Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Fünfzigstes Kapitel - Hadschi vermittelt eine Ehe

Nachdem ich diesen Teil meines Amtes abgewickelt hatte, schlenderte ich einer der besuchtesten Karawansereien zu, um Umschau zu halten, ob sich nicht etwa dort eine Gelegenheit böte, die Absichten meines Herrn in gute Wege zu leiten. Als ich mich dem Gebäude näherte, fand ich alle Zugänge durch schwerbeladene Kamele und Maultiere versperrt, zwischen denen sich Reisende drängten, die größtenteils, als sicheres Erkennungszeichen ihrer Pilgerfahrt zum Grabe des heiligen Imâms in Meschhed, den weißen Streifen trugen und mir damit bestätigten, daß die Karawane aus der Provinz Khorasan käme. Ich sah zu, bis sich der Wirrwarr in den engen Straßen unter dem üblichen Geschrei und Gezänke der Maultier- und Kameltreiber auflöste, und wartete, bis sich alles in dem viereckigen Gebäude häuslich niedergelassen hatte. »Vielleicht«, dachte ich, »führen mir meine guten Sterne einen meiner alten Bekannten aus Meschhed in den Weg«, und besah deshalb auch jeden Reisenden besonders aufmerksam. Freilich manches Jahr war seit meiner denkwürdigen Bastonade verflossen. Wenn auch die Zeit die Gesichter der Leute, die ich, als sie meinen Tabak rauchten, so eingehend studiert hatte, bis ich sie auswendig wußte, mächtig verändert haben mochte, so hoffte ich trotzdem, mein Gedächtnis würde mich nicht im Stiche lassen. Ich war daran, ganz verzweifelt wegzugehen, ohne ein passendes Objekt entdeckt zu haben, als mir eine merkwürdige Nase, ein gekrümmter Rücken und ein hervorstehendes Bäuchlein ganz besonders auffielen.

»Diese Formen sollte ich kennen!« dachte ich; »sie müssen in innigster Beziehung zu früheren Eindrücken stehen und können keiner oberflächlichen Bekanntschaft angehören.«

Da fiel mir Osman Aga ein. Doch da ich sicher annehmen mußte, er sei in der Gefangenschaft längst den Grausamkeiten der Turkmenen zum Opfer gefallen, schlug ich mir jeden Gedanken an ihn sofort aus dem Kopfe.

Aber je länger ich hinschaute, desto mehr gewann ich die Überzeugung, dies müsse er selbst, sein Bruder oder sein Geist sein. Mit dem Bestreben, seine Stimme zu vernehmen, näherte ich mich dem Platze, wo er saß. Er jedoch stierte so stumpfsinnig und wortlos vor sich hin, daß meine Annahme immer wahrscheinlicher ward.

Nachdem ich eine Weile vergeblich gewartet hatte, aber dann plötzlich vernahm, wie er einem vorübergehenden Händler mit der mir nur zu wohlbekannten Stimme die Frage stellte: »Im Namen Gottes, wie hoch wird jetzt wohl der Preis für Lammfelle in Konstantinopel sein?« da war kein Zweifel mehr möglich, das konnte nur Osman Aga sein, dem ich mich sofort zu erkennen gab.

Er brauchte nun ebensolange, in mir den Hadschi wiederzuerkennen, als ich gebraucht hatte, um festzustellen, er sei Osman Aga.

Allmählich, uns von dem beiderseitigen Staunen erholend, begannen wir uns gegenseitig prüfend zu mustern. Ich beredete die graue Farbe seines Bartes, er beglückwünschte mich zu der Schwärze und Schönheit des meinen.

Aus der Gelassenheit, mit der er von der Flüchtigkeit der Zeit und der Nichtigkeit alles Irdischen sprach, konnte ich erkennen, daß sein Glaube an die Vorherbestimmung, die allein den Gleichmut erklärte, mit dem er jedes Unglück ertrug, eher zu- wie abgenommen habe.

In seiner kurzen, trockenen Art erzählte er mir alles, was er seit unserer letzten Begegnung erlebt hatte. Nachdem die erste Empfindung des Unglückes über seine Gefangenschaft überwunden war, verbrachte er seine Zeit weit angenehmer, als er zu hoffen gewagt. Er hatte nichts anderes zu tun, als inmitten seiner Kamele zu sitzen, deren Natur, ebenso friedlich und philosophisch angelegt wie seine eigene, sich herrlich mit seinen phlegmatischen und seßhaften Gewohnheiten vertrug. Seine Nahrung war nicht eben die beste, aber er erfreute sich köstlichen Trinkwassers. Als einzig wirklich schmerzliche Entbehrung empfand er nur den Mangel an Tabak, da das Rauchen seine Lieblingsgewohnheit gewesen war. In dieser Weise waren seine Jahre dahingeflossen; er hatte sich allmählich mit dem Gedanken vertraut gemacht, den Rest seiner Tage unter den Kamelen verbringen zu müssen, als sein Schicksal eine neue Wendung nahm und ihm abermals die Hoffnung auf die Freiheit winkte. Unter den Turkmenen tauchte eines Tages ein sogenannter Prophet auf. Wie es bei solchen Persönlichkeiten meist der Fall ist, wußte sich dieser bei dem leichtgläubigen Volke, indem er angeblich Wunder wirkte, solchen Einfluß zu verschaffen, daß sein Wort Gesetz ward. Die berüchtigsten und durchtriebensten Räuber legten ihm ihre Beute freiwillig zu Füßen und waren unter seiner Fahne zu jedem Unternehmen freudigst bereit. Osman Aga machte sich mit dem Propheten bekannt, pochte auf sein Privilegium, ein Sunit und obendrein ein Emir zu sein, und hatte endlich das Glück, daß ihm der Betrüger, zur größeren Ehre und Verbreitung des wahren Glaubens, die Freiheit ohne Lösegeld verschaffte. Einmal in Freiheit, wandte er sich sofort nach Meschhed, wo er zu seinem größten Glücke einen ihm bekannten Kaufmann aus Bagdad traf, der ihm eine Summe vorstreckte, mittelst der er abermals einen Handel beginnen konnte. Er erhielt tröstliche Nachrichten über die Preise der Erzeugnisse von Bokhara auf türkischen Märkten und machte nun seine Einkäufe an Ort und Stelle. Durch seinen langen Aufenthalt bei den Turkmenen hatte er viele nützliche Kenntnisse bezüglich ihrer Sitten und Gewohnheiten, vor allem aber, was das Kaufen und Verkaufen anbelangte, erworben, was ihn instand setzte, mit so gutem Erfolge zwischen Bokhara und Persien Handel zu treiben, daß er daran denken konnte, wieder in seine Vaterstadt Bagdad heimzukehren. Er wollte nun nach Konstantinopel reisen, um dort die Erzeugnisse aus Bokhara, Samarkand und dem nördlichen Persien, mit denen er mehrere Maultiere schwer beladen hatte, vor seiner Heimreise loszuschlagen. Auch sprach er mir den Wunsch aus, sich bis zum Frühjahre, wo sich wieder eine Karawane sammeln würde, in Teheran aufzuhalten, um nach der endlosen Zeit, die er unter den Wilden, wie er die Turkmenen zu bezeichnen pflegte, gelebt hatte, wiederum einige Freuden in der kaiserlichen Residenz zu genießen, und forschte mich darum aus, wie er es anstellen müsse, um seine Tage recht vergnüglich zu verbringen. Da ich mich entsann, wie eifrig er einst der Ehe das Wort geredet, fielen mir gleich meine drei Schutzbefohlenen ein, und ich schlug ihm kurzweg vor, eine Frau zu nehmen.

Gewiß, dachte ich mir, war die Lehre der Vorherbestimmung niemals deutlicher zu erkennen als in diesem Beispiele. Es mußte einer meiner Herren aus Gegenden jenseits des Aufganges der Sonne kommen, um die Witwe eines andern meiner Gebieter zu heiraten, der gerade im rechten Augenblicke gestorben war, um dies Zusammentreffen zu ermöglichen, während ich aus den südlichen Regionen herkommen mußte, um die ganze Sache in Fluß zu bringen. Da die Doktorswitwe entschieden die fetteste unter den dreien war, so machte ich mir kein Gewissen daraus, sie Osman vorzuschlagen, dem dieses Anerbieten alsogleich einleuchtete. Als ich sie ihm beschrieb, milderte ich die Schärfe ihres Gemütes, hob ihre in eins zusammenlaufenden Augenbrauen besonders rühmend hervor, kurz, entwarf ein dem orientalischen Geschmacke angepaßtes, so verlockendes Bild ihrer Persönlichkeit, daß es mir gelang, ihm die vorteilhafteste Meinung von seiner Zukünftigen beizubringen. Der Molla Nadan, dem ich meinen Erfolg mitteilte und den ich in alle Verhältnisse des Paares bis ins kleinste einweihte, schwamm in Entzücken. Er unterwies mich, wie ich vorgehen müßte, damit die Heirat gesetzlich gültig sei, daß sowohl der Mann wie die Frau eines Zeugen oder ›Vekils‹ bedürften. Ist der Zeuge der Frau mit den Bedingungen, unter denen die Heirat geschlossen wird, einverstanden, so stellt dieser dem Vekil des Mannes in arabischer Sprache folgende Frage:

»Bist du gewillt, mir deine Seele unter den und den Bedingungen zu geben?« worauf der andre Zeuge antwortet: »Ich bin damit einverstanden«; und damit sind beide Teile als gesetzlich verheiratet zu betrachten. Nadan selbst schlug vor, er wolle Zeuge der Doktorswitwe sein, ich sollte dies Amt bei Osman übernehmen. Meiner Findigkeit jedoch wurde es anheimgestellt, aus diesem frohen Ereignisse möglichst hohe Gebühren herauszuschlagen.

Ich beeilte mich, der Khanum, wie ich sie noch immer titulierte, diese frohe Kunde zu überbringen, die nicht verfehlte, die Eifersucht ihrer Gefährtinnen aufzustacheln, da die Doktorswitwe ihren Erfolg sofort ihrer sieghaften Schönheit und vor allem ihrem Hauptreize, den in eins zusammenlaufenden Augenbrauen, dem Gegenstand ihrer unermüdlichen Sorgfalt, zuschrieb.

Sie war in größter Besorgnis, ihr Türke könnte ihre Figur nicht üppig genug befinden. Nach der ausgiebigen Menge von Schwärze zu schließen, die sie auf ihre Augenränder geschmiert hatte, mußte sie auch stark am Feuer ihrer Augen gezweifelt haben.

Ich verließ sie, um den guten Osman aufzusuchen, der sich seinerseits ebenfalls zur Eroberung wappnete, doch zu denken schien, er habe nach seinem langen Aufenthalte unter Kamelen zu viel von ihrem Naturgeruche eingesogen, um ein passender Gegenstand für Moschus und Ambradüfte zu sein. Demzufolge ging er ins Bad, wo sein grauer Bart glänzend schwarz gefärbt, seine Hände mit einem goldgelben Anstriche verschönert, sein Schnurrbart aber veranlaßt wurde, sich gegen die Augen zu in aufwärtsstrebender Bewegung zu kräuseln, anstatt wie gewöhnlich nach abwärts fallend in seinen Mund zu hängen. Er staffierte sich aufs feinste heraus und konnte sich getrost, vermöge aller Verschönerungskünste, um zehn Jahre jünger ausgeben.

Als sich beide Parteien beaugenscheinigten (was einen unbeteiligten Zuschauer sehr unterhalten hätte), bemühte sich der Bräutigam zu ergründen, was er wohl im Begriffe stände zu ehelichen. Aber die Braut wußte ebenso geschickt wie kunstvoll mit ihrem Schleier zu spielen und ihn im süßen Wahne zu erhalten, dieser bärge überirdische Reize. Mir aber, dem an dieser Komödie zu nahe Beteiligten, verging wahrlich das Scherzen. Überdies lagen mir, nicht zum erstenmal, gewisse fünfzig Dukaten im Sinne, die ich mir zum persönlichen Gebrauche angeeignet hatte und die, wie ich fürchten mußte, auch Osmans Erinnerung nicht ganz entschwunden waren.

»Wer weiß,« sagte ich mir, »welche Asche auf mein Haupt fällt, wenn er unzufrieden und ärgerlich sein wird?«

Nun, sie wurden verheiratet! Ich glaube sicher, es gelang ihm nicht, auch nur einen einzigen Zug von seiner Zukünftigen zu unterscheiden, ehe das bedeutsame Wort: »Ich willige ein« ausgesprochen war! Als er aber dann voll Ungeduld ihren Schleier teilweise herunterriß, schien er weit entfernt davon, vor Entzücken in Ohnmacht zu fallen. Sobald seine Neugierde befriedigt und er endgültig überzeugt war, seine Schöne sei keine Suleika, rief er mich beiseite und sagte: »Hadschi, ich dachte, sie hätte wenigstens die Reize der Jugend? Wie kommt es, daß sie mehr Falten hat als ein Kamel?«

Um mich aus dieser Klemme zu ziehen, versicherte ich ihm, sie wäre einst die Blume im königlichen Harem gewesen; auch solle er bedenken, daß eine Heirat mehr als alles andre ein Werk des Schicksals sei.

»Ach das Schicksal«, meinte er, »ist eine Antwort auf alles; aber welches auch seine Wirkungen sein mögen, es kann aus einer alten Hexe ebensowenig ein junges Weib machen, als eins und eins vier sind.«

Ich war wirklich besorgt, er könne den ganzen Handel rückgängig machen. Da er indessen einsah, die Klasse der Sighé – gewöhnlich der Ausschuß des weiblichen Geschlechtes, alte Witwen und verlassene Frauen, die lieber alles, was sich ihnen unter der Bezeichnung Ehemann bietet, annehmen, als den Schimpf, mit dem der Mohammedaner die Ehelosigkeit verfolgt, zu ertragen – könnte ihm nichts Besseres bieten, so willigte er ein, sie mit sich nach Hause zu nehmen.

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