Im Namen Allahs, des Erbarmers, des BarmherzigenDie 84. Konsultation – Nicht alle Gefährten glaubwürdig
5.
Rabi-ul-Awwal 1330 (24.2.1912)
Verehrter [maulana] Scheich al-Islam, der
Friede sei mit
Dir und die Gnade
ALLAHs und Seine Barmherzigkeit.
Aus den Biographien zahlreicher
Prophetengefährten werden
wir darüber unterrichtet, dass diese sich an die Verfügungen
gehalten haben, wenn sie ausschließlich religiösen Fragen
gewidmet waren und sich auf das
Jenseits bezogen. So
beispielsweise, als der
Gesandte Allahs (s.) keinen anderen
Monat als den
Ramadan für das
Fasten [saum] bestimmt hat oder als er
festgelegt hat, wie oft während der Tag- und Nachtstunden das
Pflichtgebet zu verrichten sei und wie viele
Gebetsabschnitte
auf welche Weise bei jedem dieser
Gebete zu sprechen seien,
oder als er die siebenmalige
Umschreitung der
Kaaba
angeordnet hat. Es gibt noch weitere Bestimmungen, die im
Wesentlichen ihren Nutzen im
Jenseits haben.
Was nun die politischen Angelegenheiten betrifft, wie etwa
Fragen zu den Verwaltungsbezirken und Emiraten, zu den
Grundsätzen des Staates, den Bestimmungen über die Belange des
Reiches und die Entscheidung, wie und wo die Armee eingesetzt
werden soll, so haben sie sich nicht immer an die Verfügungen
gehalten und sahen sich nicht dazu verpflichtet, den
Anweisungen in jedem Falle Folge zu leisten. Sie billigten
sich in diesen Fragen jede Interpretation und jeden
Ermessensspielraum zu. Auch wenn sie zu den Anweisungen des
Propheten genau die gegenteilige Ansicht vertraten, um ihre
eigene Existenz aufzuwerten und ihre Macht auszubauen,
glaubten sie vielleicht daran, dennoch seine Gunst zu
erhalten. Sie vermuteten vielleicht, dass die
Araber sich
Ali
niemals unterwerfen oder gar sich der ihn betreffenden
Verfügung beugen würden, da er sie doch um
ALLAHs und der
Religion willen geschädigt und ihr
Blut vergossen hat, um das
Wort
ALLAHs zu ehren und der sie letztlich mit seinem
Aufbegehren entlarvt hat, um die
Gerechtigkeit wieder herzustellen, bis das göttliche
Gebot trotz aller arroganten
Gotteslästerer siegen konnte. Nur mit Gewalt würden sie ihm
folgen und nur Zwang brächte sie dazu, der ihn betreffenden
Verfügung zu gehorchen.
So machten sie ihn für alles
Blut verantwortlich, das der
Islam seit der Zeit des
Propheten vergossen hat. So verfuhren
sie in diesen Dingen, denn nach dem
Ableben des
Propheten (s.)
gab es niemanden außer ihm, der geeigneter gewesen wäre, die
Verantwortung für das Blutvergießen unter den
Arabern zu
übernehmen. Schließlich war es Brauch, dass der vorzüglichste
Mann der Sippe und der verdienstvollste Angehörige des
Stammes diese Verantwortung zu tragen hatte.
Ali war der
vorzüglichste Mann unter den
Haschim und der verdienstvollste
nach dem
Ablebe des
Gesandten Allahs (s.). Dies lässt sich
nicht bestreiten. Aus diesem Grunde also erwarteten die
Araber, dass er sie ins Unglück stürzt. Ihm und seinen Nachkommen begegneten sie mit Feindschaft, sie hassten ihn
und griffen ihn an. Diese Tatsachen waren überall bekannt, ja,
sie verbreiteten sich über die ganze
Erde und gelangten sogar
bis in den
Himmel.
Die
Quraisch im besonderen und die
Araber im allgemeinen nahmen Rache an
Ali, weil er mit aller Entschlossenheit gegen
die Feinde
ALLAHs vorging und diejenigen exemplarisch
bestrafte, welche die Heiligkeit
ALLAHs, des Allmächtigen und
Erhabenen, verachteten. Sie empfanden große Furcht, weil er
das
Gute anordnete und das Verwerfliche verbot, weil er die
Gemeinde mit
Gerechtigkeit behandelte und die
Gleichberechtigung der Menschen in allen Angelegenheiten
bestätigte. Niemand konnte seine eigenen egoistischen Wünsche
bei ihm durchsetzen und er nahm keinerlei persönliche
Rücksichten. Der Mächtige und Angesehene wurde in seiner
Gegenwart schwach und gehorsam, da
Ali Gerechtigkeit befahl.
Der Schwache und Gedemütigte aber wurde bei ihm mächtig und angesehen, bis ihm seine Rechte zugestanden wurden. Wann
haben sich die Beduinen jemals einem wie ihm untergeordnet?
„Die arabischen Nomaden sind stärker dem Unglauben und der
Heuchelei verfallen, und es passt eher zu ihnen, dass sie die
Bestimmungen dessen, was Gott auf seinen Gesandten
herabgesandt hat übersehen.“ (Heiliger
Qur'an 9:97)
„... Unter den Bewohnern Medinas gibt es einige, die
Heuchler sind. Du kennst sie nicht, aber Wir kennen sie.“
(Heiliger
Qur'an 9:101)
Unter ihnen waren jene, die nicht müde wurden, Verwirrung
zu stiften. Außerdem beneideten die
Quraisch und die meisten
Araber
Ali um die
Gnade, die
ALLAH ihm erwiesen hatte und mit
deren Hilfe er hinsichtlich seines Wissens und seiner Taten
bei
ALLAH, seinem Gesandten und allen, denen Verstand gegeben
wurde, einen hohen Rang innehatte. Seine Gefährten konnten es
ihm nicht gleichtun und auch die Fähigsten blieben hinter ihm
zurück. Wegen seiner Tugenden und besonderen Eigenschaften
wurde ihm bei
ALLAH und seinem
Gesandten eine wichtige
Stellung zuteil, nach der die Neider ihren Hals verrenkten. Er
verwirklichte ein außerordentlich weitgestecktes Ziel, das
auch die Ehrgeizigsten nicht erreichen werden. Dies erweckte
den Neid in den
Herzen der
Heuchler und führte letztlich dazu,
dass die Frevler und Treulosen, die Ungerechten und Abtrünnigen sich darauf einigten, die ihm versprochene
Vormachtstellung für nichtig zu erklären. Die Bestimmungen
ließen sie außer acht und ließen sie in Vergessenheit geraten.
Was geschehen ist, ist geschehen, und ich möchte es nicht
weiter erwähnen. Bitte respektiere das und frage nicht nach
weiteren Einzelheiten.
Die
Quraisch und die meisten
Araber hatten den dringenden
Wunsch, das
Kalifat einmal dem einen, dann einem anderen ihrer
Stämme zuzusprechen; ja, sie waren gierig darauf versessen,
dies zu tun. Fest entschlossen, das versprochene Wort zu
brechen, erklärten sie mit aller Härte die Abmachung für null
und nichtig. Sie waren sich darüber einig, die Bestimmungen in
Vergessenheit geraten zu lassen und sie niemals mehr zu
erwähnen.
Einig in der Absicht, das
Kalifat vom ersten Tag an jenen Wohltätern zu entreißen, denen es der
Prophet angetragen
hatte, überließen sie es der freien Wahl, so dass jeder, der
am Leben war, die Hoffnung hegen konnte, es zu erlangen,
auch, wenn noch einige Zeit verstreichen musste. Hätten sie
aber an der Verfügung des
Gesandten
ALLAHs festgehalten und
Ali nach seinem
Ableben den Vorzug gegeben, dann wäre das
Kalifat für seine
Nachkommen der reinen Abstammung bewahrt
worden, weil der
Prophet doch damals am
Brunnen von
Chum und
auch bei anderen Gelegenheiten diese Nachkommen an den
Qur'an
gebunden und sie bis zum Jüngsten Tag zum Vorbild für die
Verständigen gemacht hatte. Aber die
Araber hätten es nicht
hingenommen, wenn das
Kalifat an ein bestimmtes Haus gebunden
worden wäre, zumal alle ihre Stämme ein Auge darauf geworfen
hatten und jedes Individuum begierig danach war. So ausgezehrt
war das
Kalifat, dass schon die Rippen sichtbar wurden. Aber
dennoch hörten die Bankrotteure nicht auf, darum zu schachern.
Wer mit der Geschichte der
Quraisch und der
Araber aus der Frühzeit des
Islams vertraut ist, wird wissen, dass sie sich
erst dann dem
haschimitischen
Prophetentum ergeben haben, als
sie besiegt waren und über keinerlei Mittel mehr verfügten.
Wie hätten sie sich denn damit abfinden können, dass sowohl
das
Prophetentum als auch das
Kalifat in den Händen der
Banu
Haschim befand. In einem Streitgespräch sagte
Umar ibn Chatab zu
Ibn Abbas: „Die
Quraisch empfinden Widerwillen
dabei, das
Prophetentum und das
Kalifat bei euch vereint zu
sehen, denn ihr werdet den Menschen Schaden zufügen.“
Ali konnte damals die achtbaren Vorfahren nicht dazu
zwingen, an der
prophetischen Verfügung festzuhalten, da er
befürchten musste, dass sie den Umsturz vorbereiteten, wenn er
sich ihnen widersetzte. Außerdem schreckte er vor den
verheerenden Folgen zurück, die unter diesen Umständen
unausbleiblich sein würden. Nach dem
Ableben des
Gesandten
Allahs (s.) wurde die
Heuchelei gänzlich offenbar. Die
Heuchler gewannen an Kraft und die
Ungläubigen wurden
widerspenstig. Die
Säulen der
Religion wurden untergraben und
die
Muslime waren in ihrem Innersten getroffen. Nach seinem
Ableben glichen sie den in einer Winternacht entlaufenen
Schafen, denen Wölfe und andere wilde Tiere auflauern. Einige
Gruppen der
Araber wurden abtrünnig und andere waren im
Begriff, vom
Islam abzufallen. Dies haben wir in der
82. Konsultation bereits ausführlich dargelegt.
Unter diesen Umständen scheute
Ali davor zurück, seinen
Willen, die Verantwortung für die
Muslime zu übernehmen,
durchzusetzen, weil er das Unglück und die Verderbtheit des
Interesses am
Diesseits fürchtete. Außerdem waren die
Herzen
verhärtet und die
Heuchler bissen sich vor lauter Hass in die
Finger. Dies habe ich bereits ebenso erwähnt, wie die Haltung
der Abtrünnigen. Das gilt ebenso für die Völker der
Ungläubigen. Hinzu kam noch, dass die
Ansar mit den
Muhadschirun in Streit gerieten, sich von ihnen fernhielten
und behaupteten: „Von uns wird es einen Befehlshaber [amir]
geben und von euch wird es einen Befehlshaber geben, und so
wird es immer bleiben.“
Mit Rücksicht auf die
Religion hörte
Ali deshalb auf,
weiter seinen Anspruch auf das
Kalifat einzufordern und
begann, all dies zu meiden. Er war sich nur allzu deutlich im
klaren darüber, dass seine Forderungen nach dem Amt des
Kalifen die
Umma in Gefahr bringen und die
Religion aufs
Spiel setzen würde. Nur deshalb wollte er darauf verzichten,
um dem
Islam, dem Allgemeinwohl und um dem
Jenseits gegenüber
dem
Diesseits den Vorzug zu geben. Er blieb in seinem Haus und
leistete so lange keinen
Treueid, bis sie ihn unter Zwang von
dort fortholten, und all dies aus dem einen Grund, dass er
seinen Rechtsanspruch bewahren und Protest gegen jene erheben
wollte, die sich von ihm abgewandt hatten. Wäre er aber
dorthin gegangen, wo man dem
Kalifen Treue schwor, dann hätte
er weder Argumente noch einen überzeugenden Beweis seiner
Ablehnung gehabt. Er hat also sowohl seine Sorge um den Erhalt
der
Religion als auch seinen Rechtsanspruch auf das Amt des
Befehlshabers der Gläubigen sichern wollen. Dies ist ein
Zeichen für seine Klugheit und vernünftige Gelassenheit, für
Geduld und die Tatsache, dem Allgemeinwohl den Vorrang vor den
persönlichen Interessen einzuräumen. Wenn jemand bereit ist,
etwas so Erhabenes und Mächtiges aufzugeben, dann nimmt er bei
ALLAH, dem Erhabenen, eine Stellung ein, die der Religion
entspricht. Das Ziel, das er mit seinen Handlungen verfolgte,
war die erfolgversprechendste aller Möglichkeiten und erschien
ihm die geeigneteste Möglichkeit, die Nähe
ALLAHs, des
Allmächtigen und Erhabenen, zu suchen.
Was nun die drei
Kalifen und ihre Gefolgsleute angeht, so missinterpretierten sie die Verfügung, nach der
Ali
eigentlich hätte
Kalif werden sollen, aus den Motiven, die
bereits angesprochen wurden. Ihr Vorgehen ist auch kaum
verwunderlich, wurdest Du doch bereits darauf aufmerksam
gemacht, dass sie diejenigen seiner Anordnungen, welche die
Politik, die Ernennung der Machthaber, die Grundsätze des
Staates und die Bestimmungen zu den Belangen des Staatswesens
betrafen, nach eigenem Ermessen interpretiert haben.
Möglicherweise haben sie diese Angelegenheiten als nicht der
Religion zugehörig betrachtet und es fiel ihnen daher auch
nicht schwer, in Widerspruch zum
Propheten zu stehen. Als sie
an die Macht gelangt waren, taten sie alles, um die
Verfügungen in Vergessenheit geraten zu lassen, und sie
wandten Gewalt gegenüber jedem an, der es wagte, sie zu
erwähnen oder darauf hinzuweisen. Durch ihre Erfolge bei der
Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung, der Verbreitung des
Islam, der Eroberung von Königtümern, Macht und Reichtum
weckten sie keine Begehrlichkeiten und genossen großes
Ansehen und hohe Achtung von jedermann. Alle hatten eine gute
Meinung von ihnen, die
Herzen der
Menschen standen ihnen
offen und man tat es ihnen gleich, die Bestimmungen des
Propheten zu vergessen.
Nach ihnen gelangten dann die
Umayyaden an die Macht. Deren
einziges Ziel war es, die
Angehörigen der Familie des
Propheten niederzuwerfen und sie vollkommen auszurotten. Trotz
allem jedoch sind in den authentischen
Überlieferungen
genügend eindeutige Textbelege erhalten geblieben.
ALLAH sei
dafür
gedankt!
Der
Friede sei mit Dir.
Weiter zur
85. Konsultation – Bitte um ausführliche Darlegung zu den
Gefährten.