Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Zehntes Kapitel - Derwisch Sefer erzählt seine Geschichte

Eines Tages, als wir wieder zusammenkamen, jeder von uns die Pfeife in der Hand, den Rücken an die Mauer gelehnt, den Blick durchs offene Fenster des Gemaches auf den kleinen, viereckigen, mit etlichen Blumen bepflanzten Hof gerichtet, da erzählte Derwisch Sefer, der das große Wort in unserem Kreise führte, also seine Geschichte:

»Ich bin der Sohn des Lûti-Baschi oder obersten Possenreißers des Prinzen von Schiras, und der gefeierten Buhlerin, die unter dem Namen ›Tāûs‹ oder Pfau bekannt ist. Ihr könnt euch wohl selbst vorstellen, welche Erziehung ich bei diesen Eltern genoß. In meiner frühen Kindheit war ich zumeist auf den Umgang mit den Bären und Affen angewiesen, die meinem Vater und seinen Genossen gehörten, und verdanke möglicherweise dem Beispiele dieser Tiere, die ihre unzähligen Kunststückchen mit so unglaublicher Leichtigkeit erlernten, daß auch ich mich seither jeder Lebenslage mit Glück und Geschick anzupassen wußte. Mit fünfzehn Jahren war ich ein ausgelernter Lûti, konnte Feuer essen, Wasser speien wie eine Fontäne, alle erdenklichen Taschenspielerkünste vorführen, und würde es sicher in dieser Laufbahn sehr weit gebracht haben, hätte sich nicht die Tochter des Generals der Kamelartillerie sterblich in mich verliebt, als ich anläßlich des Nouruzfestes bei einem großen Hoffeste auf dem Seile tanzte. Die Schwester meines besten Freundes, der im Stalle beim General diente, berichtete mir, welch tiefen Eindruck ich auf ihre Herrin gemacht hatte. Das Mädchen diente im Harem des Generals. Sofort eilte ich schnellen Fußes an die Ecke des Basars und ersuchte einen Mirza, der dort in einem bescheidenen Büdchen hauste, mir einen Liebesbrief zu schreiben, nicht nur mit einem großen Aufwand von roter Tinte herrlich verschnörkelt und verziert, sondern auch in sinnverwirrend blumenreicher Sprache abgefaßt. Schon der Beginn dieses ganz unübertrefflichen Schriftstückes sagte der Herrin meiner Seele, das Feuer ihrer Augen habe mich vernichtet, mein Herz in heimlicher Liebesglut verkohlt. Trotz dieser Beteuerungen riskierte ich am Schlusse des Briefes die Dreistigkeit, zu gestehen, ich hätte zwar ihr holdes Antlitz noch niemals erblickt, hoffe aber desungeachtet, sie würde Mittel und Wege finden, mir ein Stelldichein zu gewähren. In der Freude meines Herzens über diesen unvergleichlichen Brief beging ich die Unvorsichtigkeit, dem Briefschreiber unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu verraten, wer mein Herz zu solchem Feuer entflammt habe. Kaum war mir das Geheimnis entschlüpft, so eilte der elende Mirza, weil er eine Belohnung erhoffte, zum General, um diesen vom Sachverhalte; zu unterrichten. Daß der Sohn eines Lûti-Baschi, eines öffentlichen Possenreißers, es wagte, seine Augen zu der Tochter eines Generals der Kamelartillerie zu erheben, galt als unerhörter Frevel. Der einflußreiche General erwirkte meine sofortige Verbannung aus Schiras. Mein Vater scheute sich, den Zorn des Prinzen zu erregen, fürchtete auch, meine wachsende Beliebtheit beim Volke könnte ihn aus seiner Stellung verdrängen, kurz, er beschleunigte meine Entfernung, anstatt sie zu verhindern. Am Morgen, als ich von den Löwen, Affen und anderen seiner Fürsorge anvertrauten Tieren Abschied nahm, sagte er mir: ›Sefer, mein Sohn – der Abschied von dir würde mich betrüben, hättest du nicht eine unübertreffliche Erziehung bekommen und das besondere Glück genossen, fast ausschließlich zwischen mir und meinen Tieren aufzuwachsen; so aber kann es dir im Leben ja gar nicht schief gehen. Damit du rasch zu Geld kommst, statte ich dich für deinen neuen Lebensweg mit einem köstlichen Geschenke aus – mein bester und gelehrigster Affe, ein Juwel seiner Art, sei dein! Mach ihn dir in deinem Interesse zum Freunde, liebe ihn um meinetwillen; mögest du eines Tages nicht minder hochberühmt werden, als es dein Vater ist.‹

»Damit setzte er die Meerkatze auf meine Schulter, und in dieser Begleitung verließ ich das väterliche Dach.

»Meine Stimmung war nicht gerade zuversichtlich, als ich Schiras verließ. War mir doch selbst nicht klar, ob dieser Wechsel des Geschickes mir Freud oder Leid brächte. Meine Selbständigkeit und der Besitz des kostbaren Affen schienen mir freilich herrlich, doch schweren Herzens verließ ich meine Bekannten und die mir seit meiner Kindheit lieb gewordenen Tiere; der Umstand aber, die schöne Unbekannte im Stiche lassen zu müssen, die mir meine Phantasie lieblich wie Schirin selbst vorzauberte, dünkte mir vor allem so maßlos traurig, daß ich einem Anfalle wilder Verzweiflung erlag, als ich die Hütte des Derwisches bei Allaho Akbar erreicht hatte. Ich setzte mich samt meinem Affen auf einen Stein vor der Hütte und schluchzte in unbeschreiblich jammervollen Tönen: ›A wahi – A wahi!‹ Diese Klagen lockten den Derwisch herbei. Als er meine Erlebnisse vernommen, bat er mich, in seine Behausung zu treten, wo ich einen zweiten Derwisch von besonders kühner Erscheinung vorfand. Beinahe so gekleidet, wie Ihr mich heute seht (meine Mütze stammt von ihm), lag in seinem wild-phantastischen Äußern etwas geradezu Imponierendes. Als er mich und meinen Gefährten erblickte, schien ihm plötzlich eine Idee aufzublitzen. Nach geheimer Zwiesprache mit dem ersten Derwische schlug er mir vor, ihm nach Ispahan zu folgen, versprach, sich meiner liebreich anzunehmen und, falls er mit mir zufrieden wäre, die Wege zu meinem Glück zu ebnen. Damit war ich sofort einverstanden. Nachdem wir eine Pfeife zusammen geraucht hatten, wanderten wir eine gute Strecke festen Schrittes, ohne viel zu plaudern, vorwärts. Endlich begann Derwisch Bidin, denn das war sein Name, mich sehr genau über mein Vorleben und meine Kenntnisse auszufragen, und schien von allem wohl befriedigt. Alsdann schilderte er mir die erheblichen Vorteile, die das Leben eines Derwisches, verglichen mit dem weit niedereren Gewerbe eines Lûti, böte, so daß ich mich überzeugen ließ und beschloß, selbst einer zu werden. ›Nenn du mich fürderhin als deinen Gebieter betrachten willst, so werde ich dir alle meine Kenntnisse beibringen, die, wie ich dir versichern kann, ein gutes Stück Weisheit bedeuten, da ich als der heiligste und erfahrenste Derwisch von ganz Persien gelte‹. Hierauf begann er, über Magie und Astrologie zu sprechen, gab mir für jedes Vorkommnis im Leben Zaubermittel und Beschwörungsformeln, durch deren Verwertung allein ich schon imstande wäre, mein Glück zu machen. Mn Hasenschwanzchen, unter das Kopfkissen eines Kindes gelegt, erzeugt Schlaf. Gibt man einem Pferde Hasenblut, so wird es schnellfüßig und ausdauernd. Das Auge und der Rückenwirbel eines Wolfes machen den Knaben, der sie bei sich trägt, mutig. Reibt eine Frau sich mit Wolfsfett ein, so verwandelt sich die Liebe ihres Gatten in Gleichgültigkeit. Wolfsgalle in gleicher Weise angewendet, erzeugt Unfruchtbarkeit. Kus Keftar, das getrocknete Fell einer weiblichen Hyäne, steht im Harem im höchsten Preise, denn es verleiht der Trägerin die Zuneigung aller‹. Er redete so lange über diese und ähnliche Dinge, schilderte mir mein künftiges Leben in so glänzenden Farben, bis er sah, daß ich nach und nach vom Glauben daran fest durchdrungen war und er es wagen könnte, mir einen Vorschlag zu unterbreiten, von dem er annehmen mußte, wie peinlich er mich berühren würde.

»›Sefer,‹ sagte er, ›du ahnst gar nicht, welchen Schatz du in dem Affen besitzest; doch nicht der lebendige, sondern der tote Affe ist wertvoll. Ja, wäre er tot, könnte ich aus seinem Körper Zaubermittel bereiten, die im Harem des Schahs mit Gold aufgewogen würden. Die Leber gerade dieser Meerkatzenart erringt ihrem Besitzer die sicherlich wiederkehrende Liebe eines heißbegehrten Gegenstandes. Die Haut seiner Nase, um den Hals getragen, schützt mit Sicherheit gegen Gift. Die Asche des langsam verbrannten Tieres gibt innerlich eingenommen alle Eigenschaften des Affen, Gewandtheit und die Gabe der Nachahmung.‹ Nach diesen Reden schlug er mir vor, das Tier zu töten.

»Diese Zumutung empörte mich freilich sehr. War ich doch mit dem Affen aufgewachsen, hatte bisher Glück und Unglück mit ihm geteilt. Ihn auf diese scheußliche Weise zu verlieren, schien mir ein unerträglicher Gedanke. Als ich mich der Ausführung dieses Planes glatt widersetzen wollte, merkte ich, daß Bidin, der bisher nur lächelnd und voller Freundlichkeit schien, in helle Wut geriet. In der Angst, er werde mir mit Gewalt nehmen, was ich doch nicht zu schützen vermochte, willigte ich mit dem allergrößten Widerstreben in seinen barbarischen Vorschlag. Wir suchten eine abseits des Weges gelegene Höhle auf, zündeten mit Hilfe dürrer Stoppeln und Reiser ein Feuer an; der Derwisch packte meinen Affen mit den Händen, erwürgte ihn ohne Umstände, zerlegte das Tier, nahm die Leber und die Schnauze an sich, verbrannte den Rest des Tieres auf dem Feuer, sammelte die Asche sorgfältig in einem Zipfel seines Taschentuches, und hierauf setzten wir unsere Wanderung fort.

»Als wir Ispahan erreichten, vertauschte ich alle Kleidungsstücke, die an den Lûti mahnten, mit der Tracht eines Derwisches, und wir zogen gen Teheran weiter. Dort erregte die Erscheinung meines Herrn sehr großes Aufsehen, denn kaum ward seine Ankunft bekannt, strömte auch schon allerlei Volk herbei, um seinen Rat einzuholen. Mütter ersehnten ein Mittel, das ihre Kinder vor dem bösen Blicke hüten sollte, Ehefrauen eines gegen die Eifersucht ihrer Männer, Soldaten wollten einen Talisman, der sie in der Schlacht vor Wunden schütze. Unsere besten Kundinnen aber blieben die Damen des königlichen Serails. Ihr dringendstes Ansuchen galt stets einem unfehlbar kräftig wirkenden Zaubermittel, das ihnen die Aufmerksamkeit des Schahs sicherte. Gerade für diesen Fall besaß Derwisch Bidin eine großartige Auswahl der verschiedensten, seltsamsten Ingredienzien, als Haare des Luchses, das Rückgrat einer Eule, Bärenfett in vielfältigster Zubereitung. Er verkaufte einer Haremsdame, deren vorgerückte Jahre sie noch dringlicher nach dem Zaubermittel verlangen ließen als die jüngeren, die Leber meines Affen und schwor ihr, daß, sobald der Schah sie erblicke, wenn sie die Leber bei sich trüge, sie vor allen Nebenbuhlerinnen ausgezeichnet würde. Einer andern, die klagte, niemals die Gunst des Schahs zu besitzen und alle ihre Künste, zu gefallen, stets jämmerlich scheitern zu sehen, verschrieb er einen Absud aus der Affenasche; einer dritten, die ein Mittel gegen Falten im Gesicht erflehte, verabfolgte er eine Salbe, die bei völliger Ruhe der Gesichtsmuskeln und Unterdrückung jedweden Lächelns die Haut glatt und frisch mache. In alle diese Mysterien wurde ich eingeweiht. Kam mein Herr in die Lage, daß seine Zaubermittel ohne greifbaren Erfolg blieben und er sich genötigt sah, mit übernatürlichen Dingen sein Ansehen aufrecht zu erhalten, so war ich des öfteren sein Helfershelfer.

»Doch was auch immer durch meine Beihilfe oder durch die Überbleibsel meines Affen verdient wurde, behielt er ganz allein für sich; auch nicht die kleinste Kupfermünze bekam ich zu sehen. In Gesellschaft Bidins durchwanderte ich verschiedene Länder; wir wurden manchmal als Heilige verehrt, andere Male als Landstreicher gesteinigt. Von Teheran aus reisten wir nach Konstantinopel, von dieser Hauptstadt nach Kairo, Aleppo und Damaskus. Von Kairo aus besuchten wir Mekka und Medina, schifften uns in Djidda ein, landeten in Surat, und wanderten von dort nach Lahore und Kaschmir. Am letztgenannten Orte gab sich der Derwisch abermals die erdenklichste Mühe, die Eingeborenen auf seine erprobte Manier zu betrügen, wir waren jedoch alsbald genötigt, uns durch schleunigste Flucht der Wut des für unsere Künste viel zu aufgeklärten Volkes zu entziehen, und setzten uns schließlich in Herat bei den Afghanen fest, die alles, was wir zu sagen für gut befanden, mit größter Leichtgläubigkeit als bare Münze nahmen. Gerade als der Derwisch einen herrlichen Plan, als Prophet aufzutreten, vorbereitete, unser ganzer zum Wunderwirken nötiger Mechanismus beinahe vollendet war, mußte er, der Tausenden die ewige Jugend versprochen hatte, schließlich selbst der Natur seinen Tribut zahlen. Er hatte sich in einer kleinen Hütte auf einem Herat nahe liegenden Berge eingeschlossen. Wir machten den guten Leuten weis, er lebe dort nur von dem, was die Dschann und Peris ihm zu essen brächten. Er aber starb, weil er sich unglücklicherweise an einem Lammsbraten und einer süßen Speise, die ihm nicht bekam, überfressen hatte. Zur Aufrechterhaltung meiner Stellung mußte ich dem Volke sagen, die Dschann, eifersüchtig auf die Sterblichen, die einen so ganz bevorzugten Mann besaßen, hätten diesen mit himmlischer Nahrung so vollgestopft, daß seine Seele, die keinen Platz mehr im Körper hatte, entschwand, und von dem starken Nordost, der damals gerade blies, in den fünften Himmel geweht worden sei. Der Derwisch wurde mit den größten Ehren zur Ruhe bestattet; der Prinz von Herat, Eschek Mirza, hat ihn selbst auf seiner Schulter zu Grabe getragen. Einer der frömmsten Afghanen errichtete auf seinem Grabe ein Mausoleum, das seither ein Wallfahrtsort für die ganze Umgegend wurde. Ich verblieb nach dem Hinscheiden meines Gebieters noch einige Zeit in Herat, wollte ich doch alle Vorteile ausnützen, die mir, dem Freunde und Jünger eines so hochberühmten Heiligen, eigentlich unfehlbar zukommen mußten, und habe diesen Entschluß niemals bereut.

»Meine Zaubermittel ließ ich mir gut bezahlen, verdiente überdies eine ansehnliche Summe durch den Verschleiß der Barthaare und abgeschnittenen Fingernägel meines verblichenen Freundes, die ich – so versicherte ich meinen Kunden –, seitdem der Heilige sich auf den Berg zurückgezogen, sorgsam aufgehoben hatte. In Wahrheit stammten Haare und Nägel von meiner höchst eigenen Person. Als ich nun so viele dieser Reliquien verkauft hatte, wie einige ansehnliche Bärte ausmachten, die Quantität der Fingernägel war eine den Barthaaren entsprechende, schien es mir doch geheuer, diesen Handel trotz der Leichtgläubigkeit der Afghanen nicht so weit zu treiben, daß sie in mir einen Schwindler vermuten mußten.

»Ich schnürte deshalb mein Bündel, ließ mich, nachdem ich verschiedene Teile Persiens bereist hatte, zwischen Kabul und Kandahar bei den Hezarehs, einem Nomadenvolke, das meist im Zelte lebt, nieder. Die Erfolge, die ich dort zu verzeichnen hatte, übertrafen meine allerkühnsten Erwartungen. Was Derwisch Bidin einst in Herat zögernd geplant hatte, ward mir vergönnt auszuführen: ich trat als richtiger Prophet auf.«

Derwisch Sefer legte die Hand auf die Schulter des ihm zunächst sitzenden Derwisches und sagte: »Bei jenem Unternehmen war dieser Freund mein Helfershelfer und entsinnt sich sicher, wie köstlich schlau wir es einrichteten, die Hezarehs glauben zu machen, wir besäßen einen Kessel, der stets mit gekochtem Reis vollgefüllt sei – ein Wunder, von dem selbst die Ungläubigsten fest überzeugt waren, wenn sie ihr Teil davon abbekamen. Kurz, ich bin der in Hezareh so berühmte Ischan, von dem ihr in der letzten Zeit viel reden hörtet, in Person. Wenn meine Heiligkeit mich auch nicht gegen die Angriffe des Schahs schützt, so trug mir doch die Frömmigkeit und Leichtgläubigkeit meiner Anhänger so viel ein, den Rest meines Lebens äußerst bequem verbringen zu können. Ich lebe nun seit einiger Zeit in Meschhed; es ist kaum eine Woche her, daß ich das Wunder vollbrachte, einem blinden Mädchen das Augenlicht wiederzugeben, und genieße darum die allgemeine allerhöchste Verehrung.«

Hier endete die Erzählung des Derwisches.

© seit 2006 - m-haditec GmbH - info@eslam.de