Zweiundsechzigstes Kapitel - Hadschi macht die Eroberung
einer schönen Witwe
Einige Zeit hatte ich auf diese Weise mein Leben verbracht,
als ich zur Dämmerstunde drei Abende nacheinander beim
Nachhausegehen eine alte Frau an der Ecke einer kleinen Gasse
stehen sah, der das Kaffeehaus beinahe gegenüberlag. Jedesmal
guckte sie mich recht auffällig neugierig an, als ob sie mit
mir reden wollte, schaute dann wieder jeden Augenblick zu
einem vergitterten Fenster des Hauses, unter dem sie sich
aufgestellt hatte, empor, um mich dann schließlich vorbeigehen
zu lassen.
Das erstemal bemerkte ich sie kaum, weil eine alte Frau an
einer Straßenecke nichts Bemerkenswertes ist. Das zweitemal
fiel mir die Sache auf, und ich war auf meiner Hut. Das
drittemal war ich schon schrecklich neugierig geworden, am
vierten Abende jedoch fest entschlossen, wenn sie wiederkäme,
herauszubringen, was sie eigentlich von mir wolle.
Da ich mit Sicherheit annahm, mein angenehmes Äußere im
Verein mit meinen guten Sternen seien am Werke, so kleidete
ich mich demzufolge etwas feiner als gewöhnlich an und
schlenderte, als ich aus dem Kaffeehause trat, langsamen
Schrittes in die Nähe der geheimnisvollen Alten. Gerade als
ich um die Ecke bog, von der aus man das Kaffeehaus nicht mehr
sehen konnte, wollte ich sie anreden, als sich plötzlich ein
Fenstergitter des Hauses öffnete und meinen Blicken eine
unverschleierte Frau zeigte, deren Züge und Gestalt von
blendender Schönheit zu sein schienen. Sie hielt eine Blume in
der Hand, die sie mir, damit ich sie sehen sollte, zuerst
entgegenhielt, dann ans Herz drückte und, indem sie sie mir
zuwarf, das Fenster mit solcher Eile verschloß, daß ich
vermeinte, der ganze Vorgang sei nur eine Erscheinung gewesen.
Mit offenem Munde, die Augen nach oben gerichtet, stand ich
da, bis mich die Alte sachte am Ärmel zupfte, die Blüte aufhob
und mir diese, als ich mich nach ihr umschaute, überreichte.
»Was soll das bedeuten?« fragte ich; »im Namen des
Propheten! gibt es in diesem Lande Dschann und Peris?«
»Seid Ihr so unerfahren?« antwortete die alte Frau, »nicht
einmal zu wissen, was diese Blüte bedeutet? Euer Bart wäre
wahrlich lang genug, auch seid Ihr kein Kind mehr, und Eure
Kleidung verrät, daß Ihr weit herumkamt. Aber diese Reisen
scheinen Euch wenig genützt zu haben, wenn Ihr nicht einmal
wißt, was eine Frau damit sagen will, wenn sie Euch eine
Mandelblüte zuwirft!«
»O ja!« antwortete ich, »ich weiß, daß sich ›Fistek‹
(Mandel) auf ›Yastek‹ (Kissen) reimt, weiß ferner auch, daß
zwei Köpfe auf einem Kissen oft mit einer Mandel, die zwei
Kerne hat, verglichen werden. Da aber mein Bart lang genug
ist, mahnt er mich, daran zu denken, daß solche Abenteuer
Gefahren in sich schließen, daß Köpfe ebenso rasch
abgeschnitten werden können, als Mandeln verschluckt!«
»Fürchtet nichts!« sagte sehr erregt meine Begleiterin,
»beim Haupte Mohammeds, wir sind ehrbare Frauen, und Ihr
verkennt Euer Glück, wenn Ihr uns abweist. Aber Ihr seid doch
wirklich ein rechter Esel, daß Euch ein Schatten so
erschrecken kann, denn etwas anderes ist Eure Furcht in diesem
Falle nicht.«
»Sagt mir jetzt,« fragte ich sie, »wer ist die Dame, die
ich soeben sah, und was will sie von mir?«
»Nur nicht so eilig, Ihr müßt Euch gedulden!« antwortete
sie; »heute ist es für alles zu spät, auch der Ort nicht
günstig. Aber trefft mich morgen mittag auf dem Friedhofe von
Eyub, dort sollt Ihr alles hören, was Ihr zu wissen wünscht.
Ich werde rechter Hand, am Fußende des Grabes vom Emir, sitzen
und eine rote Schärpe um die linke Schulter tragen, damit Ihr
mich unter den anderen Frauen erkennen könnt. Geht jetzt – und
Allah sei mit Euch!«
Hierauf trennten wir uns, und ich kehrte in mein Zimmer in
der Karawanserei zurück, um über alles Vorgefallene reiflich
nachzudenken. Daß mir etwas Gutes vorbehalten war, bezweifelte
ich nicht, hatte aber so entsetzliche Dinge über die
Eifersucht der türkischen Ehemänner gehört, daß ich mich der
Sorge nicht entschlagen konnte, am Ende der Wut irgendeines
beleidigten Eheherrn zum Opfer zu fallen. Seneb und ihr Turm,
Dilaram und die Beule, kurz, alle Beispiele unglücklicher
Liebe fielen mir nach und nach ein und dämpften meinen anfangs
so sehnlichen Wunsch, dem Abenteuer nachzugehen. Ich war
jedoch jung, mein Blut war heiß und trieb mich zum
Entschlusse, wenn auch halb widerwillig mich zum Stelldichein
einzufinden.
Am Mittag des folgenden Tages hielt ich pünktlich mein
Versprechen, schaute mich nach dem grünbeturbanten Grabe des
Emirs um, fand es mir zur Rechten und dort die Alte, den roten
Schal über die linke Schulter geworfen. Wir verließen jedoch
diesen Platz, um uns in den Schatten einer der höchsten
Friedhofszypressen zurückzuziehen, und setzten uns, die
prächtige Aussicht auf den Hafen Konstantinopels vor Augen,
auf die Erde, um unsere Unterredung in aller Ruhe einzuleiten.
Zuerst sagte mir die Alte was Schönes über meine
Pünktlichkeit und versicherte mir aufs neue, ihre Vorschläge
brauchten mir keine Furcht einzuflößen. Dann redete sie, um
mich ihrer Ergebenheit zu versichern und den Wunsch, mir
dienlich zu sein, an den Tag zu legen, mit der ganzen
Geschwätzigkeit ihrer Jahre eine Zeitlang recht zwecklos
herum. Ich, der ich indessen bedachte, wie viele Pfeifenrohre
ich in der Zwischenzeit hätte verkaufen können, unterbrach sie
mit der Bitte, mir nun endlich die Geschichte der schönen Dame
am Fenster zu erzählen. Sehe ich von ihren Weitschweifigkeiten
und Wiederholungen ab, so sagte sie ungefähr folgendes:
»Die Dame, welche Ihr sahet und deren Dienerin ich bin, ist
die einzige Tochter eines reichen Kaufmannes aus Aleppo, der
außer ihr noch zwei Söhne hatte. Der Vater starb vor kurzem,
seine Söhne, die reiche Kaufleute sind und sein Geschäft
übernahmen, wohnen hier in der Stadt. Meine Herrin, die
›Schekerleb‹ (Zuckerlippe) heißt, wurde sehr jung an einen
zwar alten, aber reichen Emir verheiratet, der sich
gewissenhaft enthielt, mehr als eine Frau zu nehmen, weil er
aus Erfahrung wußte, daß er weder Ruhe noch Frieden in seinem
Hause haben würde, wenn er von der Erlaubnis des Gesetzes
Gebrauch machte und die Zahl seiner Gefährtinnen vermehrte. Er
liebte seinen häuslichen Frieden über alles und dachte, wenn
er eine recht junge Frau nähme, so könnte er sie so erziehen,
daß sie seine Neigungen niemals störte. Darin hatte er auch
Glück, denn es gibt kein sanfteres und folgsameres Wesen als
meine Gebieterin. Bloß in einem Punkte konnten sie sich nicht
einigen. Dieser wurde auch die Ursache, die den Tod des alten
Emirs, der bald darauf starb, herbeiführte. Sie liebte Torten,
mit Rahm zubereitet, er schwärmte für solche, bei denen Käse
verwendet wurde. Über diese Geschmacksverschiedenheit stritten
sie nämlich volle fünf Jahre jeden Tag regelmäßig bei Tische,
bis ungefähr vor sechs Monaten der alte Emir zuviel von seiner
Lieblings-Käsetorte aß, sich eine Magenverstimmung zuzog und
daran starb. Er vermachte ein Viertel seines Vermögens, das
Haus, welches Ihr gesehen, seine Möbel, die Sklaven, kurz
alles, was er nach dem mohammedanischen Gesetze der schönen
Schekerleb hinterlassen konnte, seiner nun wieder getrösteten
Witwe. Ihr könnt Euch wohl vorstellen, daß ihre Jugend, ihre
Schönheit und ihr Reichtum nur zu viele Bewerber
herbeilockten. Aber da sie mehr Umsicht und Klugheit als die
meisten Frauen ihres Alters besitzt, zeigte sie sich bis heute
jeder Verbindung abgeneigt und nahm sich vor, zu warten, bis
sich ihr Gelegenheit böte, jemand zu heiraten, der weder aus
Ehrgeiz noch Berechnung um sie würde und den sie auch
ihrerseits von Herzen lieben würde.
»Da sie einem der großen Kaffeehäuser gegenüber wohnt, so
hatte sie Gelegenheit, alle ständigen Besucher zu beobachten,
und ich kann, ohne eine Schmeichelei sagen zu wollen,
versichern, daß sie Euch sofort für den Hübschesten unter
allen erklärte und behauptete, noch nie einen Mann gesehen zu
haben, der so ganz ihrem Geschmacke entspräche.
»Mein Bruder«, sagte die Frau, »ist der Besitzer des
Kaffeehauses, und da ich oft Gelegenheit habe, ihn zu sehen,
so ersuchte ich ihn, sich nach Euch zu erkundigen und mich
dann wissen zu lassen, was und wer Ihr wäret. Seine günstige
Auskunft befriedigte meine Gebieterin höchlichst. Nun
versuchten wir, Eure Aufmerksamkeit zu erregen, um wo möglich
mit Euch bekannt zu werden. Wie das alles zustande kam, wißt
Ihr selbst am besten und vermögt auch zu beurteilen, ob ich
Euch einen Dienst erwies oder nicht.«
Auf diesen Schluß war ich, als die alte Vermittlerin ihre
Erzählung begann, allerdings nicht gefaßt gewesen. Jetzt war
mir zumute wie einem Verurteilten, der plötzlich begnadigt
wird. Anstatt Heimlichkeiten und Verkleidungen, Mauern
erklettern müssen, gezückten Dolchen und blutigen Wunden, die
meist ein türkisches Liebesabenteuer zu begleiten pflegen,
lachte mir nun in Zukunft Reichtum, Gemächlichkeit und ein
sorgenfreies Dasein. Ich segnete meinen guten Stern; – kurz,
mein Glück schien mir gemacht. Alles, was ich vernommen hatte,
versetzte mich in solches Entzücken, daß ich meiner Gefährtin
gegenüber nur in unzusammenhängenden Worten zu stammeln
vermochte, ich wolle ihrer Gebieterin ewige Treue und Liebe
bewahren; ihr aber versprach ich eine reichliche Belohnung.
»Doch ehe Euch meine Herrin empfangen kann, befahl sie mir,
noch einen Umstand festzustellen,« sagte sie; »nämlich: stammt
Ihr von hoher Familie ab, und wie groß ist Euer Vermögen? –
Ihr müßt wissen, ihre Brüder und Verwandten sind ungemein
stolze Leute. Schlösse sie eine ihrer unwürdige Verbindung, so
hätte sie die härteste Behandlung zu erwarten, auch ihrem
Manne würden sie übel mitspielen, ihn vielleicht sogar aus dem
Wege schaffen!«
Obgleich ich darauf keineswegs vorbereitet war, so hatte
ich doch mit unglaublicher Schnelligkeit das unermeßliche
Glück, das meiner harrte, erfaßt und antwortete deshalb mit
der gleichen Schnelligkeit: »Familie? – Familie sagt Ihr? –
Zeigt mir den, der Hadschi Baba nicht kennt! – Laßt ihn von
den Grenzen von Jemen bis zu denen von Irak, von den Meeren
von Hind bis zu den Ufern des Kaspischen Meeres Umfrage halten
– überall wird mein Name bekannt sein!«
»Aber wer war Euer Vater?«
»Mein Vater«, sagte ich nach einer kleinen Pause, »war ein
sehr mächtiger Mann. Er hat mehr Köpfe unter seinem Daumen
gehalten als selbst der Anführer der Wahabiten!«
Ich hatte nun gerade Zeit genug gewonnen, um mir in aller
Eile aus dem Stegreif einen kleinen Stammbaum auszudenken. Da
das Gesicht der Frau bei dem, was ich gesagt, aufzuleuchten
begann, so fuhr ich kühn und sicher folgendermaßen fort:
»Seid versichert, daß sie und ihre Brüder, wer sie auch
sein mögen, nicht vornehmerer Abkunft sind als ich. –
Arabisches Blut, und zwar das allerreinste, fließt in meinen
Adern! – Mein Vorfahre war Mansuri Arab, aus der Provinz
Nedschd im glücklichen Arabien, dem samt seinem jungen Stamme
vom Sultan Ismael von Persien einige der allerschönsten
Weideplätze von Irak (Persien) zugewiesen wurden, wo sie
seither lebten. Mein großer Ahnherr Kâtir, ben Chär, ben Asp,
ben Madian, war aus dem Stamme Koreisch, was ihn in direkte
Verwandtschaft mit der Familie unseres heiligen Propheten
brachte, aus welchem dem Islam das beste Blut zufloß.«
»Allah! Allah!« rief die Alte, »genug, genug, wenn sich
alles dieses so verhält, was könnte meine Gebieterin mehr
verlangen? Gleichen Eure Reichtümer aber Eurer Geburt, so sind
wir völlig befriedigt.«
»Bezüglich meiner Reichtümer«, antwortete ich, »kann ich
mich nicht rühmen, gerade augenblicklich sehr viel Bargeld zu
besitzen. Aber welcher Kaufmann hätte je über sehr viel
Bargeld verfügt? Ihr wißt so gut wie ich, Bargeld wird in
Waren angelegt, die über alle Teile der Welt verstreut sind,
kommt aber zur Zeit mit Gewinn zurück. Meine persischen Samte
und Seidenstoffe gehen nach Khorasan und werden dort gegen
Lammfelle umgetauscht. Meine Agenten, mit Gold und Otterfellen
versehen, befinden sich zurzeit in Meschhed, um dort Schals
aus Kaschmir und Edelsteine aus Indien einzuhandeln. In
Astrachan werden meine Baumwollenstoffe gegen Zobelpelze, Tuch
und Glaswaren vertauscht; die indischen Güter jedoch, die ich
in Basra kaufe und nach Aleppo schicke, kehren in Gestalt von
Nachtmützen und anderen Stoffen zu mir zurück. Kurz, mit
Bestimmtheit zu sagen, wieviel ich besitze, wäre nicht minder
schwer, als ein Weizenfeld zu zählen. Aber Ihr könnt Eurer
Gebieterin zuverlässig mitteilen, daß, vermöchte der Mann
ihrer Wahl sein ganzes Vermögen in einer Zahl auszudrücken,
sein großer Reichtum nicht allein sie, sondern auch ihre ganze
Familie in größtes Staunen versetzen würde.«
»Gelobt sei Allah!« sagte die Vermittlerin, »nun ist alles,
wie es sein sollte, jetzt bleibt nur noch übrig, daß Ihr Euch
gegenseitig kennen lernt. Ihr werdet nicht verfehlen, Euch
heute bei Einbruch der Nacht an jener Straßenecke einzufinden,
wo Ihr dann mit der nötigen Vorsicht bei der schönen
Schekerleb eingeführt werden sollt. So Ihr ihren Beifall
findet, wird Eurer Heirat nichts im Wege stehen. Ich möchte
Euch nur noch den einen Rat erteilen, nämlich Rahmtorten zu
bevorzugen und Käsetorten zu verabscheuen. Über jeden anderen
Punkt denkt sie frei und ohne Vorurteil. Möge Allah Euch in
Freude und Wohlsein erhalten.«
Bei diesen Worten zog sie den unteren Teil ihres Schleiers
wieder über den Mund, nahm, ohne sich im mindesten zu zieren,
zwei Goldstücke, die ich ihr in die Hand drückte, ging fort
und überließ mich abermals meinen ernsten Gedanken.