Gott und die Welt

Gott und die Welt

 Ayatollah Beheschti

Kritik an der Ta’til-Theorie

Im großen und ganzen lässt sich die Kritik folgendermaßen umschreiben: Wenn der Mensch, soweit dessen Gotterkenntnis anbelangt, von Ihm nur soviel weiß, dass es Ihn gibt und er Ihn lediglich mit dem Pronomen “Er“ das heißt absoluter Unbestimmtheit umschreiben kann, fragt es sich, auf welche Weise er zur Einsicht gelangt sein will, dass Er eine Wirklichkeit ist?

Es scheint, als wenn jene großen Gelehrten, die die Ta’til-Theorie vertraten, einer gewissen “Unentschlossenheit in der Auslegung“ verfallen waren. Jene haben die Kenntnis über das Wesen mit der über die Akzidenzien verwechselt.

Es ist möglich, dass ein bestimmtes Wesen viele nur ihm eigene Besonderheiten aufweist, wobei, wenn wir auch nur eine bzw. einige davon kennen, in die Lage versetzt werden, jenes Wesen von anderen zu unterscheiden, ohne erwarten zu wollen, alle Züge jenes Wesens, die ihn von anderen ausmachen, erst kennenlernen zu müssen. Nicht nur in Bezug auf Gott, auch im Falle anderer Wesen ergeht es uns ähnlich: Zwei Kinder sind ohne Mühe voneinander zu unterscheiden, wenn einem auch nicht alle ihre körperlichen und seelischen Merkmale bekannt sind.

Wenn also in der Gottesfrage die Rede von einer ganzheitlichen Kenntnis von Gott ist, muss eingewandt werden, dass der Mensch in der Tat dazu nicht in der Lage ist; des Menschen Wesen ist begrenzt und für solche Kenntnisse unfähig: „Die Vernunft wird Sein Wesen so tiefgründig erfassen, wie ein Strohhalm den Meeresgrund zu tasten vermag“.

Wenn aber von einer Kenntnis Gottes über ein oder mehrere Wesensmerkmale die Rede ist, die zwischen uns und Ihm eine Unterscheidung ermöglichen, ist eine derartige Kenntnis erforderlich, um “Sein“ Wesen überhaupt erfassen zu können. Denn ohne geringste Kenntnis über “Sein“ Wesen kann nicht über “Gott“ gesprochen werden. Die Unfähigkeit, Gott in allen Seinen Merkmalen wahrzunehmen, sollte kein Grund zur Annahme sein, in keiner Hinsicht zu Kenntnissen über Seine Wirklichkeit gelangen zu können. Zwischen absoluter und ganzheitlicher Kenntnis und absoluter und ganzheitlicher Unkenntnis gibt es einen Mittelweg bzw. Mittelwege, Gott relativ und über ein oder mehrere Merkmale zu erfahren.

Kenntnisse, die wir Menschen über unsere Welt im Allgemeinen haben, sind ebenso keine absoluten, auf die Grundwesenheiten bezogenen. Naturwissenschaften zum Beispiel widmen sich hauptsächlich der Kenntnis von Phänomenen, nicht der Kenntnis über Wesen und Essenzen. In der Gottesfrage verhält es sich ähnlich, mit dem Unterschied, dass wir im ersten Fall davon ausgehen, dass jedes zu erforschende einzelne Ding in der Natur ein Grundwesen hat, das der Träger und die Lokalität dieser Phänomene ist, aber was die Beziehung Gottes zu den Phänomenen betrifft, sind wir zur Kenntnis gelangt, dass Er Urheber und Schöpfer ist, nicht deren Träger und Lokalität. Daher würde ein bewusster und erfahrener Mensch – über das Wesen Gottes nachsinnend – zur Überzeugung gelangen: „Ich weiß nicht, was Du bist, aber alles, was wirklich existiert, das bist Du.“

Aber derselbe Mensch wird, wenn er in den Spiegel der phänomenalen Welt, die von Gott ausgestrahlt wird, schaut, zu einem gewissen Maß an Kenntnissen gelangen, die von der absoluten Unkenntnis einen merklichen Abstand hat und dem Menschen ermöglicht, mit Bestimmtheit über “Ihn“ Aussagen zu machen. Wer Gottes Existenz als wahr betrachtet, kennt Ihn in jedem Fall über jegliche Merkmale Gottes, die ihn zur Erkenntnis geführt haben. Darunter fallen die Begriffe wie Urheber, Schöpfer, Erhalter und Lenker.

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