Vierundfünfzigstes Kapitel - Hadschis Begegnung mit Molla
Nadan
Sobald ich mich dem Dorfe Seidabad näherte, gab ich mir
alle Mühe, recht vornehm auszusehen, um gut zu meinem schönen
Pferde zu passen, ritt auch in so gebieterischer Haltung durch
die Gassen, daß alle Bauern, die mich sahen, ihre Köpfe zu
tiefst verneigten.
»Wo ist Abdul Kerim?« fragte ich, als ich vom Pferde stieg
und dieses einem der Umstehenden übergab. Sofort stob alles
auseinander, um ihn zu suchen, und bald erschien er selbst.
»Ich komme«, sagte ich nach den landesüblichen
Begrüßungsformeln, »im Auftrage des Oberpriesters wegen
gewisser, Euch wohlbekannter Geschäfte«, und übergab ihm
unverzüglich mein Schreiben.
Abdul Kerims durchdringende Augen, die mich lange forschend
von der Seite betrachteten, waren mir so unbehaglich, daß ich
doch erleichtert aufatmete, als ich ihn nach Kenntnisnahme des
Briefes sagen hörte: »Be tcheschm, bei meinen Augen! das Geld
liegt bereit. Aber Ihr müßt nun auch eine Erfrischung zu Euch
nehmen.«
Da ich gar keine Lust empfand, mich länger seinen
durchbohrenden Blicken auszusetzen, so schützte ich die größte
Eile vor, nahm aber doch, um keinen Verdacht zu erregen,
einige Früchte und etwas saure Milch zu mir.
»Ich kann mich gar nicht entsinnen, Euch je beim
Oberpriester gesehen zu haben,« sagte er zu mir, als ich
gerade meinen Mund recht weit aufmachte, um ein Stück Melone
zu verschlingen, »und bin doch mit all seinen Dienern aufs
beste bekannt?«
»Allerdings«, antwortete ich und erstickte schier bei
seiner Frage, »bin ich einer der Untergebenen des
Oberexekutors, der, wie ich glaube, einige Geldgeschäfte mit
dem Molla hat.« Damit schienen alle Bedenklichkeiten, die
meinem Gastgeber aufgestiegen waren, verschwunden zu sein;
jedenfalls war damit mein schönes Pferd, der Sattel mit dem
goldnen Knopfe und die emailleverzierten Zügel erklärt.
Nachdem ich das Geld empfangen und in meiner Brusttasche
verwahrt hatte, ritt ich jetzt weit leichteren Herzens zum
Dorfe hinaus, als vorher herein.
Kaum aber befand ich mich völlig außer Sehweite, so wendete
ich mein Pferd nach der entgegengesetzten Richtung, stieß ihm
die Sporen in die Weichen und galoppierte ohne Unterlaß
weiter, bis ihm der Schaum über die Flanken rann.
Ich wollte mich direkt nach Kermandschah wenden, dort Pferd
samt Sattel und Zaumzeug verkaufen und den Weg nach Bagdad
einschlagen, wo es weder Gefahren noch Verfolgung für mich
gab.
Nachdem ich ungefähr fünf Parasangen zurückgelegt hatte,
sah ich eine ganz merkwürdige Gestalt, die tapfer vor mir
einherschritt und aus voller Kehle sang. Ganz leicht
bekleidet, auf dem Kopfe ein Schlafkäppchen, das Gesicht in
ein Stück Leinwand eingebunden, die Füße in Pantoffeln, schien
der Mann keineswegs für eine Fußwanderung ausgerüstet. Als ich
näher herzuritt, wollte mir bedünken, die hohe Statur, die
breiten Schultern und den schlanken Wuchs hätte ich schon
früher gesehen. Ohne sein Singen hätte ich ihn gewiß für den
Molla Nadan gehalten, doch die Möglichkeit, daß ein Mann
seines Charakters und seiner Manieren sich jemals so tief
herabwürdigen könnte, kam mir nicht in den Sinn.
Nach längerer und genauerer Beobachtung war jeder Irrtum,
daß dies der Molla Nadan in Person sei, ausgeschlossen.
Ich hielt mein Pferd an, um zu überlegen, ob ich mich zu
erkennen geben sollte. Kurzweg an ihm vorüberzureiten, wäre
mir als der Gipfel der Grausamkeit erschienen; ihn jedoch
begrüßen, hieß mir einen unliebsamen Gefährten aufbürden.
Erfuhr er, daß ich ihm ausgewichen, so zeigte er mich sicher
bei der nächsten Gelegenheit als Dieb an; und entwischte ich
ihm jetzt, so mußte ich später befürchten, ihn mir zum
Todfeinde zu machen. Doch da wir beide, um Nachtquartier zu
nehmen, dem gleichen Dorfe zustrebten, gab es für mich keinen
Ausweg. Nach diesem scharfen Ritte konnte ich mein Pferd, das
der Wartung und Pflege bedurfte, unmöglich länger
überanstrengen und wählte somit den Mittelweg, ihn
anzusprechen, wenn er mich erkännte, doch unbemerkt an ihm
vorüberzureiten, wenn das nicht der Fall wäre.
Als ich mein Pferd antrieb, um ihm näher zu kommen, schaute
er mich, ohne mich zu erkennen, von oben bis unten an und
rief: »O Aga, um der Barmherzigkeit willen, habt Mitleid mit
einem unglücklichen Menschen, der keine andere Zuflucht in der
Welt hat als Gott und Euch!«
Diesem flehentlichen Anrufen meiner besseren Gefühle
vermochte ich nicht zu widerstehen, schwieg aber noch eine
Weile, um zu hören, was er ferner sagen würde, und brach
endlich in ein unbändiges Lachen aus. Mein Gelächter, das wohl
ebenso unzeitgemäß wie sein Singen sein mochte, machte ihn so
stutzig, daß er gar nicht mehr wußte, was er aus mir machen
sollte. Als ich aber zu sprechen begann, da waren auch alle
seine Zweifel verflogen, mit einer an Tollheit grenzenden
Freude rannte er auf mich zu, küßte meine Knie und rief: »Ach
Hadschi! meine Seele! mein Onkel! Licht meiner Augen! – Aus
welchem Himmel bist du gefallen? Was bedeutet diese Pracht,
dieses Pferd, dieses Gold, dies prächtige Zaumzeug? Bist du im
Bunde mit den Dschann, oder verliebte sich das Glück in dich
und ernannte dich zu seinem Erben?« Ich, auf den seine
Einfälle zu komisch wirkten, konnte mich des Lachens noch
immer nicht enthalten, während er fortfuhr: »Wie hast du es
nur angestellt, dein Maultier in ein schönes Pferd zu
verwandeln? Was ist aus meiner Habe geworden? –
Hast du vielleicht meinen weißen Esel gerettet? – Ich bin
der Fußwanderung so müde! – Erzähle mir, beim Bart des
Propheten, erzähle mir alles!«
Da ich mir gleich sagte, daß ich ihm mein ganzes Abenteuer
erzählen müßte, weil er sonst den Verdacht hegen könnte, ich
hätte seine Habe an mich genommen und damit alle die soeben
von ihm bewunderten Herrlichkeiten erstanden, so versprach ich
ihm sofort, alles gewissenhaft zu berichten, bat ihn aber
gleichzeitig, eine gute Dosis Leichtgläubigkeit in
Bereitschaft zu halten, weil das, was ich zu sagen hätte, so
märchenhaft klänge, daß er wahrscheinlich meinen könnte, ich
wolle ihm etwas aufbinden.
Wir begaben uns in das Dorf, wo wir im Mehman Khane oder
Fremdenhause Nachtquartier nahmen, eine Bequemlichkeit, die in
ganz Persien selbst das kleinste Dörfchen bietet.
Da eine Persönlichkeit mit meinem Äußeren nirgends lange
verweilen kann, ohne gehöriges Aufsehen zu erregen, so
bediente mich auch der Kädkhoda (Dorfvorsteher) mit der mir
gebührenden Aufmerksamkeit und versprach uns ein gutes
Abendessen. In der Zeit, wo dieses zubereitet wurde, erzählte
ich dem Gefährten meine Abenteuer. Er verstand ihre an Wunder
grenzenden Zufälligkeiten im vollsten Maße zu würdigen. Als er
jedoch vernahm, daß ich meinen jetzigen Wohlstand auf Kosten
seines alten Feindes, des Molla-Baschi, erlangt hatte, wollte
er vor Entzücken schier sterben. Wie wir so zusammensaßen und
uns gegenseitig unsere Herzen ausschütteten (denn die
Unglücklichen erleichtert es im höchsten Grade, über sich
selbst zu reden), sah ich ein, bisher den wahren Charakter
meines Gefährten gar nicht richtig erkannt zu haben. – »Das
wichtigtuerische Wesen, das Ihr früher an den Tag legtet, als
ich noch in Euren Diensten stand, entsprach wohl gar nicht
Eurem wirklichen Charakter? Denn ein wahrhaft hoffärtiger Mann
kann unmöglich Eure Liebenswürdigkeit besitzen. »Ach,
Hadschi!« antwortete er, »das Unglück verändert den Menschen
gewaltig, und leider gehöre ja auch ich zu jenen, die den
weisen Spruch: ›Breite deinen Teppich nie auf nassen Boden‹
niemals beherzigten. Ich baute zu sehr auf die Menschen, vor
allem auf die gute Meinung des Volkes, die ich als ehrgeiziger
Mann in erster Linie erstrebte. Ich habe meinem Einflusse auf
das Volk zuviel vertraut und mich selber dabei verloren, bin
nun, wie du siehst, ein erbärmlicher, bedauernswerter
Wanderer, der ebenso bettelarm in seine Vaterstadt einzieht,
wie er auszog.«