Erstes Buch
Perioden der Geschichte Tschengischan's.
Temudschin ward am 20. Silkide des fünfhundert neun und
vierzigsten Jahrs der Hidschret, d. i. am 26. Jänner d. J.
tausend hundert fünf und fünfzig der christlichen
Zeitrechnung, im letzten Jahre des alttürkischen Thiercyclus,
nämlich im Jahre des Schweines, geboren, und starb, zwei und
siebzig Jahre alt, am vierten Ramasan d. J. d. H. 624, d. i.
am 18. August 1227, nach dem sechsmal durchlaufenen
zwölfjährigen Thiercyclus, abermal im Jahre des Schweines, ein
ominoses Geburtsjahr für den Herrscher der mongolischen
schweinischen Menge; nicht minder ominos, als dass Temudschin
ein Stück geronnenes Blut fest in der Hand verschliessend zur
Welt kam, die er mit Blut überschwemmen sollte. Von den ersten
zwölf Jahren seines Lebens, in dessen dreizehntem er den Vater
Jisukai verlor, weiss die Geschichte Nichts, als dass dieser
ihm den Namen Temudschin von dem am Tage seiner Geburt
besiegten und gefangen eingebrachten Fürsten gab; die übrigen
sechzig Jahre seines Lebens zerfallen in die frühere kleinere
Hälfte, welche sieben und zwanzig Jahre umfassend, von seinem
dreizehnten bis an sein vierzigstes, und in die zweite
grössere, welche von seinem vierzigsten bis zu seinem Tode
zwei und dreissig Jahre füllt; von der ersten Hälfte, in
welcher er den wiederholten Unbilden seiner Feinde ausgesetzt
sich nur mühsam die Freiheit und Unabhängigkeit erkämpfte,
kennt die Geschichte verhältnissmässig für die Zahl der Jahre
nur wenige Begebenheiten, aber desto gellender und
ohrenzerreissender durchschmettert sein Namen in den folgenden
zwei und dreissig Jahren die Welt. Der grosse
Geschichtschreiber Reschideddin hat die Geschichte des Lebens
und der Herrschaft Tschengischan's von seinem dreizehnten
Jahre bis in dessen drei und siebzigstes eben so pragmatisch
als lichtvoll in fünf Perioden, die erste von dreimal neun,
die zweite von neun, die dritte und vierte von sieben, die
fünfte abermal von neun Jahren eingetheilt. In der ersten
Periode tritt er als Sieger der Taidschut, deren Gefangene in
siebzig Kesseln gesotten worden, auf; schon wider seinen
persönlichen Feind, Dschamuka, den Fürsten der Dschadscherat,
kämpfend, von denen sich jedoch ein Theil ihm unterwirft,
sowie die Stämme Suldus, Jisut und Barin, deren Emire sich
seinem Dienste anreihen. Die Gelegenheit eines Festes führt
einen Streit mit dem Vetter Sedschebegi, dem Fürsten des
nahverwandten Stammes der Kijat Burkin, herbei, der nun
Temudschin gegenüber als Bewerber um die oberste Herrschaft
auftritt; aber diesen Abfall vergütet der Sieg über die
Tungkait, einen Zweig eines wider seinen Fürsten Owangchan,
welchem Temudschin Hilfe leistet, empörten keraitischen
Stammes. In der zweiten Periode erscheint Temudschin als
Verbündeter Owangchan's, des Fürsten der Kerait, wider die
ihnen beiden feindlichen Stämme der Naiman Merkit und Tataren;
nach Besiegung derselben unterwirft sich der mächtige Stamm
der Konghurat der Herrschaft Temudschin's, und er besteigt den
Thron als Herr der Mongolen in seinem siebenmal siebenten
Jahre. Verschmähte Brautwerbung und Dschamuka's Ränke führen
den Krieg mit Owangchan herbei, von welchem Temudschin zwar am
Quell Baldschuna geschlagen, in der Folge denselben, sowie die
Naiman und Merkit oder Tangut, besiegt, worauf ihm die
Uighuren, Kirgisen, huldigen, und er als Herrscher aller
Mongolen die neungipflige Fahne mit neun weissen Rossschweifen
aufgepflanzt, und den Namen Temudschin in Tchengis, d. i.
starker, grosser, gewaltiger Herrscher, verwandelt. Die
folgende Periode füllt der siebenjährige chinesische Krieg und
die letzten neun Jahre seines Lebens die Feldzüge wider
Chuaresmschah's über ganz Vorderasien verbreitete Macht in
Transoxana, Chuaresm, Chorasan, Iran und Kipdschak, theils in
eigner Person, theils durch seine Söhne und Feldherren,
zuletzt die vierte wider Tangkut, wo er seinen Lauf als
Eroberer beschliesst. Gibbon hat diese Eroberungen nach den
vier Weltgegenden, im Norden, Süden, Osten und Westen,
überblickt. Da die Geschichte Tschengischan's zu schreiben und
blos die Eroberungen aufzuzählen, hier nicht unser Zweck, so
beleuchten wir die grosse historische Figur Tschengischan's
von vier Seiten, zuerst in seiner Familie als Menschen, dann
gegenüber seinen Feinden als Sieger und Eroberer, hierauf als
Staatsmann und Gesetzgeber, und endlich in dem Ueberblicke
seiner Heeresmacht und letzten Anordnungen als den Gewaltigen
im eigentlichsten Sinne des Worts. |