Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Sechzigstes Kapitel - Hadschi als Gast im Hause Osmans

In einem kleinen Gäßchen, das in die große Straße mündete, die zu den vornehmsten Basaren führt, lag Osman Agas Behausung. Dicht neben dem Hoftore duftete ein großer Kehrichthaufen, auf dem ein Wurf junger Kätzchen seine ersten Miauversuche wagte, unweit davon bewachte auf einem ähnlichen Düngerhaufen eine räudige Hündin die vielköpfige Schar ihrer Nachkommenschaft, so daß, als wir vorüberkamen, dies gleichzeitige Miauen und Bellen in bezug auf Mißtöne nichts zu wünschen übrig ließ. Durch das zwischen den beiden Misthaufen liegende Hoftor gelangten wir in das kleine, baufällige Haus, das nur wenige Zimmer enthielt, die weder auf Reinlichkeit noch Reichtum schließen ließen. Da ich außer einem kleinen Teppich keinerlei Gepäck besaß, so war mein Umzug aus der Karawanserei äußerst rasch bewerkstelligt. In einer Ecke des größten Zimmers, wo auch mein Hauswirt sein Bett auszubreiten und zu nächtigen pflegte, schlug ich meinen Wohnsitz auf. Zur Feier meiner Ankunft bewirtete mich dieser mit einem gebratenen Lamm nebst einer ausgiebigen Schüssel Reis, welcher Datteln, Zwiebeln und Käse folgten. Die Gerichte waren im Harem eigenhändig von seiner Frau und Tochter unter der Beihilfe einer Sklavin, der einzigen Dienerin im Haushalte, zubereitet worden. Da es dunkel war, als wir das Haus betraten, hatte ich noch keine der drei Frauen zu Gesicht bekommen; und wenn Osman nicht aus freien Stücken von ihnen mit mir sprach, so verbot mir die gute Sitte, nach ihnen zu fragen.

Außer mir und seinem Sohne hatte der alte Osman noch einen Geschäftsfreund, mit dem er seit seinen Reisen nach Bokhara aufs innigste verbunden war und der gleich ihm mit Lammfellen handelte, zum Festmahle eingeladen.

Die Unterhaltung drehte sich lediglich um geschäftliche Dinge, von denen ich zu wenig verstand, um mitreden zu können; doch in Anbetracht meiner Pläne, mich selbst in Handelsgeschäfte einzulassen, war ich nur zu glücklich, diesen Gesprächen mein Ohr zu leihen. Das Thema wurde aufs gründlichste behandelt, das Für und Wider jedes Handelsartikels eingehend erörtert. Wenn man sie so reden hörte, hätte man wirklich meinen können, das Ende der Welt stünde bevor, weil das Gerücht ging, der Preis ihrer Lieblingsware sei in Konstantinopel zurückgegangen. Sie rieten mir dringend ab, mein Kapital in Lammfelle zu stecken, und empfahlen mir, es lieber in Pfeifenrohren anzulegen, die keiner Preisschwankung unterlagen und nach denen auf dem Markte von Konstantinopel beständig rege Nachfrage sei.

Nachdem das Mahl vorüber war und die Gäste sich entfernt hatten, dachte ich lange und eingehend über alles nach, was ich gehört, und mein ganzes Sinnen und Trachten richtete sich nun ausschließlich auf den Handel mit Pfeifenrohren. Deshalb saß ich jetzt den ganzen Tag in meinem Winkel und berechnete, wieviele Pfeifenrohre ich mit meinem Gelde erstehen könnte und wieviel ich daran wohl verdiente, wenn ich sie in Konstantinopel wieder verkaufte? Meine überhitzte Phantasie gab sich bezüglich meines zu erhoffenden Gewinnes ganz überschwenglich kühnen Erwartungen hin. Die Pläne des Kaufmannes, von dem Saadi erzählt, er habe ihn auf der Insel Kisch getroffen, waren bescheiden im Vergleiche zu den meinigen; denn ich sagte mir: »Mit dem, was mir meine Pfeifenrohre eintragen, werde ich Feigen in Smyrna kaufen und nach Europa ausführen. Habe ich damit etwas Namhaftes gewonnen, so will ich mein Geld in Schlafmützen anlegen und sie in Kairo auf den Markt werfen. Sind sie dort einzeln losgeschlagen, verpacke ich mein Geld sorgfältig in Säcke, begebe mich nach Äthiopien und handle dort Sklaven ein. Sind diese einzeln mit großem Gewinne nach Mokka verkauft, dann will ich eine Wallfahrt zum Grabe des Propheten antreten. Von Mokka aus werde ich Kaffee nach Persien einführen, kann dort erstaunliche Preise damit erzielen und will mich schließlich in meiner Vaterstadt so lange zur Ruhe setzen, bis ich mir eine hohe Stelle bei Hofe zu kaufen vermag, die mich allmählich bis zum Großwesir des Königs aller Könige emporführt.«

Nachdem ich mir meine Zukunft so herrlich ausgemalt hatte, ging ich emsig ans Werk und legte mich wegen meiner Ware tüchtig ins Zeug. Langerprobten Erfahrungen gemäß, traf ich ein Abkommen mit einem Holzhauer. Dieser sollte in die Berge von Lar und Bakhthiari gehen und dort in den Wäldern die Stämme wildwachsender Kirschbäume nach der von mir angegebenen Größe und Dicke auswählen. Diese mußte er dann nach Bagdad bringen, wo die Stöcke ausgehöhlt, in Pakete zusammengebunden und für den Handel zugerichtet wurden.

Alles dies wurde aufs beste ausgeführt. Doch in der Zwischenzeit, wo ich auf die Rückkunft des Holzhauers wartete, befiel mich jenes Übel, von dem in Bagdad nur wenige Bewohner, seien es Fremde oder Einheimische, verschont bleiben und das schließlich mit einer großen Beule endet, die nach der Heilung eine unvertilgbare Narbe auf der Haut zurückläßt. Diese Beule bildete sich bei mir, zu meinem größten Verdrusse, gerade auf der rechten Wange, wo der Bartwuchs aufhört, und hinterließ, nachdem sie einige meiner Lieblingshaare zerstört hatte, eine schrecklich tiefe Narbe. Was vorher mit einem wohlbepflanzten Abhange verglichen werden konnte, erschien jetzt wie eine wilde Wüstenei.

Dies Mißgeschick ertrug ich so gut es ging, wennschon ich öfters nicht umhin konnte, mit meinem Schicksale zu hadern, weil es sich just einen so in die Augen fallenden Platz ausgesucht hatte, während es ihm doch ein leichtes gewesen wäre, sich eine passendere Stelle zu wählen.

»Es ist nun einmal so!« dachte ich mit einem tiefen Seufzer. »Der weise Mann hat recht, wenn er sagt: ›Könnte jeder Stein selbst seine Art bestimmen, so gäbe es sicher lauter Diamanten; und könnte jeder in Bagdad sich den Ort für seine Beule aussuchen, so gäbe es in der ganzen Stadt kein verunziertes Gesicht.‹«

Daß Osmans Züge, bei dem die Beule nicht im Gesichte ausgebrochen war, trotzdem ein Ausbund von Häßlichkeit blieben, war mir immerhin ein gewisser Trost. »Hadschi,« sagte er mir, »wenn dir kein ärgeres Mißgeschick im Leben zustößt, so kannst du von großem Glücke sagen. Ist auch die Hälfte deines Gesichtes verunstaltet, so verbleibt die andere doch tadellos. Auch die Farbe des Türkisen ist auf der einen Seite wunderschön, auf der andern aber schwarz und schmutzig; nichtsdestoweniger ist es doch ein Türkis und ein kostbarer Edelstein.«

»Ach,« dachte ich mir, »der Häßliche kann den Anblick des Schönen ebensowenig ertragen, wie der Lasterhafte den des Tugendhaften. Auch die gemeinen Köter bellen den Jagdhund, ohne sich an ihn heranzutrauen, auf dem Marktplatze an.«

Als ich länger im Hause meines früheren Herrn verweilte, erkannte ich, daß ich ungeachtet meiner Entstellung keinen geringen Eindruck auf das Gemüt seiner Tochter, der schönen Dilaram, gemacht hatte, die nicht verfehlte, mir durch tausend kleine Listen und Schelmereien den Zustand ihres Herzens zu enthüllen.

Sie, sowie ihre Mutter, wohlerfahren, wie das Übel von Bagdad zu heilen sei, übernahmen jetzt gemeinschaftlich meine Pflege. Meine Beule und die wohl zu gleicher Zeit entstandene Liebe Dilarams wuchsen beide ins ungeheure. Als jedoch die erstere ihre volle Reife erlangt hatte, war mir die Aufdringlichkeit der letzteren zur unerträglichen Qual geworden. Da meine Schöne ganz das Ebenbild des Vaters war, dessen Züge so auf ein Haar einem Kamel glichen, daß ich sie nie betrachten konnte, ohne an diese häßliche Ähnlichkeit gemahnt zu werden, so bestand, gottlob! keine Gefahr für mich, von Dilarams Herzweh angesteckt zu werden. Aus diesem Grunde war mir das Herannahen der Jahreszeit, wo sich die Karawane zu sammeln begann, mit der ich nach Konstantinopel zu reisen gedachte, ein wahrer Trost.

Meine sämtlichen Pfeifenrohre waren in stattliche Bündel verpackt, alle meine Gläubiger richtig abgefunden, meine Kleidungsstücke vollzählig und ich ganz voll Entzücken, als verkündet wurde, die Karawane würde bei der nächsten günstigen Stellung der Planeten ausziehen. Verzweifelt hingen die Blicke der armen Dilaram an meiner Wange. In demselben Maße, als deren Geschwulst abnahm, schien jetzt für sie das einzige, was sie mit dieser Welt und ihren Eitelkeiten verbunden hatte, dahinzuschwinden.

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