Nachforschungen (Erzähler: Saiid Ghasemi und die Schwester
des Märtyrers)
Im Jahre 1369 kehrten die „Azadegan“ (die vom Irak
freigelassenen iranischen Soldaten) in ihre Heimat zurück.
Manche warteten immer noch auf Ibrahims Rückkehr. Aber langsam
gaben wir unsere Hoffnung auf.
Ein Jahr später reisten einige von Ibrahims Freunden zur
Besichtigung des Einsatzgebietes nach Fakke. Auf dieser Reise
stießen sie auf einige Leichname von Märtyrern und brachten
sie nach Teheran. Einige Tage später besuchten wir Familien
von Märtyrern. Die Mutter eines Schahids sagte zu mir: „Wissen
Sie, wo mein Sohn Märtyrer geworden ist?“ Ich sagte: „Ja, wir
waren zusammen.“ Sie fragte: „Jetzt wo der Krieg beendet ist,
gibt es keine Möglichkeit seinen Leichnam zu finden und
zurückzubringen?“ Ich dachte nach.
Dann ließ ich mich am nächsten Tag von einigen Kommandeuren
und Kriegserfahrenen beraten. Wir vereinbarten nach den
Leichnamen unserer Freunde zu suchen und fuhren kurz
entschlossen noch einmal nach Fakke.
Nach dieser erneuten Suche wurden die Leichname von 300
Schahids (Märtyrer), darunter auch der Sohn der Mutter, die
uns auf diese Idee gebracht hatte, gefunden. In dieser Zeit
wurde eine Gruppe namens „Tafahos Schohada“ (bedeutet:
Ermittlungen über die Märtyrer) gebildet.
Die Liebe zu den unschuldigen Märtyrern Fakkes führte dazu,
dass trotz unserer eigenen Beschäftigungen und trotz vieler
Hindernisse die Arbeit in Fakke erweitert werden konnte. Die
meisten Mitglieder dieser Suchgruppe, die Ibrahim kannten,
sagten: „Der wahre Gründer dieser Gruppe ist Ibrahim Hadi. Er
suchte nach den Einsätzen immer nach den Leichnamen der
Märtyrer.“
Fünf Jahre nach dem Krieg, wurde diese Arbeit auch im
bekannten Komeil-Graben trotz aller Schwierigkeiten in Angriff
genommen. Die Märtyrer wurden einer nach dem anderen gefunden.
Am Ende des Grabens lag nun eine Vielzahl von ihnen
nebeneinander, die schnell aus dem Graben herausgebracht
wurden, aber von Ibrahim gab es keine Spur! Ali Mahmudwand war
der Verantwortliche der Suchgruppe. Er war auch beim „Walfadjr“-Einsatz
fünf Tage lang im Komeil-Graben eingeschlossen. Ali meinte,
dass er noch lebe, hätte er nur Ibrahim zu verdanken und
sagte: „Niemand kann sich das Gefühl der Fremde in Fakke
vorstellen und wie viele von unseren unschuldigen Männern sind
im Graben geblieben. Der Geruch der Erde in Fakke war wie der
Geruch der Erde in Karbala.“
Als wir eines Tages wieder einmal einen Märtyrer geborgen
hatten, fanden wir in seinen Sachen ein Notizbuch, das nach
all diesen Jahren immer noch lesbar war. Auf der letzten Seite
stand geschrieben: „Heute ist der fünfte Tag der Belagerung.
Essen und Trinken haben wir eingeteilt und die Märtyrer liegen
am Ende des Grabens nebeneinader. Sie sind nicht mehr durstig.
Wir opfern uns deinen durstigen Lippen, Oh Sohn Fatimas (a.)!“
Wir waren beeindruckt und setzten unsere Suche fort. Die
meisten Märtyrer wurden gefunden, Ibrahim jedoch nicht! Ein
Freund von ihm kam uns besuchen. Während er über seine
Erinnerungen mit ihm erzählte, sagte er: „Sucht nicht viel
nach ihm!! Er wollte unbekannt bleiben, es ist sehr
unwahrscheinlich, dass ihr ihn finden könnt. Er ist in Fakke
geblieben, um ein Licht zu sein für die Rahiane-Nur-Reisenden.“
***
Ende der siebziger Jahre wurde mit der Suche im Gebiet
Fakke nochmals begonnen. Es wurden wieder Märtyrer gefunden,
aber die meisten davon waren unbekannt. Während dieser
Ermittlungen wurde Ali Mahmudwand und kurz danach Majid Pazuki,
die auf Minen getreten waren, ebenfalls Märtyrer.
Die Leichname der unbekannten Märtyrer wurden zum
Untersuchungsstab gebracht. Es wurde geplant in den Fatemie
Tagen und nach einer langen landesweiten Todesfeier, jeden der
fünf Märtyrer an einem anderen Ort in Iran zu begraben.
In der Nacht vor der Beerdigung sah ich Ibrahim im Traum.
Er stand mit seinem Motorrad vor meiner Haustür. Gut gelaunt
sagte er: „Ich bin wieder zurück“ und er schüttelte mir die
Hand. Ich sah auch die Beerdigung der Märtyrer im Traum. Einer
der Särge auf dem Lastwagen bewegte sich etwas und Ibrahim
stieg heraus. Mit demselben attraktiven Gesicht lächelte er
uns an.
Am Tag darauf empfingen die Menschen leidenschaftlich die
Märtyrer. Es war ein prachtvolles Todesfest. Danach wurden sie
zu den, für sie ausgewählten Städten, gebracht.
Ich glaube, dass Ibrahim mitsamt den anderen unbekannten
Märtyrern am Jahrestag des Todes von Hazrate Fatima (a.)
zurückkam, um unsere Gesichter vom Staub der Vernachlässigung,
zu säubern. Deshalb gehe ich jetzt immer die Gräber der
unbekannten Märtyrer besuchen, um für Ibrahim und die Ibrahime
dieses Volkes eine Fatiha zu lesen.