Einundsechzigstes Kapitel - Hadschi verläßt Bagdad und
reist als Kaufmann nach Konstantinopel
Es war ein schöner Frühlingsmorgen, als die Karawane durch
das Konstantinopler Tor die Stadt verließ.
Ich saß zuhöchst auf einer meiner Ladungen, mein Bett als
weiches Polster daraufgebunden, überschaute, umgeben von
meinen Pfeifenrohren, vergnügt die Landschaft, lauschte auf
die Glöckchen der Maultiere, als wären sie Musik, und
betrachtete mich selbst als einen Kaufmann von nicht geringer
Bedeutung.
Die mir näherstehenden Gefährten waren Osman und sein
Geschäftsfreund, der gleich ihm mit Lammfellen handelte, sowie
ein paar Kaufleute aus Bagdad. Außerdem befanden sich unter
den Reisenden noch viele meiner Landsleute, die, aus den
verschiedensten Städten Persiens gebürtig, mir sämtlich mehr
oder weniger bekannt waren und sich alle Geschäfte halber nach
Konstantinopel begaben. Mein Abenteuer mit dem Oberpriester
aus Teheran war mehr oder minder der Vergessenheit
anheimgefallen. Nicht nur die Art meiner Kleidung, sondern
auch die Narbe auf der Wange gaben mir so ganz den Charakter
eines in Bagdad Gebürtigen, daß mein Äußeres fast gar keine
Merkmale mehr dafür aufwies, daß ich eigentlich ein Perser
war.
Ich will meinen Leser mit der Beschreibung unserer
Abenteuer durch die Türkei nicht ermüden. Sie bestanden in der
üblichen Furcht vor Räubern, Streitigkeiten unter den
Maultiertreibern und Balgereien in den Karawansereien. Es
genügt, wenn ich erwähne, daß wir unser Reiseziel wohlbehalten
erreichten, doch den Eindruck, den der erste Anblick von
Konstantinopel in mir wachrief, kann ich nicht umhin, zu
schildern.
Ich, ein Perser und ein Ispahaner, war stets gewohnt
gewesen, meine Vaterstadt für die schönste auf der ganzen Welt
zu halten. Es war mir nie in den Sinn gekommen, eine andere
könnte ihr nur im entferntesten den Rang streitig machen.
Beschrieb man mir die Hauptstadt von Rûm (Türkei) als schöner,
so lachte ich dem, der sie mir schilderte, spöttisch ins
Gesicht. Aber wie groß war mein Erstaunen, ich möchte fast
sagen mein Verdruß, als ich zum ersten Male diese herrliche
Stadt mit eigenen Augen schaute. Die königliche Moschee auf
dem großen Platze in Ispahan war mir früher als das stolzeste
Gebäude der ganzen Welt erschienen. Hier aber gab es hunderte,
die schöner waren, denn eine übertraf immer die andere an
Pracht und Herrlichkeit. Ich bildete mir ein, daß nichts an
Ausdehnung meiner Vaterstadt gleichkommen könnte. Hier
ermüdete mein herumschweifendes Auge schon beim Versuche,
Häuser und Paläste, die die weitausgedehnten Hügel und Buchten
so dicht übersäten, zu zählen. Bedeutete Ispahan die halbe
Welt, so war hier in der Tat die ganze! Besitzt doch dieses
Juwel aller Städte, im Vergleiche mit dem von schroffen,
kahlen Felsen umsäumten Ispahan, den weiteren Vorzug, sich
längs den abwechslungsreichsten, farbenprächtigsten Gestaden
der schönsten Meeresarme hinzuziehen, in ihren klaren Fluten
wie in einem nie versagenden Spiegel seine Ausdehnung und
Herrlichkeit verdoppelt und erhöht zu schauen. Doch wo müßte
ich beginnen, wo aufhören, wollte ich alle beweglichen
Gegenstände schildern, die mich aufs höchste fesselten? Die
Tausende von Fahrzeugen aller Größen und Formen, die
unablässig die Wellen nach allen Richtungen hin
durchschnitten, während die größeren Schiffe, deren Masten mir
ansehnlicher dünkten als die Wälder von Masenderan, die
vielfach gewundenen Ufer des weitausgedehnten Hafens
umsäumten.
»O!« rief ich meiner Umgebung zu, »das ist ein Paradies,
das ich niemals verlassen möchte!« Doch als ich bedachte, in
welchen Händen es war, daß es sich im Besitze einer Sekte
elender Ketzer befand, deren Bärte uns als Kehrbesen zu
schlecht dünkten, da erschien es mir meinerseits allerdings
als große Herablassung, ihnen meine Nähe überhaupt zu
vergönnen. Doch einiges Nachdenken gewährte mir den großen
Trost, daß, wenn es ihnen schon erlaubt war, sich in dieser
Welt einen so herrlichen Fleck als Wohnsitz auszusuchen, sie
die Schrecknisse, die ihrer zweifellos in der anderen harrten,
nur um so härter empfinden würden.
Nachdem wir uns im Zollhause den üblichen Untersuchungen
unterworfen hatten, nahmen wir in Skutari ein Boot, um nach
Stambul überzusetzen, und ließen uns samt unseren Waren im
Mittelpunkte der Stadt, in einer den Basaren nahegelegenen,
von den Persern gewöhnlich aufgesuchten Karawanserei nieder.
Wie wenig ich bedeutete, fühlte ich beim Gedanken, nur einer
in diesem unermeßlichen, unablässig durch die großen
Verkehrsadern flutenden Völkerstrome zu sein. Als ich jedoch
die vielen Kostbarkeiten sah, die in den Läden ausgelegt
waren, den prächtigen Anzug fast jeden Bewohners anstaunte,
die ununterbrochene Reihe der vornehmen Herrn und Agas
bewunderte, die auf den schönsten, reichgeschirrtesten Pferden
dahinritten, da konnte ich nicht umhin, mir selbst ganz
heimlich zuzuflüstern: »Was ist Konstantinopel in seiner
Pracht und Persien in seiner Armut!« Der alte Osman und ich
mieteten gemeinsam ein Zimmer in der Karawanserei, um dort
unsere Waren aufzubewahren. Am Tage breitete ich meine
Pfeifenrohre auf einem hölzernen Gestelle aus, und da ich eine
reiche Auswahl besaß, so vermehrte sich nicht nur mein Absatz,
sondern auch mein Gewinn ganz beträchtlich. Aber im gleichen
Maße, als mir das Geld in den Beutel zurückfloß, stürzte ich
mich in Luxusausgaben, die ich früher sorgfältig vermieden
hatte. Meine Kleidung ward reicher und bequemer, ich erstand
einen schönen Tschibuk mit einer Bernsteinspitze, umgürtete
meine Taille mit einem farbenprächtigen Schal, mein seidener
Tabaksbeutel war reichlich mit Goldflitter gestickt, meine
Pantoffeln erstrahlten im grellsten Gelb, und schließlich
beschenkte ich mich selbst mit einem glitzernden, prächtigen
Dolche. Überall winkten mir zahlreiche Versuchungen, Geld
auszugeben; der Luxus erschien mir jetzt als etwas, was das
Leben erst lebenswert macht. Auch an Gelegenheiten, meine
Persönlichkeit öffentlich zu zeigen, fehlte es nicht, ich
besuchte mit Vorliebe die bekanntesten Kaffeehäuser, wo ich
auf einer hohen Bank, wohlig in weiche Kissen gelehnt, meinen
Kaffee schlürfte und bedächtig, wie ein Mann vom höchsten
Range, meine Pfeife rauchte. Da ich einst in Persien in so
fatale Abenteuer verwickelt worden war, mißtraute ich jetzt
meinen Landsleuten, ja, mied sie sogar, bemühte mich hingegen,
Bekanntschaften unter den Türken zu machen. Meine Landsleute
jedoch, die stets nach allem forschen, sich bei der geringsten
Unaufmerksamkeit mißachtet fühlen und herausbrachten, wer und
was ich sei, betrachteten mich nicht gerade mit wohlwollenden
Blicken. Immerhin versuchte ich, auf gutem Fuße mit ihnen zu
stehen, und solange wir uns in geschäftlicher Richtung nicht
ins Gehege kamen, ließen sie mich ungeschoren. An öffentlichen
Versammlungsorten gab ich vor, ein reicher Kaufmann aus Bagdad
zu sein, meine Beulennarbe, die mir früher als ein rechtes
Unglück vorkam, war jetzt der sichtbarste Beweis für die
Wahrheit meiner Behauptungen geworden. Ich fand nichts
leichter, als die Türken durch den äußeren Schein zu täuschen.
Ihre Schweigsamkeit, die würdevolle Gemessenheit ihrer Haltung
und ihres Gebarens, ihr langsames Dahinschreiten, ihre
feststehenden Redensarten waren so leicht nachzuäffen, daß es
mir in der kürzesten Zeit gelang, je nach Belieben mich wie
der Dümmste oder Würdevollste ihrer Gattung zu benehmen. Ich
leistete ganz Hervorragendes als guter Zuhörer, verstand so
herrlich von Zeit zu Zeit ganz an passender Stelle einen
heiligen Seufzer als: »Allah!« oder »Es gibt nur einen Gott!«
recht sanft herauszustoßen, ließ ohne Unterlaß die Perlen
meines Rosenkranzes durch die Finger gleiten und wurde
demzufolge, sobald ich im Kaffeehause, wo ich zu verkehren
pflegte, erschien, mit ausgesuchtester Höflichkeit begrüßt.
Goß mir der Kaffeehausinhaber mit hochgeschwungenem Arm den
Kaffee, den er stets eigenhändig für mich zu bereiten pflegte,
ein, so geizte er nicht, mir die schmeichelhaftesten Titel
wie: »Mein Aga« und »Mein Sultan« beizulegen. Entstand jedoch
unter den Gästen der kleinste Zwist über Pferde, Waffen, Hunde
oder, beim Hauptgesprächsthema, über den Tabak, so wurde ich
meines großen Ansehens halber, das mir mein würdevolles
Auftreten verschafft hatte, stets zum Schiedsrichter ernannt;
es bedurfte bloß eines leise von meinen Lippen gemurmelten
»Belli« (Ja) oder eines »Yok« (Nein), um alsogleich jede
Meinungsverschiedenheit vollständig beizulegen.