Neunundzwanzigstes Kapitel - Hadschis letzte Unterredung
mit Seneb
Die Mauer, hinter der ich mich verborgen gehalten, bildete
gar bald keine Schranke mehr zwischen uns. Kaum aber hatte ich
begonnen, Seneb meine trostlose Gemütsverfassung zu schildern,
so unterbrach sie mich, um mich auf die Gefahren hinzuweisen,
denen wir uns durch diese Unterredung aussetzten, gab mir auch
gar bald zu verstehen, dies müßte unsre letzte Zusammenkunft
sein, da sie jetzt dem königlichen Harem angehöre und wir der
Todesstrafe verfallen wären, wenn man uns beisammen fände. Ich
konnte kaum erwarten, zu erfahren, auf welche Weise sie der
König in seinen Besitz gebracht und was ihre künftige
Bestimmung sein werde –; doch jedes meiner Worte erstickte in
heftigem Schluchzen. Sie hingegen schien sich unsre Trennung
nicht so sehr zu Herzen zu nehmen, war entweder von ihrem
künftigen Schicksal geblendet oder durch all die Trübsal, die
sie um meinetwillen schon erduldet hatte, ganz entmutigt.
Jedenfalls erwiderte sie meine Zärtlichkeit nicht mit jener
Wärme, auf die ich so sehnsüchtig gehofft hatte.
Sie erzählte mir, der Schah sei bei seinem Eintritte in den
Harem von einer Schar Sängerinnen empfangen worden, die ihn
unter Absingen einer Lobeshymne, mit Begleitung von
Tamburinen, zu dem offenen Empfangsraume geleiteten. Kaum
hatte der Schah sich dort niedergelassen, als der Khanum
gestattet wurde, von ihrem Vorrechte Gebrauch zu machen, ihm
die Knie zu küssen. Köstliche, gestickte Seidenstoffe hatte
man vor ihm auf dem Boden ausgebreitet, die aber, sobald sein
königlicher Fuß darüber weggeschritten war, sogleich von den
Eunuchen als eine ihnen rechtmäßig zukommende Nebeneinnahme
wegstibitzt wurden.
Dem Schah wurden die auf einer silbernen Platte
ausgebreiteten Geschenke im Namen der Khanum von seiner
diensttuenden Zeremonienmeisterin dargebracht. Sie bestanden
aus sechs ›Arak-gir‹ oder Hausmützen, von der Khanum eigener
Hand gestickt; sechs ›Sine-gir‹ oder Brustlätzen aus
wattiertem Kaschmirstoffe, bei kühlem Wetter auf dem Hemd zu
tragen; zwei Beinkleidern aus Kaschmirschal; drei seidenen
Hemden und sechs Paar von den Damen im Hause selbst
gestrickten Strümpfen. Nachdem Seine Majestät diese Geschenke
unter vielfachen Lobeserhebungen ob des Fleißes und der
Geschicklichkeit der Khanum entgegengenommen, wurden die
Frauen zu beiden Seiten des Schahs in zwei Reihen aufgestellt.
»Um das Maß aller mir auferlegten Demütigung aber voll zu
machen,« sagte Seneb, »stellten sie mich als letzte in der
Reihe, selbst hinter Nur-Dschähan, das schwarze
Sklavenmädchen, auf. Du hättest nur sehen sollen, wie sich
jede von uns, die alte Leila nicht ausgenommen. Mühe gab, die
Aufmerksamkeit des Schahs in irgendeiner Weise zu erregen.
Einige taten ganz verschämt und schüchtern, andre warfen ihm
verstohlen lüsterne Blicke zu und blinzelten verheißungsvoll,
wieder andere schauten ihm frech und unverwandt ins Gesicht.
Nachdem der Schah jede einzelne der Reihe nach gemustert
hatte, blieb sein Auge lange auf mir ruhen, und dem Doktor
zugewendet, sagte er: ›Was ist das für eine Person? Das ist
keine landläufige Ware – bei des Königs Dschika ein
schönes Tier! – – Maschallah (was Allah will), Doktor! Ihr
seid ein gewiegter Kenner! Das Gesicht rund wie der Mond! –
das Auge einer Hindin! – – – die Gestalt einer Zypresse! –
Hier sind alle Reize vereint!‹
›Mein Leben ist in Eurer Hand,‹ sagte der Doktor mit dem
allertiefsten Bücklinge; ›ebenso ist alles, was ich bin und
habe, das Eigentum des Königs der Könige. Ist auch die Sklavin
der Beachtung Eurer Majestät ganz unwürdig, so dürfte ich
vielleicht dennoch wagen, sie als ein Zeichen meiner
unbegrenzten Unterwürfigkeit zu den Stufen von Eurer Majestät
Throne niederzulegen?‹
›Kabul! – – ich nehme sie an,« sagte der Schah, rief dann
seinen Obereunuchen und befahl ihm, mich zu einer ›Bäsiger‹
auszubilden und mir für meinen künftigen Beruf passende
Kleider zu beschaffen, damit ich nach seiner Rückkehr aus der
Sommerresidenz fix und fertig ausgebildet vor ihm erscheinen
könnte.
»O, die Augen der Khanum während dieses Gespräches werde
ich nimmermehr vergessen!« rief Seneb aus. »Dem Schah
gegenüber stimmte sie allem, was gesagt wurde, unterwürfigst
bei, mir aber warf sie Blicke zu, welche die tausend bösen
Leidenschaften verrieten, die in ihrer Brust tobten. Die Augen
der Georgierin blitzten Gift und spitze Dolche, während jeder
Zug im gutmütigen Gesichte Nur-Dschähans die größte Seligkeit
über das mir widerfahrene Glück ausdrückte. Unterdessen warf
ich mich vor dem Könige zu Boden, während er mich fortwährend
mit den gütigsten Blicken beschenkte. Du hättest nur den
Umschwung im Benehmen der Khanum mir gegenüber, nachdem der
Schah sich entfernt hatte, sehen sollen! Nun war ich nicht
länger ein ›Kind des Teufels‹ – ein ›verfluchtes Mädchen‹ – –;
sondern es hieß ›meine Liebe‹ – ›meine Seele‹ – ›Licht meiner
Augen‹ – – ›mein Kind‹. Ich, die vorher niemals in ihrer
Gegenwart hatte rauchen dürfen, ward nun eingeladen, ihre
Pfeife mitzugenießen; auch schob sie mir, ob ich es wollte
oder nicht. mit eigenen Händen Süßigkeiten in den Mund. Die
Georgierin fand dies Schauspiel so unerträglich, daß sie sich
in ein andres Zimmer zurückzog, um dort im stillen ihren Ärger
hinunterzuwürgen. Ich hingegen nahm die Glückwünsche aller
andern anwesenden Frauen entgegen, die mir unaufhörlich die
unendlichen Wonnen priesen, die meiner harrten. Liebe, Wein,
Juwelen, schöne Kleider, Bäder und dem Schah aufzuwarten,
würden mein Dasein ausfüllen. Einige belehrten mich über die
wirksamsten Zaubermittel, um Liebe zu erregen oder den Einfluß
einer Rivalin zu vernichten; andre gaben mir gute Ratschläge,
wie ich es anstellen müßte, um reiche Geschenke zu erlangen;
und viele bemühten sich eifrig, mir die schönen Redensarten
beizubringen, deren ich mich zu bedienen hatte, sollte der
Schah das Wort an mich richten. Kurz, die arme Seneb, einst
das so tiefverachtete und elendeste aller Geschöpfe, ward mit
einem Schlage der Gegenstand der allgemeinen Bewunderung und
Aufmerksamkeit.«
Damit schloß Seneb ihren Bericht. Ihre Freude über den
Umschwung ihrer Lage schien mir so selbstverständlich, daß ich
nicht das Herz hatte, ihr diese zu trüben, indem ich sie auf
die Gefahren aufmerksam machte, die ich für sie voraussah. Sie
ahnte nicht, welch entsetzlicher Todesart sie verfallen wäre,
im Falle sie der Schah zur Aufwartung befehlen würde und er
sie seiner Gunst als unwürdig erkennen müßte. Alter Erfahrung
gemäß wurden solche Vorkommnisse, ohne daß irgendein Richter
den Urteilsspruch fällte, stets mit dem Tode, und zwar einer
grausamen und entsetzlichen Todesstrafe, geahndet. Ich nahm
darum scheinbar großen Anteil an ihrem Glücke; und wenn wir
auch das Auseinandergehen schmerzlich empfanden, so trösteten
wir uns mit der Hoffnung, daß es an Gelegenheiten, gegenseitig
etwas voneinander zu hören, nicht fehlen würde. Seneb sagte
mir noch, einer der Eunuchen des Königs werde sie am andern
Morgen abholen und ins Serail führen. Dort würde sie gebadet
und neu bekleidet der Abteilung der ›Bäsigers‹ zu
ihrer sofortigen Ausbildung übergeben. Da man sie mehrere Male
beim Namen rief, wollte sie sich nicht länger bei mir
aufhalten, und so schieden wir, nach abertausend
Versicherungen unsrer gegenseitigen Liebe, vielleicht auf
Nimmerwiedersehen.