Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Siebenundfünfzigstes Kapitel - Hadschi erfährt Nadans Schicksal und fühlt sich schuldig

Da ich schon lange beschlossen hatte, dem Priesterstande, der mir so übel bekommen war, Valet zu sagen, machte ich mich, ganz wie ein Kaufmann gekleidet, auf die Suche nach einem Karawanenführer, der nach Kermandschah zog, um über die Miete eines Maultieres mit ihm zu verhandeln. Ich fand einen, der unter anderen auch ein überzähliges Tier besaß, das unbepackt von Teheran mitgelaufen war und das er mir für eine Kleinigkeit überließ. Nachdem ich aber all meine Habe selbst auf dem Rücken trug, paßten ich und mein Maultier vortrefflich zusammen.

Am siebenten Tage erreichten wir den Ort unserer Bestimmung, und dort hieß es sich abermals um eine neue Reisegelegenheit umsehen. Ich erfuhr, daß, bei der großen Unsicherheit der Grenze durch die räuberischen Kurden, nur eine sehr vielköpfige Karawane sich auf diese Straße wagen könne und daß daher einige Zeit verstreichen dürfte, bis sich so viele Reisende zusammenfänden. Man sagte mir aber auch, daß eine Karawane von Pilgern und Leichnamen am vorhergehenden Tage nach Kerbela aufgebrochen sei und ich diese, wenn ich es mir ein bißchen angelegen sein ließe, noch bevor sie die gefährlichen Pässe überschritten hätte, leicht einholen könnte. In der steten Angst, entdeckt und festgenommen zu werden, entschied ich mich ohne Zögern für diesen Ausweg. Mein Geld sorglich im Gürtel verwahrt, kein anderes Gepäck als einen festen Stock in der Hand, trat ich somit von Kermandschah aus meine Reise zu Fuße an.

Am Abend des dritten Tages, als ich vor Ermüdung völlig erschöpft war, erblickte ich zu meiner größten Freude weithin leuchtende Feuer, deren Rauch sich über dem Gipfel eines Hügels kräuselte; noch näher herankommend, entdeckte ich weidendes Vieh, auf der Ebene zerstreut, und meine Annahme, die Karawane müsse dicht bei der Hand sein, erwies sich als richtig. Als ich auf das zu einem hohlen Viereck aufgestapelte Gepäck zukam, weil ich dort den Führer vermutete, sah ich in einiger Entfernung ein kleines, weißes Zelt, woraus ich schloß, daß vornehme Leute mit der Karawane reisten und daß sich überdies Frauen unter diesen befänden; denn neben dem Zelte bemerkte ich eine Sänfte (Tachiravān) und einen Tragkorb (Kedschawäh). Dem Führer erklärte ich, ich wäre ein Pilger, und fand ihn bereit, mir für mein Fortkommen ein Maultier zu verschaffen. Angesichts meiner fatalen Lage wünschte ich freilich dringend, unerkannt zu bleiben, doch das stolze Bewußtsein, fünfundneunzig Toman im Gürtel zu haben, erschwerte mir nicht wenig, die nicht nur mir, sondern jedem meiner Landsleute angeborene Prahlsucht im Zaume zu halten.

Unter dem Gepäcke, unweit des Platzes, wo ich saß, befanden sich auch lange, schmale Ballen, die paarweise auf der Erde herumlagen, als hätte man sie eben von den Kamelrücken abgeladen.

Da ich niemals etwas Ähnliches gesehen hatte, fragte ich, was sie bedeuteten, und erfuhr, daß sie Leichname enthielten, die für Kerbela bestimmt waren.

»Offenbar müßt Ihr ein Fremder sein,« sagte der Führer, der über nicht weniger Redseligkeit und Mutterwitz zu verfügen schien als die Mehrzahl seiner Standesgenossen, »denn sonst wüßtet Ihr besser Bescheid. Wir führen höchst ungewöhnliche Dinge nach Kerbela.«

»Allerdings«, antwortete ich, »komme ich von weit her und bin so fremd, als wäre ich von den Bergen herniedergestiegen. Im Namen Gottes! was führt ihr nach Kerbela?«

»Wie!« rief er, »habt Ihr nicht von dem höchst seltsamen Tode des Molla-Baschi von Teheran gehört? – wie er im Bade starb – und daß hinterher sein Geist auf dem Pferde sowie in seinem Harem gesehen wurde, um dann schließlich auf dem besten Pferde des Oberexekutors auf und davon zu reiten. Wo habt Ihr nur die ganze Zeit gelebt?« fügte er mit lebhaftem Händefuchteln und Achselzucken bei.

Diese Worte beunruhigten mich aufs heftigste. Ich gab vor, rein gar nichts von allem zu wissen, und ersuchte ihn, meine Neugier hinsichtlich dieses Vorfalles zu befriedigen, was er auch auf eine Weise tat, die mich köstlich unterhalten hätte, wäre ich nicht selbst so tief in die Sache verwickelt gewesen.

»Ihr müßt nämlich wissen,« fuhr der Maultiertreiber fort, »daß das, was ich jetzt erzählen werde, auf reinster Wahrheit beruht und ich persönlich an Ort und Stelle war, als sich das Ganze zutrug. Als der Oberpriester gegen Abend, gerade nach dem Gebete, sich ins Bad begeben hatte, kehrte er, begleitet von seiner Dienerschaft, wieder nach Hause zurück, um die Nacht im ›Chelwet‹ seines Harems zu verbringen. Euch brauche ich nicht zu sagen, daß die meisten öffentlichen Bäder in Persien des Morgens bis zu einer gewissen Stunde den Frauen zur Benutzung überlassen werden, später aber nur die Männer dort Zutritt haben. Am nächsten Morgen, nachdem der Oberpriester gebadet hatte, begab sich beim ersten Tone des Kuhhorns die Frau des Oberpriesters samt ihren Sklavinnen ins nämliche Bad, und sie und ihr Gefolge waren die ersten, die es an diesem Tage benutzten. Aus Respekt vor der Herrin hätte keine der Sklavinnen gewagt, das Wasserbecken vor ihr zu betreten.

»Da die Morgendämmerung die Kuppel des Bades nur trübe erhellte, herrschte, als die Frau des Oberpriesters ins Wasser stieg, nahezu völlige Dunkelheit; darum denkt Euch, welches Entsetzen sie erfaßte, als ihre Hand, kaum daß sie zwei Schritte vorwärts gemacht, eine im Wasser schwimmende, fette Fleischmasse berührte. Ihr erstes war, einen gellenden Schrei auszustoßen, aus dem Wasser, als ob sie verfolgt würde, herauszutaumeln und dann der Länge nach bewußtlos hinzuschlagen. Selbstverständlich rief dies die größte Bestürzung bei ihren Sklavinnen hervor, und wenn es auch eine oder die andere wagte, ganz schüchtern hineinzuspähen, den eigentlichen Grund des Entsetzens entdeckte keine. Die älteste der Sklavinnen, die sich ein Herz nahm und mutig ins Wasserbecken hineinschaute, sah zu ihrem größten Schrecken einen toten Körper darin schwimmen. Die Folge davon war ein so verdoppeltes Schreien und Kreischen, daß die Frau des Oberpriesters, die dieser Lärm wieder zur Besinnung brachte, sich aufraffte, um selbst den Fall zu untersuchen.

»Die Formen des im Wasser schwimmenden und aufgetriebenen Leichnams waren jedoch so seltsam verändert, daß es nahezu unmöglich war, ihn zu erkennen, bis endlich die alte Sklavin Gesicht und Kopf besser beleuchtete und hierauf alle aufschrien: ›O Ali, es ist der Molla – – es ist der Molla-Baschi!‹

»Daraufhin fiel die Frau neuerdings in Ohnmacht; die Sklavinnen kreischten aus Leibeskräften weiter, kurz, die Verwirrung unter ihnen war eine so ganz unbeschreibliche, als hätten alle das ›Alarmsignal der Trompeten gehört, die zur Auferstehung blasen!‹

»Doch inmitten all des Wehgeschreis, das unterdessen alle Weiber von draußen ins Bad gelockt hatte, rief eine der Sklavinnen: ›Aber es kann ja gar nicht unser Aga sein! Ich sah ihn aus dem Bade heimkehren, ich machte ihm das Bett und bin sicher, daß er bald darauf einschlief. Da es nicht möglich ist, zu gleicher Zeit im Bette zu schlafen und zu ertrinken, so muß das hier jemand anderes sein!‹ Diese Bemerkung vermehrte nur die allgemeine Bestürzung; denn nun fürchteten alle, daß das, was die Sklavin gesehen hatte, der Geist des Mollas gewesen sein müsse. ›Seht her!‹ rief die Frau, die wieder ganz zu sich gekommen war, und deutete auf das Gesicht des Leichnams, ›hier ist der wunde Fleck, wo ich ihn gestern noch kratzte!‹ ›Und da‹, rief eine der Dienerinnen, ›ist die kahle Stelle im Bart, aus dem Ihr ihm noch gestern eine ganze Handvoll Haare ausgerissen habt!‹

»Die Erinnerungen an diese Zärtlichkeitsbeweise entlockten der beklagenswerten Witwe erneute Tränenströme, denen nur die Versicherung der Sklavin, er müsse noch am Leben sein, Einhalt gebot. – ›Hätte er mir sonst die Lampe aus der Hand nehmen können?‹, meinte sie, ›die Tür zuschließen, mich entlassen und dann so schnarchen?‹ Sie war von der Richtigkeit ihrer Behauptungen so fest überzeugt, daß sie sich sofort ankleidete und erbötig war, in das Schlafzimmer ihres Gebieters zu gehen, wo sie ihn zweifellos im Bette finden würde. ›Aber wenn er dort ist,‹ sagte eine der Frauen, ›was bedeutet dann dies hier?‹ und deutete auf den Leichnam. ›Nun, das wird sein Geist sein!‹ meinte eine andere. ›Fürwahr, kann denn ein Mann zwei Körper besitzen, einen für den Werktag und einen zur Abwechslung für feierliche Gelegenheiten?‹ ›Ach,‹ rief eine Mutwillige, ›das wäre doch ganz was Neues – er könnte ja dann von ihnen Gebrauch machen, wie man ein Stadthaus und ein Landhaus benutzt!‹

»Die ganze Zeit über hatten sich noch manche Badende dazugesellt, denen sich andere anschlossen, die nur gaffen wollten, während die Frauen des Oberpriesters immerzu durchdringende Wehklagen ausstießen, die sich nur noch steigerten, als die inzwischen zurückgekehrte Sklavin berichtete, sie hätte keinen Molla vorgefunden, außer dem Eindrucke seines Körpers im Bette habe dieser nicht die geringste Spur zurückgelassen. Der Vorfall redete sich herum, ein Menschenhaufen umlagerte das Bad und verlangte energisch Einlaß; kurz, noch ehe die Frauen Zeit gefunden hatten, sich anzukleiden, wimmelte es schon von Männern im Bade. Die Verwirrung, die daraus entstand, war schrecklicher als irgendeine, die sich je in einem öffentlichen Bade Teherans ereignet hatte. Das war ein Schreien und Jammern der Frauen des Oberpriesters, ein Lärm und ein Getöse aller jener, die sich gegen das Eindringen der Männer wehrten, mit einem Worte: ein Tumult ohnegleichen.

»Endlich erschienen die Verwandten und Freunde des Oberpriesters und mit diesen die Leichenwäscher, die den Verstorbenen sofort in die Leichenwäscherei trugen, wo er einbalsamiert und für die Reise nach Kerbela hergerichtet wurde; denn ihn dort zu bestatten, hielt man für angemessen. Seine Witwe tat ihren Entschluß kund, ihn dorthin zu begleiten, und meine Maultiere«, fügte der Erzähler hinzu, »wurden aus dieser Veranlassung gemietet. Das Zelt da drüben wird von ihr und ihren Sklavinnen bewohnt, und da«, auf die großen Ballen deutend, »liegt der Kadaver ihres Mannes. Die andern Leichname, die außerdem mitgeführt werden, sind die irdischen Überreste solcher Leute, die sowohl in Teheran als auf unserem Wege hierher, ungefähr zur gleichen Zeit starben, als der Vorfall sich zutrug, und sollen nun als eine Art von Ehrengefolge unter dem besonderen Schutze dieses Mannes begraben werden, weil man hofft, er werde ihnen am Jüngsten Tage bei der Auferstehung hilfreich die Hand leihen, damit auch sie ins Paradies eingehen.«

Hier hielt der Führer inne, während mich der letzte Teil seiner Rede so bewegte, daß ich vor Angst schier verstummte. Ich, der ich mich so bemüht hatte, der Gefahr zu entrinnen, war ihr nun geradewegs in den Rachen gelaufen. Bekamen mich aber die Diener des Oberpriesters, von denen ich einige sehr gut kannte, zu Gesicht, so mußte das zu meiner Entdeckung führen.

»Doch was ereignete sich, als man den Verstorbenen aus dem Bade weggetragen hatte?« fragte ich, der gerne wissen wollte, ob man meine Kleider gefunden hätte.

»Beim Haupte Alis!« antwortete der Führer, »daran kann ich mich nicht mehr recht erinnern. Ich weiß nur, daß endlose Gerüchte im Umlauf waren und jeder etwas anderes wußte. Einige behaupteten, der Molla-Baschi sei, nachdem er im Bade ertrunken, in seinem Enderun gesehen worden und dann zu Bett gegangen. Andere, daß er am nächsten Morgen beim Oberexekutor erschienen und auf einem seiner besten Pferde davongeritten sei. Der Oberexekutor zeigte einen Brief, mit seinem Siegel versehen, herum, worin ihm jener die Erlaubnis gab, Wein zu trinken. Kurz, es gingen so mannigfache und so widersprechende Gerüchte, daß kein Mensch mehr wußte, was er glauben sollte. Alle zerbrachen sich den Kopf, wie er es möglich gemacht habe, lebendig aus dem Bade zu kommen, wie das seine Diener und der Bademeister bestätigten, und doch tot im Wasserbecken zu liegen.

»Je tollere Dinge man vermutete, desto verwickelter wurde der Fall, bis man eine Entdeckung machte, die ein ungeheuerliches Licht auf die Sache warf. In einem dunklen Winkel des Bades wurden einige zerfetzte und zerlumpte Kleidungsstücke gefunden und unschwer festgestellt, daß sie einem gewissen Hadschi Baba gehörten, einem Faselhans von Priester, der Diener beim berüchtigten Unruhestifter Molla Nadan, dem offenkundigen und geschworenen Todfeinde des Hauptes des Gesetzes, gewesen war. ›Hadschi Baba ist der Mörder!‹ hieß es. – ›Zweifellos ermordete er den heiligen Mann! – Mit seinem Blute soll er das bezahlen!‹ – und die ganze Stadt war auf der Suche nach Hadschi Baba. Viele beschuldigten Nadan der Tat; kurz, es wurden Beamte im ganzen Lande ausgesandt, um die beiden zu ergreifen und sie tot oder lebendig nach Teheran zu bringen.

»Ich wünschte nur, mein Glück wäre so im Aufstiege, daß mir einer oder der andere in die Hände fiele,« meinte der Führer; »der Fang brächte mir mehr ein als alles, was man mir für meine Maultiere bis Kerbela bezahlt.«

Ich überlasse es jedem, sich in die Gefühle zu versetzen, die mich übermannten, als ich diese Reden vernahm, ich, ein Mensch, der niemals groß darin war, Schwierigkeiten mutig ins Gesicht zu sehen, der der Schnelligkeit seiner Beine weit mehr als jeder anderen Vorsichtsmaßregel vertraute und jetzt einsah, daß eine Umkehr weit mehr Gefahren bot als ein Vorwärtsgehen. Da wir uns binnen kurzer Zeit auf dem Gebiete einer anderen Regierung befinden mußten, so gelobte ich, mich getreulich in die Falten meiner eigenen Klugheit einzuwickeln und meine Reise mit der Vorsicht eines Mannes fortzusetzen, der sich von drohenden Gefahren umgeben weiß.

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