Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Dreiundfünfzigstes Kapitel - Hadschi spielt den Oberpriester

Sobald ich allein war, verschloß ich sorgfältig die Tür und stellte das Licht in einen so entfernten Winkel des Zimmers, daß, wenn jemand die Lust anwandelte, neugierig durch die gemalten Glasscheiben zu gucken, er nimmermehr festzustellen vermochte, daß ich nicht der Molla-Baschi war.

Nachdem ich diese Vorsichtsmaßregel getroffen, fiel mir ein, ob sich aus diesem Abenteuer nicht allenfalls doch bedeutend mehr herausschlagen ließe, als ich zuerst vermutete. »Ich will einmal die Taschen des guten Mannes untersuchen,« dachte ich mir, »sowie die Papierrolle in seinem Gürtel; vielleicht könnte sie mir ein Fingerzeig sein, wie sich mein zukünftiges Geschick gestalten wird.« Zwei Schreiben, einen Rosenkranz und seine Siegel fand ich in der rechten Tasche. In der linken ein Schreibzeug, einen kleinen Spiegel und einen Kamm. Die Uhr steckte in der Brusttasche des Rockes; in einer weiteren, schier unter den Achselhöhlen befindlichen, seine Börse, die ich natürlich zuerst untersuchte und worin ich fünf Goldtoman und einige Silbermünzen fand. Die goldene Uhr, die aus England stammte, war nicht minder kostbar als das wundervoll bemalte Schreibzeug, das außer einem Federmesser noch eine Schere und Schreibrohre enthielt. Da ich fest entschlossen war, meine Rolle in jeder Richtung hin strengstens durchzuführen, steckte ich diese und andere wertvolle Kleinigkeiten, die ich jetzt schon als mein Eigentum betrachtete, wieder in die entsprechenden Taschen. Nun kamen die Briefe an die Reihe, und einer ohne Siegel war folgenden Inhalts:

»O Freund meiner Seele, mein Vertrauter, mein Bruder!« (Ah, dachte ich mir, der stammt von einem Gleichgestellten.)

»Ihr wißt, welche Zuneigung der Freund, der Euch dieses mitteilt, für jenes glänzende Gestirn des Zeitalters, für den Schatten unseres heiligen Propheten hegt, und daß es sein einziger Wunsch ist, ihre Vertraulichkeit möge täglich wachsen und erstarken. Er sendet ihm sechs der erlesensten Melonen aus Ispahan, wie man sie nicht alle Tage findet, und bittet ihn, so wahr er seinen Bart schätzt, ihm die Erlaubnis zum unbeschränkten Genusse des Weines zu geben, weil ihm die Ärzte versicherten, so er diesem nicht in reichstem Maße zuspräche, werde er nicht mehr lange die Geißel und der Vernichter der Feinde des wahren Glaubens sein.«

»Dies kann nur vom Oberexekutor sein!« dachte ich sogleich. »Wer anders in Persien könnte seinen eignen Charakter, den des Schmeichlers, Trunkenboldes und Großsprechers mit so wenig Worten ausdrücken? Damit läßt sich was machen, aber ich muß doch den anderen Brief auch einmal anschauen.« Ich erbrach ihn und las folgendes:

»O mein Herr und Meister!

Euer untertänigster Diener, der es wagt, sich an Euch, die Stütze des wahren Glaubens, den Schrecken der Ungläubigen und die Zuflucht aller Sünder, zu wenden, bittet um die Gnade, Euch darlegen zu dürfen, daß es ihm nach tausend und abertausend Schwierigkeiten endlich gelang, aus den Bauern Eures Dorfes hundert Toman bares Geld, außer den fünfzig Kherwars oder Eselladungen Getreide, herauszupressen. Dem Manne, mit Namen Hossein Ali, der trotz zweimaliger Bastonade entweder nichts hergeben wollte oder konnte, nahmen wir hierauf seine zwei Kühe weg.«

Er schrieb ferner, er wolle fortfahren, mit allen seinen Kräften zuzuschlagen; und wenn sein Herr jemand schicke, um das Geld abzuholen, so würde er dieses auf einen gehörigen Ausweis hin ausbezahlen.

Das Schreiben, das hierauf mit den landläufigen Redensarten, die ein Untergebener seinem Herrn gegenüber gebraucht, endete, war mit einem kleinen Siegel versehen, das den Namen des Schreibers Abdul Kerim trug.

»Oh,« sagte ich, »hoffentlich werden mich meine guten Sterne nicht verlassen! Habe ich erst herausgebracht, wer Abdul Kerim ist, und wo das Dorf, von dem aus er schreibt, liegt, so gehören die hundert Toman mir!«

Diese Sache ließ ich unterdessen ruhen, um zu überlegen, wie ich mir den Brief des Oberexekutors zunutze machen könnte. Nach einiger Überlegung verfaßte ich folgendes Schreiben:

»O Freund meiner Seele!

»Euer Schreiben habe ich erhalten und seinen Inhalt ganz begriffen. Wenn die Standarte des heiligen Islams Gefahr läuft, den Löwen der Löwen, das zweischneidige Schwert, die unbesiegbare Feste zu verlieren, aber die Möglichkeit besteht, sie zu retten und zu erhalten –: kann da noch ein Zweifel bestehen, was zu tun ist? Trinket, o Freund, trinket Wein nach Herzenslust und lasset alle Feinde des wahren Glaubens erzittern! Der Melonen wegen möge Euer Haus gedeihen. Doch fügt noch eine Gunst zu den vielen, die Ihr mir schon erwiesen, und leiht Eurem Freunde, dessen ein eiliges Geschäft harrt, ein wohlgesatteltes, schnelles Pferd, das er sicher und unversehrt zurückschicken wird, sobald sein Schicksalsstern ihn wieder heimführt.«

Das Schreiben verschloß ich mit dem Siegel des Verstorbenen und entschied mich, es zu früher Morgenstunde selbst zu überbringen. Den zweiten Brief beantwortete ich folgendermaßen:

»Wir haben Euer Schreiben erhalten und von seinem Inhalte Kenntnis genommen. Unserm Vertrauten, Hadschi Baba, der Euch dieses überbringen wird, könnt Ihr unbesorgt alles Geld, was Ihr in Händen habt, übergeben. Über andere Geschäfte sollt Ihr bald von uns hören. Wir bitten Allah, er möge Euch unter seinen gnädigen Schutz nehmen; doch unterdessen fahrt nur fort, Bastonaden zu erteilen.«

Nachdem ich alles gewissenhaft erledigt hatte, wartete ich, um aus diesem Hause zu entweichen, eine günstige Stunde ab, da jeder Augenblick die Gefahr einer Entdeckung, und diese möglicherweise mein schmähliches Ende, herbeiführen konnte. Mitternacht war vorüber, und ich plante eben, lautlos aus meinem Zimmer zu schleichen, als jemand leise, wie um Einlaß bittend, an die Tür drückte. Ich, der schon darauf gefaßt war, den ›Daroga‹ (Polizeimeister) nebst all seinen Untergebenen hereinstürmen und mich ergreifen zu sehen, und deshalb in Todesangst das Ergebnis dieser nächtlichen Ruhestörung abwartete, war nicht wenig erstaunt, als das Flüstern einer weiblichen Stimme an mein Ohr drang, das ich vor Herzklopfen leider nicht zu verstehen vermochte. Was auch der nächtliche Besuch bezwecken mochte, mir stand keine andere Antwort zur Verfügung, als durch lautes, kräftiges Schnarchen zu beweisen, daß der Bewohner dieses Zimmers keine Lust habe, gestört zu werden. Ich wartete noch eine Weile, bis alles im Hause still wurde, schlich hierauf behutsam zum Haupteingange, der sich ganz leicht öffnen ließ, um dann hinauszufliehen, als wären mir die Verfolger auf den Fersen. Ich paßte die beste Gelegenheit ab, mich längs der Straßen hinzuschleichen, ohne der Polizei in den Weg zu kommen oder den Schildwachen in die Hände zu fallen. Als endlich der Tag dämmerte, wurden nach und nach die Basare aufgemacht. Da ich die Kleider des Molla-Baschi trug, war mein erstes Streben, um keinen Verdacht zu erregen, mich möglichst unkenntlich zu machen, was mir auch bei einem Kleidertrödler auf billige Weise gelang. Doch wohlweislich hütete ich mich, irgendeinen der kostbaren Gegenstände, die ich mir angeeignet hatte, zu veräußern.

Hierauf begab ich mich zum Hause des Oberexekutors, wo ich einen mir völlig unbekannten Diener meinen Brief mit der Weisung übergab, der Molla-Baschi, der wichtiger Geschäfte halber eiligst die Stadt verlassen wolle, bäte um sofortige Antwort.

Wer aber beschreibt mein Entzücken, als man mir zu wissen tat, die hochwichtige Persönlichkeit könne mir keine schriftliche Antwort erteilen, weil sie sich in ihrem Enderun befände, habe aber in der Zwischenzeit den Befehl erteilt, mir eines ihrer Pferde zu übergeben. Ach, mit welchem Entzücken betrachtete ich das edle Tier, als es aus dem Stalle geführt wurde. Wie blinkte der goldene Sattelknopf, die goldene Kette, die auf seinem Kopfe baumelte, wie schön waren die mit emaillierten Knöpfen geschmückten Zügel! Daß alle diese Sachen in Bälde mir gehören sollten, wagte ich kaum zu denken. Ich kannte die Launen des Glückes und empfand eine solche Angst vor seiner Unbeständigkeit, daß ich drauf und dran war, ein weniger kostbares, mehr zum Gebrauche geeignetes Sattelzeug zu erbitten. Da ich aber wiederum fürchtete, der geringste Aufenthalt könnte mich verderben, so bestieg ich ohne weitere Zimperlichkeiten das Pferd, hatte in kürzester Zeit die Tore der Stadt hinter mir und befand mich alsbald auf freiem Felde. Ohne anzuhalten oder nur einmal umzuschauen, flog ich dahin, bis ich das breit ausgewaschene Flußbett des Keredj erreichte, wo ich kurze Rast hielt. Jetzt entsann ich mich wieder, gehört zu haben, das Dorf des Molla-Baschi liege irgendwo in der Gegend von Hamadan, und schlug demzufolge diese Richtung ein. Um aufrichtig zu sein, muß ich gestehen, daß die ungewöhnliche Wendung meines Geschickes, die mir erst jetzt, wo ich ein bißchen verschnaufte, so recht zum Bewußtsein kam, mich mit großer Angst erfüllte. Da ich mir vorkam wie einer, der schwindlig am Abgrund steht und plötzlich den inneren Drang empfindet, sich hinabzustürzen, so kostete es mir jetzt eine große Überwindung, nicht umzukehren, um mich selbst den Gerichten zu stellen.

»Bin ich denn etwas anderes als ein Dieb,« sagte ich mir, »der, einmal eingefangen, nichts Besseres verdient, als vor die Mündung eines Mörsers gestellt und in die Luft gesprengt zu werden? Andererseits, aber wer machte mich dazu? Wenn das ›Takdir‹ (Schicksal) so verwunderlich wirkt, so kann das doch nicht meine Schuld sein. Den Tod des Molla-Baschi veranlaßte ich nicht; wenn es ihm beliebte, seinen letzten Seufzer in meinen Armen auszuhauchen, wenn ich, mag ich wollen oder nicht, mit ihm verwechselt werde, so ist es klar, daß mich das Fatum zu seinem ›Vekil‹ oder Stellvertreter ausersehen hat. Was immer ich tue, solange ich seine Rolle spiele, bleibt rechtmäßig, darum sind seine Kleider meine Kleider, seine hundert Toman meine hundert Toman, und alles, was ich in seinem Namen schreibe, ist mit Fug und Recht geschrieben.« Durch diese Schlüsse neugestärkt, bestieg ich abermals mein Pferd, um mich ins nächste Dorf zu begeben und dort Erkundigungen einzuziehen, wo das Dorf des Oberpriesters liege und ob in der Nachbarschaft ein gewisser Abdul Kerim bekannt sei. Als wollten die Würfel stets zu meinen Gunsten fallen, erwies sich, daß das Dorf des Molla-Baschi ganz in der Nähe lag und sein Verwalter und Stellvertreter ein Priester namens Abdul Kerim war. »Oho,« sagte ich, »ein Priester! Da muß ich den Ton meines Briefes sogleich ändern und darf die ihm gebührenden Titel nicht vergessen!« Ich setzte mich darum flugs auf den Boden, nahm mein Schreibzeug aus der Tasche, schnitt ein Stück Papier von der Rolle ab, die in meinem Gürtel steckte, verfaßte ein neues Schreiben und machte mich dann auf den Weg, mit dem festen Entschlusse, falls mir mein Abenteuer gelingen und ich die hundert Toman erlangen sollte, auf dem kürzesten Wege der persischen Grenze zuzueilen.

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