Das Wunder des Azans (Erzähler: Hosseinollah Karam)
Wir waren auf den Anar-Höhen. Es war schon hell geworden
als der Arzt Ibrahims Hals verband. Wir waren mit der
Einteilung der Streitkräfte beschäftigt und mit dem
Beantworten des Funkgerätes. Plötzlich rannte einer unserer
Kameraden mir entgegen und rief: „Hadji, Hadji! Eine Gruppe
von Irakern mit hochgehaltenen Händen sind auf dem Weg
hierher!“
Verwundert sagte ich: „Wo?“. Schnell gingen wir zum
Schützengraben gegenüber. Ungefähr zwanzig Personen hatten
eine weiße Fahne in der Hand und kamen in unsere Richtung. Ich
sagte ohne zu zögern: „Bewaffnet euch, das könnte eine Falle
sein! Doch kurz danach kapitulierten 18 irakische Soldaten,
darunter auch ein kommandierender Offizier. Ich freute mich,
weil wir hier an unserer Front Iraker gefangen nehmen konnten.
Ich dachte bestimmt hatte dieser erfolgreiche Angriff
unserer Kameraden die Iraker in Angst und Schrecken versetzt
und das hätte dazu geführt, dass sie sich ergaben. Dann
brachte ich den Offizier in den Schützengraben und rief einen
Kameraden, der arabisch sprechen konnte. Ich fragte wie ein
Inspektor: „Wie ist dein Name, dein Grad und deine Aufgabe!“
Er stellte sich vor und sagte: „Mein Grad ist Major und ich
bin Kommandeur der Streitkräfte, die auf dem Hügel und in der
Umgebung stationiert waren. Wir sind von der Armee von Basra
und in dieses Gebiet geschickt worden. Ich fragte nach der
Anzahl der auf dem Hügel stationierten Soldaten und er
antwortete: „Jetzt gibt es dort niemanden mehr!!“
Erstaunt fragte ich: „Niemand!?“ Er antwortete: „Wir sind
gekommen um uns zu ergeben. Die restlichen Truppen habe ich
zurück hinter die Front geschickt, die Höhen sind jetzt frei!“
Ich schaute ihn erstaunt an und fragte nach dem Grund. Er
sagte, weil sie sich nicht ergeben wollten. Meine Verwunderung
stieg und dann fragte ich: „Was bedeutet das?!“ Anstatt mir
eine Antwort zu geben fragte der irakische Offizier auf
arabisch: “Wo ist der Moazen (Gebetsrufer)?“ Dieser Satz
benötigte keine Übersetzung. Er konnte die Tränen kaum noch
zurückhalten begann aber dann trotzdem zu reden, der
Dolmetscher übersetzte sofort:
„Man hat uns gesagt, dass Ihr „Majus“(unrein) seid und
Feueranbeter. Man hat uns ebenfalls gesagt für den Islam
greifen wir den Iran an. Glaubt uns, wir sind alle Schiiten.
Als wir sahen wie unserer Kommandeure Alkohohl tranken und
ihre Gebete nicht verrichteten, zweifelten wir sehr an den
Kampf gegen euch für den Islam. Heute morgen als ich den
Gebetsruf eures Kameraden hörte, der mit klarer und lauter
Stimme den Azan rief, zitterte mein ganzer Körper. Als er den
Namen Imam Alis (a.) nannte, sagte ich zu mir: „Du kämpfst
gegen deine eigenen Brüder, nicht das sich das Ereignis in
Karabala wiederholt...“
Sein Schluchzen nahm ihm die Möglichkeit weiter zu reden.
Minuten später fuhr er fort: „Deshalb habe ich mich
entschieden mich zu ergeben um die Last meiner Sünden nicht
schwerer werden zu lassen. Aus diesem Grund befahl ich, dass
nicht gefeuert werden soll. Als das Tageslicht anbrach
versammelte ich meine Truppen und sagte, ich möchte mich den
Iranern ergeben. Jeder, der möchte kann mit mir kommen. Die
Personen, die mit mir kamen sind meine Freunde und meiner
Meinung. Die anderen haben sich zurückgezogen. Allerdings habe
ich den Soldaten, der in Richtung des Moazen geschossen hat
ebenfalls mitgebracht. Wenn Sie es mir befehlen, werde ich ihn
hinrichten. Jetzt bitte sage mir, ob er noch lebt?“
Völlig benommen hörte ich dem irakischen Offizier zu. Ich
konnte kaum reden. Nach einem kurzen Schweigen sagte ich: „Ja,
er lebt noch. Wir verließen zusammen den Graben und gingen zu
Ibrahim, der in einem anderen Schützengraben lag. Alle 18
irakische Soldaten waren gekommen und küssten Ibrahims Hand.
Der letzte warf sich sogar vor seine Füße, er weinte und
flehte Ibrahim an ihm zu verzeihen: „Ich habe geschossen.”
Mir wären beinahe auch die Tränen gekommen. Ich hatte ein
außergewöhnliches Gefühl und achtete nicht mehr auf den
Einsatz und auf unsere Truppen. Ich wollte die irakischen
Gefangenen zurückschicken, da rief mich der irakische Offizier
und sagte: „Schau auf die andere Seite. Eine Brigade und ein
paar Panzer haben die Absicht sich in Bewegung zu setzen.
Beeilt euch und besetzt den Hügel“. Sofort schickte ich einige
Leute des Andarzgu-Teams dorthin. Mit der Befreiung desselben
war die Säuberung des Gebiets Anar vollständig.
Doch dann griff die Brigade an, die sich schon in Bewegung
gesetzt hatte. Weil wir aber gut vorbereitet waren wurden die
meisten ihrer Soldaten getötet und ihr Angriff scheiterte. In
den nächsten Tagen verminderte sich, mit Durchführung des
Mohammad Rasullollah-Einsatzes in Mariwan, der Druck der
irakischen Armee in Gilangharb.
Auf jeden Fall konnte der Einsatz Matlael Alfadjr alle
seine gesetzten Ziele erreichen. Viele der Gebiete in Iran
wurden befreit. Doch leider fielen Offiziere wie Gholam Ali
Pichak, Jamal Tajik und Hassan Balasch in diesem Einsatz und
wurden Märtyrer.
Ibrahim schloss sich Tage später, nachdem er sich erholt
hatte, der Gruppe wieder an. Noch am selben Tag wurde
mitgeteilt: „Mit dem Einsatz Matlael Alfadjr, der mit dem
heiligen Code „Ja Mahdi“ durchgeführt wurde, sind 14 Brigaden
der Spezialeinheiten der irakischen Armee eliminiert worden.
Ungefähr 2000 Tote und Verletzte und 200 Gefangene waren nur
ein Teil der Verluste der irakischen Armee. Ebenfalls wurden
Kriegsflugzeuge des Feindes abgeschossen.
***
Fünf Jahre waren seit dem Matlael Alfadjr-Einsatz
vergangen. Es war Winter 1365 und wir waren bei dem Einsatz
„Kerbela 5“ in Schalamche. Ein Teil der Organisation der
beteiligten Truppen und die Einsatzinformationen war unsere
Aufgabe. Aufgrunddessen gingen wir zum Stützpunkt der
Badr-Truppe. Abgemacht war, dass die Brigaden dieser Truppe
alle arabischer Herkunft und Anti-Saddam Iraker sind und für
die nächste Phase des Einsatzes entsendet werden sollten. Nach
der Besprechung mit den Kommandeuren der Truppe und der
Brigaden erledigte ich die nötige Organisation und bereitete
mich zum Aufbruch vor.
Von weit sah ich einen der Soldaten der Badr-Truppe, der in
meine Richtung starrte und sich mir dann näherte! Er begrüßte
mich und ich tat dies ebenfalls. Ohne weiteres sagte er mit
einem arabischen Dialekt: „Waren Sie nicht in Gilangharb?“
Verwundert sagte ich: „Ja“. Dann sagte er: „Können Sie sich an
den Matlael Alfadjr-Einsatz erinnern? Die Anar-Höhen? Der
letzte Hügel?“ Ich grübelte ein wenig und sagte dann: „Ja
und?“. „Kannst du dich an die 18 Iraker, die in Gefangenschaft
geraten waren erinnern?“ Erstaunt antwortete ich: „Ja und wer
sind Sie?“ Freudig antwortete er: „Ich bin einer von denen!!“
Ich fragte ihn: „Was machst du hier?“ “Alle 18 gehören zu
dieser Brigade. Wir sind mit der Gewährleistung Ajatollah
Hakims frei gelassen worden. Er kannte uns gut. Abgemacht war,
dass wir an die Front gehen und gegen die Baathis kämpfen!“,
sagte er weiter. Es war für mich sehr außergewöhnlich. Ich
sagte: „Hervorragend, wo ist euer Kommandeur?“ „Er ist auch
hier in dieser Brigade. Jetzt sind wir startbereit, um an die
Front zu gehen“, teilte er mit. Ich sagte: „Schreibe den Namen
der Mitglieder deiner Brigade und deinen eigenen auf dieses
Papier, ich habe es gerade sehr eilig. Nach dem Einsatz komme
ich hierhin zurück und dann werden wir uns alle hier sehen.
Während er die Namen seiner Kameraden aufschrieb, fragte er:
„Wie hieß nochmal euer Moazen?“
„Ibrahim, Ibrahim Hadi“, antwortete ich.
Er sagte: „Die ganze Zeit wollten wir herausfinden, wie er
hieß. Wir wollen gerne diesen Gottesmann noch einmal sehen.
Ich schwieg. Ich war den Tränen nahe. Er hob seinen Kopf und
schaute mich an. Ich sagte: „Inschallah werdet Ihr euch im
Paradies wiedersehen!“ Es schmerzte ihn sehr. Er schrieb die
Namen auf und gab mir die Liste. Ich verabschiedete mich
sofort und machte mich auf den Weg. Diese unerwartete
Begegnung war für mich sehr nachhaltig.
Im Monat Esfand 1365 wurde der Einsatz abgeschlossen. Viele
der Streitkräfte waren in den Urlaub gefahren. Eines Tages
fand ich in meinen Sachen dieses Papier, welches der irakische
Basiji der Badr-Truppe mir gegeben hatte. Daraufhin entschloss
ich mich die Leute von der Badr-Gruppe zu besuchen. Doch ich
musste feststellen, dass die Gruppe aufgelöst worden war. Ich
sagte zu demjenigen, der mir die Nachricht gegeben hatte, dass
ich sie sehen will. Er sagte: „Diese Brigade, von der Sie
reden, leistete in Schalamche gegen einen massiven Angriff der
irakischen Armee Widerstand. Sie konnten zwar den Irakern
große Verluste zufügen, aber keiner von der Brigade ist
lebendig zurückgekehrt!“ Alle 18 sind Märtyrer geworden.
Ich war fassungslos, saß einfach so da und dachte nach. Was
Ibrahim mit einem Azan gemacht hatte! Ein Hügel wurde befreit,
ein Einsatz erzielt Erfolg und 18 Menschen sind wie Huor vor
der Hölle gerettet worden und ins Paradies gegangen.
Im Nachhinein erinnerte ich mich an meinen Satz an den
irakischen Soldaten, inschallah seht ihr euch im Paradies
wieder. Ungewollt kamen mir die Tränen. Ich hatte keinen
Zweifel daran, dass Ibrahim wusste, warum er den Azan dort
ausgerufen hat, um die Herzen des Feindes zu erschüttern und
diejenigen, die noch ein Spur Glauben im Herzen haben
Hilfestellung zu leisten damit diese rechtgeleitet werden.