Das Grabmal (Erzähler: Die Schwester des Märtyrers)
Nach Ibrahims Tod war ich völlig verwirrt. Er war mein
ganzes Leben. Wir liebten ihn alle sehr. Er war für uns nicht
nur ein Bruder, sondern auch ein Mentor. Des Öfteren redete er
mit mir über Hijab und sagte: „Der Tschador ist ein Andenken
von Hazrate Zahra (s.); der Glaube einer Frau ist erst dann
vollständig, wenn sie ihren Hijab richtig trägt. Außerdem gab
er uns Empfehlungen, wie wir uns fremden Männern gegenüber
verhalten sollen, wenn wir aus dem Haus gehen oder eingeladen
werden.
Er zwang uns nie zu irgendetwas! Er beachtete bei seinen
Ratschlägen immer alle Erziehungsprinzipien. Ich erinnere mich
noch, wie er uns immer scherzend und gutgelaunt zum
Morgengebet aufweckte und sagte: „Das Gebet hat erst dann
seinen wahren Wert, wenn es pünktlich und in der Gemeinschaft
verrichtet wird“.
Er empfahl auch seinen Freunden den Azan auszurufen und
sagte: „Egal wo ihr seid, sobald ihr den Azan hört, wenn ihr
auch auf dem Motorrad sitzt, haltet an und ruft mit lauter
Stimme nach eurem Schöpfer.“
Als Ibrahim verletzt wurde und nach Hause kam, waren wir
gleichzeitig traurig und fröhlich! Traurig wegen seiner
Verletzung und froh, dass wir ihn wieder sehen konnten. Ich
kann mich noch gut daran erinnern, wie seine Freunde ihn
besuchten und er Gedichte vorlas, die sehr wahrscheinlich von
ihm selber waren, vor allem über seine Treue zu Imam Khomeini.
Immer wieder hörte ich, dass Ibrahim die Idee einiger, die
sagten, wir gehen nur an die Front, um Märtyrer zu werden,
überhaupt nicht gefiel!
Er sagte dann zu seinen Freunden: „Nehmt euch immer vor,
bis zum letzten Moment, bis zum letzten Atemzug dem Islam und
der Revolution zu dienen und erst wenn Gott es will und uns
die beste Note erteilt, dann werden wir Märtyrer“.
„Aber solange wir Kraft haben müssen wir für den Islam
kämpfen“.
Er sagte: „Wir müssen solange mit unserem Körper arbeiten
und solange auf Gottes Weg kämpfen, bis er unser Zeugnis
unterschreibt und wir Märtyrer werden. Aber es kann auch
möglich sein, dass wir durch unser schlechtes Verhalten, das
Märtyrertum nicht verdienen.“
***
Jahre nach dem Tode Ibrahims waren vergangen. Niemand
konnte glauben, was seine Abwesenheit aus unserer Familie
gemacht hatte. Unsere Mutter starb, weil er nicht mehr unter
uns weilte und vieles mehr.
Im Jahre 1390 erfuhr ich, das auch ein Gedenkstein für
Ibrahim auf ein Grab, das einem unbekannten Märtyrer im
Beheschte Zahra Friedhof gehört, gesetzt werden soll. So wurde
einer der unbekannten Märtyrer durch Ibrahim geehrt.
Doch dann hatte ich ein merkwürdiges Erlebnis, als ich
dieses Grab zum ersten Mal besuchte. Ich begann plötzlich zu
zittern, wurde blass und schaute verwirrt umher. Einigen von
unseren Verwandten ging es genauso! Wir erinnerten uns an ein
Ereignis, das sich vor dreißig Jahren an diesem Platz ereignet
hatte!
Kurz nach dem die Stadt Khorramschahr befreit worden war,
wurde der Cousin meiner Mutter, Hassan Serajian, Märtyrer.
Damals war Ibrahim verletzt und hatte einen Gehstock mit dem
er auch zum Beheschte Zahra Friedhof kam. Als Hassan beerdigt
wurde, sagte Ibrahim: „Wie schön für dich Hassan, an was für
einem guten Platz du jetzt bist! Nummer 26, neben der
Hauptstraße. Jeder, der hier vorbei geht, liest eine Fatiha
für dich und denkt an dich.“ Dann sagte er weiter: „Ich möchte
auch zu dir kommen! Mache für mich Doa, dass ich das schaffe“,
dann tippte er mit seinem Stock auf den Boden und zeigte auf
ein ein paar Gräber, die etwas weiter weg lagen!
Ein paar Jahre später, genau an dieser Stelle, auf die
Ibrahim gezeigt hatte, wurde ein unbekannter Märtyrer
begraben. Und danach wurde auch sein Gedenkstein
überraschenderweise genau dort aufgestellt.