Dreiundfünfzigstes Kapitel - Hadschi spielt den
Oberpriester
Sobald ich allein war, verschloß ich sorgfältig die Tür und
stellte das Licht in einen so entfernten Winkel des Zimmers,
daß, wenn jemand die Lust anwandelte, neugierig durch die
gemalten Glasscheiben zu gucken, er nimmermehr festzustellen
vermochte, daß ich nicht der Molla-Baschi war.
Nachdem ich diese Vorsichtsmaßregel getroffen, fiel mir
ein, ob sich aus diesem Abenteuer nicht allenfalls doch
bedeutend mehr herausschlagen ließe, als ich zuerst vermutete.
»Ich will einmal die Taschen des guten Mannes untersuchen,«
dachte ich mir, »sowie die Papierrolle in seinem Gürtel;
vielleicht könnte sie mir ein Fingerzeig sein, wie sich mein
zukünftiges Geschick gestalten wird.« Zwei Schreiben, einen
Rosenkranz und seine Siegel fand ich in der rechten Tasche. In
der linken ein Schreibzeug, einen kleinen Spiegel und einen
Kamm. Die Uhr steckte in der Brusttasche des Rockes; in einer
weiteren, schier unter den Achselhöhlen befindlichen, seine
Börse, die ich natürlich zuerst untersuchte und worin ich fünf
Goldtoman und einige Silbermünzen fand. Die goldene Uhr, die
aus England stammte, war nicht minder kostbar als das
wundervoll bemalte Schreibzeug, das außer einem Federmesser
noch eine Schere und Schreibrohre enthielt. Da ich fest
entschlossen war, meine Rolle in jeder Richtung hin
strengstens durchzuführen, steckte ich diese und andere
wertvolle Kleinigkeiten, die ich jetzt schon als mein Eigentum
betrachtete, wieder in die entsprechenden Taschen. Nun kamen
die Briefe an die Reihe, und einer ohne Siegel war folgenden
Inhalts:
»O Freund meiner Seele, mein Vertrauter, mein Bruder!« (Ah,
dachte ich mir, der stammt von einem Gleichgestellten.)
»Ihr wißt, welche Zuneigung der Freund, der Euch dieses
mitteilt, für jenes glänzende Gestirn des Zeitalters, für den
Schatten unseres heiligen Propheten hegt, und daß es sein
einziger Wunsch ist, ihre Vertraulichkeit möge täglich wachsen
und erstarken. Er sendet ihm sechs der erlesensten Melonen aus
Ispahan, wie man sie nicht alle Tage findet, und bittet ihn,
so wahr er seinen Bart schätzt, ihm die Erlaubnis zum
unbeschränkten Genusse des Weines zu geben, weil ihm die Ärzte
versicherten, so er diesem nicht in reichstem Maße zuspräche,
werde er nicht mehr lange die Geißel und der Vernichter der
Feinde des wahren Glaubens sein.«
»Dies kann nur vom Oberexekutor sein!« dachte ich sogleich.
»Wer anders in Persien könnte seinen eignen Charakter, den des
Schmeichlers, Trunkenboldes und Großsprechers mit so wenig
Worten ausdrücken? Damit läßt sich was machen, aber ich muß
doch den anderen Brief auch einmal anschauen.« Ich erbrach ihn
und las folgendes:
»O mein Herr und Meister!
Euer untertänigster Diener, der es wagt, sich an Euch, die
Stütze des wahren Glaubens, den Schrecken der Ungläubigen und
die Zuflucht aller Sünder, zu wenden, bittet um die Gnade,
Euch darlegen zu dürfen, daß es ihm nach tausend und
abertausend Schwierigkeiten endlich gelang, aus den Bauern
Eures Dorfes hundert Toman bares Geld, außer den fünfzig
Kherwars oder Eselladungen Getreide, herauszupressen. Dem
Manne, mit Namen Hossein Ali, der trotz zweimaliger Bastonade
entweder nichts hergeben wollte oder konnte, nahmen wir
hierauf seine zwei Kühe weg.«
Er schrieb ferner, er wolle fortfahren, mit allen seinen
Kräften zuzuschlagen; und wenn sein Herr jemand schicke, um
das Geld abzuholen, so würde er dieses auf einen gehörigen
Ausweis hin ausbezahlen.
Das Schreiben, das hierauf mit den landläufigen
Redensarten, die ein Untergebener seinem Herrn gegenüber
gebraucht, endete, war mit einem kleinen Siegel versehen, das
den Namen des Schreibers Abdul Kerim trug.
»Oh,« sagte ich, »hoffentlich werden mich meine guten
Sterne nicht verlassen! Habe ich erst herausgebracht, wer
Abdul Kerim ist, und wo das Dorf, von dem aus er schreibt,
liegt, so gehören die hundert Toman mir!«
Diese Sache ließ ich unterdessen ruhen, um zu überlegen,
wie ich mir den Brief des Oberexekutors zunutze machen könnte.
Nach einiger Überlegung verfaßte ich folgendes Schreiben:
»O Freund meiner Seele!
»Euer Schreiben habe ich erhalten und seinen Inhalt ganz
begriffen. Wenn die Standarte des heiligen Islams Gefahr
läuft, den Löwen der Löwen, das zweischneidige Schwert, die
unbesiegbare Feste zu verlieren, aber die Möglichkeit besteht,
sie zu retten und zu erhalten –: kann da noch ein Zweifel
bestehen, was zu tun ist? Trinket, o Freund, trinket Wein nach
Herzenslust und lasset alle Feinde des wahren Glaubens
erzittern! Der Melonen wegen möge Euer Haus gedeihen. Doch
fügt noch eine Gunst zu den vielen, die Ihr mir schon
erwiesen, und leiht Eurem Freunde, dessen ein eiliges Geschäft
harrt, ein wohlgesatteltes, schnelles Pferd, das er sicher und
unversehrt zurückschicken wird, sobald sein Schicksalsstern
ihn wieder heimführt.«
Das Schreiben verschloß ich mit dem Siegel des Verstorbenen
und entschied mich, es zu früher Morgenstunde selbst zu
überbringen. Den zweiten Brief beantwortete ich
folgendermaßen:
»Wir haben Euer Schreiben erhalten und von seinem Inhalte
Kenntnis genommen. Unserm Vertrauten, Hadschi Baba, der Euch
dieses überbringen wird, könnt Ihr unbesorgt alles Geld, was
Ihr in Händen habt, übergeben. Über andere Geschäfte sollt Ihr
bald von uns hören. Wir bitten Allah, er möge Euch unter
seinen gnädigen Schutz nehmen; doch unterdessen fahrt nur
fort, Bastonaden zu erteilen.«
Nachdem ich alles gewissenhaft erledigt hatte, wartete ich,
um aus diesem Hause zu entweichen, eine günstige Stunde ab, da
jeder Augenblick die Gefahr einer Entdeckung, und diese
möglicherweise mein schmähliches Ende, herbeiführen konnte.
Mitternacht war vorüber, und ich plante eben, lautlos aus
meinem Zimmer zu schleichen, als jemand leise, wie um Einlaß
bittend, an die Tür drückte. Ich, der schon darauf gefaßt war,
den ›Daroga‹ (Polizeimeister) nebst all seinen Untergebenen
hereinstürmen und mich ergreifen zu sehen, und deshalb in
Todesangst das Ergebnis dieser nächtlichen Ruhestörung
abwartete, war nicht wenig erstaunt, als das Flüstern einer
weiblichen Stimme an mein Ohr drang, das ich vor Herzklopfen
leider nicht zu verstehen vermochte. Was auch der nächtliche
Besuch bezwecken mochte, mir stand keine andere Antwort zur
Verfügung, als durch lautes, kräftiges Schnarchen zu beweisen,
daß der Bewohner dieses Zimmers keine Lust habe, gestört zu
werden. Ich wartete noch eine Weile, bis alles im Hause still
wurde, schlich hierauf behutsam zum Haupteingange, der sich
ganz leicht öffnen ließ, um dann hinauszufliehen, als wären
mir die Verfolger auf den Fersen. Ich paßte die beste
Gelegenheit ab, mich längs der Straßen hinzuschleichen, ohne
der Polizei in den Weg zu kommen oder den Schildwachen in die
Hände zu fallen. Als endlich der Tag dämmerte, wurden nach und
nach die Basare aufgemacht. Da ich die Kleider des
Molla-Baschi trug, war mein erstes Streben, um keinen Verdacht
zu erregen, mich möglichst unkenntlich zu machen, was mir auch
bei einem Kleidertrödler auf billige Weise gelang. Doch
wohlweislich hütete ich mich, irgendeinen der kostbaren
Gegenstände, die ich mir angeeignet hatte, zu veräußern.
Hierauf begab ich mich zum Hause des Oberexekutors, wo ich
einen mir völlig unbekannten Diener meinen Brief mit der
Weisung übergab, der Molla-Baschi, der wichtiger Geschäfte
halber eiligst die Stadt verlassen wolle, bäte um sofortige
Antwort.
Wer aber beschreibt mein Entzücken, als man mir zu wissen
tat, die hochwichtige Persönlichkeit könne mir keine
schriftliche Antwort erteilen, weil sie sich in ihrem Enderun
befände, habe aber in der Zwischenzeit den Befehl erteilt, mir
eines ihrer Pferde zu übergeben. Ach, mit welchem Entzücken
betrachtete ich das edle Tier, als es aus dem Stalle geführt
wurde. Wie blinkte der goldene Sattelknopf, die goldene Kette,
die auf seinem Kopfe baumelte, wie schön waren die mit
emaillierten Knöpfen geschmückten Zügel! Daß alle diese Sachen
in Bälde mir gehören sollten, wagte ich kaum zu denken. Ich
kannte die Launen des Glückes und empfand eine solche Angst
vor seiner Unbeständigkeit, daß ich drauf und dran war, ein
weniger kostbares, mehr zum Gebrauche geeignetes Sattelzeug zu
erbitten. Da ich aber wiederum fürchtete, der geringste
Aufenthalt könnte mich verderben, so bestieg ich ohne weitere
Zimperlichkeiten das Pferd, hatte in kürzester Zeit die Tore
der Stadt hinter mir und befand mich alsbald auf freiem Felde.
Ohne anzuhalten oder nur einmal umzuschauen, flog ich dahin,
bis ich das breit ausgewaschene Flußbett des Keredj erreichte,
wo ich kurze Rast hielt. Jetzt entsann ich mich wieder, gehört
zu haben, das Dorf des Molla-Baschi liege irgendwo in der
Gegend von Hamadan, und schlug demzufolge diese Richtung ein.
Um aufrichtig zu sein, muß ich gestehen, daß die ungewöhnliche
Wendung meines Geschickes, die mir erst jetzt, wo ich ein
bißchen verschnaufte, so recht zum Bewußtsein kam, mich mit
großer Angst erfüllte. Da ich mir vorkam wie einer, der
schwindlig am Abgrund steht und plötzlich den inneren Drang
empfindet, sich hinabzustürzen, so kostete es mir jetzt eine
große Überwindung, nicht umzukehren, um mich selbst den
Gerichten zu stellen.
»Bin ich denn etwas anderes als ein Dieb,« sagte ich mir,
»der, einmal eingefangen, nichts Besseres verdient, als vor
die Mündung eines Mörsers gestellt und in die Luft gesprengt
zu werden? Andererseits, aber wer machte mich dazu? Wenn das
›Takdir‹ (Schicksal) so verwunderlich wirkt, so kann das doch
nicht meine Schuld sein. Den Tod des Molla-Baschi veranlaßte
ich nicht; wenn es ihm beliebte, seinen letzten Seufzer in
meinen Armen auszuhauchen, wenn ich, mag ich wollen oder
nicht, mit ihm verwechselt werde, so ist es klar, daß mich das
Fatum zu seinem ›Vekil‹ oder Stellvertreter ausersehen hat.
Was immer ich tue, solange ich seine Rolle spiele, bleibt
rechtmäßig, darum sind seine Kleider meine Kleider, seine
hundert Toman meine hundert Toman, und alles, was ich in
seinem Namen schreibe, ist mit Fug und Recht geschrieben.«
Durch diese Schlüsse neugestärkt, bestieg ich abermals mein
Pferd, um mich ins nächste Dorf zu begeben und dort
Erkundigungen einzuziehen, wo das Dorf des Oberpriesters liege
und ob in der Nachbarschaft ein gewisser Abdul Kerim bekannt
sei. Als wollten die Würfel stets zu meinen Gunsten fallen,
erwies sich, daß das Dorf des Molla-Baschi ganz in der Nähe
lag und sein Verwalter und Stellvertreter ein Priester namens
Abdul Kerim war. »Oho,« sagte ich, »ein Priester! Da muß ich
den Ton meines Briefes sogleich ändern und darf die ihm
gebührenden Titel nicht vergessen!« Ich setzte mich darum
flugs auf den Boden, nahm mein Schreibzeug aus der Tasche,
schnitt ein Stück Papier von der Rolle ab, die in meinem
Gürtel steckte, verfaßte ein neues Schreiben und machte mich
dann auf den Weg, mit dem festen Entschlusse, falls mir mein
Abenteuer gelingen und ich die hundert Toman erlangen sollte,
auf dem kürzesten Wege der persischen Grenze zuzueilen.