Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Vierundfünfzigstes Kapitel - Hadschis Begegnung mit Molla Nadan

Sobald ich mich dem Dorfe Seidabad näherte, gab ich mir alle Mühe, recht vornehm auszusehen, um gut zu meinem schönen Pferde zu passen, ritt auch in so gebieterischer Haltung durch die Gassen, daß alle Bauern, die mich sahen, ihre Köpfe zu tiefst verneigten.

»Wo ist Abdul Kerim?« fragte ich, als ich vom Pferde stieg und dieses einem der Umstehenden übergab. Sofort stob alles auseinander, um ihn zu suchen, und bald erschien er selbst.

»Ich komme«, sagte ich nach den landesüblichen Begrüßungsformeln, »im Auftrage des Oberpriesters wegen gewisser, Euch wohlbekannter Geschäfte«, und übergab ihm unverzüglich mein Schreiben.

Abdul Kerims durchdringende Augen, die mich lange forschend von der Seite betrachteten, waren mir so unbehaglich, daß ich doch erleichtert aufatmete, als ich ihn nach Kenntnisnahme des Briefes sagen hörte: »Be tcheschm, bei meinen Augen! das Geld liegt bereit. Aber Ihr müßt nun auch eine Erfrischung zu Euch nehmen.«

Da ich gar keine Lust empfand, mich länger seinen durchbohrenden Blicken auszusetzen, so schützte ich die größte Eile vor, nahm aber doch, um keinen Verdacht zu erregen, einige Früchte und etwas saure Milch zu mir.

»Ich kann mich gar nicht entsinnen, Euch je beim Oberpriester gesehen zu haben,« sagte er zu mir, als ich gerade meinen Mund recht weit aufmachte, um ein Stück Melone zu verschlingen, »und bin doch mit all seinen Dienern aufs beste bekannt?«

»Allerdings«, antwortete ich und erstickte schier bei seiner Frage, »bin ich einer der Untergebenen des Oberexekutors, der, wie ich glaube, einige Geldgeschäfte mit dem Molla hat.« Damit schienen alle Bedenklichkeiten, die meinem Gastgeber aufgestiegen waren, verschwunden zu sein; jedenfalls war damit mein schönes Pferd, der Sattel mit dem goldnen Knopfe und die emailleverzierten Zügel erklärt. Nachdem ich das Geld empfangen und in meiner Brusttasche verwahrt hatte, ritt ich jetzt weit leichteren Herzens zum Dorfe hinaus, als vorher herein.

Kaum aber befand ich mich völlig außer Sehweite, so wendete ich mein Pferd nach der entgegengesetzten Richtung, stieß ihm die Sporen in die Weichen und galoppierte ohne Unterlaß weiter, bis ihm der Schaum über die Flanken rann.

Ich wollte mich direkt nach Kermandschah wenden, dort Pferd samt Sattel und Zaumzeug verkaufen und den Weg nach Bagdad einschlagen, wo es weder Gefahren noch Verfolgung für mich gab.

Nachdem ich ungefähr fünf Parasangen zurückgelegt hatte, sah ich eine ganz merkwürdige Gestalt, die tapfer vor mir einherschritt und aus voller Kehle sang. Ganz leicht bekleidet, auf dem Kopfe ein Schlafkäppchen, das Gesicht in ein Stück Leinwand eingebunden, die Füße in Pantoffeln, schien der Mann keineswegs für eine Fußwanderung ausgerüstet. Als ich näher herzuritt, wollte mir bedünken, die hohe Statur, die breiten Schultern und den schlanken Wuchs hätte ich schon früher gesehen. Ohne sein Singen hätte ich ihn gewiß für den Molla Nadan gehalten, doch die Möglichkeit, daß ein Mann seines Charakters und seiner Manieren sich jemals so tief herabwürdigen könnte, kam mir nicht in den Sinn.

Nach längerer und genauerer Beobachtung war jeder Irrtum, daß dies der Molla Nadan in Person sei, ausgeschlossen.

Ich hielt mein Pferd an, um zu überlegen, ob ich mich zu erkennen geben sollte. Kurzweg an ihm vorüberzureiten, wäre mir als der Gipfel der Grausamkeit erschienen; ihn jedoch begrüßen, hieß mir einen unliebsamen Gefährten aufbürden. Erfuhr er, daß ich ihm ausgewichen, so zeigte er mich sicher bei der nächsten Gelegenheit als Dieb an; und entwischte ich ihm jetzt, so mußte ich später befürchten, ihn mir zum Todfeinde zu machen. Doch da wir beide, um Nachtquartier zu nehmen, dem gleichen Dorfe zustrebten, gab es für mich keinen Ausweg. Nach diesem scharfen Ritte konnte ich mein Pferd, das der Wartung und Pflege bedurfte, unmöglich länger überanstrengen und wählte somit den Mittelweg, ihn anzusprechen, wenn er mich erkännte, doch unbemerkt an ihm vorüberzureiten, wenn das nicht der Fall wäre.

Als ich mein Pferd antrieb, um ihm näher zu kommen, schaute er mich, ohne mich zu erkennen, von oben bis unten an und rief: »O Aga, um der Barmherzigkeit willen, habt Mitleid mit einem unglücklichen Menschen, der keine andere Zuflucht in der Welt hat als Gott und Euch!«

Diesem flehentlichen Anrufen meiner besseren Gefühle vermochte ich nicht zu widerstehen, schwieg aber noch eine Weile, um zu hören, was er ferner sagen würde, und brach endlich in ein unbändiges Lachen aus. Mein Gelächter, das wohl ebenso unzeitgemäß wie sein Singen sein mochte, machte ihn so stutzig, daß er gar nicht mehr wußte, was er aus mir machen sollte. Als ich aber zu sprechen begann, da waren auch alle seine Zweifel verflogen, mit einer an Tollheit grenzenden Freude rannte er auf mich zu, küßte meine Knie und rief: »Ach Hadschi! meine Seele! mein Onkel! Licht meiner Augen! – Aus welchem Himmel bist du gefallen? Was bedeutet diese Pracht, dieses Pferd, dieses Gold, dies prächtige Zaumzeug? Bist du im Bunde mit den Dschann, oder verliebte sich das Glück in dich und ernannte dich zu seinem Erben?« Ich, auf den seine Einfälle zu komisch wirkten, konnte mich des Lachens noch immer nicht enthalten, während er fortfuhr: »Wie hast du es nur angestellt, dein Maultier in ein schönes Pferd zu verwandeln? Was ist aus meiner Habe geworden? –

Hast du vielleicht meinen weißen Esel gerettet? – Ich bin der Fußwanderung so müde! – Erzähle mir, beim Bart des Propheten, erzähle mir alles!«

Da ich mir gleich sagte, daß ich ihm mein ganzes Abenteuer erzählen müßte, weil er sonst den Verdacht hegen könnte, ich hätte seine Habe an mich genommen und damit alle die soeben von ihm bewunderten Herrlichkeiten erstanden, so versprach ich ihm sofort, alles gewissenhaft zu berichten, bat ihn aber gleichzeitig, eine gute Dosis Leichtgläubigkeit in Bereitschaft zu halten, weil das, was ich zu sagen hätte, so märchenhaft klänge, daß er wahrscheinlich meinen könnte, ich wolle ihm etwas aufbinden.

Wir begaben uns in das Dorf, wo wir im Mehman Khane oder Fremdenhause Nachtquartier nahmen, eine Bequemlichkeit, die in ganz Persien selbst das kleinste Dörfchen bietet.

Da eine Persönlichkeit mit meinem Äußeren nirgends lange verweilen kann, ohne gehöriges Aufsehen zu erregen, so bediente mich auch der Kädkhoda (Dorfvorsteher) mit der mir gebührenden Aufmerksamkeit und versprach uns ein gutes Abendessen. In der Zeit, wo dieses zubereitet wurde, erzählte ich dem Gefährten meine Abenteuer. Er verstand ihre an Wunder grenzenden Zufälligkeiten im vollsten Maße zu würdigen. Als er jedoch vernahm, daß ich meinen jetzigen Wohlstand auf Kosten seines alten Feindes, des Molla-Baschi, erlangt hatte, wollte er vor Entzücken schier sterben. Wie wir so zusammensaßen und uns gegenseitig unsere Herzen ausschütteten (denn die Unglücklichen erleichtert es im höchsten Grade, über sich selbst zu reden), sah ich ein, bisher den wahren Charakter meines Gefährten gar nicht richtig erkannt zu haben. – »Das wichtigtuerische Wesen, das Ihr früher an den Tag legtet, als ich noch in Euren Diensten stand, entsprach wohl gar nicht Eurem wirklichen Charakter? Denn ein wahrhaft hoffärtiger Mann kann unmöglich Eure Liebenswürdigkeit besitzen. »Ach, Hadschi!« antwortete er, »das Unglück verändert den Menschen gewaltig, und leider gehöre ja auch ich zu jenen, die den weisen Spruch: ›Breite deinen Teppich nie auf nassen Boden‹ niemals beherzigten. Ich baute zu sehr auf die Menschen, vor allem auf die gute Meinung des Volkes, die ich als ehrgeiziger Mann in erster Linie erstrebte. Ich habe meinem Einflusse auf das Volk zuviel vertraut und mich selber dabei verloren, bin nun, wie du siehst, ein erbärmlicher, bedauernswerter Wanderer, der ebenso bettelarm in seine Vaterstadt einzieht, wie er auszog.«

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