Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Neunundzwanzigstes Kapitel - Hadschis letzte Unterredung mit Seneb

Die Mauer, hinter der ich mich verborgen gehalten, bildete gar bald keine Schranke mehr zwischen uns. Kaum aber hatte ich begonnen, Seneb meine trostlose Gemütsverfassung zu schildern, so unterbrach sie mich, um mich auf die Gefahren hinzuweisen, denen wir uns durch diese Unterredung aussetzten, gab mir auch gar bald zu verstehen, dies müßte unsre letzte Zusammenkunft sein, da sie jetzt dem königlichen Harem angehöre und wir der Todesstrafe verfallen wären, wenn man uns beisammen fände. Ich konnte kaum erwarten, zu erfahren, auf welche Weise sie der König in seinen Besitz gebracht und was ihre künftige Bestimmung sein werde –; doch jedes meiner Worte erstickte in heftigem Schluchzen. Sie hingegen schien sich unsre Trennung nicht so sehr zu Herzen zu nehmen, war entweder von ihrem künftigen Schicksal geblendet oder durch all die Trübsal, die sie um meinetwillen schon erduldet hatte, ganz entmutigt. Jedenfalls erwiderte sie meine Zärtlichkeit nicht mit jener Wärme, auf die ich so sehnsüchtig gehofft hatte.

Sie erzählte mir, der Schah sei bei seinem Eintritte in den Harem von einer Schar Sängerinnen empfangen worden, die ihn unter Absingen einer Lobeshymne, mit Begleitung von Tamburinen, zu dem offenen Empfangsraume geleiteten. Kaum hatte der Schah sich dort niedergelassen, als der Khanum gestattet wurde, von ihrem Vorrechte Gebrauch zu machen, ihm die Knie zu küssen. Köstliche, gestickte Seidenstoffe hatte man vor ihm auf dem Boden ausgebreitet, die aber, sobald sein königlicher Fuß darüber weggeschritten war, sogleich von den Eunuchen als eine ihnen rechtmäßig zukommende Nebeneinnahme wegstibitzt wurden.

Dem Schah wurden die auf einer silbernen Platte ausgebreiteten Geschenke im Namen der Khanum von seiner diensttuenden Zeremonienmeisterin dargebracht. Sie bestanden aus sechs ›Arak-gir‹ oder Hausmützen, von der Khanum eigener Hand gestickt; sechs ›Sine-gir‹ oder Brustlätzen aus wattiertem Kaschmirstoffe, bei kühlem Wetter auf dem Hemd zu tragen; zwei Beinkleidern aus Kaschmirschal; drei seidenen Hemden und sechs Paar von den Damen im Hause selbst gestrickten Strümpfen. Nachdem Seine Majestät diese Geschenke unter vielfachen Lobeserhebungen ob des Fleißes und der Geschicklichkeit der Khanum entgegengenommen, wurden die Frauen zu beiden Seiten des Schahs in zwei Reihen aufgestellt.

»Um das Maß aller mir auferlegten Demütigung aber voll zu machen,« sagte Seneb, »stellten sie mich als letzte in der Reihe, selbst hinter Nur-Dschähan, das schwarze Sklavenmädchen, auf. Du hättest nur sehen sollen, wie sich jede von uns, die alte Leila nicht ausgenommen. Mühe gab, die Aufmerksamkeit des Schahs in irgendeiner Weise zu erregen. Einige taten ganz verschämt und schüchtern, andre warfen ihm verstohlen lüsterne Blicke zu und blinzelten verheißungsvoll, wieder andere schauten ihm frech und unverwandt ins Gesicht. Nachdem der Schah jede einzelne der Reihe nach gemustert hatte, blieb sein Auge lange auf mir ruhen, und dem Doktor zugewendet, sagte er: ›Was ist das für eine Person? Das ist keine landläufige Ware – bei des Königs Dschika ein schönes Tier! – – Maschallah (was Allah will), Doktor! Ihr seid ein gewiegter Kenner! Das Gesicht rund wie der Mond! – das Auge einer Hindin! – – – die Gestalt einer Zypresse! – Hier sind alle Reize vereint!‹

›Mein Leben ist in Eurer Hand,‹ sagte der Doktor mit dem allertiefsten Bücklinge; ›ebenso ist alles, was ich bin und habe, das Eigentum des Königs der Könige. Ist auch die Sklavin der Beachtung Eurer Majestät ganz unwürdig, so dürfte ich vielleicht dennoch wagen, sie als ein Zeichen meiner unbegrenzten Unterwürfigkeit zu den Stufen von Eurer Majestät Throne niederzulegen?‹

›Kabul! – – ich nehme sie an,« sagte der Schah, rief dann seinen Obereunuchen und befahl ihm, mich zu einer ›Bäsiger‹ auszubilden und mir für meinen künftigen Beruf passende Kleider zu beschaffen, damit ich nach seiner Rückkehr aus der Sommerresidenz fix und fertig ausgebildet vor ihm erscheinen könnte.

»O, die Augen der Khanum während dieses Gespräches werde ich nimmermehr vergessen!« rief Seneb aus. »Dem Schah gegenüber stimmte sie allem, was gesagt wurde, unterwürfigst bei, mir aber warf sie Blicke zu, welche die tausend bösen Leidenschaften verrieten, die in ihrer Brust tobten. Die Augen der Georgierin blitzten Gift und spitze Dolche, während jeder Zug im gutmütigen Gesichte Nur-Dschähans die größte Seligkeit über das mir widerfahrene Glück ausdrückte. Unterdessen warf ich mich vor dem Könige zu Boden, während er mich fortwährend mit den gütigsten Blicken beschenkte. Du hättest nur den Umschwung im Benehmen der Khanum mir gegenüber, nachdem der Schah sich entfernt hatte, sehen sollen! Nun war ich nicht länger ein ›Kind des Teufels‹ – ein ›verfluchtes Mädchen‹ – –; sondern es hieß ›meine Liebe‹ – ›meine Seele‹ – ›Licht meiner Augen‹ – – ›mein Kind‹. Ich, die vorher niemals in ihrer Gegenwart hatte rauchen dürfen, ward nun eingeladen, ihre Pfeife mitzugenießen; auch schob sie mir, ob ich es wollte oder nicht. mit eigenen Händen Süßigkeiten in den Mund. Die Georgierin fand dies Schauspiel so unerträglich, daß sie sich in ein andres Zimmer zurückzog, um dort im stillen ihren Ärger hinunterzuwürgen. Ich hingegen nahm die Glückwünsche aller andern anwesenden Frauen entgegen, die mir unaufhörlich die unendlichen Wonnen priesen, die meiner harrten. Liebe, Wein, Juwelen, schöne Kleider, Bäder und dem Schah aufzuwarten, würden mein Dasein ausfüllen. Einige belehrten mich über die wirksamsten Zaubermittel, um Liebe zu erregen oder den Einfluß einer Rivalin zu vernichten; andre gaben mir gute Ratschläge, wie ich es anstellen müßte, um reiche Geschenke zu erlangen; und viele bemühten sich eifrig, mir die schönen Redensarten beizubringen, deren ich mich zu bedienen hatte, sollte der Schah das Wort an mich richten. Kurz, die arme Seneb, einst das so tiefverachtete und elendeste aller Geschöpfe, ward mit einem Schlage der Gegenstand der allgemeinen Bewunderung und Aufmerksamkeit.«

Damit schloß Seneb ihren Bericht. Ihre Freude über den Umschwung ihrer Lage schien mir so selbstverständlich, daß ich nicht das Herz hatte, ihr diese zu trüben, indem ich sie auf die Gefahren aufmerksam machte, die ich für sie voraussah. Sie ahnte nicht, welch entsetzlicher Todesart sie verfallen wäre, im Falle sie der Schah zur Aufwartung befehlen würde und er sie seiner Gunst als unwürdig erkennen müßte. Alter Erfahrung gemäß wurden solche Vorkommnisse, ohne daß irgendein Richter den Urteilsspruch fällte, stets mit dem Tode, und zwar einer grausamen und entsetzlichen Todesstrafe, geahndet. Ich nahm darum scheinbar großen Anteil an ihrem Glücke; und wenn wir auch das Auseinandergehen schmerzlich empfanden, so trösteten wir uns mit der Hoffnung, daß es an Gelegenheiten, gegenseitig etwas voneinander zu hören, nicht fehlen würde. Seneb sagte mir noch, einer der Eunuchen des Königs werde sie am andern Morgen abholen und ins Serail führen. Dort würde sie gebadet und neu bekleidet der Abteilung der ›Bäsigers‹ zu ihrer sofortigen Ausbildung übergeben. Da man sie mehrere Male beim Namen rief, wollte sie sich nicht länger bei mir aufhalten, und so schieden wir, nach abertausend Versicherungen unsrer gegenseitigen Liebe, vielleicht auf Nimmerwiedersehen.

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