Neunundfünfzigstes Kapitel - Hadschi erreicht Bagdad und
findet dort einen alten Freund
Die Witwe des Molla-Baschi samt ihrem Gefolge ließ ich in
den Händen der Kurden zurück und trachtete selbst, möglichst
bald Bagdad, den Ort meiner Bestimmung, zu erreichen. Nach
allem, was sich kürzlich ereignet hatte, gelüstete es mich
nicht im geringsten nach irgendeinem Anschluß, sondern ich war
im Gegenteile bemüht, mein ganzes Verhalten tunlichst
unauffällig einzurichten.
Auf der Straße trieben sich zahlreiche, von den Kurden
versprengte Flüchtlinge herum, die, alle mehr oder minder am
Schicksale der Karawane beteiligt, den Schauplatz des
Überfalles in nächster Nähe umkreisten und hofften, dort
entweder ihre Freunde oder ihre Habe wiederzufinden.
Ich schien wirklich der einzige zu sein, dem dies nicht am
Herzen lag, denn kaum hatte ich mich zwei oder drei Parasangen
weit von der gefährlichen Stelle entfernt, so fand ich mich
als Alleinbeherrscher der Straße.
Alles, was ich erlebt hatte, überdachte ich nochmals von
Anfang bis zu Ende recht gründlich, um zur Überzeugung zu
kommen, daß, nachdem mich das Schicksal so mächtig beschützt,
ich es wiederum wagen dürfte, die Pfade des Ehrgeizes zu
wandeln, und hoffen könnte, die baldige Erfüllung eines
märchenhaften, ungeahnten Glückes werde alle meine jüngst so
kläglich gescheiterten Versuche, emporzukommen, wieder
wettmachen.
Mit fünfundneunzig Toman im Gürtel und der ganzen Welt vor
mir konnte es mir in der Zukunft doch nicht fehlen; und
vorausgesetzt, daß Nadan durch einen Mörser in die Luft
gesprengt und die Priesterswitwe durch die Kurden festgehalten
und zugrunde gerichtet wurde, konnte mich dann noch irgend
etwas hindern, meine Mütze ebenso schief aufzusetzen wie der
verdienstvollste Mann in ganz Persien? Endlich tauchten die
Mauern und Türme Bagdads, einer Stadt, die ich als völlig
Fremder und ohne jegliche Ortskenntnis betrat, vor mir auf.
Ich wußte, daß dort Karawansereien in allen Richtungen zu
finden seien; doch da es mir ganz gleichgültig war, wo ich
abstieg, überließ ich es meinem Maultier, den Weg allein zu
finden. Das mit jeder Straße wohlvertraute Tier brachte mich
vor eine Karawanserei, wo es jedenfalls seit langer Zeit
gewohnt war, einzukehren. Als es im Hofe stille stand, grunzte
es ein paarmal in der sicheren Erwartung, seine
Karawanengefährten wiederzufinden. In diesem Punkte erlebte
das Maultier eine Enttäuschung, ich hingegen traf einige
Landsleute im Hofe an, die, wie ich erfuhr, gewöhnlich hier
zusammenzukommen pflegten. Ich hatte mir geschmeichelt, mich
in Bagdad, ohne die allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen,
überall frei und unbemerkt bewegen zu können, was aber leider
nicht der Fall sein sollte. Da man die Karawane stündlich
erwartete, so wurde ich schon beim Absteigen mit tausend
Fragen bestürmt, denn die Kaufleute harrten auf ihre Güter und
meinten, ich könnte ihnen über diese Sache wohl die besten
Auskünfte geben. Bei dieser Gelegenheit beschränkte ich mich
auf die allernotwendigsten Antworten, war jedoch innerlich
fest entschlossen, diese neugierige Gesellschaft schleunigst
zu verlassen, um mich, fernab des öffentlichen Lebens, zu
verbergen. Demzufolge überließ ich mein Maultier, von dem ich
wußte, daß sein Eigentümer bald ankommen müsse und es wieder
in seinen Besitz nehmen konnte, seinem Schicksale, während ich
auf der Stelle in einem andern Stadtteile unterzukommen
trachtete. Um mich möglichst unkenntlich zu machen, war mein
erstes, meine, von Wind und Wetter ganz schadhaft gewordene
Mütze durch die landesübliche Kopfbedeckung zu ersetzen, die
in einem langen roten Tuchbeutel bestand, der als Lappen nach
rückwärts fällt und mittels buntscheckigen Seidenstoffes auf
dem Kopfe befestigt wird. Ferner erstand ich aus zweiter Hand
einen ›Benitsche‹ oder Mantel, wie ihn die Türken zu tragen
pflegen, der, über meine persische Gewandung geworfen, mir
vollkommen das Aussehen eines Osmanli gab, und vollendete
hierauf meinen Anzug durch ein paar leuchtendrote
Saffianpantoffeln. Nachdem ich alles dieses erstanden hatte,
dachte ich, es könnte mir doch recht zum Nutzen gereichen,
mich bei der Familie meines früheren Herrn, Osman Aga,
einzuführen, der mich später mit den Kaufleuten der Stadt
bekannt machen konnte, die wiederum in der Lage waren, mich in
geschäftlicher Hinsicht kräftigst zu unterstützen.
Ich machte mich auf, besuchte auf meinem Wege die großen
Basare und blieb vor allem dort stehen, wo Lammfelle
feilgeboten wurden. Erinnerte ich mich doch zu gut, daß Osman
stets gerade für diesen Artikel ein besonders warmes Interesse
gezeigt hatte, und entsann mich gleichfalls zahlreicher
besonderer Kennzeichen Bagdads, die er mir einst auf unseren
gemeinschaftlichen Reisen mit besonderer Vorliebe so genau zu
beschreiben pflegte, daß ich mir einbildete, ich könnte, fast
ohne zu fragen, den Weg zu seinem Hause finden.
Dieser Mühe sollte ich übrigens bald enthoben werden, denn
kaum hatte ich nur den Kopf in den Laden eines der ersten
Kaufleute aus Bokhara hineingesteckt, um mich zu erkundigen,
ob er etwas von einem gewissen Osman Aga wüßte, als mir sofort
eine wohlbekannte Stimme entgegentönte, die sagte: »Wer fragt
nach mir? Im Namen des Propheten! – der bin ich!«
Wer beschreibt meine Freude, meine Überraschung: es war der
alte Mann selbst! Mein Erstaunen, ihn sofort hier in Bagdad zu
finden, war nicht minder groß als seinerzeit meine
Überraschung, ihn in Teheran anzutreffen.
Von meinen Erlebnissen erzählte ich ihm genau so viel, als
mir unbedingt nötig dünkte. Er seinerseits berichtete mir, daß
er Teheran verlassen und den Entschluß gefaßt habe, nach
Konstantinopel zu gehen, um seine Waren dort loszuschlagen. Da
aber die Straße von Eriwan nach Erzerum unsicher sein sollte,
so hatte er vorgezogen, seine Vaterstadt, die er seit vielen
Jahren nicht gesehen hatte, wieder aufzusuchen. Unterdessen
war sein Sohn zum Manne herangereift. Nachdem dieser, im
Glauben, seinen Vater verloren zu haben, alle Zeremonien der
Trauer um ihn durchgemacht hatte, trat er in den rechtmäßigen
Besitz seines Vermögens, nicht ohne vorher den seiner Mutter
und Schwester rechtlich zukommenden Teil auszuzahlen. Sobald
ihm aber der Vater wiedergegeben wurde, machte er kein saures
Gesicht, sondern tat, wie es der Koran vorschreibt, der den
Menschen befiehlt, gütig gegen die Eltern zu sein und nicht zu
ihnen zu sagen: »Pfui über euch!«
Der alte Mann fügte noch hinzu, er hätte seine Frau am
Leben gefunden und seine Tochter sei im heiratsfähigen Alter.
Nachdem er sich mit Mühe aufgerafft hatte, mir in Kürze
seine Abenteuer zu erzählen, fiel er mit einem Male in einen
so gereizten Ton, wie ich ihn vorher nie bei ihm vernommen
hatte, und sagte: »Hadschi Baba, mein Freund, jetzt aber sage
mir im Namen des heiligen Propheten, warum brachtest du mich,
damit ich meine Zeit recht angenehm verlebe, damals mit jenem
weiblichen Teufel zusammen? Beim Salz, das wir so oft zusammen
aßen! die wenigen Tage, die ich mit ihr gemeinschaftlich
hauste, waren mit weit mehr Jammer und Elend erfüllt als die
ganze Zeit meiner Gefangenschaft bei den Turkmenen!« –
Schüchtern versicherte ich ihm, ich hätte einzig und allein
nur sein Glück im Auge gehabt und sicher angenommen, eine
Frau, die einst die Favoritin des persischen Monarchen
gewesen, besäße selbst in ihren späteren Tagen noch übergenug
Reize für jemand, der seine besten Jahre unter Kamelen
zugebracht habe. – »Mit Kamelen! mit Kamelen, in der Tat!«
rief Osman; »aber die sind Engel im Vergleiche mit dieser
Furie! Wollte der Himmel, du hättest mich mit einem Kamel
verheiratet! das arme Tier wäre ruhig und still, mit
gedankenvollem Ernste dagelegen und hätte mich weder gestört
noch gepeinigt, während deine Viper, dein Drache ihre ganze
Zeit damit verbrachte, mir vorzusagen, wie geehrt ich mich
fühlen müsse, in ihr eine Frau zu besitzen, die einst den
Schah beim Barte gängelte, und obendrein jedes Wort mit einem
Kratzer oder Schlage zu bekräftigen pflegte. Amān, Amān!«
stöhnte der alte Mann und rieb sich die Backe, als fühle er
noch ihre Finger in seinem Gesichte.
Schließlich gelang es mir auch, ihn zu überzeugen, daß ich
wirklich nur sein Glück im Auge gehabt hätte, woraufhin mir
der gutmütige Mann in der freundlichsten Weise anbot, während
meines Aufenthaltes in Bagdad als Gast in seinem Hause zu
wohnen, was ich mit dem größten Danke annahm. Im Laufe dieser
Unterhaltung, die im Hinterzimmer des Kaufmannes aus Bokhara
stattfand, bewirtete mich der Alte mit Kaffee, den er um acht
Para aus einem benachbarten Kaffeehause hatte holen lassen,
schlug mir dann vor, mit ihm in den Laden seines Sohnes, mit
Namen Sulaiman, zu gehen, der sich im gleichen Basare, nur
einige Türen weiter entfernt, befand, da er während der langen
Abwesenheit seines Vaters einen Tuchhandel begonnen hatte, der
ihm sein gutes Auskommen sicherte. Gleich Osman war dieser ein
kleiner, dicker, untersetzter Mann, der mich, als man ihm
sagte, ich sei Hadschi Baba, von dem er wohl schon oft gehört
hätte, aufs freundlichste bewillkommte, sogar die Pfeife aus
seinem Mund nahm, um sie in den meinen zu stecken.
Das herzliche Entgegenkommen dieser beiden gutmütigen Leute
eröffnete mir die freudige Aussicht eines ebenso ruhigen wie
sorglosen Aufenthaltes in Bagdad. Zum Beweise, daß ich nicht
gewillt sei, ihnen ausschließlich zur Last zu fallen, tat ich
ihnen zu wissen, daß ich fünfundneunzig Toman besäße, und bat
sie gleichzeitig um ihren Rat, wie diese am vorteilhaftesten
im Handel anzulegen seien. Ich gab ihnen ebenfalls zu
verstehen, daß ich es müde sei, von einem abenteuerreichen
Leben in der Welt herumgestoßen zu werden, und den Vorsatz
gefaßt habe, mir in Zukunft durch eigenen Fleiß meine
Unabhängigkeit zu sichern. »Viele«, sagte ich, »haben mit noch
weit weniger angefangen und schließlich doch Reichtümer
erworben!« was Vater und Sohn bestätigten. Daraufhin gab der
alte Osman, als ob mein Glück schon gemacht wäre, das einzige
Verslein persischer Dichtkunst, das er auf seinen Reisen
aufgelesen, zum besten: »Das Wasser quillt tropfenweise aus
dem Felsen, um endlich zum Meer anzuschwellen!«
Nach diesem poetischen Schlusse begab ich mich mit Osman
nach seinem in der Nähe der großen Basare gelegenen Hause.