Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Zweiundsechzigstes Kapitel - Hadschi macht die Eroberung einer schönen Witwe

Einige Zeit hatte ich auf diese Weise mein Leben verbracht, als ich zur Dämmerstunde drei Abende nacheinander beim Nachhausegehen eine alte Frau an der Ecke einer kleinen Gasse stehen sah, der das Kaffeehaus beinahe gegenüberlag. Jedesmal guckte sie mich recht auffällig neugierig an, als ob sie mit mir reden wollte, schaute dann wieder jeden Augenblick zu einem vergitterten Fenster des Hauses, unter dem sie sich aufgestellt hatte, empor, um mich dann schließlich vorbeigehen zu lassen.

Das erstemal bemerkte ich sie kaum, weil eine alte Frau an einer Straßenecke nichts Bemerkenswertes ist. Das zweitemal fiel mir die Sache auf, und ich war auf meiner Hut. Das drittemal war ich schon schrecklich neugierig geworden, am vierten Abende jedoch fest entschlossen, wenn sie wiederkäme, herauszubringen, was sie eigentlich von mir wolle.

Da ich mit Sicherheit annahm, mein angenehmes Äußere im Verein mit meinen guten Sternen seien am Werke, so kleidete ich mich demzufolge etwas feiner als gewöhnlich an und schlenderte, als ich aus dem Kaffeehause trat, langsamen Schrittes in die Nähe der geheimnisvollen Alten. Gerade als ich um die Ecke bog, von der aus man das Kaffeehaus nicht mehr sehen konnte, wollte ich sie anreden, als sich plötzlich ein Fenstergitter des Hauses öffnete und meinen Blicken eine unverschleierte Frau zeigte, deren Züge und Gestalt von blendender Schönheit zu sein schienen. Sie hielt eine Blume in der Hand, die sie mir, damit ich sie sehen sollte, zuerst entgegenhielt, dann ans Herz drückte und, indem sie sie mir zuwarf, das Fenster mit solcher Eile verschloß, daß ich vermeinte, der ganze Vorgang sei nur eine Erscheinung gewesen. Mit offenem Munde, die Augen nach oben gerichtet, stand ich da, bis mich die Alte sachte am Ärmel zupfte, die Blüte aufhob und mir diese, als ich mich nach ihr umschaute, überreichte.

»Was soll das bedeuten?« fragte ich; »im Namen des Propheten! gibt es in diesem Lande Dschann und Peris?«

»Seid Ihr so unerfahren?« antwortete die alte Frau, »nicht einmal zu wissen, was diese Blüte bedeutet? Euer Bart wäre wahrlich lang genug, auch seid Ihr kein Kind mehr, und Eure Kleidung verrät, daß Ihr weit herumkamt. Aber diese Reisen scheinen Euch wenig genützt zu haben, wenn Ihr nicht einmal wißt, was eine Frau damit sagen will, wenn sie Euch eine Mandelblüte zuwirft!«

»O ja!« antwortete ich, »ich weiß, daß sich ›Fistek‹ (Mandel) auf ›Yastek‹ (Kissen) reimt, weiß ferner auch, daß zwei Köpfe auf einem Kissen oft mit einer Mandel, die zwei Kerne hat, verglichen werden. Da aber mein Bart lang genug ist, mahnt er mich, daran zu denken, daß solche Abenteuer Gefahren in sich schließen, daß Köpfe ebenso rasch abgeschnitten werden können, als Mandeln verschluckt!«

»Fürchtet nichts!« sagte sehr erregt meine Begleiterin, »beim Haupte Mohammeds, wir sind ehrbare Frauen, und Ihr verkennt Euer Glück, wenn Ihr uns abweist. Aber Ihr seid doch wirklich ein rechter Esel, daß Euch ein Schatten so erschrecken kann, denn etwas anderes ist Eure Furcht in diesem Falle nicht.«

»Sagt mir jetzt,« fragte ich sie, »wer ist die Dame, die ich soeben sah, und was will sie von mir?«

»Nur nicht so eilig, Ihr müßt Euch gedulden!« antwortete sie; »heute ist es für alles zu spät, auch der Ort nicht günstig. Aber trefft mich morgen mittag auf dem Friedhofe von Eyub, dort sollt Ihr alles hören, was Ihr zu wissen wünscht. Ich werde rechter Hand, am Fußende des Grabes vom Emir, sitzen und eine rote Schärpe um die linke Schulter tragen, damit Ihr mich unter den anderen Frauen erkennen könnt. Geht jetzt – und Allah sei mit Euch!«

Hierauf trennten wir uns, und ich kehrte in mein Zimmer in der Karawanserei zurück, um über alles Vorgefallene reiflich nachzudenken. Daß mir etwas Gutes vorbehalten war, bezweifelte ich nicht, hatte aber so entsetzliche Dinge über die Eifersucht der türkischen Ehemänner gehört, daß ich mich der Sorge nicht entschlagen konnte, am Ende der Wut irgendeines beleidigten Eheherrn zum Opfer zu fallen. Seneb und ihr Turm, Dilaram und die Beule, kurz, alle Beispiele unglücklicher Liebe fielen mir nach und nach ein und dämpften meinen anfangs so sehnlichen Wunsch, dem Abenteuer nachzugehen. Ich war jedoch jung, mein Blut war heiß und trieb mich zum Entschlusse, wenn auch halb widerwillig mich zum Stelldichein einzufinden.

Am Mittag des folgenden Tages hielt ich pünktlich mein Versprechen, schaute mich nach dem grünbeturbanten Grabe des Emirs um, fand es mir zur Rechten und dort die Alte, den roten Schal über die linke Schulter geworfen. Wir verließen jedoch diesen Platz, um uns in den Schatten einer der höchsten Friedhofszypressen zurückzuziehen, und setzten uns, die prächtige Aussicht auf den Hafen Konstantinopels vor Augen, auf die Erde, um unsere Unterredung in aller Ruhe einzuleiten.

Zuerst sagte mir die Alte was Schönes über meine Pünktlichkeit und versicherte mir aufs neue, ihre Vorschläge brauchten mir keine Furcht einzuflößen. Dann redete sie, um mich ihrer Ergebenheit zu versichern und den Wunsch, mir dienlich zu sein, an den Tag zu legen, mit der ganzen Geschwätzigkeit ihrer Jahre eine Zeitlang recht zwecklos herum. Ich, der ich indessen bedachte, wie viele Pfeifenrohre ich in der Zwischenzeit hätte verkaufen können, unterbrach sie mit der Bitte, mir nun endlich die Geschichte der schönen Dame am Fenster zu erzählen. Sehe ich von ihren Weitschweifigkeiten und Wiederholungen ab, so sagte sie ungefähr folgendes:

»Die Dame, welche Ihr sahet und deren Dienerin ich bin, ist die einzige Tochter eines reichen Kaufmannes aus Aleppo, der außer ihr noch zwei Söhne hatte. Der Vater starb vor kurzem, seine Söhne, die reiche Kaufleute sind und sein Geschäft übernahmen, wohnen hier in der Stadt. Meine Herrin, die ›Schekerleb‹ (Zuckerlippe) heißt, wurde sehr jung an einen zwar alten, aber reichen Emir verheiratet, der sich gewissenhaft enthielt, mehr als eine Frau zu nehmen, weil er aus Erfahrung wußte, daß er weder Ruhe noch Frieden in seinem Hause haben würde, wenn er von der Erlaubnis des Gesetzes Gebrauch machte und die Zahl seiner Gefährtinnen vermehrte. Er liebte seinen häuslichen Frieden über alles und dachte, wenn er eine recht junge Frau nähme, so könnte er sie so erziehen, daß sie seine Neigungen niemals störte. Darin hatte er auch Glück, denn es gibt kein sanfteres und folgsameres Wesen als meine Gebieterin. Bloß in einem Punkte konnten sie sich nicht einigen. Dieser wurde auch die Ursache, die den Tod des alten Emirs, der bald darauf starb, herbeiführte. Sie liebte Torten, mit Rahm zubereitet, er schwärmte für solche, bei denen Käse verwendet wurde. Über diese Geschmacksverschiedenheit stritten sie nämlich volle fünf Jahre jeden Tag regelmäßig bei Tische, bis ungefähr vor sechs Monaten der alte Emir zuviel von seiner Lieblings-Käsetorte aß, sich eine Magenverstimmung zuzog und daran starb. Er vermachte ein Viertel seines Vermögens, das Haus, welches Ihr gesehen, seine Möbel, die Sklaven, kurz alles, was er nach dem mohammedanischen Gesetze der schönen Schekerleb hinterlassen konnte, seiner nun wieder getrösteten Witwe. Ihr könnt Euch wohl vorstellen, daß ihre Jugend, ihre Schönheit und ihr Reichtum nur zu viele Bewerber herbeilockten. Aber da sie mehr Umsicht und Klugheit als die meisten Frauen ihres Alters besitzt, zeigte sie sich bis heute jeder Verbindung abgeneigt und nahm sich vor, zu warten, bis sich ihr Gelegenheit böte, jemand zu heiraten, der weder aus Ehrgeiz noch Berechnung um sie würde und den sie auch ihrerseits von Herzen lieben würde.

»Da sie einem der großen Kaffeehäuser gegenüber wohnt, so hatte sie Gelegenheit, alle ständigen Besucher zu beobachten, und ich kann, ohne eine Schmeichelei sagen zu wollen, versichern, daß sie Euch sofort für den Hübschesten unter allen erklärte und behauptete, noch nie einen Mann gesehen zu haben, der so ganz ihrem Geschmacke entspräche.

»Mein Bruder«, sagte die Frau, »ist der Besitzer des Kaffeehauses, und da ich oft Gelegenheit habe, ihn zu sehen, so ersuchte ich ihn, sich nach Euch zu erkundigen und mich dann wissen zu lassen, was und wer Ihr wäret. Seine günstige Auskunft befriedigte meine Gebieterin höchlichst. Nun versuchten wir, Eure Aufmerksamkeit zu erregen, um wo möglich mit Euch bekannt zu werden. Wie das alles zustande kam, wißt Ihr selbst am besten und vermögt auch zu beurteilen, ob ich Euch einen Dienst erwies oder nicht.«

Auf diesen Schluß war ich, als die alte Vermittlerin ihre Erzählung begann, allerdings nicht gefaßt gewesen. Jetzt war mir zumute wie einem Verurteilten, der plötzlich begnadigt wird. Anstatt Heimlichkeiten und Verkleidungen, Mauern erklettern müssen, gezückten Dolchen und blutigen Wunden, die meist ein türkisches Liebesabenteuer zu begleiten pflegen, lachte mir nun in Zukunft Reichtum, Gemächlichkeit und ein sorgenfreies Dasein. Ich segnete meinen guten Stern; – kurz, mein Glück schien mir gemacht. Alles, was ich vernommen hatte, versetzte mich in solches Entzücken, daß ich meiner Gefährtin gegenüber nur in unzusammenhängenden Worten zu stammeln vermochte, ich wolle ihrer Gebieterin ewige Treue und Liebe bewahren; ihr aber versprach ich eine reichliche Belohnung.

»Doch ehe Euch meine Herrin empfangen kann, befahl sie mir, noch einen Umstand festzustellen,« sagte sie; »nämlich: stammt Ihr von hoher Familie ab, und wie groß ist Euer Vermögen? – Ihr müßt wissen, ihre Brüder und Verwandten sind ungemein stolze Leute. Schlösse sie eine ihrer unwürdige Verbindung, so hätte sie die härteste Behandlung zu erwarten, auch ihrem Manne würden sie übel mitspielen, ihn vielleicht sogar aus dem Wege schaffen!«

Obgleich ich darauf keineswegs vorbereitet war, so hatte ich doch mit unglaublicher Schnelligkeit das unermeßliche Glück, das meiner harrte, erfaßt und antwortete deshalb mit der gleichen Schnelligkeit: »Familie? – Familie sagt Ihr? – Zeigt mir den, der Hadschi Baba nicht kennt! – Laßt ihn von den Grenzen von Jemen bis zu denen von Irak, von den Meeren von Hind bis zu den Ufern des Kaspischen Meeres Umfrage halten – überall wird mein Name bekannt sein!«

»Aber wer war Euer Vater?«

»Mein Vater«, sagte ich nach einer kleinen Pause, »war ein sehr mächtiger Mann. Er hat mehr Köpfe unter seinem Daumen gehalten als selbst der Anführer der Wahabiten!«

Ich hatte nun gerade Zeit genug gewonnen, um mir in aller Eile aus dem Stegreif einen kleinen Stammbaum auszudenken. Da das Gesicht der Frau bei dem, was ich gesagt, aufzuleuchten begann, so fuhr ich kühn und sicher folgendermaßen fort:

»Seid versichert, daß sie und ihre Brüder, wer sie auch sein mögen, nicht vornehmerer Abkunft sind als ich. – Arabisches Blut, und zwar das allerreinste, fließt in meinen Adern! – Mein Vorfahre war Mansuri Arab, aus der Provinz Nedschd im glücklichen Arabien, dem samt seinem jungen Stamme vom Sultan Ismael von Persien einige der allerschönsten Weideplätze von Irak (Persien) zugewiesen wurden, wo sie seither lebten. Mein großer Ahnherr Kâtir, ben Chär, ben Asp, ben Madian, war aus dem Stamme Koreisch, was ihn in direkte Verwandtschaft mit der Familie unseres heiligen Propheten brachte, aus welchem dem Islam das beste Blut zufloß.«

»Allah! Allah!« rief die Alte, »genug, genug, wenn sich alles dieses so verhält, was könnte meine Gebieterin mehr verlangen? Gleichen Eure Reichtümer aber Eurer Geburt, so sind wir völlig befriedigt.«

»Bezüglich meiner Reichtümer«, antwortete ich, »kann ich mich nicht rühmen, gerade augenblicklich sehr viel Bargeld zu besitzen. Aber welcher Kaufmann hätte je über sehr viel Bargeld verfügt? Ihr wißt so gut wie ich, Bargeld wird in Waren angelegt, die über alle Teile der Welt verstreut sind, kommt aber zur Zeit mit Gewinn zurück. Meine persischen Samte und Seidenstoffe gehen nach Khorasan und werden dort gegen Lammfelle umgetauscht. Meine Agenten, mit Gold und Otterfellen versehen, befinden sich zurzeit in Meschhed, um dort Schals aus Kaschmir und Edelsteine aus Indien einzuhandeln. In Astrachan werden meine Baumwollenstoffe gegen Zobelpelze, Tuch und Glaswaren vertauscht; die indischen Güter jedoch, die ich in Basra kaufe und nach Aleppo schicke, kehren in Gestalt von Nachtmützen und anderen Stoffen zu mir zurück. Kurz, mit Bestimmtheit zu sagen, wieviel ich besitze, wäre nicht minder schwer, als ein Weizenfeld zu zählen. Aber Ihr könnt Eurer Gebieterin zuverlässig mitteilen, daß, vermöchte der Mann ihrer Wahl sein ganzes Vermögen in einer Zahl auszudrücken, sein großer Reichtum nicht allein sie, sondern auch ihre ganze Familie in größtes Staunen versetzen würde.«

»Gelobt sei Allah!« sagte die Vermittlerin, »nun ist alles, wie es sein sollte, jetzt bleibt nur noch übrig, daß Ihr Euch gegenseitig kennen lernt. Ihr werdet nicht verfehlen, Euch heute bei Einbruch der Nacht an jener Straßenecke einzufinden, wo Ihr dann mit der nötigen Vorsicht bei der schönen Schekerleb eingeführt werden sollt. So Ihr ihren Beifall findet, wird Eurer Heirat nichts im Wege stehen. Ich möchte Euch nur noch den einen Rat erteilen, nämlich Rahmtorten zu bevorzugen und Käsetorten zu verabscheuen. Über jeden anderen Punkt denkt sie frei und ohne Vorurteil. Möge Allah Euch in Freude und Wohlsein erhalten.«

Bei diesen Worten zog sie den unteren Teil ihres Schleiers wieder über den Mund, nahm, ohne sich im mindesten zu zieren, zwei Goldstücke, die ich ihr in die Hand drückte, ging fort und überließ mich abermals meinen ernsten Gedanken.

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