Ibrahim Hadi

Friede sei mit Ibrahim

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Friede sei mit Ibrahim

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Blutiger Sonnenuntergang (Erzähler: Ali Nasrollah)

Es war Freitag, der 22. Bahman 1361. Ich war in einer sehr traurigen Stimmung. Die Truppen kehrten zurück.

Nochmals schaute ich durch mein Fernglas. Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass sich etwas in der Ferne bewegt! Ich schärfte meinen Blick. Dann konnte ich erkennen, dass drei Personen rennend in unsere Richtung kamen. Unterwegs fielen sie immer wieder auf den Boden, standen aber auf und liefen weiter. Sie waren verletzt und völlig erschöpft. Es war klar, dass sie aus der Richtung des Grabens kamen. Ich rief meine Kameraden. Sofort rannten wir zu einer Erhöhung und befahlen, nicht zu schießen. Bei Sonnenuntergang konnten die drei endlich unseren Graben erreichen. Wir fragten sie: „Woher kommt ihr?“ Sie hatten keine Kraft zu reden. Einer von ihnen verlangte nach Wasser. Ich gab ihm sofort etwas zu trinken. Der andere zitterte schon vor Schwäche und Hunger. Der Dritte war völlig blutüberströmt. Nachdem sie sich ein wenig erholt hatten, sagten sie: „Wir gehören zur Komeil-Division.“ Besorgt fragte ich: „Was ist mit den restlichen Männern passiert?“ Während er nur mit Mühe aufblickte, sagte er: „Ich glaube nicht, dass jemand außer uns überleben konnte!“ Aufgeregt fragte ich noch einmal: „Wie konntet ihr diese fünf Tage Widerstand leisten?!“ Er war zu erschöpft um weiterreden zu können. Kurze Zeit später sagte er dann: „Wir hatten uns in den letzten zwei Tagen zwischen den Toten versteckt. Aber es gab eine Person, die den Graben alleine verteidigte!“

Er atmete kurz auf und sagte dann ganz ruhig: „Was für ein Mensch er war! Auf einer Seite schoss er mit der RPG, auf der anderen Seite mit einem ....Tirbar. Was für eine Kraft der Mann hatte!“ Der andere fiel ihm nun ins Wort und sagte: „Er legte alle Märtyrer am Ende des Grabens in einer Reihe nebeneinander auf den Boden, dann verteilte er Vorrat und Wasser und kümmerte sich um die Verletzten, er war unermüdlich!“

Ich sagte: „Der Kommandeur der Division und ihre Vertreter sind doch alle Märtyrer geworden? Von wem redet ihr denn?“ Er sagte: „Es war ein junger Mann, den ich nicht kannte. Er hatte sehr kurze Haare und eine kurdische Hose an.“ Der andere sagte: „Am ersten Tag hatte er eine arabische Chafia um den Hals. Was für eine Stimme er hatte! Er sang für uns Trauerlieder, ermutigte uns und...“

Fast hätte mein Geist den Körper verlassen, mein Kopf wurde heiß, ich schluckte. Es waren Ibrahims Merkmale. Besorgt setzte ich mich hin und nahm seine Hände in die meinen. Fassungslos fragte ich: „Du meinst Ibrahim, nicht? Wo ist er jetzt?“ Er sagte: „Ja, ich glaube, ein oder zwei von den Älteren nannten ihn Ibrahim.“ Noch einmal fragte ich laut: „Wo ist er jetzt?“

Einer von ihnen sagte: „Bis zur letzten Minute des massiven Feuers der Iraker lebte er noch. Er sagte zu uns, dass die irakische Armee ihre Streitkräfte zurückgezogen hätte und sie erneut und bestimmt noch heftiger angreifen werden. Er sagte auch: „Wenn ihr Kraft dazu habt, dann zieht euch auch zurück solange es hier noch ruhig ist. Er selber kümmerte sich weiter um die Verletzten. Wir gingen zurück.“

Dann sagte jemand: „Ich habe gesehen, wie er getroffen wurde. Gleich bei der ersten Explosion fiel er zu Boden.“ Ich zitterte und meine Tränen liefen. Zum Schluss konnte ich mich nicht mehr kontrollieren, legte meine Stirn auf den Boden und weinte. Alle Erinnerungen spielten sich wieder in meinem Kopf ab. Von der Zurkhane bis hin zu Gilangharb und...und

Der starke Geruch von Zündstoff und der Lärm der Explosionen vermischten sich. Ich ging an den Rand des Grabens. Einer meiner Kameraden stellte sich mir in den Weg und sagte: „Was machst du? Mit deinem Tod wird Ibrahim nicht zurückkommen, schau nur wie sie feuern.“ In der Nacht wurden wir alle von Fakke weiter nach hinten verlegt. Alle waren genauso gestimmt wie ich. Viele von ihnen hatten ihre Freunde dort gelassen. Als wir in Dokuhe ankamen, hörten wir die Stimme von Hadj Sadegh Ahangaran, der sang:

„Hey ihr die von der Reise Zurückgekommenen, wo sind eure Märtyrer, wo...“

Das Weinen unserer Freunde wurde heftiger. Die Nachricht von Ibrahims Tod verbreitete sich schnell unter den Kameraden. Einer der Soldaten, der mit seinem Sohn im Krieg war, kam zu mir. Traurig sagte er: „Wir trauern alle wegen Ibrahim, ich schwöre, wenn mein Sohn Märtyrer geworden wäre, wäre ich nicht so traurig. Niemand weiß, was für ein großer Mensch er war.“

Am nächsten Tag wurden alle Truppen in den Urlaub geschickt und wir fuhren nach Teheran. Niemand hatte den Mut, Ibrahims Tod zu verkünden. Aber ein paar Tage später zirkulierte überall die Nachricht, dass er verschwunden sei!

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