deutschland und Ungarn herrschte.
I. Die römische Provinz Gallien war in die Monarchie
Frankreich umgewandelt worden, aber nach dem Verfall des
merovingischen Hauses wurden dessen Grenzen durch die
unabhängigen Briten und die Empörung von Aquitanien verengert.
Karl der Große bekriegte die Briten und beschränkte sie auf
die Gestade des Ozeans; dieser wilde Stamm, durch Ursprung und
Sprache von den Franken so verschieden, wurde durch Tribut,
Geisel sowie Friedenszwang bestraft. Nach einem lange
dauernden Kampfe wurden die sich empörenden Herzöge von
Aquitanien niedergeworfen. Sie verloren ihre Provinz und ihr
Leben. Eine solche Behandlung ehrgeiziger Statthalter, welche
die Majordomi zu treu nachgeahmt hatten, würde schon hart und
streng gewesen sein. Aber neuerlich wurde entdeckt, daß diese
unglücklichen Fürsten die letzten und rechtmäßigen Erben
Chlodwigs waren, ein jüngerer von Dagoberts Bruder
abstammender Zweig des merovingischen Hauses. Ihr altes
Königreich war auf das Herzogtum Gascogne und die Grafschaften
Fezenzac und Armagnac am Fuße der Pyrenäen beschränkt; ihr
Geschlecht lebte bis Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, und
nachdem sie ihre karolingischen Tyrannen überlebt hatten, war
es ihnen bestimmt, abwechselnd Verfolgung und Gunst durch eine
dritte Dynastie zu erfahren. Durch die Wiedervereinigung mit
Aquitanien wurde Frankreich bis auf seine gegenwärtigen
Grenzen erweitert, mit Einschluß jedoch der Niederlande,
Spaniens und des Rheins.
II. Die Sarazenen waren vom Großvater und Vater Karls des
Großen aus Frankreich vertrieben worden, aber sie besaßen noch
immer den größten Teil von Spanien, vom Felsen von Gibraltar
bis zu den Pyrenäen. Infolge ihrer Parteispaltungen hatte ein
Emir von Saragossa auf dem Reichstage von Paderborn bei Karl
dem Großen um Schutz nachgesucht. Er unternahm den Feldzug,
setzte den Emir wieder ein, brach, ohne den Glauben zu
berücksichtigen, unparteiisch den Widerstand der Christen und
belohnte den Gehorsam und die Dienste der Mohammedaner. Er
errichtete die spanische Mark, die sich von den Pyrenäen bis
an den Ebro ausdehnte. Barcelona war die Residenz des
fränkischen Statthalters; er besaß die Grafschaften Roussillon
und Katalonien, und die jungen Königreiche Navarra und
Aragonien waren ihm Untertan.
III. Als König der Lombarden und Patrizier von Rom
herrschte er über den größten Teil von Italien, eine Strecke
von tausend Meilen, von den Alpen bis an die Grenze von
Kalabrien. Das Herzogtum Benevent, ein lombardisches Lehen,
hatte sich auf Kosten der Griechen über das neue Königreich
Neapel ausgedehnt. Aber der regierende Herzog Arrechis
weigerte sich, die Knechtschaft seines Vaterlandes zu teilen.
Er nahm den Titel eines unabhängigen Fürsten an und widerstand
kämpfend der karolingischen Monarchie. Seine Verteidigung war
standhaft, seine Unterwerfung nicht unrühmlich, und der Kaiser
begnügte sich mit einem geringen Tribut, der Abtragung seiner
Festungen und der Anerkennung eines obersten Lehensherrn durch
Prägung dessen Bildes auf den Münzen. Sein Sohn Grimoald
fügte, um sich einzuschmeicheln, den Namen Vater hinzu, aber
er behauptete seine Würde mit Klugheit, und Benevent entzog
sich unmerklich dem Joch der Franken.
IV. Karl der Große war der erste, der Deutschland unter
einem Zepter vereinigte. Der Name Ostfrankreich wird noch im
Kreise Franken bewahrt, und Hessen und Thüringen wurde
Frankreich einverleibt. Die den Römern so furchtbaren
Alemannen waren die treuen Vasallen und Bundesgenossen der
Franken. Ihr Land hatte die heutigen Grenzen von Elsaß,
Schwaben und der Schweiz. Die Baiern behielten ihre Gesetze
und Sitten, gehorchten jedoch einem ungeduldigen Gebieter. Der
wiederholte Hochverrat Tassilos rechtfertigte die Abschaffung
ihres erblichen Herzogtums und ihre Macht wurde unter Grafen
verteilt, die über sie das Richteramt besaßen und ihre Grenzen
zu verteidigen hatten. Aber der Norden Deutschlands vom Rhein
an und jenseits der Elbe war noch immer feindlich gesinnt und
heidnisch. Ein dreiunddreißigjähriger Krieg war erforderlich,
um die Sachsen unter das Joch Christi und Karls zu beugen. Die
Götzen und ihre Verehrer wurden ausgerottet, und die Gründung
von acht Bistümern, Münster, Osnabrück, Paderborn, Minden,
Bremen, Verden, Hildesheim und Halberstadt kennzeichnet auf
beiden Seiten der Weser die Grenzen des alten Sachsens. Diese
bischöflichen Sitze waren die ersten Schulen und Städte des
wilden Landes. Die Religion und Menschlichkeit der Kinder
macht in einem gewissen Grade die Niedermetzlung der Eltern
verzeihen. Jenseits der Elbe breiteten sich die Slaven, von
ähnlichen Sitten, aber verschiedenen Namen, über die neueren
Länder Preußen, Polen und Böhmen aus. Vorübergehende
Unterwerfungen haben die französischen Geschichtschreiber
sogar verleitet, als Grenzen des Reiches die Ostsee und
Weichsel anzugeben. Die Eroberung oder Bekehrung dieser Länder
gehört einem späteren Zeitalter an, aber die erste Vereinigung
von Böhmen mit den deutschen Landen kann mit Recht Karl dem
Großen zugeschrieben werden.
V. Er suchte die Avaren oder Hunnen von Ungarn mit
denselben Drangsalen heim, die sie über die Völker gebracht
hatten. Ihre Ringe oder hölzernen Wälle, die ihre Bezirke und
Dörfer umgaben, wurden durch ein dreifaches fränkisches Heer
gebrochen, das zu Land und Wasser, durch die Karpathen und
längs den Ebenen der Donau in ihr Land einbrach. Nach
achtjährigem blutigen Kampfe wurde der Tod einiger fränkischer
Heerführer durch die Niedermetzelung der edelsten Hunnen
gerächt; die Reste der Nation unterwarfen sich. Die königliche
Residenz des Chagan verödete, ihre Schätze, der Raub von
zweihundertfünfzig Jahren, bereicherten die siegreichen
Truppen oder schmückten die Kirchen von Italien und Gallien.
Nach der Bezwingung von Pannonien dehnten sich die Grenzen des
Reiches Karls des Großen bis an den Zusammenfluß der Donau mit
der Theiß und Save aus; die Provinzen Istrien, Liburnien und
Dalmatien bildeten einen leicht erworbenen, aber nutzlosen
Zuwachs, und es war eine Folge seiner Mäßigung, daß er die
Seestädte unter der wirklichen oder nominellen Souveränität
der Griechen ließ. Aber diese fernen Besitzungen erhöhten mehr
den Ruhm als die Macht des lateinischen Kaisers; auch wagte er
keine kirchlichen Einrichtungen zu treffen, um die Barbaren
von ihrem Wanderleben und Götzendienste zu bekehren. Einige
Verbindungskanäle zwischen der Saone und Maas, dem Rhein und
der Donau wurden lässig begonnen. Ihre Ausführung würde das
Reich belebt haben, aber man verschwendete häufig mehr Kosten
und Mühe auf den Bau einer Kathedrale!
Wenn wir die Grenzen dieses Gebietes verfolgen, so sehen
wir, daß sich das Reich der Franken zwischen Osten und Westen
vom Ebro bis an die Elbe und Weichsel, zwischen Norden und
Süden von dem Herzogtume Benevent bis an die Eider, den ewigen
Grenzfluß Deutschlands und Dänemarks, ausdehnte. Die
persönliche und politische Wichtigkeit Karls des Großen wurde
durch die Drangsale und Zersplitterungen des übrigen Europas
erhöht. Um die Inseln Großbritannien und Irland kämpfte eine
Schar von Fürsten sächsischer oder schottischer Herkunft, und
nach Spaniens Verlust war das christliche oder gotische
Königreich Alphons' des Keuschen auf den engen Bezirk der
asturischen Gebirge beschränkt. Diese kleinen Fürsten
verehrten die Macht oder Tugend des karolingischen Monarchen,
baten um die Ehre eines Bündnisses und Beistand und nannten
ihn ihren gemeinsamen Vater, den einzigen und obersten Kaiser
des Abendlandes. Er verkehrte auf gleichem Fuße mit dem
Kalifen Harun al Raschid, dessen Reich sich von Afrika bis
Indien erstreckte, und nahm von seinen Abgesandten ein Zelt,
eine Wasseruhr, einen Elefanten und die Schlüssel des heiligen
Graben an. Es ist schwer, die vertraute Freundschaft eines
Franken und eines Arabers, einander an Person, Sprache und
Religion fremd, zu begreifen; doch ihr öffentliches Verhältnis
gründete sich auf Eitelkeit und ihre Entfernung voneinander
bewahrte sie vor der Nebenbuhlerschaft. Zwei Dritteile des
abendländischen Reiches von Rom gehorchten Karl dem Großen und
was daran fehlte, wurde durch seine Herrschaft über die
unzugänglichen Länder oder schwerbezwinglichen Völker
Deutschlands reichlich ersetzt. Aber wir staunen mit Recht,
daß er bei der Wahl seiner Feinde den armen Norden so oft dem
reichen Süden vorzog. Die dreiunddreißig schwierigen, in die
Wälder und Sümpfe Deutschlands führenden Feldzüge würden
hingereicht haben, die Griechen aus Italien und die Sarazenen
aus Spanien zu vertreiben. Die Schwäche der Griechen mußte ihm
einen leichten Sieg sichern, der heilige Kreuzzug gegen die
Sarazenen hätte ihm Ruhm und Rache gebracht und wäre religiös
und politisch gewesen. Vielleicht, daß seine Züge über den
Rhein und die Elbe bezwecken sollten, seine Monarchie vor dem
Schicksal des römischen Reiches zu bewahren, die Feinde der
zivilisierten Gesellschaft zu entwaffnen und den Samen
künftiger Völkerwanderungen zu vertilgen. Aber man hat mit
Recht bemerkt, daß, im Lichte einer Vorsichtsmaßregel
betrachtet, keine Eroberung wirksam sein könne, sie wäre denn
allgemein, weil jede Ausdehnung der Grenzen größere
Feindeskreise berührt. Die Unterjochung von Deutschland riß
den Schleier, der die Festlande oder Inseln von Skandinavien
der Kenntnis Europas so lange verborgen hatte, hinweg und
rüttelte die trägen und mutigen barbarischen Eingeborenen auf.
Die wildesten der sächsischen Götzendiener hatten sich vor dem
christlichen Tyrannen zu ihren nordischen Brüdern geflüchtet;
der Ozean und das Mittelmeer wurden von ihren Seeräuberflotten
heimgesucht, und Karl der Große sah seufzend die Fortschritte
der zerstörerischen Normannen, die in weniger als siebzig
Jahren den Sturz seines Hauses und seiner Monarchie
beschleunigten. Wenn der Papst und die Römer die ursprüngliche
Verfassung wieder ins Leben gerufen hätten, so würde der Titel
Kaiser und Augustus Karl dem Großen nur auf Lebenszeit erteilt
worden sein und seine Nachfolger hätten bei jeder Erledigung
den Thron nur mittels einer förmlichen oder stillen Wahl
besteigen können. Aber die Teilnahme seines Sohnes Ludwigs des
Frommen an der Regierung bekräftigte das unabhängige Recht der
Monarchie und Eroberung, und der Kaiser scheint bei dieser
Gelegenheit die Ansprüche der Geistlichkeit vorausgesehen und
ihnen vorgebeugt zu haben. Er befahl dem königlichen Prinzen,
die Krone vom Altar zu nehmen und sie sich mit eigenen Händen
als ein Geschenk Gottes, seines Vater und der Nation
aufzusetzen. Dieselbe Zeremonie wurde, obschon weit weniger
energisch, in der folgenden Doppelregierung Lothars und
Ludwigs II. wiederholt. Das Zepter der Karolinger ging vom
Vater auf den Sohn in einer geraden Erbfolge während vier
Generationen über, und die ehrgeizigen Päpste blieben auf die
leere Ehre beschränkt, diese Erbfürsten, die bereits mit ihrer
Macht durch die Geburt bekleidet waren, zu salben und zu
krönen. Der fromme Ludwig überlebte seine Brüder und besaß das
ganze Reich Karls des Großen. Aber die Völker und Edlen, seine
Bischöfe und seine Kinder entdeckten bald, daß dieser
ungeheure Körper nicht mehr von demselben Geiste belebt werde.
Die Grundlagen wurden im Kernpunkte untergraben, während die
äußere Oberfläche noch glatt und ganz war. Nach einem Kriege
und einer Schlacht, die hunderttausend Franken das Leben
kostete, wurde das Reich zwischen seinen drei Söhnen geteilt,
die alle kindlichen und brüderlichen Pflichten verletzt
hatten. Die Königreiche Frankreich und Deutschland wurden auf
immer getrennt und die gallischen Provinzen zwischen Rhone und
Alpen, Maas und Rhein samt Italien fielen Lothar zu. Bei der
Teilung seines Anteiles erhielten seine jüngeren Söhne
Lothringen und das Arelat, zwei neue ephemere Königreiche.
Ludwig II., sein ältester Sohn, begnügt sich mit dem
Königreiche Italien, dem eigentlichen und hinreichenden
Erblande eines römischen Kaisers. Nach seinem Tode ohne
männlichen Nachkommen stritten sich seine Oheime und Vettern
um den erledigten Thron. Die Päpste benützten diese
Gelegenheit mit der größten Gewandtheit, um die Ansprüche und
Verdienste der Kandidaten zu prüfen und das kaiserliche Amt
eines Beschützers der römischen Kirche dem willfährigsten oder
freigebigsten zu verleihen. Die Hefe des karolingischen
Geschlechtes zeigte weiter weder Macht noch Tugend, und die
lächerlichen Beinamen des Kahlen, des Stammlers, des Dicken,
des Einfältigen unterschieden die sonst einförmigen Gestalten
einer Schar Könige, alle in gleichem Maße der Vergessenheit
wert. Infolge des Aussterbens der Seitenlinien fiel die ganze
Erbschaft an Karl den Dicken, den letzten Kaiser seines
Hauses; sein Blödsinn rechtfertigte den Abfall Deutschlands,
Italiens und Frankreichs. Er wurde auf einem Reichstage
abgesetzt und flehte die Rebellen, die sein Leben und seine
Freiheit aus Verachtung geschont hatten, um sein tägliches
Brot an. Nach dem Grade ihrer Macht maßten sich die
Statthalter, Bischöfe und Herren die Bruchstücke des
zerfallenden Reiches an, nur daß weibliche oder unechte
Nachkommen Karls des Großen einigen Vorzug erhielten.
Diejenigen, die mit einem Heere vor den Toren Roms erscheinen
konnten, wurden im Vatikan zu Kaisern gekrönt; häufiger aber
begnügten sie sich bescheiden mit dem Titel König von Italien,
und der ganze Zeitraum von vierundsiebzig Jahren, von der
Abdankung Karls des Dicken bis zur Erhebung Ottos I., kann als
kaiserlos angesehen werden.
Otto gehörte dem alten Geschlechte der Herzöge von Sachsen
an, und wenn er wirklich von Wittekind, dem Gegner und
Proselyten Karls des Großen, abstammte, so wurden die
Nachkommen eines besiegten Volkes erhoben, um über ihre Sieger
zu herrschen. Sein Vater, Heinrich der Städtegründer, war
durch die Nation erwählt worden, das deutsche Königreich zu
retten und zu begründen. Die Grenzen desselben wurden auf
allen Seiten von seinem Sohne, dem ersten und größten der
Ottonen, erweitert. Ein Strich von Gallien westlich vom Rhein
längs den Ufern der Maas und Mosel wurde den Deutschen
überwiesen, deren Blut und Sprache seit den Zeiten Cäsars und
Tacitus' hier dominierten. Zwischen Rhein, Rhone und Alpen
erwarben die Nachfolger Ottos eine hohle Oberhoheit über die
zertrümmerten burgundischen und arelatischen Königreiche. Im
Norden wurde das Christentum durch das Schwert Ottos, des
Apostels und Besiegers der slavischen Völkerschaften an der
Oder und Elbe, verbreitet. Die Marken Brandenburg und
Schleswig wurden durch deutsche Kolonisten befestigt, und die
Könige von Dänemark, die Herzöge von Böhmen und Polen
bekannten sich als seine zinspflichtigen Vasallen. An der
Spitze einer siegreichen Armee ging er über die Alpen,
unterwarf das Königreich Italien, befreite den Papst und
festigte das Kaisertum in Deutschland für immer. Von dieser
denkwürdigen Epoche an wurden zwei Maximen des Staatsrechtes
durch Gewalt eingeführt, die mit der Zeit genehmigt werden: 1.
Daß der Fürst, der auf dem deutschen Reichstage gewählt wurde,
von dem Augenblicke an die unterworfenen Königreiche Italien
und Rom erlangte. 2. Daß aber dieser Fürst gesetzlich die
Titel Kaiser und Augustus nicht eher annehmen durfte, als bis
er die Krone aus den Händen des römischen Papstes erhalten
hatte. Die kaiserliche Würde Karls des Großen wurde dem Osten
durch die Veränderung in seinem Stil verkündet, und statt die
griechischen Kaiser als seine Väter zu begrüßen, erdreistete
er sich, sie Bruder zu nennen. Vielleicht trachtete er danach,
Irene zur Gemahlin zu erhalten; seine Gesandten in
Konstantinopel redeten die Sprache des Friedens und der
Freundschaft und unterhandelten vielleicht insgeheim über
einen Ehevertrag mit dieser ehrgeizigen Fürstin, welche die
heiligsten Pflichten einer Mutter verletzt hatte. Es ist
unmöglich, über Natur, Dauer und wahrscheinliche Folgen einer
solchen Vereinigung zwischen zwei fernen und ungleichen
Herrschern eine Vermutung zu wagen; aber das einstimmige
Schweigen der Lateiner erregt den Argwohn, daß das Gerücht von
Irenes Feinden erfunden wurde, um sie mit der Schuld des
Verrates an der Kirche und des Staates an die westlichen
Fremdlinge zu beladen. Die fränkischen Gesandten waren Zeugen
und wären beinahe Opfer der Verschwörung des Nikephorus und
des Nationalhasses geworden. Konstantinopel war über den
Verrat und Frevel des alten Rom erbittert. Ein Sprichwort, »daß
die Franken gute Freunde und schlimme Nachbarn wären«, ging
von Mund zu Mund, aber es war gefährlich einen Nachbar zu
reizen, der in Versuchung kommen konnte, in der St.
Sophienkirche die Zeremonie seiner Kaiserkrönung zu
wiederholen. Nach einer langwierigen Reise voller Umwege und
Verzögerungen trafen die Gesandten des Nikephorus ihn in
seinem Lager am Ufer der Saale. Karl der Große machte sich das
Vergnügen, sie in ihrer Eitelkeit zu demütigen, indem er in
einem fränkischen Dorfe den Pomp oder wenigstens den Hochmut
der Byzantiner zeigte. Die Griechen wurden nacheinander durch
vier Audienzhallen geführt, in der ersten waren sie bereit,
vor einer schimmernden Person auf einem Prunkstuhle
niederzufallen, bis man ihnen sagte, daß es nur ein Diener,
der Stallmeister des Kaisers wäre. Derselbe Irrtum, dieselbe
Antwort wurde in den Hallen des Pfalzgrafen, des Hofmeisters,
des Kämmerers wiederholt, und ihre Ungeduld steigerte sich
allmählich, bis die Tore des eigentlichen Audienzsaales sich
öffneten und sie den wirklichen Monarchen auf seinem Throne in
reichem Prunke des Auslandes, den er verachtete, und von
seinen ihn liebenden, ehrfürchtigen siegreichen Heerführern
umgeben, erblickten. Ein Friedens- und Freundschaftsvertrag
wurde zwischen den beiden Reichen geschlossen und die Grenzen
des Westens und Ostens durch den gegenwärtigen Besitzstand
bestimmt. Aber die Griechen vergaßen bald diese demütigende
Gleichheit oder erinnerten sich ihrer nur, um die Barbaren zu
hassen, von denen sie ihnen aufgedrungen worden war. Während
kurzer Zeit begrüßten sie den Augustus Karl ehrfurchtsvoll mit
dem Namen eines Basileus und Kaisers der Römer. Die
byzantinischen Briefe an seinen Sohn trugen jedoch die
Überschrift: »An den König oder, wie er sich nennt, Kaiser der
Franken und Lombarden.« Nachdem sowohl Macht als Tugend
geschwunden, versagten sie Ludwig II. seinen erblichen Titel
und setzten ihn durch die barbarische Benennung rex oder rega
zur übrigen Schar der lateinischen Fürsten herab. Seine
Antwort ist bezeichnend für seine Schwäche; er beweist mit
einiger Gelehrsamkeit, daß sowohl in der weltlichen wie in der
heiligen Geschichte der Name König mit dem griechischen
Basileus synonym sei; wenn auch in Konstantinopel dieser Titel
im ausschließlichen Sinne genommen würde, so leite er von
seinen Ahnen und dem Papste die Berechtigung her, an den Ehren
des römischen Purpurs teilzunehmen. Derselbe Streit wurde
unter der Regierung der Ottonen wieder aufgefrischt. Ihr
Gesandter beschreibt in lebendigen Farben den übermütigen
byzantinischen Hof. Die Griechen erkünstelten Verachtung für
die Armut und Unwissenheit der Franken und Sachsen und
weigerten sich, auch in ihrem äußersten Verfall die Könige von
Deutschland mit dem Titel römischer Kaiser auszuzeichnen.
Diese Kaiser fuhren bei den Wahlen der Päpste fort, die
Macht auszuüben, die sich die gotischen und griechischen
Fürsten angemaßt hatten, und die Wichtigkeit dieses Vorrechtes
nahm mit dem weltlichen Staate und der geistlichen Macht der
Kirche zu. In der christlichen Aristokratie bildeten die
vornehmsten Mitglieder der Geistlichkeit dauernd einen Senat,
um dem Bischof bei seiner Verwaltung beizustehen und ihn im
Falle der Erledigung zu ersetzen. Rom war in achtundzwanzig
Pfarreien geteilt und jede Partei wurde von einem
Kardinalpriester oder Presbyter geleitet, ein Titel, der, wie
gewöhnlich und bescheiden er auch nach seinem Ursprung gewesen
sein mag, mit dem Königstitel wetteifern sollte. Ihre Anzahl
wurde durch die Beigesellung von sieben Diakonen der
vornehmsten Hospitäler, der sieben Pfalzrichter des Lateran
und einiger Würdenträger der Kirche erweitert. Dieser
kirchliche Senat wurde von sieben Kardinalbischöfen der
römischen Provinz geleitet, die in ihren außerstädtischen
Sprengeln Ostia, Porto, Veliträ, Tusculum, Präneste, Tibur und
Sabinum minder beschäftigt waren, als durch ihren
wöchentlichen Dienst im Lateran und ihre Teilnahme an den
höheren Ehren und der Macht des apostolischen Stuhles. Nach
dem Tode eines Papstes empfahlen diese Bischöfe dem
Kardinalkollegium einen Nachfolger, und ihre Wahl wurde durch
den beifälligen oder mißfälligen Zuruf des römischen Volkes
angenommen oder verworfen. Aber die Wahl war unvollständig und
der Papst konnte gesetzlich nicht eher geweiht werden, als bis
der Kaiser, der Verteidiger der Kirche, huldreich seine
Billigung und Zustimmung gegeben hatte. Der kaiserliche
Bevollmächtigte untersuchte an Ort und Stelle Form und
Freiheit des Wahlverfahrens, und erst nach vorangegangener
Prüfung der Eigenschaften der Kandidaten nahm er den Treueid
an und bestätigte die Schenkungen, die nach und nach das
Vermögen des Stuhles des heiligen Petrus bereichert hatten.
Bei den nicht selten vorkommenden Spaltungen wurden die
Ansprüche der Kandidaten dem Urteile des Kaisers vorgelegt, ja
in einer Synode von Bischöfen konnte er wagen, einen
schuldigen Papst zu richten, zu verdammen und zu bestrafen.
Otto I. zwang dem Senate und Volke einen Vertrag auf, indem es
sich verpflichtete, den seiner Majestät angenehmsten
Kandidaten vorzuziehen; seine Nachfolger kamen der Wahl zuvor
oder hinderten sie, verliehen die römische Papstwürde wie die
Bistümer Köln oder Bamberg ihren Kanzlern und Lehrern, und wie
groß auch das Verdienst eines Sachsen oder Franken sein
mochte, so beweist doch schon sein Name hinlänglich die
Einmischung einer fremden Macht. Die Ausübung eines solchen
Vorrechtes wurde durch die einer Volkswahl anhaftenden
Unordnungen beschönigt. Der Bewerber, der von den Kardinälen
ausgeschlossen worden war, bediente sich der Leidenschaften
oder Habsucht der Menge; der Vatikan und Lateran wurden mit
Blut befleckt, und die vornehmsten Senatoren, die Herzoge von
Toscana und die Grafen von Tusculum hielten den apostolischen
Stuhl in langer und schmählicher Knechtschaft. Die römischen
Päpste des neunten und zehnten Jahrhunderts wurden von ihren
Tyrannen mißhandelt, eingekerkert, ermordet; und so groß war
ihre Armut nach dem Verlust oder der Usurpation der
Besitzungen der Kirche, daß sie weder fürstlichen Glanz
entfalten noch priesterliche Mildtätigkeit ausüben konnten.
Der Einfluß von zwei Schwestern, Marozia und Theodora,
gründete sich auf ihren Reichtum und ihre Schönheit, auf ihre
politischen Machenschaften und Liebesintrigen. Der kräftigste
ihrer Liebhaber wurde mit der römischen Inful belohnt. Ihre
Herrschaft mag in den finsteren Jahrhunderten die Fabel von
einer Päpstin Johanna veranlaßt haben. Der uneheliche Sohn,
Enkel und Urenkel der Marozia, eine seltene Genealogie, saßen
auf dem Thron des heiligen Petrus. Der zweite von ihnen war
erst neunzehn Jahre alt, als er das Oberhaupt der lateinischen
Kirche wurde. In seiner Jugend und seinem Mannesalter verhielt
er sich in angemessener Art, und die Pilgerscharen konnten
Zeugnis für die Beschuldigungen ablegen, die in einer
römischen Synode und in Gegenwart des Kaisers Otto des Großen
gegen ihn vorgebracht wurden. Da Johann XII. auf die Tracht
und den würdevollen Anstand seines Berufes Verzicht geleistet
hatte, mag der Soldat vielleicht durch den Wein, den er trank,
das Blut, das er vergoß, die Flammen, die er entzündete und
die tollen Spiele der Lust nicht entehrt worden sein. Seine
offenkundige Simonie war die Folge der Not und seine
lästerliche Anrufung des Jupiter und der Venus konnte, wenn
sie anders begründet ist, nicht ernstlich gemeint sein. Aber
wir lesen mit Erstaunen, daß der würdige Enkel der Marozia in
öffentlichem Ehebruch mit den römischen Damen lebte; daß der
lateranische Palast in eine Schule der Schändung umgewandelt
wurde und daß seine Vergewaltigung von Jungfrauen und Witwen
die Pilgerinnen abhielt, das Grab des heiligen Petrus zu
besuchen, um bei dieser frommen Handlung nicht etwa Gewalt von
seinem Nachfolger zu erleiden. Die Protestanten verweilen mit
boshafter Freude bei diesen Eigenschaften eines Antichristen,
einem philosophischen Auge erscheinen aber die Laster der
Geistlichkeit weniger gefährlich als ihre Tugenden. Nach einer
langen Reihe schändlicher Vorfälle wurde der apostolische
Stuhl durch den strengen Gregor VII. reformiert und geläutert.
Dieser ehrgeizige Mönch widmete sein Leben der Ausführung von
zwei Plänen: 1. Die Unabhängigkeit und Freiheit der Wahl dem
Kardinalkollegium fest zu übertragen und für immer das Recht
oder die Anmaßung der Kaiser und des römischen Volkes
abzuschaffen. 2. Das abendländische Reich als ein Lehen oder
Benefizium der Kirche zu verleihen oder zurückzunehmen und
seine zeitliche Herrschaft über die Könige und Reiche der Welt
auszudehnen. Nach fünfzigjährigem Kampf wurde der erste dieser
Pläne durch die Unterstützung der Geistlichkeit, deren
Freiheit mit jener ihres Oberhauptes in innigem Zusammenhang
stand, durchgesetzt. Aber dem zweiten Plane, obwohl er mit
teilweisem und scheinbarem Erfolg gekrönt wurde, widersetzte
sich die weltliche Macht mit aller Kraft und er scheiterte
endlich gänzlich.
Durch die Erneuerung des römischen Reiches konnten weder
der Bischof noch das Volk Karl dem Großen oder Otto die
Provinzen verleihen, die durch das wechselnde Glück der Waffen
verloren gegangen oder gewonnen worden waren. Aber den Römern
stand es frei, sich einen Gebieter zu wählen. Die Gewalt, die
den Patriziern erteilt worden war, wurde den fränkischen und
sächsischen Kaisern des Abendlandes unwiderruflich übertragen.
Die unvollständigen Berichte jener Zeiten geben noch Zeugnis
von ihrem Palast, ihren Münzen, ihrem Tribunal, ihren Edikten
und dem Schwerte der Gerechtigkeit, das vom Kaiser herrührend,
noch im dreizehnten Jahrhundert der Präfekt der Stadt besaß.
Durch die Intrigen der Päpste und die Gewalttätigkeiten des
Volkes wurde diese Oberhoheit erdrückt und vernichtet. Sich
mit den Titeln Kaiser und Augustus begnügend, vernachlässigten
die Nachfolger Karls des Großen die Ausübung dieser örtlichen
Macht. In der Stunde des Glückes wurde ihr Ehrgeiz durch
lockendere Gegenstände abgelenkt, und zur Zeit des Verfalles
und der Teilung des Reiches waren sie mit der Verteidigung
ihrer Erbländer beschäftigt. Mitten unter den Trümmern
Italiens forderte die berüchtigte Marozia einen der
Usurpatoren auf, ihr dritter Gemahl zu werden. König Hugo von
Burgund wurde von ihrer Partei in den Molo Hadrians oder der
Engelsburg eingelassen, welche die Hauptbrücke und den
Hauptzugang von Rom beherrscht. Ihr Sohn erster Ehe, Alberich,
wurde gezwungen, dem Hochzeitsbankett beizuwohnen. Dieser
undankbare Dienst, den er nur mit Widerwillen leistete, wurde
ihm von seinem neuen Vater mit einem Schlage vergolten. Dieser
Schlag hatte eine Revolution zur Folge. »Römer«, rief der
Jüngling aus, »einst waret ihr die Herren der Welt und diese
Burgunden waren eure verworfensten Sklaven. Sie herrschen
jetzt, die gefräßigen und viehischen Wilden, und mein Schimpf
ist der Anfang eurer Knechtschaft.« Die Sturmglocken riefen in
allen Vierteln zu den Waffen; die Burgunden zogen sich in Eile
und Schmach zurück, Marozia wurde von ihrem siegreichen Sohne
eingesperrt und sein Bruder Papst Johann XI. auf die Ausübung
seiner geistlichen Verrichtungen beschränkt. Alberich hatte
mit dem Fürstentitel über zwanzig Jahre die Regierung von Rom
inne, und er soll dem Volk dadurch geschmeichelt haben, daß er
das Amt oder wenigstens den Titel der Konsuln und Tribunen
wieder herstellte. Sein Sohn und Erbe Oktavian nahm die
päpstliche Würde und den Namen Johann XII. an. Gleich seinen
Vorfahren wurde er durch die lombardischen Fürsten genötigt,
für die Kirche und die Republik einen Befreier zu suchen. Die
Dienste Ottos wurden mit der kaiserlichen Würde belohnt. Aber
der Sachse war gebieterisch, die Römer wurden ungeduldig, die
Krönungsfeier wurde durch den geheimen Kampf um Macht und
Freiheit gestört, ja Otto befahl seinem Schwertträger, nicht
von seiner Seite zu weichen, sonst könne er am Fuße des Altars
angefallen und ermordet werden. Bevor der Kaiser über die
Alpen zurückging, bestrafte er die Empörung des Volkes und den
Undank Johanns XII. Der Papst wurde in einer Synode abgesetzt,
der Präfekt, auf einem Esel reitend, durch die Stadt
gepeitscht und dann in den Kerker geworfen, dreizehn der
Schuldigsten wurden gehangen und andere verstümmelt oder
verbannt. Dieses strenge Verfahren wurde durch die alten
Gesetze des Theodosius und Justinian gerechtfertigt. Die
öffentliche Meinung hatte Otto II. einer treulosen und
blutigen Tat beschuldigt, der Niedermetzelung der Senatoren,
die er unter dem Schein der Gastfreiheit und Freundschaft zu
seiner Tafel einlud. Zur Zeit Ottos II. machte Rom einen
kühnen Versuch, das sächsische Joch abzuschütteln und der
Konsul Crescentius wurde der Brutus der Republik. Aus einem
Untertanen und Verbannten wurde er zweimal zum Herren über die
Stadt, unterdrückte, vertrieb und ernannte die Päpste und
versuchte eine Verschwörung zur Wiederherstellung der Macht
der griechischen Kaiser. In der Engelsburg hielt er eine
hartnäckige Belagerung aus, bis der unglückliche Konsul in die
Schlingen eines wortbrüchigen Gegners fiel; sein Leichnam
wurde an einen Galgen gehangen und sein Haupt auf die Zinne
der Burg gesteckt. Das Glück wandte sich, und Otto wurde,
nachdem er seine Truppen geteilt hatte, drei Tage ohne Nahrung
in seinem Palast belagert, nur eine schmähliche Flucht rettete
ihn vor den gerechten oder wütenden Römern. Der Senator
Ptolemäus war der Anführer des Volkes, und die Witwe des
Crescentius genoß die Wonne, ihren Gemahl durch Gift, das sie
ihrem kaiserlichen Liebhaber beibrachte, gerächt zu haben. Es
war die Absicht Ottos III. gewesen, die rauheren nordischen
Länder zu verlassen, seinen Thron in Italien aufzurichten und
die römische Monarchie wieder ins Leben zu rufen. Aber seine
Nachfolger erschienen nur einmal in ihrem Leben an den Ufern
des Tiber, um im Vatikan ihre Krone zu empfangen. Ihre
Abwesenheit machte sie verächtlich, sie waren gehaßt und
gefürchtet. Sie stiegen an der Spitze ihrer Völker, die dem
Lande fremd und feindlich gesinnt waren, von den Alpen nieder,
und ihr vorübergehender Besuch gab zu Tumult und Blutvergießen
Anlaß. Eine schwache Erinnerung an ihre Ahnen peinigte die
Römer fortwährend, und sie sahen mit frommer Entrüstung die
Sachsen, Franken, Schwaben und Böhmen, die den Purpur und die
Vorrechte der Cäsaren usurpierten.
Es gibt vielleicht nichts, das der Natur und Vernunft mehr
widerspräche, als ferne Länder und fremde Nationen gegen ihre
Neigung und ihr Interesse in Botmäßigkeit zu erhalten. Ein
Barbarenstrom mag über die Erde brausen, aber ein ausgedehntes
Reich muß sich auf ein verfeinertes System der Politik und
Unterdrückung stützen: im Mittelpunkte eine unumschränkte
Gewalt, schnell zur Tat, reich an Hilfsquellen, eine rasche
und leichte Verbindung zwischen den äußersten Enden,
Festungen, um die erste Ausbreitung einer Empörung zu hemmen,
eine regelmäßige Verwaltung zu Schutz und Strafe und ein
wohldiszipliniertes Heer, das Furcht einflößt, ohne
Unzufriedenheit und Verzweiflung zu erregen. Ganz verschieden
war die Lage der deutschen Kaiser, die Italien in Banden zu
schlagen strebten. Ihre Domänen dehnten sich längs des Rhein
aus oder waren in den Provinzen verstreut; aber auch dieser
große Besitz wurde durch die unklugen oder bedürftigen Fürsten
veräußert, und ihr aus kleinlichen und drückenden Vorrechten
fließendes Einkommen reichte kaum zur Bestreitung ihres
Haushaltes hin. Ihre Truppen wurden mit gesetzlichem! Zwang
oder freiwillig durch ihre Vasallen gebildet, die ungern über
die Alpen gingen, sich des Raubes und der Unordnung schuldig
machten und trotzig noch vor Ablauf des Feldzuges davonzogen.
Ganze Armeen wurden durch das pestilenzialische Klima
dahingerafft; die Überlebenden brachten die Gebeine ihrer
Fürsten und Edlen zurück und schrieben die Folgen ihrer
eigenen Unmäßigkeit häufig dem Verrat der boshaften Italiener
zu, die sich zum mindesten über die Drangsale der Barbaren
freuten. Diese unregelmäßige Tyrannei kämpfte auf gleichem
Fuße mit den kleinen italienischen Tyrannen, aber weder das
Volk, noch der Leser wird sich für diesen Streit sehr
interessieren. Allein im elften und zwölften Jahrhundert
entzündeten die Lombarden die Flamme der Freiheit, und ihr
hochherziges Beispiel wurde endlich von den Republiken von
Toskana nachgeahmt. In den italienischen Städten war die
Munizipalregierung nicht ganz abgeschafft worden. Ihre ersten
Privilegien wurden ihnen aus Gunst oder Politik vom Kaiser
bewilligt, die eine plebejische Schranke gegen die
Unabhängigkeit der Edlen zu errichten wünschten. Aber die
rapiden Fortschritte, die tägliche Ausdehnung der Macht und
Ansprüche dieser Gemeinden gründeten sich auf ihre Anzahl und
ihren Mut. Jede Stadt war das Haupt ihres Sprengels oder
Distriktes; die Gerichtsbarkeit der Bischöfe, Markgrafen und
Grafen wurde abgeschafft, und die stolzesten Edlen ließen sich
überreden oder wurden gezwungen, ihre Schlösser zu verlassen
und den ehrenvollen Stand von Freien oder Obrigkeiten zu
ergreifen. Die gesetzgebende Macht wohnte der allgemeinen
Versammlung inne, die ausübende Gewalt war jedoch drei Konsuln
vorbehalten, die jährlich aus den Kapitänen, Valvassoren und
Gemeinen, den drei Ständen, in welche die Bevölkerung geteilt
war, gewählt wurden. Unter dem Schutze gleicher Gesetze lebten
Ackerbau und Handel allmählich wieder auf; aber der
kriegerische Geist der Lombarden wurde durch die bestehende
Gefahr genährt, und so oft die Glocken gezogen, die Fahnen
gehißt wurden, strömte aus den Toren der Stadt eine zahlreiche
und unerschrockene Schar, deren Eifer in ihrer eigenen Sache
bald durch Gebrauch und Kenntnis der Waffen gesteigert wurde.
An diesem Volkswall brach der Stolz der Cäsaren, und der
unbezwingliche Geist der Freiheit siegte über die zwei
Friedriche, die größten Fürsten des Mittelalters, einer
vielleicht an kriegerischer Tapferkeit überlegen, der andere
unstreitig durch friedliche Eigenschaften und Gelehrsamkeit
ausgezeichnet.
Aus Ehrgeiz, den Glanz des Purpurs wiederherzustellen,
bekriegte Friedrich I. die lombardischen Republiken. Er
entwickelte die Künste eines Staatsmannes, die Tapferkeit
eines Soldaten und die Grausamkeit eines Tyrannen. Die
neuerliche Auffindung der Pandekten hatte eine dem Despotismus
höchst günstige Wissenschaft erneuert, und seine käuflichen
Anwälte riefen den Kaiser als den unumschränkten Gebieter über
Leben und Eigentum seiner Untertanen aus. Seine königlichen
Vorrechte wurden in einem minder häßlichen Sinne auf dem
Reichstag von Roncaglia anerkannt und das Einkommen von
Italien auf dreißigtausend Pfund Silber festgesetzt. Die
raubsüchtigen Fiskalbeamten erhöhten jedoch ihre Forderungen
in maßloser Weise. Die hartnäckigen Städte wurden durch
Schrecken oder Gewalt seiner Waffen bezwungen, seine
Gefangenen dem Henker überliefert oder von seinen
Wurfmaschinen geschleudert, Mailands stattliche Gebäude nach
der Belagerung und Übergabe der Erde gleich gemacht,
dreihundert Geißeln nach Deutschland gesandt und die übrigen
Bewohner unter dem Joch des unbeugsamen Siegers in vier
Ortschaften zerstreut. Aber Mailand erhob sich bald aus seinen
Trümmern. Der lombardische Bund wurde durch die Not fester
gekettet, Venedig, Papst Alexander III. und der griechische
Kaiser ergriffen für sie Partei, der Bau der Unterdrückten
wurde an einem Tage gestürzt, und in dem Vertrage von Konstanz
bestätigt Friedrich mit einigem Vorbehalt die Freiheit von
vierundzwanzig Städten. Sein Enkel kämpfte bald mit ihnen in
ihrer Vollkraft und Reife; aber Friedrich II. war mit
persönlichen Vorteilen ausgestattet. Seine Geburt und
Erziehung empfahlen ihn den Italienern, und in dem
unversöhnlichem Kampfe der beiden Parteien hingen die
Gibellinen dem Kaiser an, während die Guelfen die Fahne der
Freiheit und der Kirche entfalteten. Der römische Hof hatte
geschlummert, als er seinem Vater Heinrich VI. gestattete, die
Königreiche Neapel und Sizilien mit dem Reiche zu vereinen.
Aus diesen Erbländern zog der Sohn eine reiche und
bereitwillig gewährte Hilfe an Truppen und Schätzen. Dennoch
wurde Friedrich zuletzt durch die lombardischen Waffen und die
Bannstrahlen des Vatikan erdrückt; sein Königreich wurde einem
Fremden gegeben und der letzte seines Hauses in Neapel auf dem
Schaffott öffentlich enthauptet. Während sechzig Jahren
erschien kein Kaiser in Italien, und man erinnerte sich dieses
Namens nur durch den schmählichen Verkauf der letzten Reste
der Souveränität.
Es freute zwar die deutschen Eroberer des Abendlandes, ihr
Oberhaupt mit dem kaiserlichen Titel zu schmücken, keineswegs
aber war es ihre Absicht, ihn mit der despotischen Gewalt
Konstantins und Justinians zu bekleiden. Die Deutschen waren
frei, ihre Eroberungen gehörten ihnen selbst, und ihr
Nationalcharakter war von einem Geiste beseelt, der die
knechtische Jurisprudenz des neuen wie des alten Rom mit
Verachtung verwarf. Es wäre ein eitles und vergebliches
Unternehmen gewesen, den bewaffneten Freien, die einer
Obrigkeit überdrüssig waren, einen Monarchen aufzuzwingen, den
Kühnen, die sich zu gehorchen weigerten, den Mächtigen, die
nach Herrschaft strebten. Das Reich Karls des Großen und Ottos
war unter die Herzöge der Nationen oder Provinzen, die Grafen
der kleineren Bezirke, die Markgrafen der Grenzmarken
verteilt, welche die ganze bürgerliche und militärische
Gewalt, wie sie dem Stellvertreter der ersten Cäsaren
übertragen gewesen war, in sich vereinigten. Die römischen
Statthalter, die größtenteils vom Glück emporgehobene Soldaten
waren, verführten ihre Söldlingslegionen, nahmen den
kaiserlichen Purpur an, und ihre Empörung mißlang oder glückte
ihnen, ohne die Macht und Einheit der Regierung selbst zu
schädigen. Wenn Deutschlands Herzöge, Markgrafen und Grafen
minder kühne Ansprüche machten, waren doch die Folgen ihrer
Aufstände bleibender und für den Staat verderblicher. Statt
nach dem höchsten Rang zu streben, arbeiteten sie in der
Stille daran, ihre Provinzialunabhängigkeit zu begründen und
sich die Macht anzueignen. Ihr Ehrgeiz wurde durch das Gewicht
ihrer Besitzungen und Vasallen, durch ihr gegenseitiges
Zusammenhalten, das gemeinsame Interesse des untergeordneten
Adels, den Wechsel der Fürsten und Regentenfamilien, die
Minderjährigkeit Ottos III. und Heinrichs IV., den Ehrgeiz der
Päpste und die eitle Verfolgung der fliehenden Krone von
Italien und Rom unterstützt. Die Befehlshaber der Provinzen
maßten sich allmählich die sämtlichen Vorrechte der
königlichen und Territorial-Hoheit an: das Recht über Krieg
und Frieden, über Leben und Tod, der Münze und Besteuerung,
privater Bündnisse und heimischer Verwaltung. Was immer sie
durch Gewalt an sich gerissen hatten, wurde aus Gunst oder Not
bestätigt, als der Preis eines zweifelhaften Votums oder eines
freiwilligen Dienstes verliehen. Was dem einen gewährt worden,
konnte seinem Nachfolger oder seinesgleichen nicht versagt
werden, und jede Bestimmung über lokalen oder temporären
Besitz wurde allmählich in die Verfassung des deutschen
Königreiches aufgenommen. In jeder Provinz stand der Herzog
oder Graf zwischen dem Thron und den Edlen; die Untertanen des
Reiches wurden die Vasallen eines Privathäuptlings, und die
Fahne, die er vom Herrscher empfing, wehte oft im Felde in ihm
feindlichen Reihen. Die zeitliche Macht der Geistlichkeit
wurde durch den Aberglauben oder die Politik der
karolingischen und sächsischen Dynastien, die sich blind auf
ihre Mäßigung und Treue verließen, begünstigt und gehoben, und
die Bistümer Deutschlands wurden an Umfang und Vorrecht den
größten der militärischen Staaten gleich gemacht und waren
ihnen an Reichtum und Bevölkerung überlegen. Solange die
Kaiser das Vorrecht behielten, diese geistlichen und
weltlichen Lehen bei jeder Erledigung weiter zu verleihen,
wurde ihre Sache durch ihre dankbaren oder ehrgeizigen Freunde
und Günstlinge aufrechterhalten. Aber in dem Kampfe um
Investitur wurden sie ihres Einflusses auf die bischöflichen
Kapitel beraubt. Die Freiheit der Wahl wurde wieder
hergestellt und der Souverän mit feierlichem Hohn auf die
Empfehlung beschränkt, die er einmal in seiner Regierung bei
einer einzigen Pfründe in jeder Kirche erteilen konnte. Die
weltlichen Statthalter, statt nach dem Willen eines Höheren
abberufbar zu sein, konnten nur durch Urteilsspruch von
ihresgleichen entsetzt werden. In der ersten Zeit der
Monarchie wurde die Nachfolge eines Sohnes in dem Herzogtum
oder der Grafschaft seines Vaters von diesem als eine Gunst
erbeten; sie wurde allmählich zur Gewohnheit und als Recht
angesehen. Die Linealerbfolge wurde häufig auf die
Seitenverwandtschaft und den weiblichen Stamm ausgedehnt. Die
Reichsländer (ihre gewöhnliche, zuletzt ihre gesetzliche
Benennung) konnten durch Testament und Kauf geteilt und
veräußert werden, und jeder Begriff eines öffentlichen Amtes
ging über dem eines! immerwährenden Privaterbes verloren. Der
Kaiser konnte nicht einmal durch eine zufällige Verwirkung
oder das Erlöschen einer Familie bereichert werden; er war
verpflichtet, binnen Jahresfrist über das erledigte Lehen zu
verfügen und mußte bei der Wahl eines Kandidaten entweder den
Reichstag oder die Provinzialversammlung zu Rate ziehen.
Nach dem Tode Friedrichs II. war Deutschland eine
hundertköpfige Hydra. Eine Schar von Fürsten und Prälaten
stritt sich um die Trümmer des Reiches. Die Herren zahlloser
Schlösser waren geneigter, ihre Oberen nachzuahmen, als ihnen
zu gehorchen, und ihre unaufhörlichen Feindseligkeiten
dienten, je nach ihrer Macht, entweder zur Eroberung oder zum
Raub. Eine solche Anarchie war die unvermeidliche Folge der
europäischen Gesetze und Sitten, und die Königreiche
Frankreich und Italien wurden durch die Gewalt desselben
Sturmes zersplittert. Aber die italienischen Städte und die
französischen Vasallen waren getrennt und wurden vernichtet,
während die Einheit der Deutschen ein großes Förderativsystem
unter dem Namen eines Reiches hervorgebracht hat. Durch die
häufigen und zuletzt immerwährenden Reichstage wurde der
Nationalgeist lebendig erhalten, und die Macht einer
gemeinsamen Gesetzgebung wurde noch im achtzehnten Jahrhundert
durch die drei Zweige oder Kollegien der Kurfürsten, der
Fürsten und der freien Reichsstädte Deutschlands ausgeübt. I.
Sieben der mächtigsten Vasallen übernahmen mit besonderem
Namen und Rang das ausschließliche Recht, den römischen Kaiser
zu wählen; diese Kurfürsten waren der König von Böhmen, der
Herzog von Sachsen, der Markgraf von Brandenburg, der
Pfalzgraf am Rhein und die drei Erzbischöfe von Mainz, Trier
und Köln. II. Das Kollegium der Fürsten und Prälaten wurde
gesiebt; die große Anzahl der unabhängigen Grafen wurde auf
vier repräsentative Stimmen beschränkt und der Stand der Edlen
oder Ritter ausgeschlossen, von dem einst sechzigtausend, wie
in den polnischen Reichstagen, beritten auf dem Wahlfelde
erschienen waren. III. Die stolzen Männer durch Geburt und
Herrschaft, Schwert und Inful ausgezeichnet, nahmen weislich
die Gemeinen als den dritten Zweig in die Gesetzgebung auf.
Sie wurden bei dem Fortschreiten der bürgerlichen Gesellschaft
um dieselbe Zeit auch in den Nationalversammlungen
Frankreichs, Englands und Deutschlands eingeführt. Der
Hansabund beherrschte den Handel und die Schiffahrt des
Nordens; die Rheinbündner sicherten den Frieden und Verkehr
des Binnenlandes; der Einfluß der Städte war ihrem Reichtum
und ihrer Politik angemessen, und ihr Veto machte die
Beschlüsse der beiden oberen Kollegien der Kurfürsten und
Fürsten ungültig.
Im vierzehnten Jahrhundert sehen wir den Zustand und
Gegensatz des römischen Reiches zu Deutschland, das außer an
den Grenzen des Rheines und der Donau keine einzige Provinz
Trajans oder Konstantins mehr besaß, im stärksten Lichte. Ihre
geringen Nachfolger waren die Grafen von Habsburg, Nassau,
Luxemburg und Schwarzburg. Kaiser Heinrich VII. verschaffte
seinem Sohne die Krone von Böhmen, und sein Enkel Karl IV. war
unter einem, selbst nach Ansicht der Deutschen, fremden und
barbarischen Volk geboren. Nach der Exkommunikation Ludwigs
von Bayern empfing er von den Päpsten, die in ihrer Verbannung
und Gefangenschaft in Avignon die Herrschaft der Welt in
Anspruch nahmen, das Geschenk oder die Verheißung des
erledigten Reiches. Der Tod seiner Mitbewerber vereinigte das
Kurkollegium, und Karl wurde einmütig als römischer König und
künftiger Kaiser begrüßt, ein Titel; der in demselben
Jahrhundert an die Cäsaren von Deutschland und von
Griechenland weggeworfen wurde. Der deutsche Kaiser war nichts
weiter als das gewählte und ohnmächtige Oberhaupt einer
Aristokratie von Fürsten, die ihm nicht ein Dorf gelassen
hatten, das er sein Eigen nennen konnte. Sein bestes Vorrecht
war noch, im Nationalsenate, der sich auf sein Ausschreiben
versammelte, den Vorsitz zu führen und Vorschläge zu machen,
und sein heimisches Königreich Böhmen, minder wohlhabend als
die benachbarte Stadt Nürnberg, bildete den festesten Sitz
seiner Macht und die reichste Quelle seines Einkommens. Die
Armee, mit der er über die Alpen ging, bestand aus dreihundert
Reitern. In der Kathedrale des heiligen Ambrosius wurde Karl
mit der eisernen Krone, welche die Sage der lombardischen
Monarchie zuschrieb, gekrönt; aber er allein wurde mit einem
friedlichen Gefolge eingelassen. Man schloß die Tore hinter
ihm, und der König von Italien war ein Gefangener Viscontis,
den er in der Souveränität über Mailand bestätigte. Im Vatikan
wurde er abermals mit der goldenen Reichskrone gekrönt, doch
infolge eines geheimen Vertrages entfernte sich der Kaiser
ohne Verzug und ohne auch nur eine einzige Nacht in den Mauern
Roms auszuruhen. Der beredte Petrarca, dessen Phantasie den
Glanz des Kapitols träumerisch wieder aufleben ließ, beklagt
und schmäht die schimpfliche Flucht des Böhmen, und sogar
seine Zeitgenossen mochten bemerken, daß die einzige Ausübung
seiner Macht in einem einträglichen Verkaufe von Vorrechten
und Titeln bestanden habe. Das Gold Italiens sicherte die Wahl
seines Sohnes; aber so groß war die schimpfliche Armut des
Kaisers, daß er in Worms von einem Fleischer im Gasthof
festgehalten wurde, als Pfand oder Geisel für die Bezahlung
der Zehrung.
Von dieser demütigenden Szene wenden wir uns zu den
scheinbaren Majestät desselben Karls auf den Reichstagen. Die
Goldene Bulle, welche die deutsche Verfassung festlegt, ist im
Stil eines Souveräns und Gesetzgebers erlassen. Hundert
Fürsten beugten sich vor seinem Throne und vergrößerten ihre
eigene Würde durch die freiwilligen Ehren, die sie ihrem
Oberhaupte oder Diener zollten. Bei dem kaiserlichen Bankett
verrichteten die Erzämter, die sieben Kurfürsten, an Rang und
Titeln Königen gleich, die feierlichen Hausdienste des
Palastes. Die Siegel des dreifachen Königreiches wurden in
Pomp von den Erzbischöfen von Mainz, Köln und Trier getragen,
den ständischen Erzkanzlern des Reiches in Deutschland,
Italien und im Arelat. Der Erzmarschall zu Pferde verrichtete
sein Amt mit einem silbernen Hafermaß, dessen Inhalt er auf
den Boden ausschüttete. Dann stieg er sofort ab, um die
Ordnung der Gäste durchzuführen. Der Erztruchseß, Pfalzgraf
des Rheins, stellte die Schüsseln auf die Tafel. Der
Erzkämmerer, Markgraf von Brandenburg, reichte nach dem Mahle
Kanne und Becken aus Gold zum Waschen dar. Der König von
Böhmen als Erzmundschenk wurde von dem Bruder des Kaisers, dem
Herzog von Luxemburg und Brabant, vertreten, und der Zug wurde
vom Erzjägermeister beschlossen, der einen Eber und einen
Hirsch mit einer Koppel Hunde mit sich führte. Ja, die
Oberhoheit des Kaisers war nicht bloß auf Deutschland
beschränkt; die erblichen Monarchen von Europa anerkannten die
Überlegenheit seines Ranges und seiner Würde. Er war der erste
der christlichen Fürsten, das zeitliche Oberhaupt des
Abendlandes; lange Zeit kam nur ihm der Titel Majestät zu, und
er stritt mit dem Papst um das erhabene Vorrecht, Könige zu
ernennen und Kirchenversammlungen zu berufen. Das Orakel des
Zivilrechtes, der gelehrte Bartolus, stand in Karls VI. Solde,
und seine Schule widerhallte von der Lehre, daß der römische
Kaiser der rechtmäßige Souverän der Erde sei vom Sonnenaufgang
bis zum Niedergange. Die entgegengesetzte Meinung wurde nicht
als Irrtum, sondern als Ketzerei verdammt, denn selbst das
Evangelium hatte ausgesprochen: »Und es erging ein Gesetz vom
Cäsar Augustus, daß die ganze Welt besteuert werden sollte.«
Wenn wir Zeit und Raum zwischen Augustus und Karl aufheben, so
ist der Gegensatz der beiden Kaiser groß und auffallend:
einerseits der Böhme, der seine Schwäche unter der Maske des
Prunkes verbarg, anderseits der Römer, der seine Macht unter
dem Schein der Bescheidenheit barg. An der Spitze seiner
siegreichen Legionen, in seiner Herrschaft über See und Land
vom Nil und Euphrat bis an den Atlantischen Ozean gab sich
Augustus als der Diener des Staates und als den seiner
Mitbürger. Der Besieger von Rom und der Provinzen nahm den
volkstümlichen und gesetzlichen Titel eines Zensors, Konsuls
und Tribunen an. Sein Wille war das Gesetz der Menschheit,
aber bei Kundmachung seiner Gesetze erbat er die Zustimmung
des Senates und Volkes, von deren Beschlüssen der Gebieter
seinen zeitlichen Auftrag, das Reich zu verwalten, empfing und
erneuern ließ. Augustus bewahrte in seiner Tracht,
Dienerschaft, Titulaturen, in allen Belangen des geselligen
Lebens den Charakter eines römischen Privatmannes, und seine
schlauesten Schmeichler ehrten das Geheimnis seiner
unumschränkten Monarchie.