Die Wünsche des Volkes und Gottes Gaben (Erzähler: Freunde
des Märtyrers)
Eines Tages, als ich mit Ibrahim auf dem Motorrad eine
ziemlich weite Strecke zurückgelegt hatte und nach Hause fuhr,
sahen wir plötzlich einen alten Mann, der mit seiner Familie
am Straßenrand stand. Er winkte und wir hielten an. Als er von
uns die Antwort auf die Frage nach einer Adresse erhalten
hatte, begann er über seine Probleme zu reden.
Dem Mann war es ist nicht anzusehen, ob er ein
Drogenabhängiger oder ein Bettler ist. Ibrahim stieg vom
Motorrad, griff in seine Hosentaschen, fand aber nichts. Er
sagte zu mir: „Amir, hast du etwas Geld dabei?“ Ich hatte auch
nichts. Ibrahim sagte: „Um Gottes Willen schau noch einmal
nach, aber es war vergebens. Wir entschuldigten uns und
setzten unseren Weg fort. Unterwegs schaute ich in den
Rückspiegel des Motorrads und sah wie Ibrahim weinte! Ich
hielt an. Erstaunt fragte ich ihn: „Lieber Ibrahim, du
weinst?“ Er wischte sich die Tränen weg und sagte: „Wir
konnten einem bedürftigen Menschen nicht helfen“. Ich
entgegnete: „Wir hatten kein Geld dabei, das ist doch keine
Sünde. Er sagte: „Ich weiß, aber er tat mir sehr leid. Diesmal
hatte ich nicht die gesegnete Gelegenheit jemandem zu helfen“.
Ich sagte nichts und wir fuhren weiter. Aber ich beneidete
Ibrahims tief empfindende Seele.
Am nächsten Tag sah ich Ibrahim wieder. Er sagte: „Ich
werde nie wieder ohne Geld aus dem Haus gehen, damit mir die
gestrige Geschichte nicht noch einmal passiert.“
Ibrahims Sorge um die Probleme der Menschen und das Lösen
ihrer Probleme erinnerte mich an eine schöne Hadithe von Imam
Hosseins (a.): „Die Wünsche der Menschen an euch gehören zu
den Gaben Gottes für euch. Vernachlässigt diese nicht zu
erfüllen, denn diese Gabe ist der Vernichtung ausgesetzt."(Behar
Al-anwar, B. 78, S. 121)
***
Ibrahims Verletzung war geheilt. Er rief mich an und sagte
nachdem er mich begrüßt hatte: „Brauchst du heute dein Auto?“
Ich sagte: „Nein, es steht vor dem Haus.“ Er kam, holte es ab
und sagte: „Heute Nachmittag bringe ich dein Auto zurück.” Das
tat er dann auch. Ich fragte ihn: „Wo bist du denn
hingefahren?“. Er sagte: „Nirgends, ich habe Taxifahrten
gemacht!“ Ich sagte lachend: „ Im Ernst?“ Er sagte: „Nein, nun
wenn du nichts besonderes zu tun hast, steh auf, wir müssen
einige Sachen erledigen.“ Ich wollte gerade ins Haus gehen, da
sagte er: „Wenn ihr etwas zu Hause habt, was ihr nicht braucht
wie Reis oder Öl, bring es mit.“
Ich holte ein wenig Reis und Öl. Dann fuhren wir gemeinsam
zu einem Geschäft in dem Ibrahim Fleisch und Hähnchen kaufte.
Als ich sah, dass Ibrahim dem Verkäufer nur Kleingeld gab,
wusste ich, dass das verdiente Geld vom Taxifahren war. Danach
fuhren wir nach Südteheran und besuchten einige Leute. Ich
kannte sie nicht. Ibrahim klopfte an die Tür, gab die Sachen
ab und sagte: „Wir sind von der Front gekommen. Das hier ist
euer Anteil!“ Ibrahim redete immer so, dass sein Gegenüber
kein Schamgefühl spürte. Er stellte sich auch nie in den
Mittelpunkt.
Im Nachhinein stellte ich fest, dass es Wohnungen einiger
unserer Kriegskameraden waren. Die Männer der Familien waren
an der Front, deshalb kümmerte sich Ibrahim um sie. Seine
Taten erinnerten mich an die Worte Imam Sadeghs (a.), er
sagte: „Die Bemühung um die Erfüllung der Bedürfnisse eines
Moslems ist besser als siebzig Kaaba-Umkreisungen und schützt
am Tag der Auferstehung." (Behar Al-anwar, B.
74, S. 318)
Diese strahlende Hadithe war das wegweisende Licht in
Ibrahims Leben. Er investierte all seine Kraft in die Lösung
der Probleme anderer Menschen.
***
Es war die Zeit als Ibrahim noch zum Gymnasium ging.
Nachmittags arbeitete er im Bazar und hatte so ein eigenes
Einkommen. Er fand heraus, dass eine Familie in der
Nachbarschaft starke finanzielle Probleme hatte. Der Mann war
im Krieg gefallen und sie hatten niemanden, der ihren
Unterhalt finanzierte. Ibrahim redete nicht darüber. Jeden
Monat wenn er sein Gehalt bekam, gab er es größtenteils für
diese Familie aus! Und immer, wenn zu Hause viel gekocht
wurde, schickte er auch etwas der Familie. Dieses tat er bis
zu seinem Tod, niemand wusste etwas davon außer seine Mutter.
***
Einmal kam jemand zu Ibrahim und bat ihn um finanzielle
Hilfe. Er hätte in einer Teeküche gearbeitet und wäre nun
arbeitslos geworden. Statt ihm eine finanzielle Hilfe zu
geben, besuchte Ibrahim einige seiner Freunde und verschaffte
ihm so eine angemessene Arbeit. Er versuchte alles, was in
seiner Kraft stand, die Probleme der Menschen zu beseitigen.
Wenn er es selbst nicht konnte ging er zu seinen Freunden und
ließ sich helfen. Aber dabei achtete er immer auf einen Punkt,
und zwar, dass er aus ihnen keine Bettler machte. Er sagte zu
seinen Freunden: „Bevor bedürftigte Personen sich euch
zuwenden und ihre Hände ausstrecken, löst deren Problem.“
Er half jedem seiner Freunde, die ein finanzielles Problem
hatten oder vermutete, dass sie eins haben könnten bevor sie
etwas sagten. Dann sagte er: „Ich leihe dir Geld und du gibst
es mir zurück, wenn du die Möglichkeit dazu hast. Das Geld
hier ist Gharzolhassanah.” Ibrahim rechnete nie mit diesem
Geld, das Ansehen der Leute war ihm wichtiger. Er verhielt
sich immer so, damit diese Personen sich nicht schämen.
***
Große Persönlichkeiten empfehlen, dass man wegen der Lösung
seiner eigenen Problemen, so viel wie möglich zur Lösung der
Probleme anderer beitragen soll. Sie empfehlen ebenfalls so
viel wie möglich unter den Menschen Essen zu verteilen und zum
Essen einzuladen, damit eigene Probleme beseitigt werden.
Eines abends im Monat Ramadan. Ibrahim kam zu uns nach
Hause, begrüßte uns und ließ sich von mir einen Topf geben!
Dann ging er ins Kalepazi. Ich folgte ihm ging und sagte:
„Ibrahim, Kalepache fürs Iftar? Das ist ja fantastisch!“ Er
sagte: „Ja, aber das ist nicht für mich.“ Dann kaufte er auch
Brot. In dem Moment als er aus dem Geschäft kam hielt Iraj bei
uns mit dem Motorrad an. Ibrahim stieg auf und verabschiedete
sich.
Ich sagte mir: „Bestimmt haben sich Freunde versammelt und
brechen gemeinsam ihr Fasten. Das Ibrahim mich nicht
eingeladen hatte, störte mich nicht. Am nächsten Tag sah ich
Iraj und fragte ihn: „Wo seid ihr gestern hingefahren?“ Er
sagte: „Hinter den Park „Tscheheltan“. Dort gab es eine kleine
Gasse , wir fuhren hinein zu einem kleinen Haus, klopften und
gaben das Essen ab. Ein paar Kinder und ein älterer Mann kamen
an die Tür und bedankten sich überaus. Sie kannten Ibrahim. Es
war eine mittellose Familie, die die Hilfe verdienten. Danach
habe ich Ibrahim nach Hause gefahren.
***
Sechsundzwanzig Jahre waren nach Ibrahims Tod vergangen.
Ich träumte von ihm. Er war mit einem Militärfahrzeug nach
Teheran gekommen! Ich wusste nicht was ich vor Freude tun
sollte. Sein Gesicht leuchtete. Ich umarmte ihn und vor Freude
rief ich: „Freunde, kommt her, Ibrahim ist zurückgekommen!
Ibrahim sagte jedoch zu mir: „Steig ein, wir haben viel zu
tun.“ Zusammen fuhren wir zu einem Hochhaus. Die Ingenieure
und der Hausbesitzer begrüßten Ibrahim. Sie schienen ihn sehr
gut zu kennen. Ibrahim sagte zu dem Hausbesitzer: „Ich bin
gekommen, um diesen Herrn Seyyed zu empfehlen. Ich wäre euch
dankbar, wenn ihr eine Wohnung auf seinen Namen anmeldet. Dann
zeigte Ibrahim auf eine etwas weiter weg stehende Person. Der
Besitzer sagte: „Herr Ibrahim, dieser arme Mann hat kein Geld
und kann auch keine Anleihe bekommen, wie soll ich ihm eine
Wohnung geben?“ Ich bestätigte den Mann und sagte: „Lieber
Ibrahim, die Zeit solcher Wohltätigkeiten ist vorüber, jetzt
kennen die Menschen nur noch Geldscheine!“
Mit einem Blick voller Kritik schaute mich Ibrahim an und
sagte: „Ich bin zurückgekommen, um die Probleme einiger wie
z.B. dieses Mannes hier zu lösen, sonst habe ich hier nichts
zu tun!“ Dann ging er zum Auto, ich folgte ihm...
Plötzlich klingelte mein Mobiltelefon und ich wurde wach!