Divan der persischen Poesie
Geist und Entwickelung der neupersischen Poesie
Geringe und vielfach noch unentzifferte Nachrichten sind
uns von der früheren Kultur der Perser bewahrt geblieben. Ein
Stamm der großen Völkerfamilie der Arier, stiegen sie aus den
Ursitzen im mittelasiatischen Hochgebirge, von den rauhen und
unwirtlichen Abhängen des Belurtagh und Mustagh in die
fruchtbareren und milderen Gegenden des Südens hinab.
Ursprünglich noch eins mit den Indiern huldigten sie dem
Dienst der Gestirne, des Feuers und des Wassers, und
nachträglich erst trat auch in religiöser Beziehung eine
Scheidung zwischen den nahverwandten Völkern ein; die
altpersische Mythologie ist eine jüngere Schwester der
indischen. Wohl noch vor 900 v.Chr. stand Zoroaster, der große
Reformator der Lichtreligion unter seinem Volke auf, und
wahrscheinlich übte zur selben Zeit indisches Geisterleben
großen Einfluß auf das iranische aus. In Bamian, Balkh und
Meru waren die eigentlichen geistigen Mittelpunkte des
Reiches, aber auch auf Persepolis fiel etwas vom Schein des
Glanzes dieser Städte.
Wenig genug wissen wir von dem altpersischen Reiche der
Darius und Xerxes, unsicherer noch tappen wir umher, nachdem
dasselbe, in Trümmer geschlagen vom Schwerte Alexanders,
Jahrhunderte hindurch, in der wirren Zeit der Arsaciden, fast
aus der Geschichte verschwindet. Erst seit dem Jahre 226
n.Chr. mit dem Aufkommen der Sassanidendynastie, deren Stifter
Ardeschir Babegan, Sohn eines Schäfers, sich für einen
Nachkommen Sassans, des Sohnes Bahmans, des sechsten und
letzten Königs aus der von Firdusi besungenen
Kajanidendynastie ausgab, raffte sich das nationale Bewußtsein
mächtig wieder auf, die griechische Tünche, mit welcher die
macedonisch-seleucidische Herrschaft das Altpersertum bedeckt,
und welche auch unter den Arsaciden noch hielt, wurde
zerstört. Ardeschir entflammte von neuem die Feuer des
Lichtdienstes und setzte die Religion Zoroasters in die alte
Herrschaft ein, ein eigenartiges Geistesleben trieb reiche und
prächtige Blüten. Wir stehen an den Wurzeln der neupersischen
Poesie. Leider sind uns die Erzeugnisse dieser Zeit nicht
aufbewahrt geblieben, die späteren Erzählungen haben die
Helden derselben mit einem halbmythischen Schimmer umkleidet
und wir müssen die Frage offen lassen, wie weit späterhin das
Arabertum von Einfluß war, ob es in Gutem oder Schlechtem auf
die persische Poesie eingewirkt hat.
Unter Chosru Nuschirwan († 579) und dem großen Vezir
desselben, Büsürdschmihr erreicht das Iran der Sassanidenzeit
den Gipfel seiner Macht. Der gelehrte Arzt Barsuje übersetzte
die Fabeln der Bidpai ins Pehlewi, die alten Königssagen
wurden gesammelt, und später unter Jesdedscherd III., der die
große und berühmte Bibliothek anlegte, von dem Dihkan
(Grundbesitzer) Danischwer im Chodai-Nameh geordnet.
Wahrscheinlich erhielten in dieser Zeit die Sagen jene
Ausgestaltung, wie sie bei Firdusi vorliegt, und auch wohl die
Erzählungen der Tausend und eine Nacht, die Geschichten von »Sindbad«
und den »vierzig Veziren« entstanden damals; wie es scheint,
warf von neuem Indiens Sonne einen Schein von besonderem
Glanze nach Persien hinüber. An Entfaltung äußerer Pracht
wurde Nuschirwan von seinem Nachfolger Chosru Parwis noch
übertroffen. Vor allem blüten Baukunst und Musik. Unter den
Herrschern aus dem Sassanidengeschlecht scheint überhaupt im
allgemeinen ein besserer Geist geherrscht zu haben, als ihn
das alte Persien kennt. Der Einfluß einer entnervenden
Eunuchen- und Haremswirtschaft tritt in den Hintergrund, mehr
oder weniger vom großen Geiste Nuschirwans sind selbst die
kriegsuntüchtigen Mitglieder dieser Dynastie beseelt; auf die
Hebung von Handel, Gewerbe und Landwirtschaft, von Kunst und
Wissenschaft wird Sorge verwandt.
Mit Nuschirwan erscheint jedoch die Kraft des Geschlechtes
im wesentlichen erschöpft. Unter den zwölf Königen, welche ihm
in der kurzen Zeit von zweiundsiebenzig Jahren nachfolgten,
erscheint einer schlechter als der andere. Heftige innere
Streitigkeiten und Palastrevolutionen zerrütteten das Land,
und besonders frech erhob die hohe Aristokratie ihr Haupt,
welche schon vor Nuschirwan unter Kobad ihre Macht bewiesen,
als sie diesen, der mit dem Verkünder einer
demokratisch-sozialistischen Lehre, dem Mager Mazdak, eine
Sache gemacht, vom Throne stürzte. Langandauernde Kriege mit
Byzanz, die endlich erst an gegenseitiger Ermattung ihr Ende
fanden, zerrütteten noch mehr die Kräfte Persiens, die
drohenden Wetterwolken, welche von Arabien her am Himmel
aufstiegen, blieben im Anfang ganz unbeachtet, hochmütig
wiegte man sich in Sicherheit ein. Aber mit reißender
Geschwindigkeit zog das arabische Gewitter herauf; bald
schlugen die eben erst durch die neue Lehre Muhammeds
fanatisierten rauhen Wüstensöhne an die Thore des
Perserreiches, und vergebens stellte sich ihnen Jesdedscherd
III. entgegen. Im 13. Jahre der Flucht und zwei Jahre nach dem
Tode des Propheten 634, fiel der entscheidende Schlag bei
Kassediah, welcher das nationale Perserreich so zertrümmerte,
daß es auf fast neun Jahrhunderte hindurch der Fremdherrschaft
verfiel; ein paar armselige Flämmchen blieben übrig von dem
gewaltigen Feuer der Lichtreligion, welche noch vor kurzem mit
dem Christentum gerungen hatte, und selbst die Sprache mußte
ein fremdes Gewand anziehen.
Der Sieg der Araber war der vollständigste. Alles
Einheimische und Eigene wurde mit eiserner Gewalt unterdrückt,
und die Bekehrung zum Muhammedanismus mit solcher Kraft und
solchem Erfolge durchgeführt, daß, wenn auch in der ersten
Zeit die Lichtreligion besonders in den östlichen Provinzen
sich noch erhalten konnte, doch schon nach drei Jahrhunderten,
mit dem Verfall des Kalifats und dem Aufkommen einheimischer
Fürsten letztere nicht mehr zur Religion der Vorfahren
zurückzugreifen dachten und wagten. Der Übergang der Perser
von Zoroaster zu Muhammed war ein endgültiger. Das Arabische
wurde die Sprache der Gesetze und Verwaltung, und fast scheint
es, als sollte die persische Sprache aus der Litteratur
verschwinden, denn selbst die eingeborenen Gelehrten fangen
an, in der Sprache des Siegers ihre Bücher zu schreiben. Der
bis dahin ziemlich rein gebliebene alte Zendstamm, der sich
nur im Norden mit Turaniern gemischt, nimmt im Laufe der
Jahrhunderte immer mehr fremde Elemente auf.
Wie häufig, übten aber auch diesmal die Unterlegenen starke
Einflüsse auf den Überwinder aus. Die höhere und feinere
Bildung war auf Seiten der Perser, welche auf eine lange und
ruhmvolle Vergangenheit, auf zahlreiche Werke der Kunst und
Wissenschaft zurückblicken konnten, während die Araber noch
nicht weit über die Kultur eines Nomadenvolkes hinweggekommen.
Persien gab der Welt des Islams die größten Gelehrten und
selbst die ersten großen arabischen Grammatiker, Sibuje und
Sedschadsch, gehörten dem unterworfenen Volke an. Ja, sogar in
die Religion retteten sich einige Reste aus der Zoroastrischen
Mythenwelt.
Dreihundert Jahre ungefähr dauerte dieser Zustand des
Schweigens, der Öde, das nationale persische Leben ist aufs
tiefste verfallen. Aber in den östlichen Provinzen, im
eigentlichen Herzen des Reiches, hatte sich der Geist der
Vorfahren aufs stärkste erhalten. Waren die Feuertempel auf
immer zerstört, so trug die religiöse Opposition in den Islam
selbst den Zwiespalt hinein, waren es doch auch
politisch-nationale Elemente, welche den Alikultus, den
Schiitismus emporkommen und groß werden ließen. In Baktrien,
der Geburtsstätte desselben, ward auch der Grundstein der
neuen persischen Monarchie gelegt. Der immer mehr zunehmende
Verfall des Kalifats erweckte in einigen einheimischen
Fürstengeschlechtern die Hoffnung auf Unabhängigkeit, und
verdrängte auch eine Dynastie rasch die andere, kam es zu
keinen länger dauernden staatlichen Schöpfungen, so wurde doch
der härteste Bann des Arabertums durchbrochen und der Geist
der Nation wiederum frei. In den nordöstlichen Provinzen
hatten die Thahiriden schon zur Zeit Harun al Raschids fast
unbeschränkt die Gewalt ausgeübt. Höher noch stieg die Macht
des von niederer Herkunft stammenden Jacub ben Lais, des
Stifters der Soffaridendynastie, welcher 880 die Thahiriden
stürzte und sich fast ganz Iran mit Ausnahme des Westens
unterwarf. Den Untergang der Soffariden führten schon nach
kurzer Zeit die Samaniden herbei, welche wiederum einen
Augenblick höchsten Ruhmes genossen, als sie über ein Reich,
das sich vom kaspischen Meer bis an das indisch-persische
erstreckte, geboten. 1004 fand auch dieses Herrschergeschlecht
sein Ende, und im eigentlichen Persien standen auf den Gräbern
desselben die Buiden, an der indischen Grenze die Sultane von
Ghasna auf, welch letztere Mahmud I. zu den Ihren zählen, den
kein anderer als Firdusi zu einem der berühmtesten und –
berüchtigsten Herrscher des Orients machte.
Im Einen nur waren alle die aus diesen zahlreichen
Dynastien hervorgegangenen Fürsten eins: bereits überzeugte,
ja sogar fanatische Bekenner des Islams suchten sie doch vor
allem das persische Nationalgefühl von neuem zu erwecken und
zu beleben, indem sie die Sprache wieder in ihre Rechte
einsetzten, das Arabische aus den Gerichts- und
Verwaltungshöfen verdrängten und einer in der einheimischen
Mundart dichtenden Poesie die erfreulichste Aufmerksamkeit
zuwandten.
Die Sprache erhält in dieser Zeit ihre neue moderne
Gestaltung. Die älteste Form derselben ist bekanntlich das dem
Sanscrit nahverwandte Zend, die heilige Sprache der Bücher der
Awesta, neben welchem mehr im Westen das Altpersische der
Keilinschriften herrschte. Die Periode der Parther, überhaupt
die sieben Jahrhunderte von 400 vor bis 300 n.Chr. bringen den
Verfall und die Auflösung der alten Sprache, die wohl zu einem
Gemisch mit benachbarten Sprachen wird; es ist eine völlig
dunkle Zeit. Unter den Sassaniden tritt das aus persischen und
aramäischen Elementen gebildete Pehlevi oder Huzvaresch auf,
welches als lebende Volkssprache im Westen, in Mesopotamien
durch das Arabische verdrängt wurde. Im Osten wurden hingegen
rein persische Dialekte, darunter das Parsi gesprochen,
letzteres eine nicht vollkommen durchgebildete
Durchgangssprache, die bis Firdusi ihre Geltung behauptete und
sich dann zu dem Neupersischen entwickelte.
Nachdem einmal der Bann gebrochen und die Reaktion gegen
das Arabertum der Volkssprache zum Siege über die des fremden
Eroberers verholfen, blüht ziemlich rasch der Frühling der
persischen Poesie empor, eine Poesie, welche die ganze
nationale Kraft dieser Sturm- und Drangperiode atmet, näher
als die spätere dem Nationalbewußtsein steht und ebenso wie
die Sprache, ziemlich frei von arabischen Elementen erscheint.
Es ist die Zeit der Nationalepik, der persischen Poesie in
ursprünglicher und ungetrübter Reinheit.
Schon unter Jacub ben Lais wurde der Danischwer ins
volkstümliche Parsi übersetzt und damit die Erinnerung an die
große Vergangenheit wieder lebendiger wachgerufen, mächtiger
aber blühte das Geistesleben unter den Samaniden auf, von
denen besonders Emir Nassr, der in Chorassan regierte, im
Verein mit seinem gelehrten Vezir Belami, der Dichtkunst und
den Dichtern jene fürstliche Gunst und Verehrung
entgegenbrachte, ohne welche im Orient die Kunst nicht
gedeihen kann. An seinem Hofe blühte der älteste neupersische
Poet, Rudegi, und etwas später unter Abu Salih Dakiki, welcher
noch zur Lichtreligion sich bekannte und sich bereits an den
gewaltigen Stoff heranwagte, welchen die Meisterhand eines
Firdusi später bildete. In Dilem sammelte Kabus Schemsol Maali,
selbst ein Dichter und Verfasser eines Fürstenspiegels, die
Träger der schon mächtig erblühten Kunst um sich, zur selben
Zeit, als diese in Mahmud dem Ghasnewiden einen feinsinnigen
und mächtigen Beschützer gefunden, der, wohl zur Anstachelung
des Ehrgeizes, das Amt der »Dichterkönige« schuf und zum
erstenmale mit diesem Titel Anssari auszeichnete. Anssari war
der Lehrer Ferrachis, der zum erstenmale die Gesetze der Kunst
in Verse brachte, und der Beschützer – Firdusis, welchen er
Sultan Mahmud als die geeignetste Kraft bezeichnete, um das
von dem Fürsten sehnlichst erwünschte Werk auszuführen, die
dichterische Gestaltung der alten Königs- und Heldensagen. Der
gewaltige Glanz, der von dem Namen Firdusi ausgeht, verdunkelt
die Zeitgenossen. Gleich im Anfang der Entwickelung der
persischen Dichtung, erhebt sich, wie im Anfang der
griechischen, ein Werk, das von keinem nachfolgenden
übertroffen wird, das erhabenste Denkmal aller orientalischen
Litteraturen überhaupt, welches den Vergleich mit dem
Homerischen Epen nicht zu scheuen braucht. Es atmet noch
ursprünglichsten nationalen Geist, den Geist einer kräftig
sich erhebenden, gegen die Fremdherrschaft sich
zusammenstraffenden Zeit, und wenn sich auch der Dichter
bewußt zu Mohammed und Ali bekennt, unbewußt wird er zum
Dichter des Parsismus, das innerste Herz ist erfüllt vom Feuer
der alten Zeit und man kann es immerhin verstehen, daß
Firdusis Neider ihn, der mit so liebevoller Objektivität als
Muhammedaner Serduscht besingt und sein ganzes Werk dem
gewaltigen Kampfe zwischen Licht und Finsternis, Ormuzd und
Ahriman widmet, als geheimen Lichtanbeter verschrieen.
Die von den Samaniden und Ghasnewiden getragene nationale
Bewegung sollte jedoch fürs erste noch nicht zum Siege kommen,
der reine Geist, wie er im Schah-nameh erscheint, macht doch
wieder eine Rückbildung durch, und die Kunst verliert in der
nächsten Zeit vom eigensten nationalen Gehalt, um mehr ein
allgemein mohammedanisch-arabisches Gepräge anzunehmen. Die
nivellierende Kraft des Islamismus macht sich von neuem
geltend.
Politisch fanden die nationalen Bestrebungen ein Ende, als
das Khalifat, seiner eigenen Ohnmacht sich bewußt, die
turkomannischen Stämme der Seldschukken zur Hilfe gegen die
Selbständigkeitsbestrebungen der kleineren Herrentümer
herbeirief; allerdings vernichteten diese auch wirklich eine
Reihe von Dynastieen, aber das Khalifat hatte nichts dadurch
gewonnen; denn schon dem ersten Seldschukkenfürsten Togrul
Beg, mußte es die Ausübung seiner weltlichen Macht übertragen.
Zum Glück für die eben erstarkte Kunst brachten auch die
Herrscher der neuen Dynastie Liebe und Verständnis ihr
entgegen, und wandten der Hebung der Wissenschaft sorgfältige
Aufmerksamkeit zu. Vor allem kann man nicht die Wirksamkeit
des genialen Nizam al Mulk, vielleicht des größten
Staatsmannes des Orients, und eines Freundes des geistreichen
Religionsspötters Omar Chijam, übersehen, welcher als Vezir
dreier Seldschukkenfürsten mit großem Geist und in großem Styl
das Reich lenkte; er wußte nicht nur die realen, sondern auch
die idealen Mächte zu schätzen, und gründete eine Reihe von
Akademieen und Schulen, von denen besonders die seinen Namen
tragende Nisamijeh zu Bagdad den größten Ruhm sich erwarb und
zum Mittelpunkt des Geisteslebens des Islams ward. Unter den
Fürsten glänzen neben Malik-Schah, dem zweiten Herrscher,
unter welchem Nisam al Mulk diente und der selber als
historischer und politischer Schriftsteller sich auszeichnete,
vor allem Sandschar, der in Chorassan regierte, Beramschah und
dessen Nachfolger bis, auf die letzten Messud und Toganschah.
Und auch als die Geldschulden wegen allzugroßer Zersplitterung
des Reiches in kleine Satrapieen, deren Herrschaft sie den
Verwandten und Freunden übergaben und die sich alsdann wieder
selbständig zu machen suchten, geschwächt von ihren früheren
Majores domus, den Atabegen vom Throne gedrängt wurden, hatte
die Kunst keinen Grund, diesen Wechsel zu beklagen. Die
Atahegen folgten dem rühmlichen Beispiel ihrer Vorgänger,
ebenso wie die Sultane von Chowaresmien, welche vom kaspischen
Meere her, besonders seit dem Anfange des dreizehnten
Jahrhunderts auf Kosten der Seldschukken ein starkes Reich
sich gründeten. Allerdings war es zumeist nur ein äußerer
Glanz und Reichtum, mit welchem sie die Träger der Poesie
ausstatten konnten. Sie streuten Geschenke und Gaben mit
verschwenderischen Händen aus, und die »klingenden Lobsprüche«
erreichten besonders in diesem Zeitraum eine Höhe, die einen
europäischen Poeten märchenhaft anmuten müssen. Üblen Einfluß
übte dieses Mäcenatentum insofern aus, als es immerhin ein
mächtiges dazu beitrug, den durch die orientalischen Zustände
so wie so bedingten Geist der höfischen Schmeichelei und
Lobhudelei auch in der Kunst großzuziehen.
Die persische Sprache vermochte sich, so lange sie nur im
Munde des Volkes, in den entlegeneren und von der erobernden
Welle unberührteren Provinzen des Ostens blühte, ziemlich frei
von den arabischen Elementen zu erhalten. Das mußte anders
werden, als sie durch die Litteratur an die Öffentlichkeit
gezogen ward und überhaupt auch in der Gesellschaft und in der
Verwaltung zur Herrschaft gelang. Das Arabische war immerhin
die heilige Sprache, die Weltsprache des Mohammedanismus, das
Volk des Propheten, das auserwählte, das herrschende, das
Persertum bereits zu sehr durchdrungen von den anfangs
feindlichen Elementen, und da eine entschiedene, alles
ablehnende, nationale Reaktion nicht zum Siege gelangte und
gelangen konnte, trat eine Mischung ein. Durch scharf
bestimmte Züge unterscheiden sich in dieser Zeit die arabische
und persische Litteratur nicht von einander. Bald nach Firdusi
verliert sich die Reinheit der Sprache und wird durch das
Eindringen des arabischen verschlechtert; ohne sich in ihrem
Bau, in ihren Formen zu verändern, nimmt sie doch zahlreiche
Fremdwörter auf, die sie allerdings nationalisiert.
Es liegt wohl an dem starren Konservativismus des
Semitentums, an der Passivität, zu welcher eine Religion, wie
die des Islam, ihre Bekenner zuletzt führen muß, an all den
besonderen Charaktereigenschaften, die wir als eigentümlich
orientalische kennen, daß in der arabischen Poesie so bald
deutliche Spuren der Greisenhaftigkeit sich bemerkbar machen.
Die erste wilde Jugendlichkeit, wie sie in den rauhen
Wüstengesängen der vormohammedanischen Periode bei den
Dichtern der Moallakat heiß und rasch pulst, steht hart neben
der Überreife. Der Geist der Ehrfurcht vor dem Alten führte
zur Konventionalität, so daß die Poeten immer wieder die alten
Vorstellungen, Stoffe und Empfindungen einer Wüsten- und
Nomadenpoesie gestalteten, wie man bei uns noch immer
Ritterballaden und ähnliches schreibt, während man doch schon
längst die Zeit des Nomadentums hinter sich hatte.
Selbstverständlich brachte solcher Archaismus Unnatur und
leere Nachahmung zur Reife. Und da hiermit der innerliche Wert
verloren ging, kam man zu äußerlichem formalistischem
Raffinement. Das scharfe Verstandesleben des Orientalen trat
hinzu und es bricht ein Geist der Silbenstecherei, der Wort-
und Bilderspielerei, eines kalten Witzehaschens aus.
Ähnlich in der persischen Litteratur. Die Einwirkungen der
Motenebbi, Bohtori, Abu 'l-Walid haben sie zum Schaden
beeinflußt, das arabische Element führt rasch eine Zersetzung
herbei. Die Modedichtung ist die des Panegyrismus, der
überschwänglichsten Lobhudelei der Fürsten und Großen des
Reiches, welche mit klingender Münze bezahlen. Die
Schmeichelei kennt keine Grenzen. Darf man diesen Poeten
glauben, so gebieten die damaligen Sultane über die
wunderbarsten Kräfte; ihrem Wink gehorchen Sonne und Gestirne,
unter dem Glänze ihres Auges wird der Winter zum Frühling und
Gott ist nur ein Diener und Vollzieher ihrer Befehle. Alles
geht in eine bunte wirre Phantastik über, und zielt auf
Blendung, Überraschung ab. Tiefe Innerlichkeit darf man nicht
suchen. Ein Nichts wird überschüttet mit einer Pracht der
Bilder, einer berauschenden Schönheit der Sprache, einem
blendenden Reichtum an rein künstlerischen Vorzügen. Der
leerste Inhalt – die schönste Form, wie etwa bei Alexander
Pope. Oft genug geht diese Lobhudelei mit dein Geist der
beißendsten Satire Hand in Hand, Das ist eher
selbstverständlich, als daß es Wunder nehmen kann. Ihre
höchste Vollendung erreichte diese Kunst in den Werken der
Enweri, Chakani, Sahir Farjabi und Achestegi. Wie die Zeit der
europäischen Pseudoklassik, so hat auch diese Vorliebe für
eine didaktische Poesie. Ihren Boileau fand sie in Reschid
Watwat, der das, was schon Ferrachi versuchte, in einem
dauernderen Werke ausführte und eine Poetik schrieb, welche
durch alle Jahrhunderte hin Ansehen und Geltung behauptete.
Nur wenige blieben dem allgemeinen Taumel fern. Die
originelle Erscheinung eines Omar Chijam, in dessen Rubajs
bereits die ganze Weltanschauung eines Hafis in nuce Ausdruck
gefunden, gehört allerdings noch der Zeit zwischen Firdusi und
Enweri an. Er ist der Abu Nuwas der persischen Poesie, ein
voll ausgewachsener Freidenker, welcher mit scharfen
Geißelhieben die Dogmatik des Muhammedanismus zerfetzt und den
Oppositionsgeist des Sufismus vorbereitet, ein großer genialer
Mensch durch und durch. Zu ihrer Höhe führt die Kunst dieses
Zeitalters Nizami empor, der, zurückgezogen vom Treiben der
Panegyriker, das stille Leben auf einem Landgütchen den
berauschenden Festlichkeiten, den Ehren und Belohnungen der
Höfe vorzog. Der romantisch-phantastische Geist des
Jahrhunderts findet in seinen Werken die edelste Verkörperung.
Die Welt Firdusis ist zugrabe getragen; der kraftvolle
Nationalismus, das männlich Heroische findet bei dem
weichlicheren Geschlecht keinen Boden mehr. Nizami ist nicht
kernhaft heimatlich, die Liebe und das Verständnis für das
Alte, der naive Glaube an die Vergangenheit und Zukunft des
Volkes geht ihm ab. Mehr als Krieg und Schlacht begeistern ihn
Märchen- und Liebesgeschichten, und er versenkt sich in die
bunte krause Phantastik der alexandrinischen
Romanschriftsteller, in die heitere und tragische Idyllik der
arabischen Legenden. Wir atmen etwas vom Geist der
europäischen Ritter-, Schäfer- und Hirtenpoesie. Nizami ist
der Tasso der Perser, ein sympathischer, gesunder und
tüchtiger Romantiker.
Auch die Poesie und Geistesanschauung des kommenden
Zeitraumes wirft ihre Schatten bei Senaji voraus, der zuerst
als Panegyriker sich Ruf erwarb, aber von dem Gefühl der
Nichtigkeit des Daseins ergriffen, seine dem weltlichen
Treiben gewidmeten Gedichte verdammte und der Mystik in die
Arme sich warf.
Gewaltige Umwälzungen ließen ein neues Geschlecht
heranwachsen. Im ersten Augenblicke schien es, als sollte die
mohammedanische Welt und Kultur, und mit ihr die persische, in
einem Strom von Blut fortgeschwemmt werden. Unter der Führung
eines brutal-rohen, allem geistigen Leben feindlichen
Häuptlings, unter Tschingis-Chan, brachen mongolische Horden
mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts in das Reich ein, und
zogen sengend und mordend nach Westen vor. Alle Stätten der
Bildung wurden zerstört, Gelehrte und Künstler fielen unter
die Säbel der Eroberer oder flohen, und bald bot das eben noch
so blühende Reich den Anblick einer Wüste. Erst allmählich
erholte sich das Land von diesen Schlägen; unter den Mongolen
selber traten edlere und aufgeklärtere Großen auf, welche sich
die geistige Heranbildung ihres Volkes angelegen sein ließen,
wie Ilitschutsai, der bedeutende Vezir Dschingiskhans und
Ogtais, Dschowaini, der große Historiker und Nassr-ed-dîn von
Tus, der Mathematiker. Die Kunst aber war vom ersten des
Reiches nach dem Westen und Süden ausgewandert, wo sich noch
einige Fürstenhäuser aus den letzten Dynastieen erhalten
hatten, bei denen sie Schutz und Zuflucht fand. Die Herrscher
von Schiras und Konia gewährten ihr eine um so ermunterndere
Pflege, als sie selber dem Dienste der Wissenschaft ergeben
und in feiner Bildung erzogen waren, in Schiras erwarben sich
dadurch vor allem die Atabegen Saad Ben Senghi und
Mossaffer-ed-dîn Ebubekr Ben Saad, nach dem sich der Dichter
des »Gülistan« Saadi benannte, einen dauernden Namen, Konia
blühte am herrlichsten unter Ala-ed-din Keikobad, dem
Beschützer Rumis.
Die Poesie dieses Zeitraumes ist eine Poesie der
Innerlichkeit, der seelischen Einkehr, der Vertiefung. Sie
verschwistert sich mit der Religion. Bei Senaji haben wir
diese Wandlung schon beobachten können. Wie ein Erschrecken
erfaßt es die Kunst über das hohle Treiben, dem sie sich
hingegeben, und sie will sich nicht länger berauschen lassen,
weder an dem geistig armen Panegyrismus, noch an der
ausschweifenden Phantastik, an den leeren Spielen und
Luftgebilden, den Willkürlichkeiten der Romantik. Eine Kunst,
die nichts als Kunst ist, eine Poesie des Traumes, des Luxus,
die ausschließlich dem Dienste und dem Vergnügen der Großen
und den Zerstreuungen der Gesellschaft sich widmet, erscheint
der Zeit mit Recht gering und klein. Die Blutströme, in
welchen die barbarischen Mongolen das Land ersäufen, der
Untergang der glänzenden Städte, die gemeine Abschlachtung der
wie Götter gepriesenen Fürsten zieht die Einsicht von der
Hinfälligkeit alles Irdischen, die Gleichgiltigkeit gegen
Leben und Tod groß. Die Erkenntnis bricht sich Bahn, daß der
eigentliche Wert alles Menschlichen im Geistigen besteht und
doch auch eine große Kunst ohne ein großes Geistiges ohne Wert
ist. Wie die Worte des Luther'schen Schlachtgesanges schallt
es stolz den brutalen Siegern entgegen: »Nehmen sie uns den
Leib ...« »Das Wort, sie sollen lassen stahn ...« Die
Ideenpoesie, eine Kunst des Geistes, erobert sich die Herzen,
eine Kunst, die tiefe, edle und bedeutende Menschen verlangt.
Mit vollem Bewußtsein tritt Saadi einem Firdusi entgegen; auch
er will ein Heldenbuch schreiben, Schlachten und Kämpfe
zwischen Licht und Finsternis besingen, aber nicht Kämpfe, die
mit Schwert und Schild ausgefochten werden, sondern die Kämpfe
der Seele, des Geistes, das innerliche Ringen gegen
Sinnlichkeit und Gemeinheit. Das Wort Moralist klingt uns zu
trocken für einen Saadi; er ist mehr als das, ein gewaltiger
Ethiker, ein Menschheitsführer, von jenem Holze, aus dem die
großen Religionsstifter geschnitzt werden. Im Gegensatz zu
Rumi ist er der Realist, der fest im Boden der Wirklichkeit
wurzelt, nicht das Leben verneint, sondern es bejaht, nicht
die Flucht, sondern die Zukehr zur Welt predigt, und an eine
Verwirklichung seiner Ideale innerhalb dieses Daseins zu
glauben Permag. Das Kluge, Verständige, Praktische tritt bei
ihm mehr in den Vordergrund, sodaß auch der Alltagsmensch ihn
begreift, wahrend ein Rumi nur durch eine congeniale Natur
völlig erfaßt werden kann. Die Frage, wer von beiden der
größere, ist eine thörichte. Im Wesen unterscheiden sie sich
völlig von einander; Saadi, der Sohn des allzeit dem
Lebensgenuß mit besonderer Glut sich hingebenden
wirklichkeitsfreudigen Schiras, verleugnet niemals seine
Zugehörigkeit zur Welt, während Rumi überirdisch verzückt,
rein spirituell, seine Lieder irgend welchen himmlischen
Heerscharen abgelauscht zu haben scheint. In Rumi feiert die
Mystik ihre höchste künstlerische Vollendung. Seine Werke
verkünden den Sufismns in seiner genialsten Ausprägung. Schon
bald sehen wir auf dem Boden des Mohammedanismus religiös
philosophische Anschauungen heranwachsen, welche zunächst die
Starrheit des Dogmas, die Herbigkeit des orthodoxen Deismus
und Fatalismus zu mildern und zu sänftigen bestrebt sind.
Diese Mystik hält sich bei den arabischen Scheichs in den
Grenzen des Gesetzes und der Lehre des Propheten und sucht mit
der Orthodoxie auf gutem Fuße zu bleiben; anders in Persien,
wo sie ihre charakteristische und genialste Ausgestaltung
empfängt. Muß auch eine feste und enge Verbindung mit dem
Buddhismus zurückgewiesen werden, so dürften doch indische
Vorstellungen nicht ohne Einfluß geblieben sein. Der persische
Sufismus steht seinem Wesen nach im vollen Gegensatz zum
Mohammedanismus, und wir sehen nach so vielen verunglückten
politischen Wiederherstellungsversuchen das Schauspiel einer
siegenden geistigen Revolution des altpersischen Geistes gegen
die Welt des Islam. Der Sufismus steht über allen Religionen,
Dogmen und Bekenntnissen; mit Omar Chijam sieht er in ihnen
ein »Possenspiel« oder doch nichts als Allegorieen;
Christentum, Judentum oder Muhammedanismus haben gleichen
Wert. Er findet jene schönen Gleichnisse von den drei Ringen,
das Lessing zu einem Gemeingut auch für uns machte, von dem
großen runden Saal mit zahlreichen Thüren, in dessen Mitte der
Thron des Fürsten (Gott) sich befindet; kommt man nicht durch
alle Thüren (Religionen) gleich gut und gleich rasch zum Sitze
des Herrschers? Ein Gutes und Böses besteht in Wahrheit nicht
und es ist kein Unterschied dazwischen, denn alles ist
Emanation Gottes. Gott allein existiert von Anfang her; in ihm
liegt verschlossen die Welt, das All, mit der er Eins ist.
Sein Verlangen, sich zu offenbaren, schafft die Welt, die
Vielheit der Dinge, aber diese ist deshalb nicht getrennt und
substanziell verschieden von ihm. Der Mensch ist göttlich,
doch existiert er nur durch den Willen Gottes, während Gott
ein unbedingtes Sein besitzt. Die volle Wiedervereinigung mit
Gott, die Gottwerdung selbst ist das einzig würdige Ziel
menschlichen Strebens und der Sufi erreicht es, von Stufe zu
Stufe höher steigend, allein durch ein allem Irdischen
abgewandtes rein beschauliches Leben. Er soll in sich
versinken, nur an die Einheit denken; nicht Werke und Thaten
helfen ihm, die Gnade allein kann ihn selig machen. Diese
Mystik drückt der persischen Poesie ihren ganz eigenartigen
Charakter auf, wie wir ihn sonst nirgendwo wiederfinden,
Religion und Poesie gehen völlig ineinander auf und
verschwimmen gegenseitig, und darin liegt auch die Dauer
dieser Richtung. Vielleicht darf man schon in der
Kai-Chosru-Episode des Schah-nameh etwas von ihrem Geiste
erkennen, Omar Chijam steht ihr nicht fern und von Senaji bis
auf die Gegenwart findet sie immer neue Jünger und Sänger.
Freilich kann man immer noch ein großer Sufi, und ein
schlechter Poet sein. Zwischen den trockenen dürren Reimereien
eines Mahmud aus Schebifter und den glutvollen lodernden
Versen eines auf den Flügeln seiner Phantasie über alle Himmel
sich erhebenden Rumi – welch' ein Unterschied! Auch das
charakterisiert den poetischen Geist des Sufismus, daß er
seine Lehren nie mit abstrakten Worten ausspricht, sondern sie
in ein reiches Bildergewand kleidet, und alles
uneigentlich-allegorisch und bildlich ausdrückt, vielleicht
auch, damit die Orthodoxie über den völligen Zwiespalt, die
Unvereinbarkeit des deistischen Muhammedanismus und des extrem
pantheistischen Sufismus getäuscht werden konnte. Wie alle
Mystik als Ausgeburt eines schwellenden Phantasielebens, so
ergeht sich natürlich erst recht diese orientalische in sehr
sinnlichen Vorstellungen. Sie entnimmt dieselben
ausschließlich der Erotik; und unter dem Bilde des schönen
Schenken, mit dem man sich vereinigen will, verbirgt sich
niemand anders als Gott, als das »achad«. Ob man es mit einem
mystischen Poem oder mit einem sehr realistischen Wein- und
Liebeslied zu thun hat, läßt sich infolgedessen durchaus nicht
immer unterscheiden, und es kann deshalb nicht so sehr Wunder
nehmen, wenn auch die als Freidenker und Religionsspötter
verlästerten Chijam und Hafis von anderer Seite als »mystische
Zungen«, gepriesen werden, besonders da mancherlei bei ihnen
sicher ins Gebiet der Mystik hineinfällt.
Zu dem hohen und gewaltigen Geistes-, Gedanken- und
Empfindungsleben, zu der großartigen Fülle echter Poesie,
welche in den Werken der drei genialsten Geister dieser
Periode, Ferideddin Attar, Saadi und Rumi, niedergelegt sind,
wird jeder Tiefangelegte bewundernd aufblicken. Freilich hat
auch der Sufismus seine bedenklichen Schattenseiten, und
erheben, stärken, anfeuern kann er nur Geister vom Schlage
eines Rumi. Bemächtigt sich der Alltags- und
Durchschnittsmensch seiner, so wird unter dessen Händen das
Lebenswasser zum Gift, zum verderblichen Opium. Mit ihrer
Verachtung alles werkthätigen Handelns mußte die Mystik
einerseits einen erschlaffenden und entnervenden Quietismus,
geistige Betrunkenheit und wiederum phantastisches Traumwesen
großziehen, – andererseits aber durch seine Versprechungen des
Gottwerdens pfäffischen Hochmut und Zelotentum, – zu
allerletzt alles in allem ein arrogantes Geschlecht von
Bettlern und Augenverdrehern. Der Sufismus macht es gerade den
Dümmsten, Faulsten und Schuftigsten leicht, Heilige zu werden
oder doch zu scheinen; die Dummheit, Faulheit und Unwissenheit
brauchte sich nur in den Kot der Straße zu setzen und stier
auf den Nabel zu blicken, so eilte auch schon die Menge
herbei, um den neuen Gottwerdenden anzustaunen und zu
bejubeln. Aber dieses Gesindel fand seinen Hafis.
Nach und nach wurde der Druck der Mongolenherrschaft
sanfter und leichter erträglich. Wie schon früher beim
Zusammenstoß der persischen und arabischen Welt, so gewann
auch diesmal das unterlegene Volk wenigstens die geistige
Herrschaft und machte sich zum Lehrer und Erzieher seines
Unterdrückers. Die Nachfolger Dschingischans bemühten sich,
die blutigen Spuren ihres Vorgängers zu verwischen, lernten
die Bildung schätzen und wurden bald ernste und redliche
Gönner von Kunst und Wissenschaft, besonders die Hulagiden in
Persien, welche dortselbst als Statthalter des Großchans
saßen. Der Übertritt derselben zum Islam überbrückte noch
besser die bis dahin bestehende Kluft. Besonders der Vezir
Gasans und Chodabendes, Raschid-ed-dîn, ein hervorragender
Historiker, und der letzte Fürst der Hulagidendynastie, Abu
Said, waren begeisterte Freunde und Pfleger aller höheren
kulturellen Bestrebungen: eine Schar glänzender Poeten, wie
Mir Kermani, Selman Sawedschi, Obeid Sakani, Nassir von
Bochara u. a. hatte am Hofe Abu Saids Aufnahme gefunden.
Innere Streitigkeiten zerrütteten die Macht der Mongolen, und
von neuem erhob im Süden des Reiches der nationale Gedanke
sein Haupt, als es Mosaffer glückte, von den mongolischen
Ilchanen sich selbständig zu machen. Auf kurze Zeit blüht ein
von einheimischen Fürsten regierter Nationalstaat auf, der
seinen schönsten Glanz erhält von dem Ruhme eines Hafis, der
als Freund Sedschas, des Sohnes Mosaffers, in Schiras seine
unvergänglichen Verse schrieb. Der ernste religiöse Geist des
verflossenen Jahrhunderts weicht zurück, die verheerenden
Stürme sind vorüber, mildes Sonnenlicht scheint auf das Land
wiederum herab; man darf sich von neuem des Lebens und der
Luft des Daseins erfreuen und besonders am Hofe Sultan
Sedschas, in den üppigen Zaubergärten des Roknabad, unter dem
blauen gesegneten Himmel von Schiras, wußte man zu leben.
Sultan Sedscha war der Mann, der hafisische Lieder schätzen
konnte; auch er faß lieber, den gefüllten Weinbecher in der
Hand, ein schönes Liebchen zur Seite, als in dumpfer Moschee
und hörte dem Bußgeplärre der Derwische zu. Welt und
Wirklichkeit werden von der Poesie wiederum mit liebenden
Organen umklammert, aus den ätherischen Höhen Rumis steigt sie
hernieder, um auf fester Erde wieder zu wandeln; die glutvolle
Phantastik und das Feuer Rumis vereinigt sich in Hafis mit der
Klarheit, Weisheit und Besonnenheit eines Saadi. Auch Hafis
ist groß in Denken und Empfinden, wie seine Heiden Vorgänger,
aber größer noch als sie im rein künstlerischen Gestalten.
Seine übermütig lachende, geistreiche und wieder schwärmerisch
geniale Muse mutet nach den ekstatischen Reigenliedern des
Sufismus doppelt natürlich und gesund uns an; die Opposition
der natürlichen Freude und Lust am Dasein gegen einen zuletzt
in den Sumpf führenden, leeren und hohlen himmlischen
Schwindel ist niemals glänzender zum Ausdruck gekommen. Das
Hafisische Zeitalter muß neben dem Firdusischen als die
Blüteperiode der persischen Lyrik und Poesie überhaupt
angesehen werden. Wohl hat es nur ein Genie ersten Ranges
erzeugt, aber daneben eine Fülle von außerordentlich
glänzenden Talenten, wie kein anderes; die verflossene Periode
war vorzugsweise eine religiös gestimmte, diese ist ebenso
vorzugsweise die Periode eines rein künstlerischen Denkens und
Empfindens, in welcher ein ganzes Volk plötzlich Verständnis
und Liebe der Poesie entgegenbringt, und die Kunst wie ein
breiter Strom alles in seine Wirbel zieht. Die allgemeine
künstlerische Bildung, das Talent, der Geschmack stehen im
Durchschnitt am höchsten. Es konnte nicht ausbleiben, daß eine
solche Blütezeit bald auch den Dilettantismus üppig ins Kraut
schießen ließ, der für seine Spielereien alles bereitet und
geordnet vorfand: Gedanken und Empfindungen, Bilder und Reime,
zahlreiche Muster und Meister, die er nur nachzuahmen und zu
wiederholen brauchte.
Mit dem Tode Hafis' (†1389) geht zugleich die Zeit einer
rein originalen, immer Neues bringenden schöpferischen Poesie
zu Ende. Wenn auch nicht jäh, so doch langsam und allmählich
steigt letztere immer tiefer und tiefer. Die äußeren
staatlichen Verhältnisse können zunächst an diesem Verfalle
nicht Schuld tragen. Freilich sollte noch der greise Hafis die
fruchtbaren Gärten seines Schiras von den struppigen Rossen
neuer Mongulenhorden zerstampft sehen. Aber Timur war kein
brutaler Söldner wie Dschingis-Chan. Kunst und Wissenschaft
fanden in ihm einen großen Bewunderer, und seine Schriften,
wie seine Thaten – man darf nie vergessen, daß man sich im
Orient befindet – weisen nicht nur Spuren eines großen,
reichen und edlen Denkens auf. Des Genialen ermangelt er
nicht. Ausdrücklich verbot er beim Sturm auf Ispahan die
Straße der Gesetzesgelehrten, sowie das Haus eines großen
Predigers zu zerstören. Nach Timurs Tode (1405) brachen unter
seinen Nachfolgern blutige innere Streitigkeiten aus, aber der
Baum der Kunst fand gleichwohl bei Timurs Söhnen und Enkeln
eifrige und kenntnisreiche Pfleger. Ulugbeg, welcher zu
Samarkand eine Akademie und eine prachtvolle Sternwarte
errichtete, gewann den Ruhm, einer der gelehrtesten Fürsten
des Islams und einer der bedeutendsten Astronomen zu sein, und
das Lob eines Abu Said verkündete Dschami. Im Anfang des
sechzehnten Jahrhunderts regierten die Herrscher des
Turkomanenstammes vom weißen Hammel, welche die Throne der
Timuriden gestürzt und sich schon seit 1478 als Herren
Persiens betrachten konnten. Auch sie wetteiferten mit ihren
Vorgängern in der Begünstigung des geistigen Schaffens, wie
denn in dieser Hinsicht die europäischen Könige und Fürsten
bis auf die neueste Zeit hin alles von ihren orientalischen
Kollegen lernen könnten.
Fehlte es so niemals an der Gunst von oben her, so konnte
diese Gunst doch nicht das langsam erstarrende geistige Leben
in Fluß bringen. Der poetische Dilettantismus breitete sich
wie ein erstickendes Unkraut mächtig aus: »... Die neueren
Gelehrten«, sagt Dschami, »haben Vers und Reim dazu erfunden,
leider aber ist außer Vers und Reim alles andere
weggeschwunden, denn jetzt ist das Gedicht meistens nichts,
als eine gereimte Rede in Versen gebunden, und man kümmert
sich wenig, ob es Phantasie enthalte oder nicht, ob es
Wahrheit oder Lügen ausspreche. Und doch, o großer Gott! Wie
prächtig ist der Poesie Zierde, wie erhaben und hoch ist ihre
Würde! O wäre ich ein Dichter! Wo ist eine Kunst, herrlicher
als Poesie, wo ein Zauber, der mächtiger umflicht als sie ...«
Zugleich ein Pröbchen der damaligen von Reimen durchflochtenen
Prosa! Die Prosa dringt überhaupt mächtiger vor auf Kosten des
echten Verses. Der allegorische Roman, welcher moralische
Weisheiten in sinnlichsten Liebesgeschichten predigt, und
dessen bedeutendster Vertreter Fettahi, der Dichter von
»Schönheit und Herz« ist, erobert sich den Modemarkt, die
Überreiztheit des Geschmackes erfreut sich an dem Kommisbrot
der Naturdichterei, wie es ein Mewlena Kamburi ihr bietet und
an der Küchen- und Magendelikatessenpoesie eines Abu Ishak.
Der Poesie des fünfzehnten Jahrhunderts ist der Charakter des
Epigonentums entschieden aufgedrückt und selbst die Größe
eines Dschami entgeht diesem Fluche nicht. Das mächtige Talent
dieses Dichters mußte auf einem unfruchtbaren Boden
emporwachsen. Der allgemeine Geist ist an einen Stillstand
angekommen, und bietet keine Stoffe, Gedanken und Empfindungen
mehr, die nicht schon bei den Großen der Vergangenheit ihre
möglichst bedeutende künstlerische Ausgestaltung empfangen
hätten. Neues vermag Dschami nicht mehr zu bringen und so wird
er zu einem weiten Eklektiker, der alles noch einmal singt,
wie Geibel die ganze deutsche Lyrik wiederholt: Nifami, Saadi,
Rumi und Hafis sind abwechselnd Dschamis Vorbilder. Er besitzt
alle künstlerischen Vorzüge, nur nicht den der Eigenart und
Ursprünglichkeit. Die Wissenschaft, welche unter den Söhnen
und Enkeln Timurs ihren höchsten Aufschwung nahm, überflügelt
die Poesie an Bedeutung und Ansehen. Letztere findet unter der
Regierung Abu Saids ihren ersten und zugleich bedeutendsten
Geschichtsschreiber in Dewletschah, auch Dschami giebt in
seinem »Beharistan« eine Art von Anthologie und
Literaturgeschichte, wie sich denn Dschami als einen in allen
Sätteln gerechten Reiter und überaus fruchtbaren
Schriftsteller erwies.
Im sechzehnten Jahrhundert tritt der künstlerische Verfall
immer deutlicher und schärfer hervor: äußere Formglätte,
Leichtigkeit des Rennens, und schulgerechtes Metrisieren
gelten als die höchsten und eigentlichsten künstlerischen
Vorzüge. Sam Mirsa, welcher das Werk Dewletschas fortführte,
zählt in vollster Bewunderung nicht weniger als vierhundert
Dichter unter seinen Zeitgenossen auf, aber etwa nur ein
Dutzend hebt sich davon über den Dilettantismus empor. Die
Briefschreibekunst, die Kunst, ein Nichts von Gedanken in den
prunkhaftesten Bildern, pompösesten Redewendungen und
erhabensten Worten auszusprechen, blüht auf, eine Kunst,
welche mutatis mutandis an unsere Feuilletonschreiberei
erinnert: soll es doch gerade das Zeichen des großen
Feuilletonisten sein, über ein Nichts Bände voll schreiben zu
können. So bleibt auch die endliche dauernde Errichtung eines
persischen Nationalreiches ohne tiefere Einwirkung auf das
poetische Schaffen. Die Herrschaft der Turkomanen wurde,
nachdem sie nur kurz gewährt, zu Beginn des sechzehnten
Jahrhunderts durch die einheimische Familie der Slafi, welche
sich ihrer Abstammung von einem schiitischen Heiligen
Ssafieddin Abu Ishak († 1384) rühmte, gestürzt und so nach
einer Unterbrechung von acht Jahrhunderten das Nationalreich
wiederhergestellt, welches bis auf die Gegenwart Bestand hat.
Es erhob sich unter dem neuen Herrscherhause rasch zur
höchsten Blüte der Macht und erreichte den Gipfel derselben
mit Abbas I. (1587–1628), dem hervorragendsten Fürsten des
neuen Persiens. Auch in Indien fand die Poesie dieses Landes
reiche Pflege. Zur selben Zeit, als die Ssafiden emporkamen,
gründeten die Baburiden aus dem Stamme Timurs das Reich der
Großmugule mit der Hauptstadt Delhi und schenkten dem Lande
eine Reihe großer und tüchtiger Regenten, von denen der
bedeutendste wiederum Sultan Akbar I. (1556–1605), der mit
großem und weitsichtigem Geiste begabt durch seine religiöse
Duldsamkeit dauernden Ruhm sich erwarb. Das »Mahabharata« und
»Ramajana«, »Nal und Damajanti« (durch Feisi) und andere
Hauptwerke der indischen Litteratur wurden auf seinen Befehl
ins Persische übersetzt, die Wissenschaften fanden an ihm und
seinem großen Vezir Abulfazl, dem Bruder Feisis, hochgebildete
und eifrige Beschützer. Doch alle diese Bestrebungen und auch
die Namen eines Hilali, Hatifi, Sajib und Feisi vermögen uns
über die dichterische Dürre und Öde nicht hinwegzutäuschen.
Dieselbe greift in den folgenden Jahrhunderten noch weiter um
sich. Zu allerletzt verfällt das Reich auch politisch. Zu
kriegerischem Ansehen führte es zum letzten Male Nadir
Kulikhan empor, ein rauher Soldat und ehemaliger
Brigantenführer, der 1736 die Ssaffiden vom Throne stürzte und
sich selbst als Schah ausrufen ließ. Geistige Bildung ging ihm
jedoch völlig ab. Unglückliche Kriege, unaufhörliche
Palastrevolutionen und innere Unruhen schwächten das Land
seitdem unaufhörlich, und Hand in Hand geht damit der Verfall
von Handel und Gewerbe, leiblicher und geistiger Kultur.
Daß der Sieg des Nationalismus und die Begründung des
Nationalreiches durch die Ssaffiden und die politische
Machtentfaltung in den ersten Zeiten desselben auf die Poesie
keine bedeutsameren Einflüsse ausübte, kein neues Geistesleben
ihr zuführte, wurde schon gesagt. Wie trocken und ausgesogen
der Boden ist, zeigen die steifleinenen Versuche des Mirza
Kasim Gunabadi, nichts mehr und nichts weniger als ein
modernes Schah-nameh zu schreiben. Er glaubte, Firdusi am
nächsten zu kommen, wenn er ebenso wie dieser in seiner
Besingung der Thaten der Ssafiden Drachen, Riesen und
allerhand Märchenspuk aufmarschieren ließe, was den
Zeitgenossen doch etwas gar zu wunderbar erscheinen mochte.
Nach wie vor werdet man auf altem Boden und zieht noch immer
mit besonderer fast ausschließlicher Vorliebe an den Spalieren
der Dichtung die immer tauberen Blüten des Mystizismus groß.
Seit fast zwei Jahrhunderten hat von diesen Sängern des
Sufismus nur der eine Ahmed Hatif aus Ispahan den Weg nach
Europa und dort freundlichere Aufnahme gefunden; denn Hussein
Ali Mirza, mit dem uns die Übersetzung Julius Altmanns bekannt
machte, wandelt in Hafisischen Bahnen. Man weiß allerdings
nicht, wie weit man der Übersetzung trauen darf, die den
neuzeitlichen iranischen Poeten doch etwas stark a la Europa
frisiert zu haben scheint, der eigentümlich weichlichen
Sentimentalität, wie sie in diesen Liebern zu Hause, begegnet
man sonst nicht in Persiens Rosengärten, oder sollte Prinz
Hussein Ali Heine gelesen haben?
Sonst erhalten wir keinerlei Kunde von einem auch nur
einigermaßen bedeutenderen Poeten, welcher das Herz seiner
Zeit in sich trüge, und wäre es ein Jeremias, der auf den
Trümmern seines Landes und Volkes trauert. Doch darf man
deshalb nicht an eine Barbarei glauben. Wir stehen nicht in
einer Periode der Kindheit, sondern der Greisenhaftigkeit. In
dem Perser lebt auch heute eine warme Begeisterung und
leidenschaftlicher Sinn für die Poesie; die Firdusi, Hafis,
Saadi und Rumi leben in aller Munde, es wird auch noch viel
gedichtet in den Kreisen der Gesellschaft und die Versmacher
sind dort ungefähr ebenso häufig wie bei uns die
Klavierspieler. »Dichten« gehört zur guten gesellschaftlichen
Bildung; daß bei diesem Dilettantismus nichts heraus kommt,
ist wohl selbstverständlich.
Eine eigenartige Knospe scheint jedoch besonders im Lichte
des Nationalismus herangereift zu sein und zwar seit dem
Anfange dieses Jahrhunderts, an welche man die allerschönsten
Hoffnungen knüpfte und noch knüpft. Es hat wohl an dem Druck
des Arabertums und des Islams gelegen, an den Einflüssen
semitischer Anschauungen, daß Persien trotz seiner Nähe und
seiner Verbindungen mit Indien, und obwohl doch sonst im
Indogermanentum das Drama überall die größte Bedeutung
gewonnen, mit dem ganzen Mohammedanismus völlig des Theaters
entbehrt. Erst seit etwa siebzig Jahren ist das etwas anderes
geworden. Seitdem besitzt das Land eine Mysterienbühne, deren
Häuser überall, selbst in den kleinsten Dörfern aufgeschlagen
werden, und welche, trotz der Opposition der orthodoxen
Geistlichkeit, ihre Vorstellungen unter geradezu fanatischem
Jubel des Volkes geben kann. Groß und Klein, Hoch und Niedrig
drängt sich zu diesen Spielen herbei und man hört mit einer
Begeisterung, einer Andacht zu, wie wir sie in unseren
Theatern vergeblich suchen. Es sind Volksfeste im edelsten und
besten Sinne des Wortes, Die Ssafiden ließen es sich von
Anfang an angelegen sein, die Nationalreligion, den
Schiitismus, besonders zu hegen und zu pflegen, und erst seit
dem sechzehnten Jahrhundert hat dieselbe den Fanatismus gegen
die Sunniten aufs stärkste anwachsen lassen. Die
theatralischen Mysterien sind die Kunstblüten dieses
Schiitismus. Ihren Stoff entnehmen sie ausschließlich der
Alilegende, wenigstens ist Ali, der Löwe Gottes, auch dann der
ideelle Mittelpunkt, wenn selbst die eigentliche Handlung in
ganz anderen Zeiten spielt. Die Erinnerung an die Ermordung
des Helden und seiner ganzen Familie, das rührende Pathos
welches die unbekannten Dichter, meistens aus der niederen,
dem Volke nahestehenden und den höheren Würdenträgern
feindlichen Geistlichkeit, anschlagen, erweckt bei den
Zuschauern alle nationalen und religiösen Leidenschaften, die
sich besonders gegen Araber und Türken, gegen alle Sunniten
richten. Gobineau hat diese Spiele mit den altgriechischen
verglichen, andere richtig mit denen unserer mittelalterlichen
Mysterienbühne; man darf daran denken, in welchen
unfruchtbaren Wegen die Gesellschaftspoesie der Spencer und
Sydney sich bewegte, während im Volke bereits aus den
geistlichen Spielen die Kunst herauswuchs, welche einen
Shakespeare erzeugte ... Darf man hoffen, daß auch für die
schon seit so Langem hinsiechende persische Poesie aus dieser
Volkskunst ein neuer Geist des Lebens hervorgehen wird?
Jedenfalls hat das persische Theater einen gesunderen Boden,
als das neuere türkische, welches ein reines
Gesellschaftstheater ist und auf der bloßen Nachahmung des
europäischen beruht.
Und auch das ist ohne Frage, daß eine Kunst nur dann
dauernd Neues und Bedeutendes erzeugen kann, wenn das
allgemeine geistige Leben in fortwährendem Wechsel und
Fortschreiten begriffen ist. Wären wir in den
mittelalterlich-christlichen Anschauungen befangen geblieben,
so hätten wir nie einen Shakespeare oder Goethe erhalten, –
und eine Zukunft-Poesie würde ein Unding sein, entwickelten
wir uns nicht auch über die religiös-philosophischen und
sittlichen Überzeugungen hinaus, wie sie unsere klassische
Periode zum Ausdruck gebracht. Dem orientalischen Geist fehlt
der Beweglichkeits- und Thätigkeitssinn des Europäers. Und so
verfiel seine Religion der Starrheit und Unbeweglichkeit, man
blieb zuletzt in dem Glauben der Vorväter, und zumeist im
Sufismus und Mystificismus befangen, der seine höchste
poetische Ausgestaltung bereits im 18. Jahrhundert erhalten.
Die Poesie kann nichts Neues und darum auch nichts eigenartig
sagen. Der gebildete Perser ist der Freidenkerei sicherlich
leicht zugänglich, auch die neuere europäische Philosophie,
auch ein Kant, ist nicht unbemerkt geblieben. Aber von einer
irgendwie tiefer greifenden religiösen Umsturzbewegung
verspürt man nichts. Und bei dem lebhaft religiösen Sinn der
Orientalen, die von jeher die Religionsstifter und
Religionsschwärmer uns gegeben haben, und der in dieser Stärke
den europäischen Völkern doch abgeht, mußte wohl die
Erneuerung gerade von diesen Wurzeln ausgehen. Der Babaufstand
in der Mitte dieses Jahrhunderts, der so reißenden Fortschritt
nahm, zeigt, daß immerhin noch Flammen unter der Asche glühen.
Aber die blutige Unterdrückung scheint den Babismus doch
völlig zum Erlöschen gebracht zu haben, und so wäre auch jene
Bewegung nur eine jener im Islam so zahlreichen »Mahdi«-Revolutionen
gewesen, wie sie vor kurzem noch im Sudan ausbrach, und die
rasch und mächtig auflodernd, gleich nach dem Tode des
Propheten wieder jäh zusammenfallen. Wie es scheint, war die
Doktrine des »Bab« auch nur eine Blüte am Baume des Sufismus,
und die europäischen Elemente, die sich in seine Lehren
hineinmischten, ziemlich äußerlich und belanglos.
Ist das persische Volk trotz seines tieferen Verfalls noch
kräftig genug, eine neue Geisteswelt und damit eine neue
Poesie ursprünglich aus sich selber heraus zu gestalten, oder
wird der neue Geist durch das Eindringen europäischer Bildung
geweckt werden? Noch darf man ans das letztere nicht allzu
sehr bauen. Gern gesteht der Perser den Völkern des Westens
die militärische Überlegenheit zu, aber er sieht in ihnen auch
nicht viel mehr als Nationen von Soldaten und Ingenieuren. Er
ist auf seine Vergangenheit stolz und hochmütig genug, eine
geistige Überlegenheit für sich in Anspruch zu nehmen und
glaubt deshalb immer noch auf den »Frengi« etwas verächtlich
herabblicken zu können. Alle Bekehrungsversuche christlicher
Missionare sind völlig fruchtlos, und er bringt ihnen nur ein
mitleidiges Lächeln entgegen. Ob die moderne Bildung mehr
Aussicht hat, bleibt abzuwarten.
Berlin.
Julius Hart.