Fünfundsechzigstes Kapitel - Hadschis Eitelkeit rächt sich
Das Gastmahl ging glänzend vorüber, auch hatte ich allen
Grund anzunehmen, daß es mir gelungen war, meine Gäste zu
überzeugen, ich sei wirklich der reiche Kaufmann, für den ich
mich ausgab. Darum begann ich mich meines ungewohnten
Reichtums mit Ruhe zu erfreuen, mich Vergnügungen hinzugeben,
mit lebenslustigen Männern zu verkehren, mich aufs glänzendste
herauszuputzen, kurz, ein Haus zu führen, welches das Gespräch
und der Neid der Stadt war. Allerdings machte sich der
Übelstand, all dies Glück lediglich meiner Frau verdanken zu
müssen, jeden Tag peinlicher fühlbar. Trotz aller früheren
Versicherungen der alten Ayscha ward ich nur zu bald inne, daß
außer den Meinungsverschiedenheiten über Käse- oder Rahmtorten
noch zahllose andere Streitfragen zwischen uns auftauchten.
»Was für ein vortrefflicher Mann der alte Emir gewesen sein
muß,« dachte ich mir, »daß er durchs Leben gehen konnte und
sich nur über einen Punkt mit seiner Frau stritt, während ich
für mein Teil sicher sein kann, daß, sobald eine Frage
auftaucht, die zwei Seiten hat, jedes von uns stets der
entgegengesetzten Meinung des anderen sein wird.«
Längst hatte ich gelobt, mir eine der Hauptfreuden zu
vergönnen, die mir mein neues Glück ermöglichte, nämlich meine
ganze Pracht und Herrlichkeit meinen Landsleuten in der
Karawanserei zu zeigen; das Staunen, das diese beim alten
Osman hervorrufen würden, genoß ich schon im voraus. Dieser
Versuchung vermochte ich jetzt, wo ich mit Zuversicht meine
neue Stellung als ganz befestigt betrachten durfte, nicht
länger zu widerstehen, warf mich daher in meinen schönsten
Staat, bestieg das beste Pferd im Stalle, versammelte das
ganze Gefolge meiner Diener, um mich nach jener Karawanserei
aufzumachen, in der ich, gleich nach meiner Ankunft in
Konstantinopel, zuerst als Pfeifenrohrverkäufer abgestiegen
war.
Als ich eintrat, schien mich niemand zu erkennen, trotzdem
alle, weil sie hofften, in mir einen Käufer ihrer Waren zu
finden, mit Ehrenbezeugungen für mich wetteiferten. Während
meine Diener einen kostbaren Teppich als Sitz für mich
ausbreiteten, sowie einen prächtigen Tschibuk mit
Bernsteinspitze zum Rauchen darboten, erkundigte ich mich nach
Osman. Dieser erschien und setzte sich, ohne mich zu erkennen,
mit der gehörigen Ehrerbietung auf die äußerste Kante meines
Teppichs. Sobald ich eine Zeitlang ganz harmlos mit ihm
geplaudert hatte, bemerkte ich, wie er mich mit ganz
besonderem Interesse betrachtete und, unfähig sich länger
zurückzuhalten, ausrief: »Beim Barte des gesegneten Propheten
Mohammed, Ihr könnt niemand anderes sein als Hadschi Baba!«
Nachdem ich über diesen Ausruf von ganzem Herzen gelacht
und ihm erzählt hatte, in welcher Lage ich mich befände,
erklärte ich ihm auch, wie vortrefflich ich die fünfzig
Goldstücke, die er mir einst geliehen, angewendet habe. Doch
sein philosophisches Gemüt schien über den Umschwung meines
Geschickes nicht in dem Maße außer Fassung zu geraten, wie ich
erwartet hatte. Als hingegen meine Landsleute, die Perser,
hörten, unter diesem großen Turbane und dem umfangreichen
Pelze säße jener Hadschi Baba, der einst wie sie ein
Kleinkrämer gewesen, dem nicht nur diese Pracht gehörte,
sondern noch obendrein ein Pferd, Diener und kostbare Pfeifen
zur persönlichen Verfügung ständen, da erwachte ihre nationale
Empfindsamkeit in einem Grade, daß sie ihren Neid und ihre
Mißgunst nicht mehr zu bemeistern vermochten.
Leider erkannte ich meinen Mißgriff, mich in dieser Weise
hervorgetan zu haben, viel zu spät und hätte mich jetzt gerne
ohne weitere Triumphe still davongeschlichen.
»Was, das ist Hadschi Baba?« sagte der eine, »der Sohn des
Ispahaner Barbiers? Möge das Grab seines Vaters verunreinigt
und seine Mutter geschändet werden!«
»Gut gespielt, du echtes Kind Irans!« rief ein anderer.
»Mit des Türken Bart hast du das Äußerste gewagt, möchten
andere das gleiche mit dem deinen wagen!«
»Seht seinen großen Turban, seine weiten Beinkleider und
seine lange Pfeife!« bemerkte ein dritter; »solche Dinge hat
sein Vater niemals, selbst nicht im Traume gesehen!«
Meine neiderfüllten Landsleute verhöhnten mich in dieser
Weise so lange, bis ich empört meine ganze Würde
zusammenraffte, mich von meinem Sitz erhob, mein Pferd bestieg
und inmitten ihrer fortgesetzten Sticheleien und verächtlichen
Bezeichnungen den Ort verließ.
Zuerst empfand ich großen Widerwillen gegen sie und später
noch größeren Ärger über mich selbst.
»Bei der Seele Hassan Kerbelāi, des Barbiers,« sagte ich
mir; »dir ist recht geschehen! Durfte sich je ein
wohlgenährter Hund unter die Wölfe wagen, ohne von ihnen
zerrissen zu werden, oder ein törichter Stadtbewohner unter
die wilden Araber, ohne daß sie ihn ausplünderten? Vielleicht
wird Hadschi einmal weise werden, vorderhand muß er noch Ärger
im Überflusse hinunterschlucken. Was nützt der Bart, wenn er
an einem leeren Schädel hängt? Ungefähr so viel als der Henkel
an einem Korbe ohne Datteln!
»Der Weise, der behauptete, es freue sich keiner über die
Erhöhung des andern, außer wenn er ihn am Galgen baumeln sähe,
war ein Mann, der reiche Erfahrung besaß.«
In dieser Weise führte ich ein Selbstgespräch mit mir, bis
wir zu Hause anlangten, wo ich mich für den Rest des Tages in
meinen Harem zurückzuziehen und die bitteren Erfahrungen, die
ich hatte schlucken müssen, in Ruhe zu verdauen gedachte. Aber
es sollte anders kommen, denn jetzt verlangte Schekerleb, um
meinen Jammer noch zu steigern, wie von einem bösen Dämon
getrieben, daß ich ihr unverzüglich das Geld, das ich in ihrem
Ehekontrakte für ihre Kleider ausgesetzt hatte, ausbezahlen
sollte, und peinigte mich so entsetzlich durch ihre
unvernünftigen Bitten und Klagen, daß der Groll gegen meine
Landsleute sich auch auf sie übertrug und sich in einer Flut
der heftigsten Reden und wildesten Gebärden Bahn brach. In
einem Atem stieß ich die schrecklichsten Flüche gegen die
Perser, dann wieder die gräßlichsten Verwünschungen gegen
meine Frau aus, bis ich, der sonst so milde und sanfte
Hadschi, in eine tollere Wut geriet als der wildeste Löwe von
Masenderan. Meine Frau, zuerst voll Erstaunen, stellte sich
dann in zappelnder Ungeduld an die Spitze ihrer Frauen und
Mägde und wartete schweigend ab, bis sie das Wort ergreifen
könne. Als ich endlich verstummte, schien ihr Mund wirklich zu
klein für den Wortschwall, der mit elementarer Gewalt daraus
hervorsprudelte. Ihr Redestrom entfesselte die
Zungenfertigkeit der alten Ayscha, diese hinwieder die der
anderen Weiber, bis ein gegen mich gerichteter Ansturm von
Toben und Schreien losbrach und mich nahezu überwältigte.
Umsonst versuchte ich gegen dieses Rasen und Kreischen, für
das sich das Zimmer, wo wir uns befanden, als zu klein erwies,
anzukämpfen. So war ich, um mich dagegen zu schützen, der
erste, der sich, unter dem Gezeter und Händeklatschen seiner
Bewohnerinnen, die weit eher Wahnsinnigen glichen als jenen
schönen Wesen, die uns der Prophet im Paradiese versprochen
hat, aus dem Harem flüchtete.
Ermüdet, abgehetzt und bekümmert durch die Ereignisse des
Tages, zog ich mich in mein eigenes Zimmer zurück, verschloß
die Tür und fühlte mich, trotz alles das Menschenherz
erfreuenden Luxus', der mich umgab, als das elendeste aller
Geschöpfe, verwünschte mein törichtes Benehmen angesichts des
gegenwärtigen Standes meiner Angelegenheiten und war erfüllt
von bösen Ahnungen für die Zukunft. Nun sprangen mir alle
Nachteile des Lügens nur zu deutlich in die Augen. Ich fühlte
mich in meiner eigenen Schlinge gefangen; und hätte ich jetzt
auch versucht, aus der gegenwärtigen Klemme durch ein neues
Lügengewebe zu entwischen, zum Schlusse hätte ich mich doch
unrettbar darin verstricken müssen.
»Wollte der Himmel!« rief ich aus, »ich wäre von Anfang an
ehrlich und aufrichtig zu Werke gegangen, ich würde frei sein
wie die Luft, und mir läge nichts daran, selbst wenn meine
Frau weitertobte bis zum Jüngsten Tage. Aber da ich durch
Verträge, doppelt besiegelte Verträge, gebunden bin, so werde
ich vor der Welt stets dastehen als ein Lügner in Wort und
Tat.«