Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Sechsundvierzigstes Kapitel - Hadschi hat Glück mit dem Wahrsager

Ich muß gestehen, ich hatte jede Hoffnung auf die Wiedererlangung meines Vermögens aufgegeben. Gewiß, der Wahrsager hatte durch seine Künste festgestellt, daß Geld im Hause meines Vaters vergraben gewesen; es war ihm auch gelungen, in mir einen häßlichen Argwohn gegen zwei Menschen wachzurufen, die zu verdächtigen mir sündhaft erschien, aber ich bezweifelte doch, ob er mehr vollbringen könnte.

Trotzdem kam er am nächsten Morgen, vom Kaputschi und mehreren anderen begleitet, die auch die früheren Vorgänge mit erlebt hatten, wieder. Der Akhund erschien allerdings nicht; auch meine Mutter war, unter dem Vorwande, eine kranke Freundin besuchen zu müssen, abwesend. Gemeinsam begaben wir uns zum Erdhaufen hin, dem sich der Derwisch, nachdem er laut den himmlischen Beistand angefleht, mit geradezu mysteriöser Ehrfurcht näherte.

»Nun wollen wir sehen, ob die Dschann und Peris diese Nacht am Werke waren?« meinte er, bohrte mit dem Ausrufe ›Bismillah‹ seinen Dolch in den Haufen, stieß, nachdem er etwas aufgewühltes Erdreich zur Seite geschafft hatte, auf einen großen Stein, und als auch dieser gehoben war, entdeckte man, zum Staunen aller und zu meinem unaussprechlichen Entzücken, einen wohlgefüllten Sack aus grober Leinwand.

»O meine Seele! o mein Herz!« rief der Bucklige, als er den Sack emporhob; »seht ihr nun, daß der Derwisch Tis Nigāh auch nicht eines seiner Barthaare herzugeben braucht? – Da! da! nehmt,« rief er und gab mir den Sack in die Hand, »dies ist Euer Eigentum, geht, danket Gott, daß Ihr in meine Hände fielet, vergeßt aber nicht, mir mein ›Hakk-i sai‹ (Lohn für Bemühung) zu geben.«

Als ich das Wachs des Siegels, das den Sack verschloß, als von meinem Vater herrührend, erkannte, umdrängte mich alles, und bis ich es erbrochen und die Schnur gelöst hatte, mit der er zugebunden war, malte sich auf allen Gesichtern die größte Ungeduld. Ich aber fiel aus allen meinen Himmeln, da ich zu meiner größten Enttäuschung nur Silber erblickte, wo ich sicher vermeinte, lauter Gold zu finden! Nun besaß ich eine Summe von fünfhundert Realen, nahm sofort fünfzig davon weg und übergab sie ihrem genialen Finder. »Hier,« sagte ich; »möge Euer Haus gedeihen! Wäre ich reicher, würde ich Euch mehr geben. Ist dieser Fund auch nur ein kleiner Teil dessen, was mein Vater einst aufhäufte, so wiederhole ich dennoch, möge Euer Haus gedeihen, und danke Euch vielmals und von ganzem Herzen.«

Der Derwisch, der mit meinem Verhalten sehr zufrieden schien, empfahl sich daraufhin, die übrigen verließen mich gleichfalls, und ich blieb mit dem Kaputschi allein.

»Haben wir diesen Morgen nicht ein ganz famoses Geschäft gemacht?« rief der Alte. »Habe ich dir nicht immer gesagt, daß diese Wahrsager wahre Wunder wirken?«

»Ja,« antwortete ich. »Ja, es war wunderbar, und ich hätte nie geglaubt, daß dies Verfahren zu irgendeinem Ziele führte.« Jetzt aber, wo ich blinkendes Geld vor mir sah, erfaßte mich der Dämon der Habgier. Alsogleich begann ich darüber zu klagen, daß ich nicht mehr bekommen hätte, drückte auch Ali Mohammed abermals den Wunsch aus, meinen Fall vor den Kadi zu bringen, und sagte: »Wenn ich ein Recht auf die fünfhundert Realen habe, so habe ich auch ein Recht auf alles, was mein Vater hinterließ; denn daß dies nur ein sehr kleiner Teil seiner Ersparnisse sein kann, mußt auch du zugeben.«

»Freund,« sagte er, »höre auf die Worte eines alten Mannes. Behalte, was du bekamst, und bescheide dich damit. Gehst du zum Kadi, so wirst du zuallererst dein ›Sicheres‹ hergeben müssen, um es gegen das Fluchwürdigste aller Güter, gegen das ›Unsichere‹, zu vertauschen. Hat er dich erst um deine vierhundertundfünfzig Realen ärmer gemacht und fünfhundert von deinen Gegnern eingesteckt, so wirst du allerdings die Genugtuung haben, ihn zu beiden Parteien sagen zu hören: ›Gehet hin in Frieden und beunruhigt die Stadt nicht fürderhin mit euren Streitigkeiten.‹ Hast du nicht lange genug in der Welt gelebt, um das alte Sprichwort zu kennen: ›Die Zähne der meisten Menschen werden vom Sauren stumpf, nur die des Kadis werden es vom Süßen.‹ Der Kadi, der sich mit zehn Gurken bestechen läßt, stellt für zehn Melonenbeete jeden Wahrheitsbeweis aus.«

Nach einigem Nachdenken beschloß ich, dem Kaputschi Gehör zu schenken; denn es lag ja auf der Hand, daß ich niemand anklagen konnte als meine Mutter und den Akhund. Hätte ich das aber getan, so mußte ich auf eine so große Schar von Feinden rechnen und rief so ungeheures Ärgernis hervor, daß ich Gefahr lief, zu allen meinen Plackereien noch obendrein vom Pöbel gesteinigt zu werden.

»Ich will alles, was ich in Ispahan besitze, verkaufen,« sagte ich zu meinem Ratgeber; »ist dies aber geschehen, so gehe ich fort und kehre niemals wieder, es sei denn unter ganz anderen und bessern Umständen. Die Stadt soll mich nie wiedersehen,« rief ich in einem Anfalle von Unmut aus; »es sei denn, ich kehre als einflußreicher Mann zurück!«

Als ich diese stolze Rede tat, dachte ich freilich nicht daran, wie eifrig meine guten Sterne darauf hinarbeiteten, meine Worte wahr zu machen.

Der Kaputschi lobte meine Absichten, um so mehr, als ihre Ausführung auch in seinem Interesse lag. Er hatte nämlich einen Sohn, der Barbier war und gern ein Geschäft eröffnet hätte. Was konnte für diesen wünschenswerter sein, als dicht neben der Karawanserei, wo sein Vater diente, und in einem Laden, wo meines armen Vaters Geschäft einst so erfolgreich emporblühte, sich niederzulassen?

Die Nutznießung meines Vaterhauses wollte ich, ungeachtet meiner Empfindungen über ihr kürzliches Benehmen, schon um meinen Namen wieder zu Ehren zu bringen, was ihm sehr not tat, meiner Mutter überlassen; ich behielt mir nur die ›Temessutes‹ oder Besitztitel vor, die mich zum rechtmäßigen Eigentümer machten.

Als ich alles zur Zufriedenheit geregelt hatte, erhielt ich für meine Barbierstube fünfhundert Piaster vom Kaputschi, der gleichfalls ein schönes Geld zusammengespart hatte, dieses aber nach der Ansicht aller nicht besser hätte anwenden können, da das Geschäft seiner guten Lage wegen nicht wenig Kunden anzog. So erhielt ich denn eine Gesamtsumme von ungefähr hundertundzehn Toman, die ich, der Bequemlichkeit halber in Gold umgewechselt, bei mir trug. Einen Teil des Geldes verwendete ich zum Ankaufe von Kleidern, mit dem anderen erstand ich ein Maultier samt Sattel und Zaumzeug. Nach reiflicher Überlegung gab ich einem Maultier den Vorzug, da mein Entschluß feststand, nicht wie bisher als ›Sahib Schemschir‹ oder Mann des Schwertes, sondern als ›Sahib Kalem‹, als Mann der Feder aufzutreten, ein Stand, für den ich nach all meinem Mißgeschick und dem Vorgeschmacke, den ich davon bis zu einem gewissen Grade schon in Kum bekommen hatte, eine große Vorliebe empfand.

»Jetzt würde es mir nicht mehr anstehen,« sagte ich, »wie einst, mit dem Säbel bewaffnet, die Pistolen im Gürtel und den Karabiner auf dem Rücken, ein Roß zu tummeln. Ich werde meine Mütze weder eingedrückt noch schief auf meine hinter dem Ohre hervorquellenden Locken stülpen, sondern diese, zum Beweis, daß ich der Welt und allen ihren Eitelkeiten entsagt habe, abschneiden lassen, mir aber, um mein Äußeres vollständig zu verändern, einen Schal um das Haupt winden. Anstatt der Pistolen soll eine Papierrolle in meinem Gürtel stecken, an Stelle der Patronentasche ein Koran meine Taille umgürten. Überdies will ich nie mehr auf meinen Fußspitzen einhertänzeln, weder meine Taille einschnüren und einpressen noch meine Schultern nach vorn hängen, und niemals mit den Händen in der Luft herumfuchteln; kurz, mein Gebaren darf nicht im geringsten an den ›Käscheng‹ oder Gecken mahnen, den ich als Unterleutnant des Oberexekutors mit besonderer Vorliebe so im Übermaße herauskehrte. Nein, in Zukunft werde ich mit gebeugtem Rücken, hängendem Kopfe und zu Boden geschlagenen Augen einherschleichen, die Hände im Gürtel oder an den Seiten hängend; und damit es nicht aussieht, als wollte ich wie einst hoffärtig einherstolzieren, werde ich stets einen Fuß bedächtig vor den andern setzen. Alles in allem kommt es doch hauptsächlich darauf an, dem Manne den Stand schon äußerlich anzusehen; denn eine Dummheit, mit einem demütigen Gesicht gesagt und einem Kopfe, den ein Mollaschal umwindet, klingt schon beinahe wie eine Weisheit, besonders wenn sie von Ausrufen wie: ›Allaho Akbar‹ oder ›La Allah ill Allah‹ begleitet wird.«

Mit solchen Betrachtungen füllte ich die Zeit aus, bis es nötig würde zu entscheiden, wohin ich meine Schritte lenken sollte. Alles sprach dafür, den guten Eindruck, den ich beim Mudschtähid und seinen Schülern in Kum zurückgelassen hatte, nun auch auszunützen; denn besser als er vermochte mich niemand in meiner neuen Laufbahn zu unterstützen. Er konnte mich irgendeinem seiner Bekannten unter den Mollas als Schreiber oder Diener empfehlen und mir auch raten, welche Wege ich ferner einschlagen sollte. Abgesehen davon hatte ich, nachdem ich meine Befreiung lediglich seinem Einflusse verdankte, das Heiligtum so plötzlich verlassen, daß ich mich tief in seiner Schuld fühlte. »Ich werde ihm ein Geschenk mitbringen,« sagte ich mir; »er soll nicht sagen, ich sei seiner Güte nicht eingedenk geblieben!« Demgemäß überlegte ich lange, was ich ihm schenken könnte, und entschied mich wiederum für einen Gebetsteppich, den ich, da mir gleichzeitig einfiel, er könnte schön zusammengelegt mein Sattelpolster weicher und bequemer machen, alsogleich erstand.

Nun hatte ich fast alles, was ich vor meiner Abreise zu tun hatte, erledigt, war für meine Reise ausgerüstet und schmeichelte mir, schon mein Äußeres verrate den gestrengen Molla. Ich führte zwar nicht den Titel eines solchen und überließ dies vor der Hand den Umständen, gleichzeitig aber kam mir die Bezeichnung ›Hadschi‹, die man mir in meiner Kindheit lediglich als Kosenamen beigelegt hatte, ganz herrlich zur Aufrechterhaltung meines neuen Standes zustatten.

Nun blieb mir nur noch eine Verpflichtung zu erfüllen, die Begräbniskosten für meinen Vater zu bezahlen. Nachdem ich mich um mein rechtmäßiges Erbe betrogen sah, schien es mir ungerechtfertigt, eine solche Ausgabe allein übernehmen zu müssen, und ich gestehe, ich hatte schon mehrere Male geplant, Ispahan heimlich zu verlassen, damit meiner Mutter und dem Akhund die Ehre zufiele, diese Kosten zu bezahlen. Aber meine besseren Gefühle gewannen die Oberhand beim Gedanken, daß ich durch eine derartige Handlungsweise mit vollstem Rechte die abscheuliche Bezeichnung eines ›Peder sukhté‹ (einer, dessen Vater im höllischen Feuer brennt) verdient hätte. Ich machte darum selbst die Runde bei allen Mollas, Klageweibern und Leichenwäschern, die beim Begräbnisse mitgewirkt hatten, und bezahlte jedem einzelnen seine Gebühren.

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