Im Namen Allahs, des Erbarmers, des BarmherzigenDie
30. Konsultation – Nachweis der Allgemeingültigkeit
22.
Dhul-Hidscha 1329 (13.12.1911)
Verehrter [maulana] Scheich al-Islam, der
Friede sei mit
Dir und die Gnade
ALLAHs und Seine Barmherzigkeit.
Auf die Äußerung, die Überlieferung sei aus der Sicht
unserer Gegner nicht allgemeingültig, wollen wir jene
antworten lassen, die der
arabischen Sprache mächtig sind und sich auch arabischer
Tradition verpflichtet fühlen. Denn Du bist die Autorität der
Araber, der man weder Kritik entgegensetzt noch
widerspricht.
Befindet sich Deine Gemeinschaft – die Nation
arabischer Sprache – in Bezug auf die Allgemeingültigkeit
der
Überlieferung zum Range
Alis denn im Zweifel? Nein und abermals nein! Jemand wie
Du zweifelt doch z.B. auch nicht daran, dass eine bestimmte
grammatische Konstruktion als solche absolut wahr ist. Wenn Du
beispielsweise sagtest: „Ich lasse euch
Gerechtigkeit zuteil werden,“ bezöge sich dann diese,
deine
Gerechtigkeit, nur auf eine ganz bestimmte Situationen
oder würde sie nicht vielmehr ganz allgemein gültig sein,
d.h., ist sie nicht dann in jedem Falle angebracht?
Möge
ALLAH uns davor bewahren, dass Du die
Überlieferung als nicht allgemeingültig ansiehst oder dass
Du für sie nicht vollstes Verständnis aufbringst! Wenn
beispielsweise der
Kalif der
Muslime zu einem seiner Freunde sagen würde „Ich
ernenne Dich zum Herrscher über die
Menschen“ oder „ich weise Dir meine Stellung, meine
Würden und meine Macht zu“, würde dann wohl jemand denken,
diese Worte seien nicht allgemeingültig? Und ist nicht die
Behauptung, hier handele es sich um eine, allein auf ganz
bestimmte Situationen zu beziehende Aussage, nicht
widersprüchlich und leichtsinnig?
Und wenn der
Kalif zu einem seiner Gefolgsleute sagte: „In der Zeit
meiner Herrschaft wird Dir jene Stellung zuteil, die
Umar in der Zeit von
Abu Bakr innehatte , es sei denn, Du gehörst nicht zu
meinen
Gefährten“, wäre diese Aussage dann nur auf etwas ganz
Bestimmtes beschränkt oder gälte sie nicht vielmehr in jedem
Fall?
Bei
ALLAH, ich sehe doch, dass Du die
Überlieferung zum Range
Alis nicht anders als allgemeingültig betrachten kannst
und die Worte des
Gesandten Allahs (s.): „Du hast mir gegenüber den
gleichen Rang, wie
Aaron ihn
Moses gegenüber einnimmt“ für korrekt erachtest.
Hierbei sind die Kriterien der Tradition und der Sprache mit
in Betracht zu ziehen, zumal schließlich das
Prophetentum (für Imam Ali) ausgenommen wurde. Warum
fragst Du dazu nicht die
Araber, die vor deinem Tore stehen?
Die Ansicht des Gegners, die Überlieferung zur Stellung
Alis beziehe sich allein auf den Ort seiner Herkunft, ist
aus dreierlei Gründen unzutreffend:
Erstens: Die
Überlieferung als solche ist bekanntlich allgemeingültig
und auch wenn wir die Hypothese aufstellen, es handele sich
hierbei um einen besonderen Anlass, heißt dies noch nicht, er
verliere damit gleichzeitig seine Allgemeingültigkeit, denn
der Herkunftsort, d.h. der Ort, an dem die
Überlieferung erstmalig vernommen wurde, bestimmt doch
wohl kaum den Inhalt der
Überlieferung. Dies dürfte klar sein.
Angenommen, Du sagst jemandem, der den
Thron-Vers berührt hat [yamassu], obwohl er sich im
Zustand der großen
rituellen Unreinheit befand, dass in diesem Zustand
Qur´an-Verse niemals berührt werden dürfen, seist Du dann
nicht ebenfalls der Ansicht, dass dies nicht nur für den Ort
gilt, an dem diese Worte geäußert worden sind, sondern auf
alle Verse des
Qur'ans und auf alle, die in diesem Zustand sind, zu
beziehen ist? Ich glaube, dass die Weisung, den
Thron-Vers im Zustand der großen
rituellen Unreinheit nicht zu berühren, von niemandem
allein auf diesen Vers beschränkt werden würde. Und wenn ein
Arzt, nachdem er gesehen hat, wie sein Patient Datteln isst,
diesem untersagt, Süßes zu sich zu nehmen, gelten diese seine
Worte dann dem Brauche nach allein an jenem Ort oder aber sind
sie nicht auf jegliche Süßigkeit beziehbar?
Wer – so schwöre ich bei
ALLAH – diese
Überlieferung allein auf ihren Herkunftsort bezieht, ist
in meinen Augen weit von den
Glaubensgrundsätzen und den Regeln der Sprache entfernt.
Er besitzt keinerlei Verständnis für die Tradition und scheint
unserer ganzen Welt entfremdet. Und so unterscheiden sich
jene, welche die Allgemeingültigkeit der
Überlieferung zur Stellung
Alis zugunsten der besonderen Situation während des
Feldzuges von
Tabuk aufgehoben wissen wollen im Grunde genommen nicht
von den anderen.
Zweitens: Die Überlieferung, in der
Ali während des Feldzuges von
Tabuk in
Medina zum Stellvertreter des
Propheten ernannt wird, beschränkt sich nicht auf den Ort
seiner Entstehung, auch wenn ein Gegner darauf beharrt. Unsere
ununterbrochene
Überlieferungskette bis zurück zu den
Imamen der reinen Nachkommenschaft zeigt, dass die
Überlieferung zur Stellung
Alis auch von den anderen Quellen herzuleiten ist. Dort
sollten die Forscher genauer Einsicht nehmen! Dies wird
(zudem) von dem herkömmlichen Brauch der
Sunniten bestätigt. Wie es den in dieser Frage Kundigen
bekannt ist, sind die Behauptungen des Gegners, dass aus dem
Zusammenhang zu erschließen ist, die
Überlieferung sei auf den Feldzug von
Tabuk zu beziehen, unzutreffend, ja sie sind unwahr.
Drittens: Die Behauptung des Gegners, das Allgemeingültige,
das sich gleichzeitig auf eine besondere Situation bezieht,
sei kein Beweis für den Rest, ist ein großer Irrtum und ein
ganz offensichtlicher Fehler. Solche Annahmen über unsere
Überlieferung können nur von jenen stammen, die in diesen
Dingen voller Fanatismus sind. Sie haben ebenso wenig Klarheit
wie jemand, der in stockfinsterer Nacht auf einem blinden
Kamel reitet. Möge
ALLAH uns vor Unwissenheit schützen und Dank sei
ALLAH für unsere Lebenskraft.
Wenn sich die Einschränkung des Allgemeingültigen auf die
Beweiskraft mit einem Bezug auf den Rest beschränken würde,
gäbe es keinen bestimmten Allgemeinbegriff mehr, nicht einmal
dann, wenn er obligatorisch ist, wie auch in unserer
Überlieferung.
Angenommen, ein Vormund sagt zu seinem Diener: „Heute
sollst Du all meinen Besuchern mit Gastfreundschaft begegnen
außer Zaid“, dann ist jener ausgeschlossen von denjenigen,
denen Respekt gezollt werden soll. Wenn nun der Diener auch
weiteren Gästen keinen Respekt zollt, bedeutet es nach dem
Brauch [urf], dass jener Diener ungehorsam war. Die
Rationalisten tadeln ihn und halten ihn mit Recht für
schuldig. Die Bestrafung dieses Ungehorsams würde dabei im
gebührenden Maße zur Vernunft wie zum Gesetze stehen. Und
niemand von denen, die sich dem Brauch verpflichtet fühlen,
würde seiner Ausrede, er hätte den speziellen Befehl auf die
Allgemeinheit angewandt, billigen, und jene Ausrede wäre
schlimmer als sein Vergehen. Dies ist nichts weiter als das
Offenkundigwerden, dass die Verallgemeinerung nach seiner
Einschränkung nicht zulässig ist, wie es Dir doch bekannt ist.
Du kennst die Handlungsweise der
Muslime, und andere haben sich dadurch weiterentwickelt,
dass sie Argumente für Anweisungen aus dem Allgemeingültig
entwickelten ohne das Spezielle abzuleugnen. Nicht nur die
Vorfahren und Nachfolger der
Prophetengefährten sind so verfahren, auch die
Muslime der zweiten und aller bis heute folgenden
Generationen haben sich daran gehalten. Insbesondere sind hier
natürlich die
Imame der Angehörigen des
Prophetenhauses wie auch die übrigen
Imame der
Muslime zu erwähnen. All das steht außer Zweifel und die
Beweiskraft allgemeingültiger
Überlieferung, die sich gleichzeitig auch auf eine
besondere Situation beziehen, sollten auf diese Weise
hinreichend dokumentiert worden sein.
Würden sie nicht als Beweismittel gelten können, so wäre
die Wissenschaft, die sich mit der praktischen Anwendung der
gesetzlichen Grundlagen, also mit den detaillierten Hinweisen
beschäftigt, für die
vier Imame und all die anderen Rechtsgelehrten bereits
abgeschlossen.
Durch die Allgemeingültigkeit dieser
Überlieferungen bleibt die Wissenschaft aber in Bewegung
(und entwickelt sich weiter). Denn allgemeingültig ist auch
das, was vormals auf eine besondere Situation bezogen werden
konnte.
Wenn wir das Allgemeingültige aber missachten, wird die
ganze Wissenschaft erschüttert.
ALLAH bewahre uns davor.
Der
Friede sei mit Dir.
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31. Konsultation – Bitte um Beweise