Divan der persischen Poesie
Rumi
Aus dem Divan - Ich bin das Sonnenstäubchen
Ich bin das Sonnenstäubchen, ich bin der
Sonnenball;
Zum Stäubchen sag' ich: bleibe! und zu der Sonn': entwall'.
Ich bin der Morgenschimmer, ich bin der
Abendhauch,
Ich bin des Haines Säuseln, des Meeres Wogenschwall.
Ich bin der Mast, das Steuer, der Steuermann,
das Schiff;
Ich bin, woran es scheitert, die Klippe von Korall.
Ich bin der Vogelsteller, der Vogel und das
Netz;
Ich bin das Bild, der Spiegel, der Hall und Widerhall.
Ich bin der Baum des Lebens und drauf der
Papagei;
Das Schweigen, der Gedanke, die Zunge und der Schall.
Ich bin der Hauch der Flöte, ich bin des
Menschen Geist,
Ich bin der Funk' im Steine, der Goldblick im Metall.
Ich bin der Rausch, die Rebe, die Kelter und
der Most,
Der Zecher und der Schenke, der Becher von Krystall.
Die Kerz', und der die Kerze umkreist, der
Schmetterling;
Die Ros', und von der Rose berauscht die Nachtigall.
Ich bin der Arzt, die Krankheit, das Gift und
Gegengift,
Das Süße und das Bittre, der Honig und die Gall'.
Ich bin der Krieg, der Friede, die Wahlstatt
und der Sieg.
Die Stadt und ihr Beschirmer, der Stürmer und der Wall.
Ich bin der Kalk, die Kelle, der Meister und
der Riß,
Der Grundstein und der Giebel, der Bau und sein Verfall.
Ich bin der Hirsch, der Löwe, das Lamm und
auch der Wolf;
Ich bin der Hirt, der alle beschließt in einem Stall.
Ich bin der Wesen Kette, ich bin der Welten
Ring,
Der Schöpfung Stufenleiter, das Steigen und der Fall.
Friedrich Rückert