Wali und Wilaya

Freundschaften und Führerschaften

Ayatollah Morteza Motahhari

veröffentlicht 1982 in Al-Fadschr

Negative wala

Der heilige Quran hat die Muslime davor gewarnt, Vormundschaft von Nicht-Muslimen zu akzeptieren. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Islam in jedem Fall gegen gute Beziehungen mit den Mitmenschen ist oder die Muslime gar ermahnt, den Nicht-Muslimen gegenüber feindlich zu sein und ihnen nichts Gutes zu tun. Der heilige Quran sagt ausdrücklich: "Allah verbietet euch nicht, gegen jene, die euch nicht bekämpft haben des Glaubens wegen und euch nicht aus euren Heimstätten vertrieben haben, gütig zu sein und billig mit ihnen zu verfahren; Allah liebt die Billigkeit zeigenden. (60:8)

Der Islam vertritt nicht die Position, dass gute Freundschaft ausschließlich auf die Muslime beschränkt sein oder ein Muslim gegenüber anderen nicht philanthropisch eingestellt sein sollte. Wie könnte eine Religion, die im Qur'an ihren Propheten als Segen für die ganze Welt bezeichnet hat, dies vertreten ?

Tatsächlich ist der Gedanke enthalten, dass die Muslime niemals die Absichten ihrer Feinde außer Acht lassen sollten, auch wenn der Anspruch' auf Freundschaft erhoben wird. Sie sollten immer aufmerksam sein und nicht gegnerische Ansprüche als Nennwert nehmen. Ein Muslim muss sich selbst als ein Mitglied des muslimischen politischen Gebildes und als Teil des Ganzen sehen.

Mitglied einer bestimmten Gesellschaft zu sein, bringt automatisch gewisse Bedingungen und Beschränkungen mit sich. Die Beziehungen der Muslime zu den Nicht-Muslimen, die einer anderen Gesellschaft angehören, müssen derart sein, dass sie nicht unvereinbar sind mit ihrer Zugehörigkeit zur eigenen Gesellschaft. Sie sollten in keiner Weise ihre eigene Unabhängigkeit und Integrität aufs Spiel setzen. Deshalb können die Beziehungen eines Muslims zu einem Nicht-Muslim nicht identisch sein mit denen eines Muslims zu einem anderen Muslim. Die Muslime sollten so enge und freundliche Beziehungen miteinander haben, wie dies unter den Mitgliedern eines politischen Gebildes üblich ist. Gemäß dem Islam verlangt der negative Aspekt dieser Freundschaft, dass ein Muslim, wenn er mit einem Nicht-Muslim Kontakt hat, sich immer der Tatsache bewusst sein sollte, dass er mit einem Mitglied eines fremden Gebildes interagiert; und die Beziehungen eines Muslims mit einem Nicht-Muslim sollten nicht so sein, wie die zu einem Muslim, in dem Sinne, dass die Muslime praktisch nicht Mitglieder einer nicht-muslimischen Gesellschaft werden. Ein Muslim sollte zu keiner Zeit ignorieren, dass er Mitglied des muslimischen politischen Gebildes ist. Ein Muslim mag nett und freundlich zu einem Nicht-Muslim sein, aber zur gleichen Zeit sollte er ihn nicht als Mitglied des gleichen Gebildes, zu dem er selbst gehört, akzeptieren. Es ist kein Widerspruch zwischen diesen beiden Einstellungen.

Doch gibt es einen Widerspruch zwischen negativer wala und den Prinzipien von Gefühlen der Freundschaft und Menschenliebe. Freundschaft verlangt von einem Menschen, sich mit dem Schicksal, dem Wohlergehen und dem Glück aller menschlichen Wesen zu befassen. Da ein solcher Muslim sich natürlich um die Glückseligkeit aller anderen menschlichen Wesen sorgt, ist er daran interessiert, dass sie Muslime werden. Aber so lange sie den Islam nicht annehmen, können diejenigen die dem Islam angehören nicht um derentwillen, die nicht Muslime sind, geopfert werden und die Grenze, die sie trennt, kann nicht weggewischt werden.

Angenommen einige Leute leiden an einer bestimmten Krankheit: das Kameradschaftsgefühl verlangt von uns, alles in unserer Macht stehende zu tun, damit sie geheilt werden und sie, mit Sympathie und Wärme zu behandeln. Aber das bedeutet nicht, dass diejenigen, die an einer ansteckenden Krankheit leiden nicht von denen, die nicht erkrankt sind, getrennt werden sollten. Das ist der Grund, warum es dem Muslim freisteht, Nicht-Muslimen mit Güte zu begegnen; der Islam gestattet aber nicht, dass sich die Muslime ihnen gegenüber zur Treue verpflichten.

Der Islam, als eine Religion der Liebe zur Menschheit, liebt sogar einen Polytheisten, natürlich nicht wegen seines Polvtheismus, sondern weil er eine Schöpfung Allahs ist. Zur gleichen Zeit ist er besorgt, weil er vom Weg der Rechtleitung abgekommen ist. Würde er einen solchen Menschen nicht lieben, wäre ihm dessen Unglück gleichgültig. Der Islam kennt neben der Liebe aber auch den Hass, wobei beides jedoch logisch und vernünftig ist und nicht emotional und zufällig. Rein emotional bedingte Freundschaft und Feindschaft sind jedoch blinde Gefühle, die jeder logischen Basis entbehren. Andererseits basieren intellektuelle Freundschaft und Feindschaft, hervorgerufen durch eine Art Bewusstsein auf der Anteilnahme am Schicksal eines Mitmenschen.

Die Zuneigung von Eltern zu ihren Kindern ist von zweierlei Art: logisch und sentimental. Ihre logische Bindung mag sie manchmal zu einer Handlung veranlassen, die bei ihrem Kind offensichtlich Leid und Schmerz verursacht. Wenn ihr Kind z.B. operiert werden muss, werden sie zwar Tränen vergießen, gleichwohl fordern sie den Chirurgen auf, die Operation so schnell wie möglich durchzufahren und das eiternde Gliedmaß, falls nötig, zu amputieren, Sie vergießen auf Grund ihrer emotionalen Bindung Tränen und fordern bedingt durch ihre logische Bindung, die Operation. Im Falle, dass sie ihrer emotionalen Bindung den Vorrang geben. d.h. in eine Amputation nicht einwilligen, setzen sie damit ihr Kind praktisch dem Tod aus. Aber auf Grund ihrer geistigen Logik und ihres großen Interesses am Wohlergehen des Kindes, ignorieren sie ihre Gefühle und stimmen dem Erleiden von Schmerzen und Unannehmlichkeiten ihres Kindes zu.

Um Korruption aus einer Gesellschaft, in der Ignoranz und Unglaube vorherrschen, zu eliminieren, gibt der Islam die Anweisung zu kämpfen: "Und Bekämpfet sie, bis die Verfolgung aufgehört hat..." (2:193). Zur gleichen Zeit warnt er die Muslime zur Sicherheit der Gesellschaft davor, ihr Herz den Ungläubigen zu öffnen. Es gibt keinen Widerspruch zwischen dieser Politik und dem Prinzip guten Willen allem gegenüber zu haben.

Imitation gehört zur menschlichen Natur. Oft übernimmt der Mensch unbewusst Ideen und Vorstellungen anderer, Im Qur'an heißt es:

"O ihr, die ihr glaubt, nehmt euch nicht Meinen Feind und euren Feind zu Freunden, Ihnen Liebe erbietend, da sie doch die Wahrheit leugnen?" "Wenn sie die Oberhand über euch gewinnen, dann werden sie sich gegen euch als Feinde betragen und ihre Hände und ihre Zungen zum Bösen gegen euch ausstrecken; und sie wünschen inständig, dass Ihr ungläubig würdet." (60.1/2)

Hier gibt der Quran den Grund an, warum Muslime vorsichtig und auf der Hut sein sollten, wenn sie mit Ungläubigen zu tun haben. In diesen Versen heißt es, dass die Ungläubigen die anderen überzeugen möchten und zwar derart, dass die Gläubigen ihre Gewohnheiten und ihre Art des Denkens annehmen. Wäre es nur eine Frage ihres Wollens und Wünschens gewesen, hätte es kaum Gefahr bedeutet. Der heilige Quran betont, dass sie ernsthaft danach 'streben, dieses Ziel zu erreichen und die Muslime fehlzuleiten. Diese Haltung macht deutlich, dass die Muslime in ihren Beziehungen mit den Nicht-Muslimen überlegt sein sollen: Sie sollen immer daran denken, dass sie einer einheitlichen Gesellschaft angehören, die völlig verschieden ist von der der Nicht-Muslime.

Jedoch bedeutet das nicht, dass die Muslime keinen sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Kontakt mit ihnen haben sollen. Es muss dabei jedoch beachtet werden, dass alle diese Beziehungen mit den Gesamtinteressen der muslimischen Gesellschaft in Einlang gebracht werden müssen.

© seit 2006 - m-haditec GmbH - info@eslam.de