Sechsundvierzigstes Kapitel - Hadschi hat Glück mit dem
Wahrsager
Ich muß gestehen, ich hatte jede Hoffnung auf die
Wiedererlangung meines Vermögens aufgegeben. Gewiß, der
Wahrsager hatte durch seine Künste festgestellt, daß Geld im
Hause meines Vaters vergraben gewesen; es war ihm auch
gelungen, in mir einen häßlichen Argwohn gegen zwei Menschen
wachzurufen, die zu verdächtigen mir sündhaft erschien, aber
ich bezweifelte doch, ob er mehr vollbringen könnte.
Trotzdem kam er am nächsten Morgen, vom Kaputschi und
mehreren anderen begleitet, die auch die früheren Vorgänge mit
erlebt hatten, wieder. Der Akhund erschien allerdings nicht;
auch meine Mutter war, unter dem Vorwande, eine kranke
Freundin besuchen zu müssen, abwesend. Gemeinsam begaben wir
uns zum Erdhaufen hin, dem sich der Derwisch, nachdem er laut
den himmlischen Beistand angefleht, mit geradezu mysteriöser
Ehrfurcht näherte.
»Nun wollen wir sehen, ob die Dschann und Peris diese Nacht
am Werke waren?« meinte er, bohrte mit dem Ausrufe ›Bismillah‹
seinen Dolch in den Haufen, stieß, nachdem er etwas
aufgewühltes Erdreich zur Seite geschafft hatte, auf einen
großen Stein, und als auch dieser gehoben war, entdeckte man,
zum Staunen aller und zu meinem unaussprechlichen Entzücken,
einen wohlgefüllten Sack aus grober Leinwand.
»O meine Seele! o mein Herz!« rief der Bucklige, als er den
Sack emporhob; »seht ihr nun, daß der Derwisch Tis Nigāh auch
nicht eines seiner Barthaare herzugeben braucht? – Da! da!
nehmt,« rief er und gab mir den Sack in die Hand, »dies ist
Euer Eigentum, geht, danket Gott, daß Ihr in meine Hände
fielet, vergeßt aber nicht, mir mein ›Hakk-i sai‹ (Lohn für
Bemühung) zu geben.«
Als ich das Wachs des Siegels, das den Sack verschloß, als
von meinem Vater herrührend, erkannte, umdrängte mich alles,
und bis ich es erbrochen und die Schnur gelöst hatte, mit der
er zugebunden war, malte sich auf allen Gesichtern die größte
Ungeduld. Ich aber fiel aus allen meinen Himmeln, da ich zu
meiner größten Enttäuschung nur Silber erblickte, wo ich
sicher vermeinte, lauter Gold zu finden! Nun besaß ich eine
Summe von fünfhundert Realen, nahm sofort fünfzig davon weg
und übergab sie ihrem genialen Finder. »Hier,« sagte ich;
»möge Euer Haus gedeihen! Wäre ich reicher, würde ich Euch
mehr geben. Ist dieser Fund auch nur ein kleiner Teil dessen,
was mein Vater einst aufhäufte, so wiederhole ich dennoch,
möge Euer Haus gedeihen, und danke Euch vielmals und von
ganzem Herzen.«
Der Derwisch, der mit meinem Verhalten sehr zufrieden
schien, empfahl sich daraufhin, die übrigen verließen mich
gleichfalls, und ich blieb mit dem Kaputschi allein.
»Haben wir diesen Morgen nicht ein ganz famoses Geschäft
gemacht?« rief der Alte. »Habe ich dir nicht immer gesagt, daß
diese Wahrsager wahre Wunder wirken?«
»Ja,« antwortete ich. »Ja, es war wunderbar, und ich hätte
nie geglaubt, daß dies Verfahren zu irgendeinem Ziele führte.«
Jetzt aber, wo ich blinkendes Geld vor mir sah, erfaßte mich
der Dämon der Habgier. Alsogleich begann ich darüber zu
klagen, daß ich nicht mehr bekommen hätte, drückte auch Ali
Mohammed abermals den Wunsch aus, meinen Fall vor den Kadi zu
bringen, und sagte: »Wenn ich ein Recht auf die fünfhundert
Realen habe, so habe ich auch ein Recht auf alles, was mein
Vater hinterließ; denn daß dies nur ein sehr kleiner Teil
seiner Ersparnisse sein kann, mußt auch du zugeben.«
»Freund,« sagte er, »höre auf die Worte eines alten Mannes.
Behalte, was du bekamst, und bescheide dich damit. Gehst du
zum Kadi, so wirst du zuallererst dein ›Sicheres‹ hergeben
müssen, um es gegen das Fluchwürdigste aller Güter, gegen das
›Unsichere‹, zu vertauschen. Hat er dich erst um deine
vierhundertundfünfzig Realen ärmer gemacht und fünfhundert von
deinen Gegnern eingesteckt, so wirst du allerdings die
Genugtuung haben, ihn zu beiden Parteien sagen zu hören:
›Gehet hin in Frieden und beunruhigt die Stadt nicht fürderhin
mit euren Streitigkeiten.‹ Hast du nicht lange genug in der
Welt gelebt, um das alte Sprichwort zu kennen: ›Die Zähne der
meisten Menschen werden vom Sauren stumpf, nur die des Kadis
werden es vom Süßen.‹ Der Kadi, der sich mit zehn Gurken
bestechen läßt, stellt für zehn Melonenbeete jeden
Wahrheitsbeweis aus.«
Nach einigem Nachdenken beschloß ich, dem Kaputschi Gehör
zu schenken; denn es lag ja auf der Hand, daß ich niemand
anklagen konnte als meine Mutter und den Akhund. Hätte ich das
aber getan, so mußte ich auf eine so große Schar von Feinden
rechnen und rief so ungeheures Ärgernis hervor, daß ich Gefahr
lief, zu allen meinen Plackereien noch obendrein vom Pöbel
gesteinigt zu werden.
»Ich will alles, was ich in Ispahan besitze, verkaufen,«
sagte ich zu meinem Ratgeber; »ist dies aber geschehen, so
gehe ich fort und kehre niemals wieder, es sei denn unter ganz
anderen und bessern Umständen. Die Stadt soll mich nie
wiedersehen,« rief ich in einem Anfalle von Unmut aus; »es sei
denn, ich kehre als einflußreicher Mann zurück!«
Als ich diese stolze Rede tat, dachte ich freilich nicht
daran, wie eifrig meine guten Sterne darauf hinarbeiteten,
meine Worte wahr zu machen.
Der Kaputschi lobte meine Absichten, um so mehr, als ihre
Ausführung auch in seinem Interesse lag. Er hatte nämlich
einen Sohn, der Barbier war und gern ein Geschäft eröffnet
hätte. Was konnte für diesen wünschenswerter sein, als dicht
neben der Karawanserei, wo sein Vater diente, und in einem
Laden, wo meines armen Vaters Geschäft einst so erfolgreich
emporblühte, sich niederzulassen?
Die Nutznießung meines Vaterhauses wollte ich, ungeachtet
meiner Empfindungen über ihr kürzliches Benehmen, schon um
meinen Namen wieder zu Ehren zu bringen, was ihm sehr not tat,
meiner Mutter überlassen; ich behielt mir nur die ›Temessutes‹
oder Besitztitel vor, die mich zum rechtmäßigen Eigentümer
machten.
Als ich alles zur Zufriedenheit geregelt hatte, erhielt ich
für meine Barbierstube fünfhundert Piaster vom Kaputschi, der
gleichfalls ein schönes Geld zusammengespart hatte, dieses
aber nach der Ansicht aller nicht besser hätte anwenden
können, da das Geschäft seiner guten Lage wegen nicht wenig
Kunden anzog. So erhielt ich denn eine Gesamtsumme von
ungefähr hundertundzehn Toman, die ich, der Bequemlichkeit
halber in Gold umgewechselt, bei mir trug. Einen Teil des
Geldes verwendete ich zum Ankaufe von Kleidern, mit dem
anderen erstand ich ein Maultier samt Sattel und Zaumzeug.
Nach reiflicher Überlegung gab ich einem Maultier den Vorzug,
da mein Entschluß feststand, nicht wie bisher als ›Sahib
Schemschir‹ oder Mann des Schwertes, sondern als ›Sahib Kalem‹,
als Mann der Feder aufzutreten, ein Stand, für den ich nach
all meinem Mißgeschick und dem Vorgeschmacke, den ich davon
bis zu einem gewissen Grade schon in Kum bekommen hatte, eine
große Vorliebe empfand.
»Jetzt würde es mir nicht mehr anstehen,« sagte ich, »wie
einst, mit dem Säbel bewaffnet, die Pistolen im Gürtel und den
Karabiner auf dem Rücken, ein Roß zu tummeln. Ich werde meine
Mütze weder eingedrückt noch schief auf meine hinter dem Ohre
hervorquellenden Locken stülpen, sondern diese, zum Beweis,
daß ich der Welt und allen ihren Eitelkeiten entsagt habe,
abschneiden lassen, mir aber, um mein Äußeres vollständig zu
verändern, einen Schal um das Haupt winden. Anstatt der
Pistolen soll eine Papierrolle in meinem Gürtel stecken, an
Stelle der Patronentasche ein Koran meine Taille umgürten.
Überdies will ich nie mehr auf meinen Fußspitzen einhertänzeln,
weder meine Taille einschnüren und einpressen noch meine
Schultern nach vorn hängen, und niemals mit den Händen in der
Luft herumfuchteln; kurz, mein Gebaren darf nicht im
geringsten an den ›Käscheng‹ oder Gecken mahnen, den ich als
Unterleutnant des Oberexekutors mit besonderer Vorliebe so im
Übermaße herauskehrte. Nein, in Zukunft werde ich mit
gebeugtem Rücken, hängendem Kopfe und zu Boden geschlagenen
Augen einherschleichen, die Hände im Gürtel oder an den Seiten
hängend; und damit es nicht aussieht, als wollte ich wie einst
hoffärtig einherstolzieren, werde ich stets einen Fuß
bedächtig vor den andern setzen. Alles in allem kommt es doch
hauptsächlich darauf an, dem Manne den Stand schon äußerlich
anzusehen; denn eine Dummheit, mit einem demütigen Gesicht
gesagt und einem Kopfe, den ein Mollaschal umwindet, klingt
schon beinahe wie eine Weisheit, besonders wenn sie von
Ausrufen wie: ›Allaho Akbar‹ oder ›La Allah ill Allah‹
begleitet wird.«
Mit solchen Betrachtungen füllte ich die Zeit aus, bis es
nötig würde zu entscheiden, wohin ich meine Schritte lenken
sollte. Alles sprach dafür, den guten Eindruck, den ich beim
Mudschtähid und seinen Schülern in Kum zurückgelassen hatte,
nun auch auszunützen; denn besser als er vermochte mich
niemand in meiner neuen Laufbahn zu unterstützen. Er konnte
mich irgendeinem seiner Bekannten unter den Mollas als
Schreiber oder Diener empfehlen und mir auch raten, welche
Wege ich ferner einschlagen sollte. Abgesehen davon hatte ich,
nachdem ich meine Befreiung lediglich seinem Einflusse
verdankte, das Heiligtum so plötzlich verlassen, daß ich mich
tief in seiner Schuld fühlte. »Ich werde ihm ein Geschenk
mitbringen,« sagte ich mir; »er soll nicht sagen, ich sei
seiner Güte nicht eingedenk geblieben!« Demgemäß überlegte ich
lange, was ich ihm schenken könnte, und entschied mich
wiederum für einen Gebetsteppich, den ich, da mir gleichzeitig
einfiel, er könnte schön zusammengelegt mein Sattelpolster
weicher und bequemer machen, alsogleich erstand.
Nun hatte ich fast alles, was ich vor meiner Abreise zu tun
hatte, erledigt, war für meine Reise ausgerüstet und
schmeichelte mir, schon mein Äußeres verrate den gestrengen
Molla. Ich führte zwar nicht den Titel eines solchen und
überließ dies vor der Hand den Umständen, gleichzeitig aber
kam mir die Bezeichnung ›Hadschi‹, die man mir in meiner
Kindheit lediglich als Kosenamen beigelegt hatte, ganz
herrlich zur Aufrechterhaltung meines neuen Standes zustatten.
Nun blieb mir nur noch eine Verpflichtung zu erfüllen, die
Begräbniskosten für meinen Vater zu bezahlen. Nachdem ich mich
um mein rechtmäßiges Erbe betrogen sah, schien es mir
ungerechtfertigt, eine solche Ausgabe allein übernehmen zu
müssen, und ich gestehe, ich hatte schon mehrere Male geplant,
Ispahan heimlich zu verlassen, damit meiner Mutter und dem
Akhund die Ehre zufiele, diese Kosten zu bezahlen. Aber meine
besseren Gefühle gewannen die Oberhand beim Gedanken, daß ich
durch eine derartige Handlungsweise mit vollstem Rechte die
abscheuliche Bezeichnung eines ›Peder sukhté‹ (einer, dessen
Vater im höllischen Feuer brennt) verdient hätte. Ich machte
darum selbst die Runde bei allen Mollas, Klageweibern und
Leichenwäschern, die beim Begräbnisse mitgewirkt hatten, und
bezahlte jedem einzelnen seine Gebühren.