Sechzigstes Kapitel - Hadschi als Gast im Hause Osmans
In einem kleinen Gäßchen, das in die große Straße mündete,
die zu den vornehmsten Basaren führt, lag Osman Agas
Behausung. Dicht neben dem Hoftore duftete ein großer
Kehrichthaufen, auf dem ein Wurf junger Kätzchen seine ersten
Miauversuche wagte, unweit davon bewachte auf einem ähnlichen
Düngerhaufen eine räudige Hündin die vielköpfige Schar ihrer
Nachkommenschaft, so daß, als wir vorüberkamen, dies
gleichzeitige Miauen und Bellen in bezug auf Mißtöne nichts zu
wünschen übrig ließ. Durch das zwischen den beiden Misthaufen
liegende Hoftor gelangten wir in das kleine, baufällige Haus,
das nur wenige Zimmer enthielt, die weder auf Reinlichkeit
noch Reichtum schließen ließen. Da ich außer einem kleinen
Teppich keinerlei Gepäck besaß, so war mein Umzug aus der
Karawanserei äußerst rasch bewerkstelligt. In einer Ecke des
größten Zimmers, wo auch mein Hauswirt sein Bett auszubreiten
und zu nächtigen pflegte, schlug ich meinen Wohnsitz auf. Zur
Feier meiner Ankunft bewirtete mich dieser mit einem
gebratenen Lamm nebst einer ausgiebigen Schüssel Reis, welcher
Datteln, Zwiebeln und Käse folgten. Die Gerichte waren im
Harem eigenhändig von seiner Frau und Tochter unter der
Beihilfe einer Sklavin, der einzigen Dienerin im Haushalte,
zubereitet worden. Da es dunkel war, als wir das Haus
betraten, hatte ich noch keine der drei Frauen zu Gesicht
bekommen; und wenn Osman nicht aus freien Stücken von ihnen
mit mir sprach, so verbot mir die gute Sitte, nach ihnen zu
fragen.
Außer mir und seinem Sohne hatte der alte Osman noch einen
Geschäftsfreund, mit dem er seit seinen Reisen nach Bokhara
aufs innigste verbunden war und der gleich ihm mit Lammfellen
handelte, zum Festmahle eingeladen.
Die Unterhaltung drehte sich lediglich um geschäftliche
Dinge, von denen ich zu wenig verstand, um mitreden zu können;
doch in Anbetracht meiner Pläne, mich selbst in
Handelsgeschäfte einzulassen, war ich nur zu glücklich, diesen
Gesprächen mein Ohr zu leihen. Das Thema wurde aufs
gründlichste behandelt, das Für und Wider jedes
Handelsartikels eingehend erörtert. Wenn man sie so reden
hörte, hätte man wirklich meinen können, das Ende der Welt
stünde bevor, weil das Gerücht ging, der Preis ihrer
Lieblingsware sei in Konstantinopel zurückgegangen. Sie rieten
mir dringend ab, mein Kapital in Lammfelle zu stecken, und
empfahlen mir, es lieber in Pfeifenrohren anzulegen, die
keiner Preisschwankung unterlagen und nach denen auf dem
Markte von Konstantinopel beständig rege Nachfrage sei.
Nachdem das Mahl vorüber war und die Gäste sich entfernt
hatten, dachte ich lange und eingehend über alles nach, was
ich gehört, und mein ganzes Sinnen und Trachten richtete sich
nun ausschließlich auf den Handel mit Pfeifenrohren. Deshalb
saß ich jetzt den ganzen Tag in meinem Winkel und berechnete,
wieviele Pfeifenrohre ich mit meinem Gelde erstehen könnte und
wieviel ich daran wohl verdiente, wenn ich sie in
Konstantinopel wieder verkaufte? Meine überhitzte Phantasie
gab sich bezüglich meines zu erhoffenden Gewinnes ganz
überschwenglich kühnen Erwartungen hin. Die Pläne des
Kaufmannes, von dem Saadi erzählt, er habe ihn auf der Insel
Kisch getroffen, waren bescheiden im Vergleiche zu den
meinigen; denn ich sagte mir: »Mit dem, was mir meine
Pfeifenrohre eintragen, werde ich Feigen in Smyrna kaufen und
nach Europa ausführen. Habe ich damit etwas Namhaftes
gewonnen, so will ich mein Geld in Schlafmützen anlegen und
sie in Kairo auf den Markt werfen. Sind sie dort einzeln
losgeschlagen, verpacke ich mein Geld sorgfältig in Säcke,
begebe mich nach Äthiopien und handle dort Sklaven ein. Sind
diese einzeln mit großem Gewinne nach Mokka verkauft, dann
will ich eine Wallfahrt zum Grabe des Propheten antreten. Von
Mokka aus werde ich Kaffee nach Persien einführen, kann dort
erstaunliche Preise damit erzielen und will mich schließlich
in meiner Vaterstadt so lange zur Ruhe setzen, bis ich mir
eine hohe Stelle bei Hofe zu kaufen vermag, die mich
allmählich bis zum Großwesir des Königs aller Könige
emporführt.«
Nachdem ich mir meine Zukunft so herrlich ausgemalt hatte,
ging ich emsig ans Werk und legte mich wegen meiner Ware
tüchtig ins Zeug. Langerprobten Erfahrungen gemäß, traf ich
ein Abkommen mit einem Holzhauer. Dieser sollte in die Berge
von Lar und Bakhthiari gehen und dort in den Wäldern die
Stämme wildwachsender Kirschbäume nach der von mir angegebenen
Größe und Dicke auswählen. Diese mußte er dann nach Bagdad
bringen, wo die Stöcke ausgehöhlt, in Pakete zusammengebunden
und für den Handel zugerichtet wurden.
Alles dies wurde aufs beste ausgeführt. Doch in der
Zwischenzeit, wo ich auf die Rückkunft des Holzhauers wartete,
befiel mich jenes Übel, von dem in Bagdad nur wenige Bewohner,
seien es Fremde oder Einheimische, verschont bleiben und das
schließlich mit einer großen Beule endet, die nach der Heilung
eine unvertilgbare Narbe auf der Haut zurückläßt. Diese Beule
bildete sich bei mir, zu meinem größten Verdrusse, gerade auf
der rechten Wange, wo der Bartwuchs aufhört, und hinterließ,
nachdem sie einige meiner Lieblingshaare zerstört hatte, eine
schrecklich tiefe Narbe. Was vorher mit einem wohlbepflanzten
Abhange verglichen werden konnte, erschien jetzt wie eine
wilde Wüstenei.
Dies Mißgeschick ertrug ich so gut es ging, wennschon ich
öfters nicht umhin konnte, mit meinem Schicksale zu hadern,
weil es sich just einen so in die Augen fallenden Platz
ausgesucht hatte, während es ihm doch ein leichtes gewesen
wäre, sich eine passendere Stelle zu wählen.
»Es ist nun einmal so!« dachte ich mit einem tiefen
Seufzer. »Der weise Mann hat recht, wenn er sagt: ›Könnte
jeder Stein selbst seine Art bestimmen, so gäbe es sicher
lauter Diamanten; und könnte jeder in Bagdad sich den Ort für
seine Beule aussuchen, so gäbe es in der ganzen Stadt kein
verunziertes Gesicht.‹«
Daß Osmans Züge, bei dem die Beule nicht im Gesichte
ausgebrochen war, trotzdem ein Ausbund von Häßlichkeit
blieben, war mir immerhin ein gewisser Trost. »Hadschi,« sagte
er mir, »wenn dir kein ärgeres Mißgeschick im Leben zustößt,
so kannst du von großem Glücke sagen. Ist auch die Hälfte
deines Gesichtes verunstaltet, so verbleibt die andere doch
tadellos. Auch die Farbe des Türkisen ist auf der einen Seite
wunderschön, auf der andern aber schwarz und schmutzig;
nichtsdestoweniger ist es doch ein Türkis und ein kostbarer
Edelstein.«
»Ach,« dachte ich mir, »der Häßliche kann den Anblick des
Schönen ebensowenig ertragen, wie der Lasterhafte den des
Tugendhaften. Auch die gemeinen Köter bellen den Jagdhund,
ohne sich an ihn heranzutrauen, auf dem Marktplatze an.«
Als ich länger im Hause meines früheren Herrn verweilte,
erkannte ich, daß ich ungeachtet meiner Entstellung keinen
geringen Eindruck auf das Gemüt seiner Tochter, der schönen
Dilaram, gemacht hatte, die nicht verfehlte, mir durch tausend
kleine Listen und Schelmereien den Zustand ihres Herzens zu
enthüllen.
Sie, sowie ihre Mutter, wohlerfahren, wie das Übel von
Bagdad zu heilen sei, übernahmen jetzt gemeinschaftlich meine
Pflege. Meine Beule und die wohl zu gleicher Zeit entstandene
Liebe Dilarams wuchsen beide ins ungeheure. Als jedoch die
erstere ihre volle Reife erlangt hatte, war mir die
Aufdringlichkeit der letzteren zur unerträglichen Qual
geworden. Da meine Schöne ganz das Ebenbild des Vaters war,
dessen Züge so auf ein Haar einem Kamel glichen, daß ich sie
nie betrachten konnte, ohne an diese häßliche Ähnlichkeit
gemahnt zu werden, so bestand, gottlob! keine Gefahr für mich,
von Dilarams Herzweh angesteckt zu werden. Aus diesem Grunde
war mir das Herannahen der Jahreszeit, wo sich die Karawane zu
sammeln begann, mit der ich nach Konstantinopel zu reisen
gedachte, ein wahrer Trost.
Meine sämtlichen Pfeifenrohre waren in stattliche Bündel
verpackt, alle meine Gläubiger richtig abgefunden, meine
Kleidungsstücke vollzählig und ich ganz voll Entzücken, als
verkündet wurde, die Karawane würde bei der nächsten günstigen
Stellung der Planeten ausziehen. Verzweifelt hingen die Blicke
der armen Dilaram an meiner Wange. In demselben Maße, als
deren Geschwulst abnahm, schien jetzt für sie das einzige, was
sie mit dieser Welt und ihren Eitelkeiten verbunden hatte,
dahinzuschwinden.