Fünfzigstes Kapitel - Hadschi vermittelt eine Ehe
Nachdem ich diesen Teil meines Amtes abgewickelt hatte,
schlenderte ich einer der besuchtesten Karawansereien zu, um
Umschau zu halten, ob sich nicht etwa dort eine Gelegenheit
böte, die Absichten meines Herrn in gute Wege zu leiten. Als
ich mich dem Gebäude näherte, fand ich alle Zugänge durch
schwerbeladene Kamele und Maultiere versperrt, zwischen denen
sich Reisende drängten, die größtenteils, als sicheres
Erkennungszeichen ihrer Pilgerfahrt zum Grabe des heiligen
Imâms in Meschhed, den weißen Streifen trugen und mir damit
bestätigten, daß die Karawane aus der Provinz Khorasan käme.
Ich sah zu, bis sich der Wirrwarr in den engen Straßen unter
dem üblichen Geschrei und Gezänke der Maultier- und
Kameltreiber auflöste, und wartete, bis sich alles in dem
viereckigen Gebäude häuslich niedergelassen hatte.
»Vielleicht«, dachte ich, »führen mir meine guten Sterne einen
meiner alten Bekannten aus Meschhed in den Weg«, und besah
deshalb auch jeden Reisenden besonders aufmerksam. Freilich
manches Jahr war seit meiner denkwürdigen Bastonade
verflossen. Wenn auch die Zeit die Gesichter der Leute, die
ich, als sie meinen Tabak rauchten, so eingehend studiert
hatte, bis ich sie auswendig wußte, mächtig verändert haben
mochte, so hoffte ich trotzdem, mein Gedächtnis würde mich
nicht im Stiche lassen. Ich war daran, ganz verzweifelt
wegzugehen, ohne ein passendes Objekt entdeckt zu haben, als
mir eine merkwürdige Nase, ein gekrümmter Rücken und ein
hervorstehendes Bäuchlein ganz besonders auffielen.
»Diese Formen sollte ich kennen!« dachte ich; »sie müssen
in innigster Beziehung zu früheren Eindrücken stehen und
können keiner oberflächlichen Bekanntschaft angehören.«
Da fiel mir Osman Aga ein. Doch da ich sicher annehmen
mußte, er sei in der Gefangenschaft längst den Grausamkeiten
der Turkmenen zum Opfer gefallen, schlug ich mir jeden
Gedanken an ihn sofort aus dem Kopfe.
Aber je länger ich hinschaute, desto mehr gewann ich die
Überzeugung, dies müsse er selbst, sein Bruder oder sein Geist
sein. Mit dem Bestreben, seine Stimme zu vernehmen, näherte
ich mich dem Platze, wo er saß. Er jedoch stierte so
stumpfsinnig und wortlos vor sich hin, daß meine Annahme immer
wahrscheinlicher ward.
Nachdem ich eine Weile vergeblich gewartet hatte, aber dann
plötzlich vernahm, wie er einem vorübergehenden Händler mit
der mir nur zu wohlbekannten Stimme die Frage stellte: »Im
Namen Gottes, wie hoch wird jetzt wohl der Preis für Lammfelle
in Konstantinopel sein?« da war kein Zweifel mehr möglich, das
konnte nur Osman Aga sein, dem ich mich sofort zu erkennen
gab.
Er brauchte nun ebensolange, in mir den Hadschi
wiederzuerkennen, als ich gebraucht hatte, um festzustellen,
er sei Osman Aga.
Allmählich, uns von dem beiderseitigen Staunen erholend,
begannen wir uns gegenseitig prüfend zu mustern. Ich beredete
die graue Farbe seines Bartes, er beglückwünschte mich zu der
Schwärze und Schönheit des meinen.
Aus der Gelassenheit, mit der er von der Flüchtigkeit der
Zeit und der Nichtigkeit alles Irdischen sprach, konnte ich
erkennen, daß sein Glaube an die Vorherbestimmung, die allein
den Gleichmut erklärte, mit dem er jedes Unglück ertrug, eher
zu- wie abgenommen habe.
In seiner kurzen, trockenen Art erzählte er mir alles, was
er seit unserer letzten Begegnung erlebt hatte. Nachdem die
erste Empfindung des Unglückes über seine Gefangenschaft
überwunden war, verbrachte er seine Zeit weit angenehmer, als
er zu hoffen gewagt. Er hatte nichts anderes zu tun, als
inmitten seiner Kamele zu sitzen, deren Natur, ebenso
friedlich und philosophisch angelegt wie seine eigene, sich
herrlich mit seinen phlegmatischen und seßhaften Gewohnheiten
vertrug. Seine Nahrung war nicht eben die beste, aber er
erfreute sich köstlichen Trinkwassers. Als einzig wirklich
schmerzliche Entbehrung empfand er nur den Mangel an Tabak, da
das Rauchen seine Lieblingsgewohnheit gewesen war. In dieser
Weise waren seine Jahre dahingeflossen; er hatte sich
allmählich mit dem Gedanken vertraut gemacht, den Rest seiner
Tage unter den Kamelen verbringen zu müssen, als sein
Schicksal eine neue Wendung nahm und ihm abermals die Hoffnung
auf die Freiheit winkte. Unter den Turkmenen tauchte eines
Tages ein sogenannter Prophet auf. Wie es bei solchen
Persönlichkeiten meist der Fall ist, wußte sich dieser bei dem
leichtgläubigen Volke, indem er angeblich Wunder wirkte,
solchen Einfluß zu verschaffen, daß sein Wort Gesetz ward. Die
berüchtigsten und durchtriebensten Räuber legten ihm ihre
Beute freiwillig zu Füßen und waren unter seiner Fahne zu
jedem Unternehmen freudigst bereit. Osman Aga machte sich mit
dem Propheten bekannt, pochte auf sein Privilegium, ein Sunit
und obendrein ein Emir zu sein, und hatte endlich das Glück,
daß ihm der Betrüger, zur größeren Ehre und Verbreitung des
wahren Glaubens, die Freiheit ohne Lösegeld verschaffte.
Einmal in Freiheit, wandte er sich sofort nach Meschhed, wo er
zu seinem größten Glücke einen ihm bekannten Kaufmann aus
Bagdad traf, der ihm eine Summe vorstreckte, mittelst der er
abermals einen Handel beginnen konnte. Er erhielt tröstliche
Nachrichten über die Preise der Erzeugnisse von Bokhara auf
türkischen Märkten und machte nun seine Einkäufe an Ort und
Stelle. Durch seinen langen Aufenthalt bei den Turkmenen hatte
er viele nützliche Kenntnisse bezüglich ihrer Sitten und
Gewohnheiten, vor allem aber, was das Kaufen und Verkaufen
anbelangte, erworben, was ihn instand setzte, mit so gutem
Erfolge zwischen Bokhara und Persien Handel zu treiben, daß er
daran denken konnte, wieder in seine Vaterstadt Bagdad
heimzukehren. Er wollte nun nach Konstantinopel reisen, um
dort die Erzeugnisse aus Bokhara, Samarkand und dem nördlichen
Persien, mit denen er mehrere Maultiere schwer beladen hatte,
vor seiner Heimreise loszuschlagen. Auch sprach er mir den
Wunsch aus, sich bis zum Frühjahre, wo sich wieder eine
Karawane sammeln würde, in Teheran aufzuhalten, um nach der
endlosen Zeit, die er unter den Wilden, wie er die Turkmenen
zu bezeichnen pflegte, gelebt hatte, wiederum einige Freuden
in der kaiserlichen Residenz zu genießen, und forschte mich
darum aus, wie er es anstellen müsse, um seine Tage recht
vergnüglich zu verbringen. Da ich mich entsann, wie eifrig er
einst der Ehe das Wort geredet, fielen mir gleich meine drei
Schutzbefohlenen ein, und ich schlug ihm kurzweg vor, eine
Frau zu nehmen.
Gewiß, dachte ich mir, war die Lehre der Vorherbestimmung
niemals deutlicher zu erkennen als in diesem Beispiele. Es
mußte einer meiner Herren aus Gegenden jenseits des Aufganges
der Sonne kommen, um die Witwe eines andern meiner Gebieter zu
heiraten, der gerade im rechten Augenblicke gestorben war, um
dies Zusammentreffen zu ermöglichen, während ich aus den
südlichen Regionen herkommen mußte, um die ganze Sache in Fluß
zu bringen. Da die Doktorswitwe entschieden die fetteste unter
den dreien war, so machte ich mir kein Gewissen daraus, sie
Osman vorzuschlagen, dem dieses Anerbieten alsogleich
einleuchtete. Als ich sie ihm beschrieb, milderte ich die
Schärfe ihres Gemütes, hob ihre in eins zusammenlaufenden
Augenbrauen besonders rühmend hervor, kurz, entwarf ein dem
orientalischen Geschmacke angepaßtes, so verlockendes Bild
ihrer Persönlichkeit, daß es mir gelang, ihm die
vorteilhafteste Meinung von seiner Zukünftigen beizubringen.
Der Molla Nadan, dem ich meinen Erfolg mitteilte und den ich
in alle Verhältnisse des Paares bis ins kleinste einweihte,
schwamm in Entzücken. Er unterwies mich, wie ich vorgehen
müßte, damit die Heirat gesetzlich gültig sei, daß sowohl der
Mann wie die Frau eines Zeugen oder ›Vekils‹ bedürften. Ist
der Zeuge der Frau mit den Bedingungen, unter denen die Heirat
geschlossen wird, einverstanden, so stellt dieser dem Vekil
des Mannes in arabischer Sprache folgende Frage:
»Bist du gewillt, mir deine Seele unter den und den
Bedingungen zu geben?« worauf der andre Zeuge antwortet: »Ich
bin damit einverstanden«; und damit sind beide Teile als
gesetzlich verheiratet zu betrachten. Nadan selbst schlug vor,
er wolle Zeuge der Doktorswitwe sein, ich sollte dies Amt bei
Osman übernehmen. Meiner Findigkeit jedoch wurde es
anheimgestellt, aus diesem frohen Ereignisse möglichst hohe
Gebühren herauszuschlagen.
Ich beeilte mich, der Khanum, wie ich sie noch immer
titulierte, diese frohe Kunde zu überbringen, die nicht
verfehlte, die Eifersucht ihrer Gefährtinnen aufzustacheln, da
die Doktorswitwe ihren Erfolg sofort ihrer sieghaften
Schönheit und vor allem ihrem Hauptreize, den in eins
zusammenlaufenden Augenbrauen, dem Gegenstand ihrer
unermüdlichen Sorgfalt, zuschrieb.
Sie war in größter Besorgnis, ihr Türke könnte ihre Figur
nicht üppig genug befinden. Nach der ausgiebigen Menge von
Schwärze zu schließen, die sie auf ihre Augenränder geschmiert
hatte, mußte sie auch stark am Feuer ihrer Augen gezweifelt
haben.
Ich verließ sie, um den guten Osman aufzusuchen, der sich
seinerseits ebenfalls zur Eroberung wappnete, doch zu denken
schien, er habe nach seinem langen Aufenthalte unter Kamelen
zu viel von ihrem Naturgeruche eingesogen, um ein passender
Gegenstand für Moschus und Ambradüfte zu sein. Demzufolge ging
er ins Bad, wo sein grauer Bart glänzend schwarz gefärbt,
seine Hände mit einem goldgelben Anstriche verschönert, sein
Schnurrbart aber veranlaßt wurde, sich gegen die Augen zu in
aufwärtsstrebender Bewegung zu kräuseln, anstatt wie
gewöhnlich nach abwärts fallend in seinen Mund zu hängen. Er
staffierte sich aufs feinste heraus und konnte sich getrost,
vermöge aller Verschönerungskünste, um zehn Jahre jünger
ausgeben.
Als sich beide Parteien beaugenscheinigten (was einen
unbeteiligten Zuschauer sehr unterhalten hätte), bemühte sich
der Bräutigam zu ergründen, was er wohl im Begriffe stände zu
ehelichen. Aber die Braut wußte ebenso geschickt wie kunstvoll
mit ihrem Schleier zu spielen und ihn im süßen Wahne zu
erhalten, dieser bärge überirdische Reize. Mir aber, dem an
dieser Komödie zu nahe Beteiligten, verging wahrlich das
Scherzen. Überdies lagen mir, nicht zum erstenmal, gewisse
fünfzig Dukaten im Sinne, die ich mir zum persönlichen
Gebrauche angeeignet hatte und die, wie ich fürchten mußte,
auch Osmans Erinnerung nicht ganz entschwunden waren.
»Wer weiß,« sagte ich mir, »welche Asche auf mein Haupt
fällt, wenn er unzufrieden und ärgerlich sein wird?«
Nun, sie wurden verheiratet! Ich glaube sicher, es gelang
ihm nicht, auch nur einen einzigen Zug von seiner Zukünftigen
zu unterscheiden, ehe das bedeutsame Wort: »Ich willige ein«
ausgesprochen war! Als er aber dann voll Ungeduld ihren
Schleier teilweise herunterriß, schien er weit entfernt davon,
vor Entzücken in Ohnmacht zu fallen. Sobald seine Neugierde
befriedigt und er endgültig überzeugt war, seine Schöne sei
keine Suleika, rief er mich beiseite und sagte: »Hadschi, ich
dachte, sie hätte wenigstens die Reize der Jugend? Wie kommt
es, daß sie mehr Falten hat als ein Kamel?«
Um mich aus dieser Klemme zu ziehen, versicherte ich ihm,
sie wäre einst die Blume im königlichen Harem gewesen; auch
solle er bedenken, daß eine Heirat mehr als alles andre ein
Werk des Schicksals sei.
»Ach das Schicksal«, meinte er, »ist eine Antwort auf
alles; aber welches auch seine Wirkungen sein mögen, es kann
aus einer alten Hexe ebensowenig ein junges Weib machen, als
eins und eins vier sind.«
Ich war wirklich besorgt, er könne den ganzen Handel
rückgängig machen. Da er indessen einsah, die Klasse der Sighé
– gewöhnlich der Ausschuß des weiblichen Geschlechtes, alte
Witwen und verlassene Frauen, die lieber alles, was sich ihnen
unter der Bezeichnung Ehemann bietet, annehmen, als den
Schimpf, mit dem der Mohammedaner die Ehelosigkeit verfolgt,
zu ertragen – könnte ihm nichts Besseres bieten, so willigte
er ein, sie mit sich nach Hause zu nehmen.