Dreiundzwanzigstes Kapitel - Seneb
So wäre ich denn wirklich verliebt,« sagte ich und rieb mir
den Schlaf aus den Augen. Wohin das führt, wird sich ja
zeigen. Woher sie stammt und wer sie ist, erfahre ich, so Gott
will, heute abend; sollte sie aber des Doktors Eigentum sein,
so werde ich ihn lehren, und sollte sein Haus darüber zugrunde
gehen, wie man Schätze hütet. An eine Heirat konnte ich
freilich vorderhand nicht denken. Wer hätte mir auch ein Weib
zur Ehe geben mögen? Ich besaß ja nicht genug, um mir neue
Beinkleider zu kaufen, geschweige denn so viel, um die
Hochzeitskosten aufzubringen. Doch im Laufe der Zeit, wenn ich
mir etwas zusammengespart hatte, Inschallah! dann konnte auch
ich mir ein Eheweib vergönnen. Jetzt aber sollte die Liebe
mein bester Zeitvertreib werden, und zwar auf Kosten des
Doktors.
Mit diesem Vorsatz erhob ich mich eiligst vom Lager,
kleidete mich sorgfältiger an als sonst, kämmte meine Locken
viel länger als gewöhnlich, wand meinen Gürtel möglichst
kunstvoll und setzte meine Mütze recht schief auf. Nachdem ich
mein Bett zusammengerollt und in die Dienerstube getragen
hatte, verließ ich das Haus mit der Absicht, mich ins Bad zu
begeben, um dort meinen äußeren Menschen so lieblich wie nur
möglich für das abendliche Stelldichein herrichten zu lassen.
Den größten Teil des Morgens verbrachte ich singend im Bade,
die übrige Zeit bis zur Zusammenkunft schlenderte ich planlos
in den Straßen umher. Endlich nahte der Abend. Meine Ungeduld
war aufs höchste gestiegen, ich mußte nur das »Scham« oder
Abendessen abwarten, dann wollte ich Kopfschmerzen vorschützen
und mich schleunigst zurückziehen. Unglücklicherweise wurde
der Doktor länger als üblich beim Schah aufgehalten. Da die
Diener nur die Überreste seiner Mahlzeiten bekamen, so
erfüllte mich das lange Warten auf meine Freiheit mit
fieberhafter Erregung. Der letzte Tagesschimmer färbte den
westlichen Himmel mit zarter Röte, der Mond ging gerade auf,
als ich, mein Bett unter dem Arme, auf der Terrasse erschien.
Ich warf die Bettstücke zu Boden und eilte pochenden Herzens
zur Mauerspalte. Bitter enttäuscht sah ich zwar Tabaksblätter
in Haufen herumliegen, da und dort Körbe stehen, als ob die
Arbeit nicht vollendet wäre, doch Seneb war nirgends zu
erblicken. Zweimal hustete ich ganz leise, ohne Antwort zu
bekommen. Der einzige Ton, der an mein Ohr schlug, war jene
kreischende Stimme, die so laut mit jemand im Hause zeterte,
daß es durch die Mauern schallte, ohne daß ich hätte ergründen
können, was die Frau des Doktors in solche Wut versetzte, bis
plötzlich das leidenschaftliche Geschrei im Hofe selbst zu
hören war.
»Du willst von Arbeit reden, du Tochter des Teufels! Wer
hieß dich ins Bad gehen? Was hattest du bei den Gräbern zu
suchen? Du meinst wohl, ich sei deine Sklavin und du könntest
deinem Vergnügen nachgehen? Warum unterblieb die Arbeit? Weder
essen, trinken, noch schlafen sollst du, bis sie beendet sein
wird, und ist dies nicht bald der Fall, so will ich dich, beim
Propheten, schlagen, bis dir die Nägel von den Füßen fallen.«
Ich hörte dann ein Rascheln und Schlürfen, erblickte auch
alsbald meine Schöne, die mit sichtlichem Widerwillen der
Stelle zuschritt, wo ich ihrer noch vor wenig Minuten geharrt
und an ihrem Kommen verzweifelt war. Welch ein wundersames
Ding ist doch die Liebe? Wie sie alle Fähigkeiten steigert und
das Unmögliche möglich macht! Im Augenblick erriet ich, wie
sinnreich meine Geliebte alles ausgeklügelt hatte, um uns ein
recht langes und ungestörtes Beisammensein zu ermöglichen! – –
Zuerst tat sie, als sähe sie mich nicht. Kaum aber war es
unten ruhig geworden, nahte sie sich mir – und wie der Leser
wohl vermutet, war ich im Nu an ihrer Seite.
Ich erfuhr durch meine schöne Freundin, sie sei die Tochter
eines Kurdenhäuptlings, der samt seiner ganzen Familie, seinen
Untergebenen und Herden in die Gefangenschaft geraten war, als
sie fast noch ein Kind gewesen. Durch allerlei widrige
Schicksale war sie als Sklavin in die Hände des Doktors
gefallen. Nachdem wir dem ersten Aufflammen unserer
gegenseitigen Neigung genuggetan, machte sie ihrer Empörung
Luft über die Behandlung, die sie eben erfahren hatte. »Oh,«
rief sie aus, »hast du gehört, welche Namen sie mir gab?
Dieses Weib ohne Gewissen und ohne Religion! So behandelt sie
mich stets; unaufhörlich werde ich beschimpft; ein Hund gilt
ihr mehr als ich! Jedermann schmäht mich; niemand kümmert sich
um mich; ich bin krank vor Kummer, und das Herz in der Brust
ist mir verdorrt. Warum soll ich mich eine Tochter des Teufels
schelten lassen? Ja, ich bin eine Kurdin, ich bin eine von den
Yäzidis – es ist auch richtig, daß wir den Teufel fürchten;
wer tut das nicht? Aber trotzdem bin ich kein Teufelskind!
Ach, könnte ich dem Weibe nur in meinen Bergen begegnen, dann
würde sie innewerden, wessen ein Kurdenmädchen fähig ist.«
Nach Kräften bemühte ich mich, sie zu trösten, bat sie,
ihren Groll zu unterdrücken, bis sich ein günstiger Augenblick
zur Rache böte. Der, meinte sie, würde niemals kommen; alle
ihre Schritte seien streng überwacht, sie könne kaum von einem
Zimmer in das andre gehen, ohne daß ihre Herrin ein Auge auf
sie hätte. Der Doktor stamme, wie sie mir sagte, von niedrig
geborenen Leuten ab, habe auf Befehl des Schahs eine Sklavin
geheiratet, die infolge schlechter Aufführung aus dem
königlichen Harem gejagt worden war. Sie brachte Mirza Ahmak
keine andere Mitgift zu als Bosheit und eine ungeheure Portion
Hochmut auf ihren ehemaligen Einfluß bei Hofe; sie behandle
ihren jetzigen Mann schlechter als den Staub unter ihren Füßen
und knechte ihn zum Erbarmen. Ohne ihre besondere Erlaubnis
dürfe er sich in ihrer Gegenwart nicht setzen, und diese
erteile sie sehr selten; überdies sei sie so eifersüchtig, daß
jede Sklavin im Hause ihr Mißtrauen reize. Anderseits stecke
der Doktor voller Ehrgeiz, sei ganz durchdrungen von der
Bedeutung seiner hohen Stellung, auch der menschlichen
Schwäche unterworfen, durchaus nicht unempfindlich für die
Reize seiner jungen, hübschen Sklavinnen zu sein. Seneb
selbst, so vertraute sie mir, sei ein Gegenstand seiner
besonderen Aufmerksamkeiten, infolgedessen auch ein Gegenstand
der Eifersucht für die Frau, die jeden Blick, jedes Wort oder
Zeichen fortwährend beobachte. Die Intrige und Spionage seien
in ihrem Harem an der Tagesordnung; gehe die Herrin selbst ins
Bad oder in die Moschee, so werde die Verteilung der
Sklavinnen bezüglich der Zeit, des Ortes und der Möglichkeiten
mit ebenso großer Vorsicht vorgenommen, als handle es sich
darum, eine Hochzeit vorzubereiten.
Da ich von den innern Vorgängen in einem Enderun
nicht mehr wußte, als was ich als Knabe im Elternhause
gesehen, so überraschten mich diese Geschichten im Hause des
Doktors, und je mehr die schöne Seneb erzählte, desto reger
ward meine Neugier. »Abgesehen von unsrer Herrin, sind wir
fünf Frauen im Harem,« berichtete sie. »Die georgische Sklavin
Schirin, dann das äthiopische Sklavenmädchen Nur-Dschähan, Fatme, die Köchin, und die alte Duenna Leila. Ich
versehe bei der Khanum das Amt einer Kammerzofe,
richte ihre Pfeifen zu, bringe ihr den Kaffee, bediene sie bei
den Mahlzeiten, gehe mit ihr ins Bad, kleide sie an und aus,
fertige ihre Kleider, trockne, sortiere, schneide den Tabak
und muß stets zu ihren Diensten sein. Schirin, die Georgierin,
ist die »Sandukdar« oder Haushälterin. Sie hält sämtliche
Kleidungsstücke des Herrn und der Herrin, sowie alle Gewänder
im Haushalte in Ordnung, überwacht die Ausgaben, kauft das
Getreide und alle Vorräte für das Haus ein; ihr sind Silber,
Porzellan und alle sonstigen zerbrechlichen Gegenstände
anvertraut, kurz, sie ist für alles, was die Familie Kostbares
oder Wichtiges besitzt, verantwortlich. Nur-Dschähan, die
schwarze Sklavin, muß wie ein Färrasch die Teppiche
ausbreiten, alle grobe Arbeit im Hause verrichten, die Zimmer
reinhalten, den Hof mit Wasser besprengen, in der Küche
behilflich sein, Pakete austragen, Bestellungen ausrichten,
kurz, jedermann zu Diensten stehen. Was die alte Leila
anbetrifft, so ist sie eine Art von Duenna oder Aufseherin für
die jungen Sklavinnen, schlichtet alle kleinen Streitigkeiten
der Herrin mit anderen Harems, und man munkelt, sie müsse auch
des Doktors Angelegenheiten ausspionieren. So, wie wir nun
einmal sind, verbringen wir unsre Tage mit verdrießlichen
Zänkereien; trotzdem sind aber immer zwei von uns mit
Ausschluß der andern eng befreundet. In diesem Augenblick lebe
ich in offener Feindschaft mit der Georgierin, die vor einiger
Zeit annahm, ihr guter Stern sei erblichen. Sie ließ sich
deshalb von einem Derwisch einen Talisman schreiben. Kaum
hatte sie ihn in Händen, schenkte ihr die Khanum am ersten
Tage danach eine neue Jacke, was mich so eifersüchtig machte,
daß auch ich mich mit einem Derwisch ins Vernehmen setzte, er
solle mir einen Talisman geben, der mir zu einem guten Ehemann
verhülfe. Kannst du dir meine Glückseligkeit vorstellen, als
ich dich am gleichen Abend auf der Terrasse sah? Aber das rief
eine neue Rivalität hervor, die zum Hasse führte. Wir sind nun
Todfeindinnen; vielleicht schlägt der Haß auch plötzlich
wieder in Freundschaft um. Augenblicklich bin ich eng mit
Nur-Dschähan befreundet und überzeugt, sie hinterbringt der
Khanum nur das Ungünstigste über meine Rivalin. Vor ein paar
Tagen schickte eine der Damen aus dem königlichen Serail
unsrer Herrin auserlesene Süßigkeiten und Backlawa zum
Geschenke; den größten Teil fraßen die Ratten auf, wir aber
gaben vor, die Georgierin habe ihn verzehrt. Dafür mußte ihr
Nur-Dschähan Schläge auf die Fußsohlen erteilen. Ich zerbrach
die Lieblingstrinkschale der Herrin, dafür wurde Schirin
verantwortlich gemacht und mußte sie ersetzen! Freilich weiß
ich, daß sie auf Rache sinnt. Sie hält lange Beratungen mit
der alten Leila, die augenblicklich die Gunst der Herrin
besitzt. Was durch ihre Hände geht, esse und trinke ich aus
Angst, vergiftet zu werden, nicht. Sie behauptet, die gleiche
Furcht vor mir zu haben, denn im Harem muß man beständig vor
Gift auf der Hut sein. Nur einmal kam es zwischen uns zu einer
richtigen Rauferei. Schirin reizte mich zur höchsten Wut, weil
sie ausspuckte und rief: ›Länät be Scheitan‹ (verflucht sei
der Teufel); was, wie du weißt, für eine Yäzidis eine schwere
Kränkung bedeutet. Alsogleich fiel ich über sie her, gab ihr
alle häßlichen Namen, die ich in Persien erlernt hatte, packte
sie bei den Haaren und riß ihr ganze Strähne mit den Wurzeln
aus. Leila, die uns trennen wollte, bekam auch ihr Teil ab;
schließlich schmähten und schrien wir so lange, bis unsre
Kehlen, vor Wut und Ermattung ganz ausgetrocknet, keinen Laut
mehr hervorbringen konnten. Dieser Zwist kühlte unsre Wut zwar
etwas ab, sie jedoch zeigt mir bei jeder Gelegenheit ihre
unverminderte Feindseligkeit durch alle erdenklichen
Bosheiten.«
Seneb hatte mich in dieser Weise bis zum ersten
Morgengrauen unterhalten. Als jetzt der Muezzin zum Gebete
rief, schien es ratsam, uns zurückzuziehen mit dem
gegenseitigen Versprechen, uns so oft wiederzusehen, als es
die Klugheit zulasse. Wir vereinbarten, daß Seneb, wenn sich
eine günstige Gelegenheit böte, ihren Schleier im Geäst eines
mir sichtbaren Baumes im Hofe aufhängen würde.