Divan der persischen Poesie
Divan der persischen Poesie

Blütenlese aus der persischen Poesie, mit einer litterarhistorischen Einleitung, biographischen Notizen und erläuternden Anmerkungen.

Herausgegeben von Julius Hart.

1887 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Divan der persischen Poesie

Sadi

Aus dem Bostan. Erste Abteilung: Von der Gerechtigkeit und Regierungskunst.

Mamun und das Mädchen.

Als Mamun der Chalif in Bagdad thront',
Kauft' er ein Mädchen, lieblich wie der Mond;
Scharfsinn war ihr ein Spiel, ihr Leib voll Wonne
Ein Rosenstock, ihr Antlitz eine Sonne;
Die Fingerspitzen färbte, in das Blut
Der Mächt'gen tauchend sie mit Hennaglut,
Selbst Heilige verführten ihre Brauen,
Wie Regenbogen vor der Sonn' zu schauen.
In stiller Nacht verweigerte den Leib
Dem Mamun einst das Hurigleiche Weib.
Des Zornes Feuer konnt' er nicht verhalten,
Wie Zwillingspaar wollt' er das Haupt ihr spalten.
Sie sprach: »Schlag' ab mit scharfem Schwerte hier
Mein Haupt, doch habe nichts zu thun mit mir!«
»Was ist's, sprach er, das deine Ruh gestöret?
Was hab' ich an mir, das dich so empöret?«
»Magst du, sprach sie, mich dem Verderben weihn,
Das Riechen deines Mund's ist meine Pein;
Durch Pfeil und Schwert stirbt man auf einmal schmählich,
Durch den Geruch des Mundes nur allmählich.«
Als dieses Wort der mächt'ge Fürst vernimmt,
Fühlt er sich tief empöret und ergrimmt;
Er nimmt Arznei, so schwer es ihn auch kränket,
Die ihm wie Rosenduft den Odem schenket.
Die Schöne nahm er zur Gefährtin sich:
»Sie sagt die Fehler mir, drum liebt sie mich.«

Der will, so mein ich, daß es wohl dir gehet,
Der dir es sagt, was dir im Wege stehet.
Wer zum Verirrten sagt: Du gehest recht,
Gewiß der handelt frevelhaft und schlecht.
Wenn andre nicht den Fehler bei dir schelten,
So wird der Fehler dir als Tugend gelten.
Sprich nicht: Nimm honigsüßen Zucker ein,
Kann einem nur Scammonium heilsam sein.
Des Apothekers Wort wird wahr erfunden:
»Nimm bitt're Arzenei, willst du gesunden.«
Suchst du ein gutes Mittel, weil du krank,
Nimm ein von Sadis Rat den bittern Trank,
Geseihet in verständ'ger Einsicht Siebe,
Gemischt mit Honig thät'ger Gottesliebe.

Karl Heinrich Graf

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