Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Zweiundfünfzigstes Kapitel - Hadschis Abenteuer im Bade

»So,« sagte ich, als ich mich mit meinem Gefährten allein befand, »also diese glücklichen Stunden verdanke ich lediglich Euch allein! Hätte ich geahnt, daß dieses entsetzliche Abenteuer das Ende meiner Empfehlung des Mudschtähid sein würde: Ihr hättet Hadschi Baba niemals in diesem Aufzuge gesehen. Was verschlug es Euch, ob es regnete oder nicht, ob die Armenier Wein tranken oder nüchtern blieben? Das haben wir nun von Eurem Übereifer!«

Doch der Molla befand sich in einem zu bemitleidenswerten Zustande, als daß ich ihn hätte länger schelten mögen. Stillschweigend und tief niedergeschlagen, wanderten wir Seite an Seite fürbaß, bis wir das nächste Dorf erreichten, wo wir Halt machten, um zu beraten, was wir tun sollten. Da mein unglücklicher Gefährte der Stadt verwiesen war und sich unmöglich dort zeigen konnte, ehe der Sturm ausgetobt hatte, wir aber dennoch sehr zu wissen wünschten, was aus unserm beiderseitigen Eigentume, aus seinem Hause samt der Einrichtung, was aus meinen Kleidern und meinem Maultier geworden war, so wurde beschlossen, daß ich nach der Stadt zurückkehren und dort nach dem Rechten sehen sollte.

In Teheran war es Nacht; nachdem ich das Tor passiert, schlich ich mich vorsichtig durch die Gassen bis zum Haus des Mollas. Aber schon ein flüchtiger Blick belehrte mich, daß wir vollständig ruiniert waren. Ein Schwarm von Raubgesindel war dort eingedrungen und hatte sich alles, was ihm in die Hände fiel, angeeignet. Ich sah gerade noch den Färrasch, den gleichen, der uns zum Schah geführt hatte, auf meinem Maultier davonreiten, vor sich ein Bündel auf dem Schoße, das zweifellos nicht nur meinen, sondern auch des Mollas ganzen Kleidervorrat enthielt.

Ganz niedergeschmettert von diesem Anblicke und voller Angst, man könnte mich erkennen, floh ich den Ort und schlenderte, ohne recht zu wissen, wohin ich mich wenden sollte, in das nicht weit vom Hause unsres Feindes, des Oberpriesters, gelegene Bad.

Ich trat ein, entkleidete mich und wurde, da es fast dunkel war, von den Badedienern gar nicht bemerkt. Vom ersten warmen Baderaum begab ich mich sofort in den heißesten, schlüpfte unbeobachtet in einen finstern Winkel und ließ meinen traurigen Gedanken freien Lauf. Ich erwog jetzt alle Möglichkeiten, die ich ergreifen könnte, um mein Auskommen zu finden, und kam mir, da mich anscheinend das Glück ganz im Stiche gelassen hatte, wie ein zum Unglück auserkorenes Schlachtopfer vor.

»Sobald ich mich verliebe,« sagte ich, vor mich hinträumend, »wird der König selbst mein Nebenbuhler, tötet meine Geliebte und entsetzt mich schimpflich meines Amtes. Ich bin der rechtmäßige Erbe eines anerkannt reichen Mannes, der gerade lange genug lebte, um mich als solchen anzuerkennen. Obgleich mir jedermann sagt, ich sollte eigentlich reich sein, muß ich den Kummer erleben, daß man mir das Geld vor der Nase wegstiehlt und ich schließlich ärmer als je zuvor dastehe. Der frömmste und einflußreichste Schriftgelehrte findet Gefallen an mir und verschafft mir eine Stellung, von der ich annehmen mußte, sie wäre eine prächtige lebenslängliche Versorgung. Mein Herr fleht in einer bösen Stunde den Himmel an, er möge seine Segnungen auf uns herabströmen lassen, anstatt dessen werden wir aus der Stadt verwiesen und unserer Habe beraubt.« Wohl nie zuvor hatte sich ein Mensch eine solche Unsumme von Mißgeschick vorgerechnet, und am liebsten wäre ich in meinem Winkel gestorben.

Das Bad war allgemach nahezu von allen Badenden verlassen worden, als es neuerdings unruhig wurde und ein Mann mit einer gewissen Feierlichkeit hereintrat, in dem ich den Molla-Baschi in Person erkannte. Weder er noch seine Diener bemerkten mich. Sobald sich der Oberpriester allein glaubte, begab er sich sogleich ins große Becken voll heißen Wassers, was in den persischen Bädern mit ›Khesane‹ oder Schatzkammer bezeichnet wird.

Eine Zeitlang hörte ich ihn darin herumplätschern, dann aus Leibeskräften pusten, was ich aber für eine Art Spielerei hielt, die mich bei dem sonst so ernsten Manne wundernahm. Später glaubte ich ein ungewöhnlich heftiges Zappeln, von gurgelnden Lauten begleitet, zu vernehmen und dachte wiederum, er gäbe sich wohl einer besonders merkwürdigen Leibesübung hin. Schließlich trieb mich aber doch die Neugierde aus meinem Winkel. Auf den Fußspitzen, so leise wie nur möglich, näherte ich mich der Türspalte und guckte hinein.

Wer aber beschreibt mein Entsetzen, als ich sah, daß der Molla-Baschi, fast ohne Todeskampf, gerade seinen letzten Seufzer aushauchte. Offenbar war er vom Schlage getroffen worden und, ohne um Hilfe rufen zu können, ertrunken.

Alle gräßlichen Folgen, die dieser Unglücksfall über mich verhängen konnte, vergegenwärtigten sich mir! »Wie kann ich es nur verhindern,« sagte ich mir, »nicht sofort als sein Mörder ergriffen zu werden? Jedermann weiß, wie feindlich ihm Nadan gesinnt war, und in mir wird man nur sein gefügiges Werkzeug vermuten!«

Während mir alle diese schrecklichen Gedanken durch den Kopf schwirrten und ich gerade meinen Fuß auf den Rand des Wasserbeckens gesetzt hatte, kamen die Diener des Oberpriesters mit den gewärmten Tüchern, deren man sich vor dem Verlassen des Bades bedient, herein. Als diese mich aus dem Wasser steigen sahen, hielten sie mich selbstverständlich für den Verstorbenen und rieben mich, ohne auch nur ein Wort zu verlieren, tüchtig ab. Dies gab mir Zeit, meine Gedanken zu sammeln, und da ich ein Abenteuer witterte, das mich vielleicht aus der Klemme herauszog, in die mich das Schicksal verwickelt hatte, so ließ ich, entschlossen, weiterhin die Rolle des Oberpriesters zu spielen, den Dingen ihren Lauf. Da ich ungefähr die Größe und Statur des Verstorbenen besaß, so hielten mich die unbefangenen Diener für ihren Herrn. Während meines Aufenthaltes beim Molla Nadan hatte ich auch häufig Gelegenheit gehabt, die Art des Verstorbenen zu studieren, konnte darum ohne Gefahr für kurze Zeit meine Rolle durchführen. Schwierig wurde der Fall erst, wenn ich genötigt wurde, das Enderun zu betreten; denn dort fehlte mir erstens jede Ortskenntnis, ebenso ahnte ich nicht im entferntesten, auf welchem Fuße er mit seinen Bewohnerinnen stand. Ich hatte nämlich tatsächlich öfters gehört, seine schönere Hälfte behandele ihn entsetzlich tyrannisch. Wollte ich aber dem Geklatsche, das im Hause Nadans im Schwange war, Glauben schenken, so mußte ich annehmen, er lebe mit seiner rechtmäßigen Frau, der er allen Grund zur größten Eifersucht gab, in fortgesetztem Kriege. Er war ein einsilbiger Mann, der sich in kurzen, abgebrochenen Sätzen auszudrücken pflegte. Da er es jedoch liebte, bei jeder Gelegenheit Worte arabischen Ursprungs einzuflechten, so drängten sich, wenn er redete, dem Ohr mehr Kehllaute auf, als man bei denen zu hören gewohnt war, die reines Persisch sprachen.

Während des Ankleidens getraute ich mich nicht, den Mund aufzutun, und hielt mein Gesicht tunlichst im Schatten. Als man mir aber die Wasserpfeife darreichte, rauchte ich ganz auf die Art, wie der Oberpriester es liebte, tat zwei bis drei lange Züge, um diese hierauf als endlose Rauchsäulen wieder auszustoßen.

Als ich beim Verlassen des Bades dem Besitzer mein ›Khoda Hafis‹ zumurmelte, schien einem der Diener etwas Ungewöhnliches aufzufallen; allein sobald die andern merkten, wie schwer ich mich machte, als sie mir aufs Pferd halfen, das meiner harrte, schien jeder Verdacht wieder verschwunden.

Am Hause des Verblichenen angelangt, stieg ich tunlichst gemächlich vom Pferde und, obschon ich die Räumlichkeiten nicht kannte, folgte ich dem Manne, der ein vertrauter Diener zu sein schien, bis wir eine kleine Tür erreichten, die in das Enderun führte. Ich ließ ihn tun, was er ohne Zweifel jeden Tag tat. Als er die Tür öffnete und ich zwei bis drei Schritte vorwärts getan, rief er sein: ›Tschiragh biar!‹ (bringt Licht) und zog sich dann zurück. Ich konnte das Klappern weiblicher Pantoffeln und Frauenstimmen vernehmen, auch rannten mir zwei junge Sklavinnen mit Lichtern in den Händen so hurtig entgegen, als wollte jede von ihnen die erste sein, mich zu begrüßen.

Das größte Zimmer des Hauses war erleuchtet, so daß ich darin mehr als eine Frauengestalt zu unterscheiden vermochte. Dies mußte der Aufenthaltsort der vornehmsten Person, der jetzigen Witwe des Verstorbenen, sein, und ich fürchtete, die Sklavinnen würden mich hineinführen. Doch dank meiner guten Sterne mußte ich gerade einen jener glücklichen Momente erwischt haben, wo der Molla sich mit seiner Frau gezankt hatte, ein Vorkommnis, das meinen beiden Führerinnen bekannt zu sein schien, denn sie zogen mich, als ich mich dem Gemach mit sichtlichem Widerstreben näherte, durch eine Tür in einen kleinen Innenhof und dort in ein ›Chelwet‹ oder Ruhezimmer.

Nun war eine weitere Sorge, wie ich die beiden Sklavinnen loswerden sollte. Da sie mir vorausgingen, hatten sie meine Züge nicht zu sehen bekommen, betraten sie aber zu gleicher Zeit mit mir das Zimmer, so konnten sie eine mir höchst fatale Entdeckung machen. Darum nahm ich der einen das Licht aus der Hand und entließ die andere mit einem Kopfnicken. Wäre ich noch der unbesonnene Jüngling gewesen, wie zur Zeit, wo ich Senebs Bekanntschaft machte, hätte ich mich vielleicht zu einer unverzeihlichen Torheit hinreißen lassen. Jetzt aber flößten mir die zwei jungen Sklavinnen Furcht, sogar Entsetzen ein, und es war einer der schönsten Augenblicke meines Lebens, als sie mich meinen Betrachtungen überließen. Mein Schicksal hatte in den letzten Stunden eine so unerwartete Wendung genommen, daß mir war, als stünde ich mit einem Fuße im Himmel, mit dem andern auf der Erde. Sobald ich mich in Sicherheit wußte und den schwersten Teil meines Betruges hinter mir hatte, war mein erstes Empfinden das des Jubels und der Freude, im nächsten Augenblick aber das zitternder Angst, mein Glück könnte mir abermals untreu werden.

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