Der Tod des Husein ...

Der Tod des Husein ben Ali und die Rache

Ein historischer Roman aus dem Arabischen

Ferdinand Wüstenfeld

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Vorwort

Der älteste uns bekannte Arabische Historiker, aus dessen Schriften wir bei den späteren ausführliche Citate finden, ist Abu Michnaf Lût ben Jahja ben Sa'id ben Michnaf ben Suleim el-Azdi el-Gâmidi, aus der Familie Gâmid vom Stamme Azd. Sein Urgroßvater Michnaf ben Suleim (oder Sâlim) war ein jüngerer Zeitgenosse und Begleiter Muhammeds und hat von ihm Aussprüche überliefert; nach einigen war er bei der Gründung der Stadt Kufa im J. 18—19 d.H. das Oberhaupt des Stammes Azd, nach anderen lebte er in Baçra; er wurde von Ali ben Abu Tâlib zum Statthalter von Ispahân ernannt und focht auf dessen Seite in der Schlacht bei Siffin im J. 37 als Anführer und Fahnenträger seines Stammes. Er soll hier mit seinen beiden Brüdern el-Casim und Abdallah geblieben sein, wird indes später noch einmal mit seinem Sohne Abd el-Rahman genannt.

Über Abu Michnaf Lût Ъеп Jahja ist weiter nichts bekannt, als dass er der Verfasser von 32 Monographien war, deren Titel Ibn el-Nadim in seinem Fihrist pag. 93 aufführt, in denen er die Taten einzelner hervorragender Personen, einzelne Feldzüge und Schlachten aus der älteren Arabischen und aus der Muhammedanischen Geschichte beschrieben hat. Von diesen benutzte Tabari sechs und gibt daraus längere Auszüge mit Nennung des Namens des Verfassers und des Titels der betreffenden Schrift, nämlich "Über den Tod des Hu'gr ben 'Adi", "das Buch über Mustaurid ben 'Ollafa", "Über den Rebellen el-Dhahhak", "Über die Schlacht bei Çiffîn, "Über den Tod Huseins" und "Das Buch über el-Muchtâr ben Abu 'Obeid". Wenn von einigen die Glaubwürdigkeit des Abu Michnaf in Zweifel gezogen ist, so hat dagegen Tabari ihn so fleißig benutzt, dass er einen großen Teil des zweiten Bandes seiner Chronik aus den Monographien des Abu Michnaf nach der Ausgabe des Ibn Hischâm entlehnt hat, und auch Belâdsori, Jâcût und Ibn el-Athir haben keinen Anstand genommen, ihn als ihre Quellen anzuführen.

Nun finden sich in den Sammlungen zu Berlin, Leiden, Gotha und St. Petersburg Handschriften mit den Titeln »Huseins Tod« und »Muchtars Rache«, und den Angaben von Sprenger, Dozy, Pertsch und Baron Rosen in ihren Katalogen folgend habe ich in meiner Abhandlung über die Geschichtsschreiber der Araber Nr. 19 diese Schriften unter Abu Michnaf's Namen aufgeführt und sie als die ältesten uns erhaltenen historischen Werke der Araber bezeichnet und wirklich wird dieser darin durch »Abu Michnaf sagt« überall als Verfasser oder Erzähler genannt. Es ist möglich und selbst wahrscheinlich, dass er noch alte Leute kannte, welche an dem Kampfe zwischen Husein und den Omeijaden Teil genommen hatten, und er beruft sich auch auf solche Zeitgenossen, auch wäre die Reihe der hier und da genannten Überlieferer lang genug, um bis in die Zeit Huseins hinaufzureichen. In der Tat stimmen auch mehrere Zitate bei Tabari und Ibn el-Athir mit Stellen in diesen Handschriften ziemlich genau überein, aber Abu Michnaf würde in die Klasse der gewöhnlichsten Cafehaus-Erzähler hinabsinken und nicht den mindesten Glauben verdienen, wenn man ihn für den Verfasser unserer Geschichten halten wollte. Dieses Urteil drängte sich mir auf, nachdem ich zuerst die Gothaer Handschrift genauer geprüft hatte, und es wurde dann durch die Vergleichung der anderen nur bestätigt; ich habe mir drei derselben vollständig abgeschrieben und bezeichne in der Folge die Gothaer Nr. 1838 mit G), die Berliner Sprenger 159 und 160 mit В und die Leidener Nr. 792 mit L; die Petersburger P, welche nur den ersten Teil enthält, stimmt nach dem von Baron Victor Bösen, Notices sommaires des Mss. Arabes du Musée Asiatique Nr. 151 angegebenen Eingange und nach der Vergleichung größerer Stellen, welche ich der zuvorkommenden Gefälligkeit des Herrn Baron Rosen zu danken habe, am meisten mit G überein. Derselbe Gelehrte setzte mich durch die erbetene Mitteilung einer Kopie in den Stand, ein aus G verloren gegangenes Blatt zu ergänzen. Vgl. S. 18.

Schon die Kette der Überlieferer im Anfange von G P В S. 2 ist verdächtig, wenn auch einige bekannte Namen darunter vorkommen, geradezu unrichtig ist der Hauptname in P el-Mundsir ben Hischâm von Muhammed ben el-Nâ'ïb, in В el-Mundsir bon Hischâm ben el- Sâïb, und in G wird das Verhältnis sogar umgekehrt: Abu Michnaf Lût ben Jahja erzählt nach Abul-Mundsir ben Hischâm von Muhammed el-Sa'ib. In der Übersetzung habe ich wenigstens diese offenbaren Fehler berichtigt, denn es ist anderweitig z. B. aus Tabari H. 17 u. 28, Jâcut I. 173, Z. 5 V. u. bekannt, dass der berühmte Genealog Abul-Mundsir Hischâm ben Muhammed ben el-Sâïb (gest. 204) ein Schüler des Abu Michnaf war und dessen Vorträge aufzeichnete und herausgab.

Wenn man dann näher auf den Inhalt eingeht, so mag man etwa die erste Hälfte des ersten Teiles bis zum Auszuge Huseins aus Medina noch für historisch und stellenweise aus Abu Michnaf entlehnt halten, da hier die Erzählung bis auf einige untergeordnete Punkte noch glaubwürdig erscheint, das Folgende enthält nur übertrieben Fabelhaftes, fast ohne allen historischen Werth, und hier möchten nur wenige Zeilen wirklich von Abu Michnaf herrühren, wenngleich auch hier das gewöhnliche »Abu Michnaf sagt« überall vorkommt.

Nun entsteht die Frage, welche von unseren Handschriften in dem ersten Theile den ursprünglichen Text des Abu Michnaf enthält oder demselben am nächsten kommt, denn der Unterschied im Wortlaut ist so groß, dass man sie nicht als Abschriften ein und desselben Originals ansehen kann, an vielen Stellen machen sie den Eindruck, als wenn jemand dieselbe Geschichte drei- oder viermal erzählt und dabei mal verschiedene Wörter und Wendungen gebraucht, welche dasselbe ausdrücken. Dabei kommen Umstellungen in der Erzählung der einzelnen Begebenheiten vor und der Text zeigt so grosse Abweichungen, dass eine eigentliche Vergleichung mit Angabe von Varianten nicht möglich ist. Wenn man von dem Codex G ausgeht, so steht ihm P am nächsten, zeigt indes durch Auslassung von Worten eine starke Kürzung, selten kleine Zusätze, aber auch Veränderungen im Wortlaut. In einer kurzen Vorrede von L nennt sich ein sonst unbekannter 'Ali ben Musa ben Ja'far ben Muhammed ben Tawûs el-Hasani den »Sammler dieses Buches«, das Ganze kommt aber G sehr nahe, einiges hat L weniger als G, dagegen an anderen Stellen Zusätze. В weicht am meisten ab, ist im Allgemeinen etwas wortreicher und umständlicher und führt Einzelheiten zuweilen weiter aus. Es ist bekannt, dass auch andere ältere Geschichtswerke verschiedene Umarbeitungen ins Romanhafte fahren haben, unser Pseudo Abu Michnaf übertrifft aber z.B. den oder die Pseudo Wâkidi bei weitem in Übertreibungen und Erzählungen der unglaublichsten Dinge.

Um nun den vollen Beweis zu liefern, dass hier kein Werk, sondern nur ein (teilweise historisch zu nennender) Roman liegt, zu welchem die Schriften des Abu Michnaf die Grundlage liefert haben, war kein Mittel geeigneter, als eine vollständige Übersetzung zu geben, und ich habe mich um so eher dazu entschlossen, als dieser Zweig der Arabischen Literatur bisher nur wenig Beachtung gefunden hat.

Der zweite Hauptteil »die Rache« rundet die Erzählung zu einem Ganzen ab; hier unterscheidet sich der Verfasser selbst von Abu Michnaf, wir wissen aber hier noch viel weniger, wie viel aus dessen Schrift über das Leben Muchtâr's genommen sein mag, denn dass die angeblichen Zitate nicht wirklich von Abu Michnaf herrühren, liegt auf der Hand, eine Verbindung der beiden Schriften lag sicher nicht in der Absicht des letzteren und der Titel »die Rache« ist ihm ganz fremd. Zudem ist Muchtâr genau genommen nicht einmal der Hauptheld der Erzählung, sondern sein Feldherr Ibrahim ben Malik el-Aschtar.

В hat noch einige Anhängsel bekommen über die Verfolgung und Hinrichtung einzelner Personen aus der Armee des Ibn Zijâd, welche sich bei der Ermordung Huseins besonders hervorgetan hatten; L hat Zusätze anderer Art, und wenn in beiden die Erzählung auf einigen Seiten noch bis zum Tode des Muchtâr fortgeführt ist, so wird dadurch der Eindruck, welchen das Ganze machen soll, abgeschwächt.

Die Übereinstimmung der Handschriften ist in diesem Teile größer als im ersten, zumal zwischen G und B, allein die Herstellung eines einheitlichen Textes mit Angabe von Varianten würde auch hier große Schwierigkeiten haben.

Bei der großen Verschiedenheit der Texte konnte ich indes nur einen derselben übersetzen, was aber auch genügt, und ich habe dazu G gewählt, teils weil er mir unter den vorhandenen die älteste Rezension zu enthalten scheint, teils weil der Text am korrektesten ist, und hauptsächlich weil er in der Reihenfolge der Begebenheiten an mehreren Stellen eine bessere Anordnung hat als die anderen, aus denen ich dann einige einzelne Züge noch in den Text eingeschoben oder in die Noten gesetzt habe. Wo aus G hier und da einige Worte oder Sätze in Klammem eingeschlossen sind, soll damit angedeutet werden, dass in einer größeren Stelle, wo mehrere Handschriften in der Erzählung übereinstimmen, das Eingeklammerte sich nur in G findet.

Da die Einleitung in L in der Geschichte etwas weiter zurückgeht, so habe ich diese noch vorangestellt, und dadurch hat meine Übersetzung zwei Einleitungen erhalten.

In В ist noch eine andere kurze Geschichte (16 Blätter) angehängt ^), welche ebenfalls dem Abu Michnaf zugeschrieben wird. Der Anfang derselben ist etwas verworren, lässt aber über ihren Charakter keinen Zweifel, er lautet:

Der Inhalt betrifft vorzugsweise den Dichter Sudeif zur Zeit der Chalifen el-Saffâh und el-Mançûr und der Schluss ist: [arabisches Original]

Diese Geschichte gehört also ebenfalls in den Sagenkreis der 'Aliden oder Schiiten, indes kommt unter den im Fihrist aufgeführten 32 Monographien des Abu Michnaf eine über den Dichter Sudeif nicht vor, und die angebliche Vorherverkündigung von 40 Abbasiden Kalifen weist deutlich auf die Abfassungszeit dieser Erzählung hin. Nämlich bis zum Untergange des Kalifenreiches von Bagdad im J. 656 hatten 37 Abbasiden auf dem Throne gesessen, man hat mithin die ersten drei in Ägypten hinzuzunehmen, Mustançir (660), Hâkim (661 — 701) und Mustakii (701—704), um auf die Zeit dieses Verfassers zu kommen, der Roman »Huseins Tod und die Rache« scheint mir jedoch einer hehren Zeit anzugehören (Fußnote: Nach einer allgemein verbreiteten Sage wurde der Kopf des Husein von Kerbela weggeholt und lange vor dem J. 470 nach 'Ascalon gebracht, wo für ihn im J. 490 der Bau einer mehrere Jahre vorher angefangenen Kapelle vollendet wurde, und er blieb hier, bis er im J. 548 wegen der Annäherung der Kreuzfahrer nach Kâhira übergeführt und hier für ihn eine eigene Kapelle erbaut wurde. Vergl. die Geschichte der Fatimiden-ChaUfen S. 275 u. 318. Hiervon findet sich in unserem Roman noch nicht die leiseste Andeutung.) und er ist offenbar zum Zweck der Aufreizung der Schiiten gegen die bestehende Regierung geschrieben.

Dass dieser Zweck bis in die neueste Zeit verfolgt und diese schichten über das Martyrium und die Verherrlichung Huseins im Orient gern gelesen und weit verbreitet werden, geht deutlich daraus hervor, dass eine neue Bearbeitung dieses Romans, ebenfalls mit Zugrundelegung des Abu Michnaf oder wahrscheinlich gleich eines unserer Texte in den letzten Jahren in Kâhira gedruckt und mehrmals aufgelegt ist. Die neueste Ausgabe ist vom Ende des Rabf L 1298 (Anfang März 1881) datiert ; der erste Teil mit dem Titel »Das licht über das Martyrium Huseins« ist von Abu Ishâk el-Isfarâini; der zweite Teil i: »Die Augenlust über die für Husein genommene Rache« hat einen gewissen Abu Abdallah Abdallah ben Muhammed zum Verfasser; beide Namen sind vermutlich nur erdichtet. Besonders der zweite Teil stimmt etwas abgekürzt fast wörtlich mit G überein.

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