Der „Walfadjr“-Einsatz (Erzähler: Ali Nasrollah)
Die „Komeil“Division war die vorangehende Truppe in
südliche Richtung. Einer der Kommandeure hielt eine Rede für
alle Miglieder der Division:
„Meine Brüder, heute Nacht werden wir zur Durchführung des
Walfadjr-Einsatzes nach Fakke marschieren. Der Feind hat drei
sehr große Gräben parallel zur Grenze gebaut, diese sollen
euren Vormarsch verhindern. Aber Inschallah, wenn ihr diese
Gräben passiert habt, dann kann euer eigentlicher Einsatz
beginnen. Mit der Besetzung der Wachposten „Tawosie“ und „Roschidie“wird
die erste Phase des Einsatzes abgeschlossen sein. Dann werden
neue Streitkräfte der „Seyyed Al-Schohada Truppe und andere
zur Fortsetzung der Operation an euch vorbei ziehen und bis
zur irakischen Stadt „Al-Emarie“ weitermarschieren .
Inschallah werdet ihr bei diesem Einsatz Erfolg haben.“
Dann sprach er noch über den Durchführungsplan, die
Hindernisse und mögliche Durchgänge. Er sagte:“ Der Weg führt
durch mehrere Minenfelder. Inschallah werdet ihr als
vorangehende Division der südlichen Achse in Fakke, die
gesetzten Ziele erreichen.“ 115
Als seine Rede beendet war, begann Ibrahim Trauerlieder zu
singen, aber nicht wie gewöhnlich! Er sang sehr befremdlich
und weinte dabei. Dann trug er ein Gedicht für Hazrat Zahra (a.s)
vor und schlug sich dabei auf die Brust. Es war das erste Mal,
daß ich dieses Gedicht hörte. Anschließend sang er
Trauerlieder über die Gefangenschaft Hazrat Zeinabs (a.s) und
die Märtyrer von Karbala. Zum Schluß sagte er:“ Freunde, heute
Nacht werdet ihr entweder eurem Schöpfer begegnen oder wie die
Sadats die Gefangenschaft aushalten und sie heldenhaft
überwinden. Nach diesem außergewöhnlichen Trauergesang
Ibrahims standen alle tränenüberströmt auf und verrichteten
das Nachmittagsgebet. Seit dem Ibrahim zurückgekommen war,
folgten wir ihm überall hin! Keine Sekunde trennten wir uns
von ihm!
Später nahmen Ibrahim und ich eine der transportablen
Brücken über die Schulter und folgten den anderen. Das
Fortbewegen auf dem sandigen Boden von Fakke war eine Qual und
das während jeder von uns Ausrüstungen mit einem Gewicht von
über 20 Kilo tragen mußte! Einer nach dem anderen gingen wir
in einer Reihe über einen zwischen den Minenfeldern liegenden
schmalen Weg nach vorne. Wir liefen etwa 12 Kilometer, bis wir
den ersten sehr breiten und tiefen Graben im Süden von Fakke
erreichten, danach hatten wir keine Energie mehr um
weiterzumarschieren.
Es war 9.30 Uhr abends, Sonntag, der 17. Bahman. Nachdem
wir die mobile Brücke montiert hatten, überquerten wir sie und
passierten so den ersten Graben. Es herrschte eine merkwürdige
Stille in diesem Gebiet. Die Iraker feuerten nicht eine
einzige Kugel. Eine Viertelstunde später erreichten wir den
zweiten Graben, diesen konnten wir durchgehen. Mit dem
Funkgerät wurde die Kommandozentrale informiert. Dann in nur
einigen Minuten gelangten wir zum dritten Graben.
Ibrahim war noch sehr beschäftigt damit seinen Kameraden
über den zweiten Graben zu helfen. Er paßte sehr genau auf,
denn an den Seiten der Gräben waren ebenfalls Minen platziert
und es gab noch wesentlich mehr diverse Hindernisse.
Das Erreichen des dritten Grabens bedeutete neben die
Grenzwachposten zu gelangen und der eigentliche Beginn des
Einsatzes. Aber der Divisionskommandeur stoppte die Soldaten
und sagte:“Der Karte nach hätten wir länger laufen müßen, es
ist merkwürdig, daß wir so früh angekommen sind und keine
Grenzwachposten zu sehen sind!“
Fast alle Soldaten hatten jetzt den zweiten Graben
passiert. Auf einmal wurde der Himmel von Fakke tageshell!!
Der Feind hatte auf uns gewartet. Sie begannen zu schießen.
Von RPGs und schwere Artillerie wurde alles eingesetzt. Sie
feuerten aus allen Richtungen! Wir konnten nichts tun. Die
Hindernisse und die Minenfelder behinderten jegliche Bewegung.
Nur einige der Soldaten konnten den dritten Graben betreten.
Die meisten steckten im Sand fest und alle anderen gingen in
die eine oder andere Richtung. Sie liefen hin und her. Dann
konnten doch wieder einige von ihnen Hindernisse überwinden
aber als sie im Flachland in Deckung gehen wollten,
explodierten die Minen und sie wurden Märtyrer. Der ganze Weg
war vermint. Ibrahim wußte das, deshalb rannte er zum dritten
Graben und schrie laut, man solle nicht in die Umgebung
laufen. Alle warfen sich sofort auf den Boden. Die irakische
Artillerie wußte genau, wo wir eindringen werden! Und genau
auf diesen Weg zielten sie. 116
Es war ein Chaos. Jeder rannte jetzt wieder in irgendeine
Richtung. Alles war ausser Kontrolle. Der einzige Platz, der
sicher war, war in den Gräben. In der Dunkelheit und in dem
Chaos verlor ich Ibrahim! Ich ging bis zum dritten Graben,
aber ich konnte ihn nicht finden! Dann sah ich einen von
unseren Freunden und fragte:“Hast du Ibrahim gesehen?“ Er
sagte:“Vor einigen Minuten ist er hier vorbeigegangen.“ Ich
lief hin und her. Dann sah ich einen der Kommandeure. Er
erkannte mich und sagte:“Geh schnell in den Graben und sag den
Soldaten, sie sollen sich zurückziehen, es gäbe nicht genug
Platz und keine Sicherheit.“
Schnell führte ich den Befehl des Kommandeurs aus und
konnte sogar viele der Verletzten in Sicherheit bringen. Das
dauerte so zwei, drei Stunden. Als ich zurückgehen wollte,
wurde mir bei der Truppe gesagt, daß ich das nicht könne. Ich
fragte verwundert:“Warum?“ Sie sagten:“Der Befehl zum Rückzug
wurde gegeben, es hätte keinen Sinn nach vorne zu gehen, weil
die anderen Soldaten sich auch bis morgen zurückziehen
werden.“
Eine Stunde später sprach ich mein Morgengebet. Es wurde
langsam hell. Ich war erschöpft und hoffnungslos. Ich fragte
alle Soldaten, die zurückkamen, nach Ibrahim. Aber niemand
wußte etwas von ihm. Kurze Zeit später sah ich Mojtaba. Mit
einem Gesicht voller Erde und sehr müde kam er von der Front
zurück. Hoffnungslos fragte ich ihn:“ Mojtaba, hast du Ibrahim
gesehen?“ Er setzte sich neben mich und sagte:“ Vor einer
Stunde waren wir zusammen.“ Voller Freude sprang ich von
meinem Platz auf und sagte:“Wo ist er denn jetzt?“ Er
antwortete:“ Das weiß ich nicht, ich habe ihm gesagt, daß
angeordnet wurde sich zurückzuziehen und daß, wir solange es
noch dunkel ist, dieses tun müssten, denn bei Tageslicht ist
nichts mehr auszurichten.“ Aber Ibrahim sagte:“ Meine
Kameraden sind in den Gräben. Ich gehe zu ihnen und wir werden
zusammen zurückkommen.“ Mojtaba fuhr fort:“ Während ich mit
Ibrahim redete, näherte sich die „Aschura“-Truppe.“ „Ibrahim
sprach sofort mit ihrem Kommandeur und gab ihm die Nachricht
vom Rückzug. Mich hat er, weil ich den Weg kannte, mit ihnen
zurück geschickt. Er nahm von ihnen ein RPG mit etwas Munition
und ging zum Graben. Von dieser Zeit an habe ich keine
Nachricht mehr von ihm.“
Eine Stunde später sah ich Meysam Latifi, der auch mit
einigen Verletzten zurückgekommen war. Ich ging zu ihm um zu
helfen und fragte Meysam:“Wie sieht es aus?“ Er sagte:“ Ich
und diese Verletzten hier steckten weiter vorne zwischen den
Hügeln fest. Ibrahim konnte uns retten. Plötzlich stand ich
auf und sagte erstaunt:“ Bruder Ibrahim?! Was ist dann
passiert?“ Er sagte:“ Mit Mühe und Not konnte er uns sammeln
und kurz vor der Morgendämmerung nach hinten bringen.
Unterwegs erreichten wir einen Graben, dessen Boden voller
Schlamm und sehr breit war. Ibrahim brachte zwei Krankenbahren
und bildete mit diesen eine Art Brücke! Somit konnten wir den
Graben durchqueren. Dann ging er wieder nach vorne.
Um zehn Uhr morgens war der Truppenstützpunkt in Fakke ein
Versammlungsort der Kommandeure geworden. Viele sagten, daß
mehre Divisionen vom Feind umzingelt worden seien!