Die Pistole (Erzähler: Ali Sadeghi)
Es waren die letzten Tage des (persischen) Jahres 1360.
Nachdem wir unsere Waffen abgegeben hatten bereiteten wir uns
für die Fahrt in den Süden vor. Nach Anordnung des
Kriegskommandos sollte ein großer Einsatz in Khusestan
durchgeführt werden. Deshalb wurden die meisten Streitkräfte
der Sepah und der Basijis nach Süden verlegt.
Das Andarzgu-Team war zusammen mit den Mitgliedern der
Gilangharb-Truppe ebenfalls unterwegs in den Süden als von der
Sepah in Kermanschah mitgeteilt wurde, dass Bruder Ibrahim
eine Pistole bekommen hätte und diese noch nicht abgegeben
habe!
Egal wie oft Ibrahim versuchte zu erklären, dass er keine
Pistole hätte, es war vergebens. Ich sagte zu ihm: „Vielleicht
hast du eine bekommen und vergessen sie wieder abzugeben?“ Er
dachte kurz nach und sagte: „Ich erinnere mich schon daran,
dass ich sie bekommen habe, aber ich gab sie Mohammad und
sagte ihm, dass er sie für mich abgeben soll“. Ibrahim ging
der Sache nach und stellte fest, dass die Waffe bei Mohammad
geblieben war. Er selbst wäre aber schon vor einer Woche nach
Teheran zurückkehrt.
Als wir nach Teheran kamen gingen wir sofort zu Mohammad.
Man sagte uns, dass er von hier weg und wieder in sein
Heimatdorf Kuhpaie, dass auf dem Weg von Yasd nach Isfahan
liegt, gezogen sei. Ibrahim wollte unbedingt nach Kuhpaie
reisen, weil diese Angelegenheit für ihn sehr wichtig war.
Es war nachts als wir uns in Richtung Isfahan aufmachten.
Von dort fuhren wir weiter nach Kuhpaie. Ganz früh am morgen
kamen wir an. Es war schon echt kalt geworden. Ich sagte zu
Ibrahim: „Also wo müssen wir jetzt hin!” Er antwortete: „Gott
gibt uns die Mittel, er wird uns schon den Weg zeigen.” Wir
schauten uns ein wenig im Dorf um. Eine ältere Frau ,die auf
dem Weg zu ihrem Haus war, schaute in unsere Richtung. Ibrahim
stieg aus dem Auto und sagte laut: „Salam Mutter!”
Die alte Frau sagte freundlich: „Salam mein Lieber, suchst
du jemanden?“ Ibrahim fragte: „Kennen Sie Mohammad Kuhpaii?
„Welcher Mohammad?“, fragte die Frau. Ibrahim erwiderte: „Der,
der kürzlich von der Front zurückgekommen und so um die 20
Jahre alt ist. Sie lächelte und sagte: „Kommt mit“ und ging in
ihr Haus. Wir parkten das Auto und folgten ihr. Die alte Frau
lud uns ein, bereitete uns ein Frühstück , bewirtete uns und
sagte dann: „Ihr seid die Soldaten des Islams, esst, damit Ihr
kräftig seid“. „Mohammad ist mein Enkelsohn und lebt bei mir.
Er ist zur Stadt gefahren und kommt erst nachts zurück.
Ibrahim sagte: „Entschuldigung aber Ihr Enkel hat etwas
gemacht, das uns hierher gebracht hat!“ Die alte Frau fragte
verwundert: „Was hat er denn getan?“ Ibrahim fuhr fort: „Er
hat von mir eine Pistole bekommen und sie noch nicht abgegeben
und man hat mir befohlen, die Waffe zurückzubringen“. Die Frau
stand auf und sagte ärgerlich: „Dieser Junge muss auch immer
etwas anstellen.”
Ibrahim sagte: „Bitte machen Sie sich keine große Mühe. Wir
werden Sie nicht lange stören.” Sie sagte: „Kommt her“. Sie
zeigte uns eine kleine Truhe. „Das ist Mohammads Truhe. Vor
ein paar Tagen habe ich gesehen wie er etwas mitbrachte und es
hier herein legte. Erst müsst ihr das Schloss öffnen.” Ibrahim
sagte: „Liebe Frau, ohne Erlaubnis an die Sachen anderer zu
gehen ist nicht gut!“ Die alte Frau sagte: „Wenn ich es
könnte, würde ich sie selber öffnen“, dann brachte sie einen
Schraubenzieher und ich öffnete sie. Wir sahen hinein und
entdeckten die Waffe, die in ein weißes Tuch gewickelt war.
Wir nahmen sie an uns. Beim Abschied fragte Ibrahim: „Weswegen
haben Sie uns so vetraut?“ Die alte Frau antwortete: „Ein
Soldat des Islams lügt niemals. Jemand mit einem so
strahlenden Gesicht kann nicht lügen!“
Wir verließen den Ort und fuhren Richtung Teheran. Auf dem
Weg nach Isfahan fiel mein Blick auf die Artillerie der Armee.
„Kannst du dich erinnern, Bruder Ibrahim, in Sarepolezahab gab
es einen Kommandeur bei der Artillerie, der uns bei den
Einsätzen sehr geholfen hatte“, sagte ich. Er antwortete:
„Meinst du Herr Maddah?“ Ich sagte: „Ja, er ist Kommandeur der
Artillerie in Isfahan geworden. Ibrahim sagte, dann statten
wir ihm doch einen Besuch ab.“
Wir parkten vor der Kaserne. Ibrahim stieg aus, ging zu dem
Wachposten und fragte: „Salam, ist Herr Maddah hier?“ Der Mann
schaute Ibrahim von oben bis unten an. Ein Mann mit einer
kurdischen Hose, einem langen Hemd und einem einfachen Gesicht
sucht den Kommandeur der Kaserne! Ich trat auch vor und sagte:
„Mein lieber Bruder hier ist ein Freund von Herrn Maddah und
wir kommen von der Front, ist es möglich ihn zu sehen?“
Die Wache telefonierte kurz und meldete uns an. Minuten
später kamen zwei Jeeps aus Richtung des Kommandobüros zum
Eingangstor. Als Herr Maddah uns sah umarmte er Ibrahim und
küsste ihn. Dann brachte er uns in sein Büro. Danach nahm er
uns mit zum Sitzungsraum. Ungefähr 20 Militärkommandeure waren
anwesend. Herr Maddah war der Sitzungsleiter. Er brachte uns
zwei Stühle und wir setzten uns. Dann begann er mit seiner
Rede: „Meine Freunde, Ihr alle kennt mich. Ich habe vor der
Revolution im Neun-Tage-Krieg und auch im ersten Kriegsjahr
Tapferkeits-Medaillen erhalten. Meine Truppe hat die
schwersten Einsätze bestens durchgeführt und war in all diesen
erfolgreich. Ich habe die schwerste und härteste
Militärausbildung innerhalb und außerhalb des Landes gemacht.
Aber es gab und gibt Menschen die all mein Gelerntes in Frage
gestellt haben“. Dann nannte er ein Beispiel: „Eine
Kriegsregel auf der ganzen Welt besagt, wenn du irgendwo
angreifen möchtest und der Feind hat 100 Soldaten, dann musst
du 300 haben, auch dein Waffenarsenal muss größer sein, damit
du gewinnen kannst. Dies hier ist Herr Ibrahim, er und seine
Freunde taten Dinge, die außergewöhnlich waren. Beispielsweise
griffen sie in einem Einsatz mit weniger als hundert
Streitkräften an und sorgten trotzdem für große Verluste beim
Feind oder brachten sie in Gefangenschaft. Ich war für ihre
Unterstützung verantwortlich. Ich kann mich noch gut erinnern
als sie das Gebiet Bazideraz angreifen wollten. Als ich die
Lage unserer Streitkräfte sah, sagte ich, dieser Einsatz wird
sicherlich scheitern. Aber gerade in diesem Einsatz konnte ich
selber beobachten wie sie außer der Besetzung der Stellungen
des Feindes, mehr irakische Soldaten töten konnten als sie
selber an Zahl waren!
Einer der jungen Offiziere in der Sitzung sagte: „Herr Hadi,
erklären Sie doch, wie Ihre Handlungsweise bei den Einsätzen
war, damit wir davon etwas lernen. Ibrahim, der mit gesenktem
Kopf dort saß, sagte: „Nein, mein Bruder, wir haben nichts
getan. Herr Maddah hat zu viel Lob ausgesprochen, alles war
Gottes Wohlwollen“.
Herr Maddah sagte: „Das, was er und seine Freunde uns
beigebracht haben ist, dass Munition und Anzahl der
Streitkräfte nicht wichtig ist, sondern das, was im Krieg an
erster Stelle stehen sollte, die Mentalität der Soldaten. Sie
versetzten mit einem Allah o Akbar Ruf die Feinde so in Angst
und Schrecken wie es hunderte von Raketen und Panzer nicht tun
konnten“.
Dann redete er weiter: „Sie hatten einen Freund, der zwar
klein an Gestalt war, aber sein Mut und seine Kraft war größer
als ihr euch vorstellen könnt. Er hieß Asghar Wesali, er
konnte in den ersten Kriegstagen mit seiner Truppe das
Vordringen des Feindes stoppen und wurde dabei Märtyrer. Ich
habe von den reinen Absichten der Basijis diesen Vers des
Korans richtig schätzengelernt: „Wenn Ihr zwanzig Geduldige
und Standfeste seid könnt ihr gegen 200 (Feinde) gewinnen“.
Eine Stunde später verließen wir die Sitzung. Wir
entschuldigten uns bei den Teilnehmern und machten uns auf den
Weg nach Teheran. Unterwegs dachte ich an die heutigen
Ereignisse.
Ibrahim gab die abenteuerstiftende Pistole bei der Sepah ab
und wir fuhren mit den anderen Mitgliedern der Andarzgu-Truppe
nach Süden, nach Khusestan. Die 14 Monate lange Zeit in
Gilangharb war beendet mit all den süßen und bitteren
Erinnerungen.