Siebenundfünfzigstes Kapitel - Hadschi erfährt Nadans
Schicksal und fühlt sich schuldig
Da ich schon lange beschlossen hatte, dem Priesterstande,
der mir so übel bekommen war, Valet zu sagen, machte ich mich,
ganz wie ein Kaufmann gekleidet, auf die Suche nach einem
Karawanenführer, der nach Kermandschah zog, um über die Miete
eines Maultieres mit ihm zu verhandeln. Ich fand einen, der
unter anderen auch ein überzähliges Tier besaß, das unbepackt
von Teheran mitgelaufen war und das er mir für eine
Kleinigkeit überließ. Nachdem ich aber all meine Habe selbst
auf dem Rücken trug, paßten ich und mein Maultier vortrefflich
zusammen.
Am siebenten Tage erreichten wir den Ort unserer
Bestimmung, und dort hieß es sich abermals um eine neue
Reisegelegenheit umsehen. Ich erfuhr, daß, bei der großen
Unsicherheit der Grenze durch die räuberischen Kurden, nur
eine sehr vielköpfige Karawane sich auf diese Straße wagen
könne und daß daher einige Zeit verstreichen dürfte, bis sich
so viele Reisende zusammenfänden. Man sagte mir aber auch, daß
eine Karawane von Pilgern und Leichnamen am vorhergehenden
Tage nach Kerbela aufgebrochen sei und ich diese, wenn ich es
mir ein bißchen angelegen sein ließe, noch bevor sie die
gefährlichen Pässe überschritten hätte, leicht einholen
könnte. In der steten Angst, entdeckt und festgenommen zu
werden, entschied ich mich ohne Zögern für diesen Ausweg. Mein
Geld sorglich im Gürtel verwahrt, kein anderes Gepäck als
einen festen Stock in der Hand, trat ich somit von
Kermandschah aus meine Reise zu Fuße an.
Am Abend des dritten Tages, als ich vor Ermüdung völlig
erschöpft war, erblickte ich zu meiner größten Freude weithin
leuchtende Feuer, deren Rauch sich über dem Gipfel eines
Hügels kräuselte; noch näher herankommend, entdeckte ich
weidendes Vieh, auf der Ebene zerstreut, und meine Annahme,
die Karawane müsse dicht bei der Hand sein, erwies sich als
richtig. Als ich auf das zu einem hohlen Viereck aufgestapelte
Gepäck zukam, weil ich dort den Führer vermutete, sah ich in
einiger Entfernung ein kleines, weißes Zelt, woraus ich schloß,
daß vornehme Leute mit der Karawane reisten und daß sich
überdies Frauen unter diesen befänden; denn neben dem Zelte
bemerkte ich eine Sänfte (Tachiravān) und einen Tragkorb (Kedschawäh).
Dem Führer erklärte ich, ich wäre ein Pilger, und fand ihn
bereit, mir für mein Fortkommen ein Maultier zu verschaffen.
Angesichts meiner fatalen Lage wünschte ich freilich dringend,
unerkannt zu bleiben, doch das stolze Bewußtsein,
fünfundneunzig Toman im Gürtel zu haben, erschwerte mir nicht
wenig, die nicht nur mir, sondern jedem meiner Landsleute
angeborene Prahlsucht im Zaume zu halten.
Unter dem Gepäcke, unweit des Platzes, wo ich saß, befanden
sich auch lange, schmale Ballen, die paarweise auf der Erde
herumlagen, als hätte man sie eben von den Kamelrücken
abgeladen.
Da ich niemals etwas Ähnliches gesehen hatte, fragte ich,
was sie bedeuteten, und erfuhr, daß sie Leichname enthielten,
die für Kerbela bestimmt waren.
»Offenbar müßt Ihr ein Fremder sein,« sagte der Führer, der
über nicht weniger Redseligkeit und Mutterwitz zu verfügen
schien als die Mehrzahl seiner Standesgenossen, »denn sonst
wüßtet Ihr besser Bescheid. Wir führen höchst ungewöhnliche
Dinge nach Kerbela.«
»Allerdings«, antwortete ich, »komme ich von weit her und
bin so fremd, als wäre ich von den Bergen herniedergestiegen.
Im Namen Gottes! was führt ihr nach Kerbela?«
»Wie!« rief er, »habt Ihr nicht von dem höchst seltsamen
Tode des Molla-Baschi von Teheran gehört? – wie er im Bade
starb – und daß hinterher sein Geist auf dem Pferde sowie in
seinem Harem gesehen wurde, um dann schließlich auf dem besten
Pferde des Oberexekutors auf und davon zu reiten. Wo habt Ihr
nur die ganze Zeit gelebt?« fügte er mit lebhaftem
Händefuchteln und Achselzucken bei.
Diese Worte beunruhigten mich aufs heftigste. Ich gab vor,
rein gar nichts von allem zu wissen, und ersuchte ihn, meine
Neugier hinsichtlich dieses Vorfalles zu befriedigen, was er
auch auf eine Weise tat, die mich köstlich unterhalten hätte,
wäre ich nicht selbst so tief in die Sache verwickelt gewesen.
»Ihr müßt nämlich wissen,« fuhr der Maultiertreiber fort, »daß
das, was ich jetzt erzählen werde, auf reinster Wahrheit
beruht und ich persönlich an Ort und Stelle war, als sich das
Ganze zutrug. Als der Oberpriester gegen Abend, gerade nach
dem Gebete, sich ins Bad begeben hatte, kehrte er, begleitet
von seiner Dienerschaft, wieder nach Hause zurück, um die
Nacht im ›Chelwet‹ seines Harems zu verbringen. Euch brauche
ich nicht zu sagen, daß die meisten öffentlichen Bäder in
Persien des Morgens bis zu einer gewissen Stunde den Frauen
zur Benutzung überlassen werden, später aber nur die Männer
dort Zutritt haben. Am nächsten Morgen, nachdem der
Oberpriester gebadet hatte, begab sich beim ersten Tone des
Kuhhorns die Frau des Oberpriesters samt ihren Sklavinnen ins
nämliche Bad, und sie und ihr Gefolge waren die ersten, die es
an diesem Tage benutzten. Aus Respekt vor der Herrin hätte
keine der Sklavinnen gewagt, das Wasserbecken vor ihr zu
betreten.
»Da die Morgendämmerung die Kuppel des Bades nur trübe
erhellte, herrschte, als die Frau des Oberpriesters ins Wasser
stieg, nahezu völlige Dunkelheit; darum denkt Euch, welches
Entsetzen sie erfaßte, als ihre Hand, kaum daß sie zwei
Schritte vorwärts gemacht, eine im Wasser schwimmende, fette
Fleischmasse berührte. Ihr erstes war, einen gellenden Schrei
auszustoßen, aus dem Wasser, als ob sie verfolgt würde,
herauszutaumeln und dann der Länge nach bewußtlos
hinzuschlagen. Selbstverständlich rief dies die größte
Bestürzung bei ihren Sklavinnen hervor, und wenn es auch eine
oder die andere wagte, ganz schüchtern hineinzuspähen, den
eigentlichen Grund des Entsetzens entdeckte keine. Die älteste
der Sklavinnen, die sich ein Herz nahm und mutig ins
Wasserbecken hineinschaute, sah zu ihrem größten Schrecken
einen toten Körper darin schwimmen. Die Folge davon war ein so
verdoppeltes Schreien und Kreischen, daß die Frau des
Oberpriesters, die dieser Lärm wieder zur Besinnung brachte,
sich aufraffte, um selbst den Fall zu untersuchen.
»Die Formen des im Wasser schwimmenden und aufgetriebenen
Leichnams waren jedoch so seltsam verändert, daß es nahezu
unmöglich war, ihn zu erkennen, bis endlich die alte Sklavin
Gesicht und Kopf besser beleuchtete und hierauf alle
aufschrien: ›O Ali, es ist der Molla – – es ist der
Molla-Baschi!‹
»Daraufhin fiel die Frau neuerdings in Ohnmacht; die
Sklavinnen kreischten aus Leibeskräften weiter, kurz, die
Verwirrung unter ihnen war eine so ganz unbeschreibliche, als
hätten alle das ›Alarmsignal der Trompeten gehört, die zur
Auferstehung blasen!‹
»Doch inmitten all des Wehgeschreis, das unterdessen alle
Weiber von draußen ins Bad gelockt hatte, rief eine der
Sklavinnen: ›Aber es kann ja gar nicht unser Aga sein! Ich sah
ihn aus dem Bade heimkehren, ich machte ihm das Bett und bin
sicher, daß er bald darauf einschlief. Da es nicht möglich
ist, zu gleicher Zeit im Bette zu schlafen und zu ertrinken,
so muß das hier jemand anderes sein!‹ Diese Bemerkung
vermehrte nur die allgemeine Bestürzung; denn nun fürchteten
alle, daß das, was die Sklavin gesehen hatte, der Geist des
Mollas gewesen sein müsse. ›Seht her!‹ rief die Frau, die
wieder ganz zu sich gekommen war, und deutete auf das Gesicht
des Leichnams, ›hier ist der wunde Fleck, wo ich ihn gestern
noch kratzte!‹ ›Und da‹, rief eine der Dienerinnen, ›ist die
kahle Stelle im Bart, aus dem Ihr ihm noch gestern eine ganze
Handvoll Haare ausgerissen habt!‹
»Die Erinnerungen an diese Zärtlichkeitsbeweise entlockten
der beklagenswerten Witwe erneute Tränenströme, denen nur die
Versicherung der Sklavin, er müsse noch am Leben sein, Einhalt
gebot. – ›Hätte er mir sonst die Lampe aus der Hand nehmen
können?‹, meinte sie, ›die Tür zuschließen, mich entlassen und
dann so schnarchen?‹ Sie war von der Richtigkeit ihrer
Behauptungen so fest überzeugt, daß sie sich sofort ankleidete
und erbötig war, in das Schlafzimmer ihres Gebieters zu gehen,
wo sie ihn zweifellos im Bette finden würde. ›Aber wenn er
dort ist,‹ sagte eine der Frauen, ›was bedeutet dann dies
hier?‹ und deutete auf den Leichnam. ›Nun, das wird sein Geist
sein!‹ meinte eine andere. ›Fürwahr, kann denn ein Mann zwei
Körper besitzen, einen für den Werktag und einen zur
Abwechslung für feierliche Gelegenheiten?‹ ›Ach,‹ rief eine
Mutwillige, ›das wäre doch ganz was Neues – er könnte ja dann
von ihnen Gebrauch machen, wie man ein Stadthaus und ein
Landhaus benutzt!‹
»Die ganze Zeit über hatten sich noch manche Badende
dazugesellt, denen sich andere anschlossen, die nur gaffen
wollten, während die Frauen des Oberpriesters immerzu
durchdringende Wehklagen ausstießen, die sich nur noch
steigerten, als die inzwischen zurückgekehrte Sklavin
berichtete, sie hätte keinen Molla vorgefunden, außer dem
Eindrucke seines Körpers im Bette habe dieser nicht die
geringste Spur zurückgelassen. Der Vorfall redete sich herum,
ein Menschenhaufen umlagerte das Bad und verlangte energisch
Einlaß; kurz, noch ehe die Frauen Zeit gefunden hatten, sich
anzukleiden, wimmelte es schon von Männern im Bade. Die
Verwirrung, die daraus entstand, war schrecklicher als
irgendeine, die sich je in einem öffentlichen Bade Teherans
ereignet hatte. Das war ein Schreien und Jammern der Frauen
des Oberpriesters, ein Lärm und ein Getöse aller jener, die
sich gegen das Eindringen der Männer wehrten, mit einem Worte:
ein Tumult ohnegleichen.
»Endlich erschienen die Verwandten und Freunde des
Oberpriesters und mit diesen die Leichenwäscher, die den
Verstorbenen sofort in die Leichenwäscherei trugen, wo er
einbalsamiert und für die Reise nach Kerbela hergerichtet
wurde; denn ihn dort zu bestatten, hielt man für angemessen.
Seine Witwe tat ihren Entschluß kund, ihn dorthin zu
begleiten, und meine Maultiere«, fügte der Erzähler hinzu,
»wurden aus dieser Veranlassung gemietet. Das Zelt da drüben
wird von ihr und ihren Sklavinnen bewohnt, und da«, auf die
großen Ballen deutend, »liegt der Kadaver ihres Mannes. Die
andern Leichname, die außerdem mitgeführt werden, sind die
irdischen Überreste solcher Leute, die sowohl in Teheran als
auf unserem Wege hierher, ungefähr zur gleichen Zeit starben,
als der Vorfall sich zutrug, und sollen nun als eine Art von
Ehrengefolge unter dem besonderen Schutze dieses Mannes
begraben werden, weil man hofft, er werde ihnen am Jüngsten
Tage bei der Auferstehung hilfreich die Hand leihen, damit
auch sie ins Paradies eingehen.«
Hier hielt der Führer inne, während mich der letzte Teil
seiner Rede so bewegte, daß ich vor Angst schier verstummte.
Ich, der ich mich so bemüht hatte, der Gefahr zu entrinnen,
war ihr nun geradewegs in den Rachen gelaufen. Bekamen mich
aber die Diener des Oberpriesters, von denen ich einige sehr
gut kannte, zu Gesicht, so mußte das zu meiner Entdeckung
führen.
»Doch was ereignete sich, als man den Verstorbenen aus dem
Bade weggetragen hatte?« fragte ich, der gerne wissen wollte,
ob man meine Kleider gefunden hätte.
»Beim Haupte Alis!« antwortete der Führer, »daran kann ich
mich nicht mehr recht erinnern. Ich weiß nur, daß endlose
Gerüchte im Umlauf waren und jeder etwas anderes wußte. Einige
behaupteten, der Molla-Baschi sei, nachdem er im Bade
ertrunken, in seinem Enderun gesehen worden und dann zu Bett
gegangen. Andere, daß er am nächsten Morgen beim Oberexekutor
erschienen und auf einem seiner besten Pferde davongeritten
sei. Der Oberexekutor zeigte einen Brief, mit seinem Siegel
versehen, herum, worin ihm jener die Erlaubnis gab, Wein zu
trinken. Kurz, es gingen so mannigfache und so widersprechende
Gerüchte, daß kein Mensch mehr wußte, was er glauben sollte.
Alle zerbrachen sich den Kopf, wie er es möglich gemacht habe,
lebendig aus dem Bade zu kommen, wie das seine Diener und der
Bademeister bestätigten, und doch tot im Wasserbecken zu
liegen.
»Je tollere Dinge man vermutete, desto verwickelter wurde
der Fall, bis man eine Entdeckung machte, die ein
ungeheuerliches Licht auf die Sache warf. In einem dunklen
Winkel des Bades wurden einige zerfetzte und zerlumpte
Kleidungsstücke gefunden und unschwer festgestellt, daß sie
einem gewissen Hadschi Baba gehörten, einem Faselhans von
Priester, der Diener beim berüchtigten Unruhestifter Molla
Nadan, dem offenkundigen und geschworenen Todfeinde des
Hauptes des Gesetzes, gewesen war. ›Hadschi Baba ist der
Mörder!‹ hieß es. – ›Zweifellos ermordete er den heiligen
Mann! – Mit seinem Blute soll er das bezahlen!‹ – und die
ganze Stadt war auf der Suche nach Hadschi Baba. Viele
beschuldigten Nadan der Tat; kurz, es wurden Beamte im ganzen
Lande ausgesandt, um die beiden zu ergreifen und sie tot oder
lebendig nach Teheran zu bringen.
»Ich wünschte nur, mein Glück wäre so im Aufstiege, daß mir
einer oder der andere in die Hände fiele,« meinte der Führer;
»der Fang brächte mir mehr ein als alles, was man mir für
meine Maultiere bis Kerbela bezahlt.«
Ich überlasse es jedem, sich in die Gefühle zu versetzen,
die mich übermannten, als ich diese Reden vernahm, ich, ein
Mensch, der niemals groß darin war, Schwierigkeiten mutig ins
Gesicht zu sehen, der der Schnelligkeit seiner Beine weit mehr
als jeder anderen Vorsichtsmaßregel vertraute und jetzt
einsah, daß eine Umkehr weit mehr Gefahren bot als ein
Vorwärtsgehen. Da wir uns binnen kurzer Zeit auf dem Gebiete
einer anderen Regierung befinden mußten, so gelobte ich, mich
getreulich in die Falten meiner eigenen Klugheit einzuwickeln
und meine Reise mit der Vorsicht eines Mannes fortzusetzen,
der sich von drohenden Gefahren umgeben weiß.