Zweiundfünfzigstes Kapitel - Hadschis Abenteuer im Bade
»So,« sagte ich, als ich mich mit meinem Gefährten allein
befand, »also diese glücklichen Stunden verdanke ich lediglich
Euch allein! Hätte ich geahnt, daß dieses entsetzliche
Abenteuer das Ende meiner Empfehlung des Mudschtähid sein
würde: Ihr hättet Hadschi Baba niemals in diesem Aufzuge
gesehen. Was verschlug es Euch, ob es regnete oder nicht, ob
die Armenier Wein tranken oder nüchtern blieben? Das haben wir
nun von Eurem Übereifer!«
Doch der Molla befand sich in einem zu bemitleidenswerten
Zustande, als daß ich ihn hätte länger schelten mögen.
Stillschweigend und tief niedergeschlagen, wanderten wir Seite
an Seite fürbaß, bis wir das nächste Dorf erreichten, wo wir
Halt machten, um zu beraten, was wir tun sollten. Da mein
unglücklicher Gefährte der Stadt verwiesen war und sich
unmöglich dort zeigen konnte, ehe der Sturm ausgetobt hatte,
wir aber dennoch sehr zu wissen wünschten, was aus unserm
beiderseitigen Eigentume, aus seinem Hause samt der
Einrichtung, was aus meinen Kleidern und meinem Maultier
geworden war, so wurde beschlossen, daß ich nach der Stadt
zurückkehren und dort nach dem Rechten sehen sollte.
In Teheran war es Nacht; nachdem ich das Tor passiert,
schlich ich mich vorsichtig durch die Gassen bis zum Haus des
Mollas. Aber schon ein flüchtiger Blick belehrte mich, daß wir
vollständig ruiniert waren. Ein Schwarm von Raubgesindel war
dort eingedrungen und hatte sich alles, was ihm in die Hände
fiel, angeeignet. Ich sah gerade noch den Färrasch, den
gleichen, der uns zum Schah geführt hatte, auf meinem Maultier
davonreiten, vor sich ein Bündel auf dem Schoße, das
zweifellos nicht nur meinen, sondern auch des Mollas ganzen
Kleidervorrat enthielt.
Ganz niedergeschmettert von diesem Anblicke und voller
Angst, man könnte mich erkennen, floh ich den Ort und
schlenderte, ohne recht zu wissen, wohin ich mich wenden
sollte, in das nicht weit vom Hause unsres Feindes, des
Oberpriesters, gelegene Bad.
Ich trat ein, entkleidete mich und wurde, da es fast dunkel
war, von den Badedienern gar nicht bemerkt. Vom ersten warmen
Baderaum begab ich mich sofort in den heißesten, schlüpfte
unbeobachtet in einen finstern Winkel und ließ meinen
traurigen Gedanken freien Lauf. Ich erwog jetzt alle
Möglichkeiten, die ich ergreifen könnte, um mein Auskommen zu
finden, und kam mir, da mich anscheinend das Glück ganz im
Stiche gelassen hatte, wie ein zum Unglück auserkorenes
Schlachtopfer vor.
»Sobald ich mich verliebe,« sagte ich, vor mich
hinträumend, »wird der König selbst mein Nebenbuhler, tötet
meine Geliebte und entsetzt mich schimpflich meines Amtes. Ich
bin der rechtmäßige Erbe eines anerkannt reichen Mannes, der
gerade lange genug lebte, um mich als solchen anzuerkennen.
Obgleich mir jedermann sagt, ich sollte eigentlich reich sein,
muß ich den Kummer erleben, daß man mir das Geld vor der Nase
wegstiehlt und ich schließlich ärmer als je zuvor dastehe. Der
frömmste und einflußreichste Schriftgelehrte findet Gefallen
an mir und verschafft mir eine Stellung, von der ich annehmen
mußte, sie wäre eine prächtige lebenslängliche Versorgung.
Mein Herr fleht in einer bösen Stunde den Himmel an, er möge
seine Segnungen auf uns herabströmen lassen, anstatt dessen
werden wir aus der Stadt verwiesen und unserer Habe beraubt.«
Wohl nie zuvor hatte sich ein Mensch eine solche Unsumme von
Mißgeschick vorgerechnet, und am liebsten wäre ich in meinem
Winkel gestorben.
Das Bad war allgemach nahezu von allen Badenden verlassen
worden, als es neuerdings unruhig wurde und ein Mann mit einer
gewissen Feierlichkeit hereintrat, in dem ich den Molla-Baschi
in Person erkannte. Weder er noch seine Diener bemerkten mich.
Sobald sich der Oberpriester allein glaubte, begab er sich
sogleich ins große Becken voll heißen Wassers, was in den
persischen Bädern mit ›Khesane‹ oder Schatzkammer bezeichnet
wird.
Eine Zeitlang hörte ich ihn darin herumplätschern, dann aus
Leibeskräften pusten, was ich aber für eine Art Spielerei
hielt, die mich bei dem sonst so ernsten Manne wundernahm.
Später glaubte ich ein ungewöhnlich heftiges Zappeln, von
gurgelnden Lauten begleitet, zu vernehmen und dachte wiederum,
er gäbe sich wohl einer besonders merkwürdigen Leibesübung
hin. Schließlich trieb mich aber doch die Neugierde aus meinem
Winkel. Auf den Fußspitzen, so leise wie nur möglich, näherte
ich mich der Türspalte und guckte hinein.
Wer aber beschreibt mein Entsetzen, als ich sah, daß der
Molla-Baschi, fast ohne Todeskampf, gerade seinen letzten
Seufzer aushauchte. Offenbar war er vom Schlage getroffen
worden und, ohne um Hilfe rufen zu können, ertrunken.
Alle gräßlichen Folgen, die dieser Unglücksfall über mich
verhängen konnte, vergegenwärtigten sich mir! »Wie kann ich es
nur verhindern,« sagte ich mir, »nicht sofort als sein Mörder
ergriffen zu werden? Jedermann weiß, wie feindlich ihm Nadan
gesinnt war, und in mir wird man nur sein gefügiges Werkzeug
vermuten!«
Während mir alle diese schrecklichen Gedanken durch den
Kopf schwirrten und ich gerade meinen Fuß auf den Rand des
Wasserbeckens gesetzt hatte, kamen die Diener des
Oberpriesters mit den gewärmten Tüchern, deren man sich vor
dem Verlassen des Bades bedient, herein. Als diese mich aus
dem Wasser steigen sahen, hielten sie mich selbstverständlich
für den Verstorbenen und rieben mich, ohne auch nur ein Wort
zu verlieren, tüchtig ab. Dies gab mir Zeit, meine Gedanken zu
sammeln, und da ich ein Abenteuer witterte, das mich
vielleicht aus der Klemme herauszog, in die mich das Schicksal
verwickelt hatte, so ließ ich, entschlossen, weiterhin die
Rolle des Oberpriesters zu spielen, den Dingen ihren Lauf. Da
ich ungefähr die Größe und Statur des Verstorbenen besaß, so
hielten mich die unbefangenen Diener für ihren Herrn. Während
meines Aufenthaltes beim Molla Nadan hatte ich auch häufig
Gelegenheit gehabt, die Art des Verstorbenen zu studieren,
konnte darum ohne Gefahr für kurze Zeit meine Rolle
durchführen. Schwierig wurde der Fall erst, wenn ich genötigt
wurde, das Enderun zu betreten; denn dort fehlte mir erstens
jede Ortskenntnis, ebenso ahnte ich nicht im entferntesten,
auf welchem Fuße er mit seinen Bewohnerinnen stand. Ich hatte
nämlich tatsächlich öfters gehört, seine schönere Hälfte
behandele ihn entsetzlich tyrannisch. Wollte ich aber dem
Geklatsche, das im Hause Nadans im Schwange war, Glauben
schenken, so mußte ich annehmen, er lebe mit seiner
rechtmäßigen Frau, der er allen Grund zur größten Eifersucht
gab, in fortgesetztem Kriege. Er war ein einsilbiger Mann, der
sich in kurzen, abgebrochenen Sätzen auszudrücken pflegte. Da
er es jedoch liebte, bei jeder Gelegenheit Worte arabischen
Ursprungs einzuflechten, so drängten sich, wenn er redete, dem
Ohr mehr Kehllaute auf, als man bei denen zu hören gewohnt
war, die reines Persisch sprachen.
Während des Ankleidens getraute ich mich nicht, den Mund
aufzutun, und hielt mein Gesicht tunlichst im Schatten. Als
man mir aber die Wasserpfeife darreichte, rauchte ich ganz auf
die Art, wie der Oberpriester es liebte, tat zwei bis drei
lange Züge, um diese hierauf als endlose Rauchsäulen wieder
auszustoßen.
Als ich beim Verlassen des Bades dem Besitzer mein ›Khoda
Hafis‹ zumurmelte, schien einem der Diener etwas
Ungewöhnliches aufzufallen; allein sobald die andern merkten,
wie schwer ich mich machte, als sie mir aufs Pferd halfen, das
meiner harrte, schien jeder Verdacht wieder verschwunden.
Am Hause des Verblichenen angelangt, stieg ich tunlichst
gemächlich vom Pferde und, obschon ich die Räumlichkeiten
nicht kannte, folgte ich dem Manne, der ein vertrauter Diener
zu sein schien, bis wir eine kleine Tür erreichten, die in das
Enderun führte. Ich ließ ihn tun, was er ohne Zweifel jeden
Tag tat. Als er die Tür öffnete und ich zwei bis drei Schritte
vorwärts getan, rief er sein: ›Tschiragh biar!‹ (bringt Licht)
und zog sich dann zurück. Ich konnte das Klappern weiblicher
Pantoffeln und Frauenstimmen vernehmen, auch rannten mir zwei
junge Sklavinnen mit Lichtern in den Händen so hurtig
entgegen, als wollte jede von ihnen die erste sein, mich zu
begrüßen.
Das größte Zimmer des Hauses war erleuchtet, so daß ich
darin mehr als eine Frauengestalt zu unterscheiden vermochte.
Dies mußte der Aufenthaltsort der vornehmsten Person, der
jetzigen Witwe des Verstorbenen, sein, und ich fürchtete, die
Sklavinnen würden mich hineinführen. Doch dank meiner guten
Sterne mußte ich gerade einen jener glücklichen Momente
erwischt haben, wo der Molla sich mit seiner Frau gezankt
hatte, ein Vorkommnis, das meinen beiden Führerinnen bekannt
zu sein schien, denn sie zogen mich, als ich mich dem Gemach
mit sichtlichem Widerstreben näherte, durch eine Tür in einen
kleinen Innenhof und dort in ein ›Chelwet‹ oder Ruhezimmer.
Nun war eine weitere Sorge, wie ich die beiden Sklavinnen
loswerden sollte. Da sie mir vorausgingen, hatten sie meine
Züge nicht zu sehen bekommen, betraten sie aber zu gleicher
Zeit mit mir das Zimmer, so konnten sie eine mir höchst fatale
Entdeckung machen. Darum nahm ich der einen das Licht aus der
Hand und entließ die andere mit einem Kopfnicken. Wäre ich
noch der unbesonnene Jüngling gewesen, wie zur Zeit, wo ich
Senebs Bekanntschaft machte, hätte ich mich vielleicht zu
einer unverzeihlichen Torheit hinreißen lassen. Jetzt aber
flößten mir die zwei jungen Sklavinnen Furcht, sogar Entsetzen
ein, und es war einer der schönsten Augenblicke meines Lebens,
als sie mich meinen Betrachtungen überließen. Mein Schicksal
hatte in den letzten Stunden eine so unerwartete Wendung
genommen, daß mir war, als stünde ich mit einem Fuße im
Himmel, mit dem andern auf der Erde. Sobald ich mich in
Sicherheit wußte und den schwersten Teil meines Betruges
hinter mir hatte, war mein erstes Empfinden das des Jubels und
der Freude, im nächsten Augenblick aber das zitternder Angst,
mein Glück könnte mir abermals untreu werden.