Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Dreiundzwanzigstes Kapitel - Seneb

So wäre ich denn wirklich verliebt,« sagte ich und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Wohin das führt, wird sich ja zeigen. Woher sie stammt und wer sie ist, erfahre ich, so Gott will, heute abend; sollte sie aber des Doktors Eigentum sein, so werde ich ihn lehren, und sollte sein Haus darüber zugrunde gehen, wie man Schätze hütet. An eine Heirat konnte ich freilich vorderhand nicht denken. Wer hätte mir auch ein Weib zur Ehe geben mögen? Ich besaß ja nicht genug, um mir neue Beinkleider zu kaufen, geschweige denn so viel, um die Hochzeitskosten aufzubringen. Doch im Laufe der Zeit, wenn ich mir etwas zusammengespart hatte, Inschallah! dann konnte auch ich mir ein Eheweib vergönnen. Jetzt aber sollte die Liebe mein bester Zeitvertreib werden, und zwar auf Kosten des Doktors.

Mit diesem Vorsatz erhob ich mich eiligst vom Lager, kleidete mich sorgfältiger an als sonst, kämmte meine Locken viel länger als gewöhnlich, wand meinen Gürtel möglichst kunstvoll und setzte meine Mütze recht schief auf. Nachdem ich mein Bett zusammengerollt und in die Dienerstube getragen hatte, verließ ich das Haus mit der Absicht, mich ins Bad zu begeben, um dort meinen äußeren Menschen so lieblich wie nur möglich für das abendliche Stelldichein herrichten zu lassen. Den größten Teil des Morgens verbrachte ich singend im Bade, die übrige Zeit bis zur Zusammenkunft schlenderte ich planlos in den Straßen umher. Endlich nahte der Abend. Meine Ungeduld war aufs höchste gestiegen, ich mußte nur das »Scham« oder Abendessen abwarten, dann wollte ich Kopfschmerzen vorschützen und mich schleunigst zurückziehen. Unglücklicherweise wurde der Doktor länger als üblich beim Schah aufgehalten. Da die Diener nur die Überreste seiner Mahlzeiten bekamen, so erfüllte mich das lange Warten auf meine Freiheit mit fieberhafter Erregung. Der letzte Tagesschimmer färbte den westlichen Himmel mit zarter Röte, der Mond ging gerade auf, als ich, mein Bett unter dem Arme, auf der Terrasse erschien. Ich warf die Bettstücke zu Boden und eilte pochenden Herzens zur Mauerspalte. Bitter enttäuscht sah ich zwar Tabaksblätter in Haufen herumliegen, da und dort Körbe stehen, als ob die Arbeit nicht vollendet wäre, doch Seneb war nirgends zu erblicken. Zweimal hustete ich ganz leise, ohne Antwort zu bekommen. Der einzige Ton, der an mein Ohr schlug, war jene kreischende Stimme, die so laut mit jemand im Hause zeterte, daß es durch die Mauern schallte, ohne daß ich hätte ergründen können, was die Frau des Doktors in solche Wut versetzte, bis plötzlich das leidenschaftliche Geschrei im Hofe selbst zu hören war.

»Du willst von Arbeit reden, du Tochter des Teufels! Wer hieß dich ins Bad gehen? Was hattest du bei den Gräbern zu suchen? Du meinst wohl, ich sei deine Sklavin und du könntest deinem Vergnügen nachgehen? Warum unterblieb die Arbeit? Weder essen, trinken, noch schlafen sollst du, bis sie beendet sein wird, und ist dies nicht bald der Fall, so will ich dich, beim Propheten, schlagen, bis dir die Nägel von den Füßen fallen.« Ich hörte dann ein Rascheln und Schlürfen, erblickte auch alsbald meine Schöne, die mit sichtlichem Widerwillen der Stelle zuschritt, wo ich ihrer noch vor wenig Minuten geharrt und an ihrem Kommen verzweifelt war. Welch ein wundersames Ding ist doch die Liebe? Wie sie alle Fähigkeiten steigert und das Unmögliche möglich macht! Im Augenblick erriet ich, wie sinnreich meine Geliebte alles ausgeklügelt hatte, um uns ein recht langes und ungestörtes Beisammensein zu ermöglichen! – – Zuerst tat sie, als sähe sie mich nicht. Kaum aber war es unten ruhig geworden, nahte sie sich mir – und wie der Leser wohl vermutet, war ich im Nu an ihrer Seite.

Ich erfuhr durch meine schöne Freundin, sie sei die Tochter eines Kurdenhäuptlings, der samt seiner ganzen Familie, seinen Untergebenen und Herden in die Gefangenschaft geraten war, als sie fast noch ein Kind gewesen. Durch allerlei widrige Schicksale war sie als Sklavin in die Hände des Doktors gefallen. Nachdem wir dem ersten Aufflammen unserer gegenseitigen Neigung genuggetan, machte sie ihrer Empörung Luft über die Behandlung, die sie eben erfahren hatte. »Oh,« rief sie aus, »hast du gehört, welche Namen sie mir gab? Dieses Weib ohne Gewissen und ohne Religion! So behandelt sie mich stets; unaufhörlich werde ich beschimpft; ein Hund gilt ihr mehr als ich! Jedermann schmäht mich; niemand kümmert sich um mich; ich bin krank vor Kummer, und das Herz in der Brust ist mir verdorrt. Warum soll ich mich eine Tochter des Teufels schelten lassen? Ja, ich bin eine Kurdin, ich bin eine von den Yäzidis – es ist auch richtig, daß wir den Teufel fürchten; wer tut das nicht? Aber trotzdem bin ich kein Teufelskind! Ach, könnte ich dem Weibe nur in meinen Bergen begegnen, dann würde sie innewerden, wessen ein Kurdenmädchen fähig ist.«

Nach Kräften bemühte ich mich, sie zu trösten, bat sie, ihren Groll zu unterdrücken, bis sich ein günstiger Augenblick zur Rache böte. Der, meinte sie, würde niemals kommen; alle ihre Schritte seien streng überwacht, sie könne kaum von einem Zimmer in das andre gehen, ohne daß ihre Herrin ein Auge auf sie hätte. Der Doktor stamme, wie sie mir sagte, von niedrig geborenen Leuten ab, habe auf Befehl des Schahs eine Sklavin geheiratet, die infolge schlechter Aufführung aus dem königlichen Harem gejagt worden war. Sie brachte Mirza Ahmak keine andere Mitgift zu als Bosheit und eine ungeheure Portion Hochmut auf ihren ehemaligen Einfluß bei Hofe; sie behandle ihren jetzigen Mann schlechter als den Staub unter ihren Füßen und knechte ihn zum Erbarmen. Ohne ihre besondere Erlaubnis dürfe er sich in ihrer Gegenwart nicht setzen, und diese erteile sie sehr selten; überdies sei sie so eifersüchtig, daß jede Sklavin im Hause ihr Mißtrauen reize. Anderseits stecke der Doktor voller Ehrgeiz, sei ganz durchdrungen von der Bedeutung seiner hohen Stellung, auch der menschlichen Schwäche unterworfen, durchaus nicht unempfindlich für die Reize seiner jungen, hübschen Sklavinnen zu sein. Seneb selbst, so vertraute sie mir, sei ein Gegenstand seiner besonderen Aufmerksamkeiten, infolgedessen auch ein Gegenstand der Eifersucht für die Frau, die jeden Blick, jedes Wort oder Zeichen fortwährend beobachte. Die Intrige und Spionage seien in ihrem Harem an der Tagesordnung; gehe die Herrin selbst ins Bad oder in die Moschee, so werde die Verteilung der Sklavinnen bezüglich der Zeit, des Ortes und der Möglichkeiten mit ebenso großer Vorsicht vorgenommen, als handle es sich darum, eine Hochzeit vorzubereiten.

Da ich von den innern Vorgängen in einem Enderun nicht mehr wußte, als was ich als Knabe im Elternhause gesehen, so überraschten mich diese Geschichten im Hause des Doktors, und je mehr die schöne Seneb erzählte, desto reger ward meine Neugier. »Abgesehen von unsrer Herrin, sind wir fünf Frauen im Harem,« berichtete sie. »Die georgische Sklavin Schirin, dann das äthiopische Sklavenmädchen Nur-Dschähan, Fatme, die Köchin, und die alte Duenna Leila. Ich versehe bei der Khanum das Amt einer Kammerzofe, richte ihre Pfeifen zu, bringe ihr den Kaffee, bediene sie bei den Mahlzeiten, gehe mit ihr ins Bad, kleide sie an und aus, fertige ihre Kleider, trockne, sortiere, schneide den Tabak und muß stets zu ihren Diensten sein. Schirin, die Georgierin, ist die »Sandukdar« oder Haushälterin. Sie hält sämtliche Kleidungsstücke des Herrn und der Herrin, sowie alle Gewänder im Haushalte in Ordnung, überwacht die Ausgaben, kauft das Getreide und alle Vorräte für das Haus ein; ihr sind Silber, Porzellan und alle sonstigen zerbrechlichen Gegenstände anvertraut, kurz, sie ist für alles, was die Familie Kostbares oder Wichtiges besitzt, verantwortlich. Nur-Dschähan, die schwarze Sklavin, muß wie ein Färrasch die Teppiche ausbreiten, alle grobe Arbeit im Hause verrichten, die Zimmer reinhalten, den Hof mit Wasser besprengen, in der Küche behilflich sein, Pakete austragen, Bestellungen ausrichten, kurz, jedermann zu Diensten stehen. Was die alte Leila anbetrifft, so ist sie eine Art von Duenna oder Aufseherin für die jungen Sklavinnen, schlichtet alle kleinen Streitigkeiten der Herrin mit anderen Harems, und man munkelt, sie müsse auch des Doktors Angelegenheiten ausspionieren. So, wie wir nun einmal sind, verbringen wir unsre Tage mit verdrießlichen Zänkereien; trotzdem sind aber immer zwei von uns mit Ausschluß der andern eng befreundet. In diesem Augenblick lebe ich in offener Feindschaft mit der Georgierin, die vor einiger Zeit annahm, ihr guter Stern sei erblichen. Sie ließ sich deshalb von einem Derwisch einen Talisman schreiben. Kaum hatte sie ihn in Händen, schenkte ihr die Khanum am ersten Tage danach eine neue Jacke, was mich so eifersüchtig machte, daß auch ich mich mit einem Derwisch ins Vernehmen setzte, er solle mir einen Talisman geben, der mir zu einem guten Ehemann verhülfe. Kannst du dir meine Glückseligkeit vorstellen, als ich dich am gleichen Abend auf der Terrasse sah? Aber das rief eine neue Rivalität hervor, die zum Hasse führte. Wir sind nun Todfeindinnen; vielleicht schlägt der Haß auch plötzlich wieder in Freundschaft um. Augenblicklich bin ich eng mit Nur-Dschähan befreundet und überzeugt, sie hinterbringt der Khanum nur das Ungünstigste über meine Rivalin. Vor ein paar Tagen schickte eine der Damen aus dem königlichen Serail unsrer Herrin auserlesene Süßigkeiten und Backlawa zum Geschenke; den größten Teil fraßen die Ratten auf, wir aber gaben vor, die Georgierin habe ihn verzehrt. Dafür mußte ihr Nur-Dschähan Schläge auf die Fußsohlen erteilen. Ich zerbrach die Lieblingstrinkschale der Herrin, dafür wurde Schirin verantwortlich gemacht und mußte sie ersetzen! Freilich weiß ich, daß sie auf Rache sinnt. Sie hält lange Beratungen mit der alten Leila, die augenblicklich die Gunst der Herrin besitzt. Was durch ihre Hände geht, esse und trinke ich aus Angst, vergiftet zu werden, nicht. Sie behauptet, die gleiche Furcht vor mir zu haben, denn im Harem muß man beständig vor Gift auf der Hut sein. Nur einmal kam es zwischen uns zu einer richtigen Rauferei. Schirin reizte mich zur höchsten Wut, weil sie ausspuckte und rief: ›Länät be Scheitan‹ (verflucht sei der Teufel); was, wie du weißt, für eine Yäzidis eine schwere Kränkung bedeutet. Alsogleich fiel ich über sie her, gab ihr alle häßlichen Namen, die ich in Persien erlernt hatte, packte sie bei den Haaren und riß ihr ganze Strähne mit den Wurzeln aus. Leila, die uns trennen wollte, bekam auch ihr Teil ab; schließlich schmähten und schrien wir so lange, bis unsre Kehlen, vor Wut und Ermattung ganz ausgetrocknet, keinen Laut mehr hervorbringen konnten. Dieser Zwist kühlte unsre Wut zwar etwas ab, sie jedoch zeigt mir bei jeder Gelegenheit ihre unverminderte Feindseligkeit durch alle erdenklichen Bosheiten.«

Seneb hatte mich in dieser Weise bis zum ersten Morgengrauen unterhalten. Als jetzt der Muezzin zum Gebete rief, schien es ratsam, uns zurückzuziehen mit dem gegenseitigen Versprechen, uns so oft wiederzusehen, als es die Klugheit zulasse. Wir vereinbarten, daß Seneb, wenn sich eine günstige Gelegenheit böte, ihren Schleier im Geäst eines mir sichtbaren Baumes im Hofe aufhängen würde.

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