Divan der persischen Poesie
Divan der persischen Poesie

Blütenlese aus der persischen Poesie, mit einer litterarhistorischen Einleitung, biographischen Notizen und erläuternden Anmerkungen.

Herausgegeben von Julius Hart.

1887 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Divan der persischen Poesie

Rumi

Aus dem Mesnewi - Doppelverse - Erzählung vom Papageien

In diesem Kapitel geißelt der Dichter das stolze Pharisäertum, welches sich mit Verkennungen des göttlichen und Hervorhebung des irdischen Bestandteiles den Heiligen an die Seite stellt.

Ein Kaufmann einen Papagei vor Jahren
Besaß, in Sang und Rede wohlerfahren.
Der saß als Wächter an des Ladens Pforte,
Und sprach zu jedem Kundsmann kluge Worte.
Denn wohl der Menschenkinder Sprache kannt' er,
Doch seinesgleichen Weisen auch verstand er.
Vom Laden ging nachhaus einst sein Gebieter,
Und ließ den Papagei zurück als Hüter.
Ein Kätzlein in den Laden sprang,
Um eine Maus zu fangen; todesbang
Flatterte hin und her der Papagei,
Und stieß ein Glas mit Rosenöl entzwei.
Von seinem Hause kam der Kaufmann wieder,
Und setzte sorglos sich im Laden nieder; –
Da sah er Rosenöl allüberall –
Im Zorn schlug er das Haupt des Vogels kahl.
Viel Zeit verstrich, der Vogel sprach nicht mehr.
Da kam die Reu', der Kaufmann seufzte schwer,
Raufte den Bart, und rief: »Umsponnen
Ist mit Gewölk die Sonne meiner Wonnen!
Wär' mir, da auf den Redner ich den bösen
Schlag ausgeführt, doch lahm die Hand gewesen!«
Wohl gab er frommen Bettlern reiche Spende,
Auf daß sein Tier die Sprache wiederfände!
Umsonst! Als er am vierten Morgen klagend
Im Laden saß, der Hoffnung fast entsagend,
In tausend Sorgen, was zu machen sei,
Daß wieder reden mög' sein Papagei,
Ließ sich in bloßem Haupt ein Büßer blicken,
Der Schädel glatt, wie eines Beckens Rücken.
Da Hub der Vogel gleich zu reden an,
Und rief dem Derwisch zu: »Sag, lieber Mann,
Wie wurdest, Kahlkopf, du zum Kahlen? sprich!
Vergossest du vielleicht auch Öl wie ich?«
Man lachte des Vergleichs, daß seine Lage
Der Vogel auf den Derwisch übertrage.

O miß dich nimmer mit den Heil´gen, Reinen,
Wenn in der Schrift auch gleicht der Wein dem Weinen!
Irr ging die ganze Welt aus diesem Grunde,
Von Gottes Boten ward nur wen'gen Kunde.
Auf gleiche Stufe wollte mit Propheten,
Mit Gottes Lieblingen, die Menge treten,
Und sprach: »Sie sind wie wir nur Fleisch; der Speise,
Des Schlafs bedürfen wir in gleicher Weise –«
Und die endlose Kluft, die zwischen beiden,
Ließ ihre Blindheit sie nicht unterscheiden!
Zwei Bienen sich an einer Blume laben –
Die eine sticht, die andre bildet Waben.
Zwei Rehe nährt ein Rasen, eine Luft,
Dies giebt nur Losung, jenes Moschusduft.
Ein Sumpf erzeugt zwei Rohre – dieser Saft
Ist hohl, und jener strotzt von Zuckersaft.
Zahlloses so! Vom einen zu dem andern
Den Weg gilt's Ewigkeiten zu durchwandern.

Einer genießt, um von sich nur zu geben,
Ein andrer, um nach Gottes Licht zu streben;
Zu Geiz und Neid wirkt jenem seine Nahrung,
Und dieses zu des einen Offenbarung.
Ein Land ist gut, ein andres öd und schlecht,
Ein Geist ist bös, ein andrer rein und recht.
Wohl oft für beide gleich der äußre Schein ist,
Wie bittres Wasser gleich dem süßen rein ist;
Doch der Geschmack weiß wohl zu unterscheiden,
Was süß ist und was salzig von den beiden.
Wer Zauberei mit Wunderthaten mißt,
Glaubt, beide sein erbaut auf Trug und List.
Die frechen Zaubrer im Ägyptenland,
Nahmen wie Moses einen Stab zur Hand;
Doch welcher Abstand zwischen beiden Stäben!
Des einen Wirkung Tod, des andern Leben;
Jenem der Fluch, der nichts verschonende,
Diesem die Huld, die reich belohnende!
Drum scheint der Heuchler Sinn mir dem des Affen
Vergleichbar, ihm zum Unglück anerschaffen;
Was der Mensch thut, der Affe ist bemüht
Es nachzuahmen, wenn oft er es sieht –
Und denkt: »Was nur der Mensch thut, thu ich auch,« –
Der Unterschied wird ihm nicht klar, dem Gauch.
O streue Staub dem Nachäffler aufs Haupt,
Ihm, der dem Frommen gleichzukommen glaubt!
Denn betet auch der Heuchler zu dem Herrn,
Wie Fromme beten – Demut ist ihm fern.
Im guten Werk stehn Frömmigkeit und Trug
Wie auf dem Schachbrett im Entscheidungszug:
Das Ende ist's, wo stets der Gläub'ge siegt,
Das Jenseits, wo der Heuchler unterliegt,
Weilen sie auch an einem Spiel zumal,
Den einen trennt vom andern Berg und Thal.
Je nach besondrem Ziele wandeln beide,
Je wie ihr Name aussagt, handeln beide,
Ob seines Namens freut des Gläub'gen Herz sich,
Des Heuchlers Herz füllt drob mit Zorn und Schmerz sich.
Wenn dort der Name gilt als höchste Zier,
Scheut man ihn mehr, als alles Elend hier.
Und doch im Worte »Gläubig« liegt kein Adel,
Es ist Bezeichnung nur, nicht Lob, nicht Tadel.
Wenn man jemanden aber »Heuchler« nennt,
Wie Skorpionenstich dies Wort ihm brennt.
Drum scheint es mir entstammt dem Höllenschrecken,
Sonst gäb' es nicht der Hölle Pein zu schmecken.
Doch liegt der Abscheu nicht im Lautverhältnis
Wie nicht der Meerflut Schalheit im Behältnis.
Behältnis ist das Wort, wie Wasser drin ist
Sein Sinn – der Urquell Gott von allem Sinn ist.
Bittres und süßes Wasser sind hinieden
Durch eine ew'ge Scheidewand geschieden.
Doch wisse, beide einem Quell entspringen,
Und nur nach diesem Urquell sollst du ringen.
Es giebt der Prüfstein von des Goldes Währung,
Ob falsch es oder echt sei, die Belehrung;
Wem einen Prüfstein Gott ins Herz gelegt,
Der weiß zu sondern zwischen Falsch und Echt.
Fremdart'gen Stoff im Munde treibt das Leben,
Jedwedes Wesen von sich rasch zu geben;
Und drang's mit tausend Bissen in den Mund,
Doch macht der Lebenssinn das Fremde kund.
Irdischer Sinn führt uns in Weltgetümmel,
Der Glaubenssinn führt uns hinaus zum Himmel;
Fraget den Ort, wenn jener Sinn erkrankt –
Das Wohlsein dieses man nur Gott verdankt.
Jener ist kräftig, wenn der Leib in Kraft ist,
Und dieser, wenn der Leib siech und erschlafft ist.

Ja meiner Seele Pfade, sie vernichten
Den Leib, um ihn dann neu emporzurichten.
O selig, wer dem Wahren zugewendet,
In seiner Liebe Gut und Habe spendet!
Nach Schätzen grabend reiß sein Haus er nieder,
Und aus dem Fund baut er ein schön'res wieder.
Er hemmt den Strom und reinigt seinen Grund,
Daß er dann lauter fließe und gesund;
Er reißt die Haut auf und zieht aus der Wunde
Den Dorn und neue Haut wächst ihm zur Stunde;
Er nimmt die Burg den Feinden, sie zerstörend,
Und sie mit hundert Türmen dann bewehrend.
Doch wer begreift den Herrn auf seinen Wegen?
Ich red' hier nur nach Menschen-Unvermögen.
Neu, immer neu zeigt sich uns seine Spur –
Des Glaubens Wesen ist ein Staunen nur,
Doch nicht um weg zu sehn von Gott; nein, trunken
Am Freund zu hangen, ganz in ihm versunken,
Der eine stets den Freund im Auge hält,
Des andern Blick nur auf ihn selber fällt.
O schau' und merke beider Angesicht,
Denn so erkennst du wohl, was deine Pflicht.
Oft schleicht einher Iblis im Menschenkleid,
Drum reich' die Hand nicht jedem, der sie beut!
Ahmt doch der Jäger nach des Vogels Sang,
Um ihn zu täuschen durch den falschen Klang;
Der Vogel, der den süßen Ruf vernommen,
Fliegt nieder um im Netz dann umzukommen.
So mit des Derwisch' Worten schmücken
Sich Niedrige, um Thoren zu berücken.
Licht ist und Wärme des Gerechten Handeln,
Doch Schlechtheit ist und Trug des Schlechten Handeln.
Zum Betteln trägt er das Wollkleid – ja
Achmed benennt er den Musseilima;
Doch den Musseilima nur Lügner hieß man,
Und Muhammed als Geistbegabten pries man.
Wie duftet süß der Gottbegeistrung Wein,
Doch ird'scher Wein führt nur zu Schmach und Pein.

Wer wachen Auges eher schläft als wacht,
Dem wär es besser, schlief er Tag und Nacht.
Wacht nicht dem ein'gen Wahren unser Geist,
Als Hemmnis da das Wachen sich erweist.
Am Tag, in Phantasie-Verwirrungen,
In Habsucht- und Besorgnis-Irrungen,
Find't keine Rast die Seele und verliert
Den Weg, der sie zur ew'gen Wonne führt.
Der schläft, der sich an Luftgebilden letzt,
Auf Einbildungen seine Hoffnung setzt.
Statt der Huri im Traum des Divs genießt er
Und seine Wollust über ihn ergießt er;
Also ein ödes Land befruchtend, findet
Sich selbst er wieder und sein Traumbild schwindet,
Er findet wüst den Kopf, den Leib befleckt –
Weh, wen ein nichtig Traumgebilde neckt.
Es kreist hoch in der Luft der Aar; sein Schatten
Irrt wie ein Vogel durch Gefild und Matten,
Und mühsam, diesen Schatten zu erlegen,
Verfolgt der Thor auf Wegen ihn und Stegen,
Und weiß nicht, daß ein Luftbild nur des Wildes
Es ist, noch wo der Kern des Schattenbildes.
Eifrig verfolgend schießt er seine Pfeile
Und leert den Köcher aus in blinder Eile; –
Des Lebensköchers Pfeile gehn dem Thoren,
Der nur nach Schatten hascht, also verloren! –

Georg Rosen

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