Gottes Attribute

Inhaltsverzeichnis

Gott und seine Attribute

Sayyid Mudschtaba Musawi Lari

Lektionen in der Islamischen Doktrin - Buch I

Frei übersetzt unter Aufsicht von Dr. Mohammad Razavi Rad - übersetzt von A. Malik

L13 - Das grenzenlose Wissen Gottes

Ein Schöpfer, der nicht durch einen Ort beschreibbar ist, für dessen Essenz es keine vorstellbare Grenze gibt, von dessen Sein kein einziges Stück des Himmel und der Erde ausgenommen ist, solch ein Schöpfer ist sich natürlich aller Dinge bewusst. Es gibt nichts in diesem ganzen Programm des Seins, über das sich nicht die leuchtenden Strahlen Seines Wissens erstrecken würden.

Die Ereignisse, die in den entferntesten Teilen des Universums auftreten, Ereignisse, die Billionen von Jahre zurückliegen oder die erst in Billionen von Jahren geschehen werden, alle sind in den Sphären Seines Wissens enthalten. Die ausführlichsten Versuche, Sein Wissen zu interpretieren, sind daher dazu verurteilt zu scheitern.

Um den weitreichenden Umfang seines Wissens zu verstehen, dehnen wir die Grenzen unserer Gedankenwelt, wenden wir unsere Intelligenz auf Überlegungen an, doch unserem mentalen Apparat mangelt es an den erforderlichen Fertigkeiten, um solch ein Ziel zu erreichen.

Würden wir in der gleichen Weise existieren, d. h. wären wir an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten, so dass kein Raum frei von unserer Präsenz wäre, nichts würde uns verborgen bleiben, und uns wäre alles bewusst.

Für uns ist die Welt in zwei Sektoren aufgeteilt: Die Manifestierte und die Verborgene. Die Dinge sind in dem Sinne verborgen, als dass gewisse Wahrheiten, die unendlich und nichtmaterieller Natur sind, von unseren Sinnen nicht wahrnehmbar sind. Es ist wichtig, zu wissen, dass die Gesamtheit des Seins nicht aus Materie besteht, die innerhalb der Reichweite der Naturwissenschaften liegt.

Um die Geheimnisse und Mysterien der Schöpfung zu verstehen, brauchen wir eine Startplattform. Die Höhe, die wir zu erreichen fähig sind, hängt von unserer intellektuellen Kraft, die uns zur Verfügung steht, sowie von der Tiefe unseres Verständnisses ab, welche unseren Anstieg antreibt. Haben wir erst einmal eine geeignete Plattform gefunden, viele Realitäten werden uns bewusst werden.

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Durch den Gebrauch des Wortes „ghayb“ (das arabische Wort für „verborgen“), zeigt der noble Koran dem Menschen eine deutliche Sicht der Realität auf. Die Boten Gottes haben ebenfalls danach gestrebt, das Bewusstsein des Menschen über das geschaffene Universum auf eine Ebene anzuheben, welches das Unendliche ebenso wie das Endliche umfasst und die Grenzen des Ungesehenen ebenso wie die Dimensionen der Manifestierten Dinge einschließt.

Denn für Gott existiert das „Verborgene“ nicht, für Ihn ist das Universum völlig „manifestiert“. Der Koran sagt: „Er ist Gott, außer Ihm gibt es keinen Gott, der Wisser des Ungesehenen und des Sichtbaren. Er ist der Gnädige, der Barmherzige.“ (Vgl. Koran: Sure 59, Vers 22)

Was immer der Mensch erschafft, wird durch die Fertigkeit, der Intelligenz und dem Wissen des jeweiligen Machers hervorgerufen. Je subtiler und verfeinerter das Produkt, umso klarer wird dadurch das tiefgründige und umfangreiche Wissen seines Machers präsentiert und umso deutlicher wird dadurch seine Fähigkeit zu Planen und zu kreieren bewiesen.

Das menschliche Wirken ist in keiner Weise mit den Mysterien und der Pracht der Schöpfung vergleichbar. Dennoch legt es uns nahe, dass das harmonisch geordnete Programm des Universums und die manifestierte Intelligenz in diesen weiten, schönen und erstaunlichen Mustern der Schöpfung notwendigerweise ein Indikator dafür ist, dass derjenige, der all dies plante und es mit Ordnung belegte, grenzenloses und umfassendes Wissen besitzen muss. Die Ordnung des Universums ist der stärkste Beweis für die Existenz eines Seins, das vor lauter Wissen, Willenskraft, Bewusstsein und Weisheit überläuft und welches die Wunder der Schöpfung nach einem präzisen, wohl kalkulierten Plan entworfen hat. Die Zeichen Seines unendlichen Wissens sieht man in jedem Partikel eines jeden Phänomens.

Die Experimente und die Theorien der Wissenschaftler stellen von dem grenzenlosen Wissen Gottes und Seinen unzähligen Manifestationen bei Insekten, Tieren und im Pflanzenreich Beweise bereit.

Gott weiß von den Bahnen, welche die Sterne im Raum nehmen, von der Tumult erfüllten Welt der Nebel und Rotationen der Galaxien, von allen Dingen, begonnen bei der Vor-Ewigkeit bis hin zur Post-Ewigkeit, von der Gesamtheit der Atome in allen himmlischen Körpern, von den Bewegungen der Billionen von Lebewesen, ob klein oder groß, die auf der Erde leben und in den Tiefen der Ozeane schwimmen, von den Normen und Gesetzen, die, ohne zu versagen, die Natur regulieren, und Er weiß von den verborgenen und manifestierten Aspekten aller Dinge. Er weiß sogar mehr von der Perplexität des Verzweifelten als dieser selbst es je erkennen kann.

Dazu sagt der Koran: „Kennt denn der nicht, der erschaffen hat? Er ist scharfsinnig, allwissend.“ (Vgl. Koran: Sure 67, Vers 14) und „Nichts ist verborgen vor Gott, weder auf Erden noch im Himmel.“ (Vgl. Koran: Sure 3, Vers 5)

Naturwissenschaftler sind besser als andere mit den subtilen und präzisen Mysterien bewandert, die in jedem Partikel der Schöpfung implantiert sind. Dies ist so, aufgrund ihrer Studien und ihrer Forschung der zahlreichen Kalkulationen, die in den Dingen eingebaut sind, seien sie nun leblos oder lebendig, in Zellen wie in Tropfen, der vielen Formen, der Aktionen und Reaktionen, die innerlich und äußerlich geschehen und der Wirkungen von zahlreichen Materialien und Substanzen. So werden sie Zeuge der Zeichen, die von Gottes erstaunlicher Weisheit und unendlichem Wissen in der Natur oder wie der Koran es sagt, „(…) überall auf Erden (…).“ (Vgl. Koran: Sure 41, Vers 53) hinweisen. Mehr als andere sind die Wissenschaftler den Manifestationen der Attribute und der Perfektion Gottes ausgesetzt, sein grenzenloses Wissen eingeschlossen. Und wenn sie den Ruf ihres Bewusstseins nicht zurückweisen, werden sie ebenso die Existenz eines Schöpfers klar wahrnehmen.

Ein bestimmter Denker sagte einmal: „Unsere Welt ähnelt eher einer großen Idee als einer großen Maschine. Theoretisch oder als wissenschaftliche Definition kann man sagen, dass die Welt ein Produkt einer großen Idee ist, die Manifestation eines Gedankens und ein Einfall, der uns überlegen ist. Wissenschaftliches Gedankengut scheint sich in diese Richtung zu bewegen.“

Gottes Wissen ist nicht auf Dinge der Vergangenheit oder auf Ereignisse und Objekte der Gegenwart beschränkt.

Gottes Wissen ist sozusagen „unmittelbar“ im umfassendsten Sinne des Wortes. Das Vorhandensein eines Objektes des Wissens ist gar nicht erst erforderlich, mit welchem sich Sein Wissen verbinden müsste. Alle Dinge sind vor Ihm unverschleiert, denn zeitgleich mit dem Umstand, dass Seine heilige Essenz völlig verschieden ist von allen anderen Kreaturen und Phänomenen, ist sie dennoch nicht von ihnen getrennt: Alle Dinge, seien sie vergangen, gegenwärtig oder zukünftig sind vor Ihm unmittelbar präsent.

Ali (Friede sei mit ihm), der Führer der Gläubigen, sagte: „Er weiß alle Dinge, aber nicht durch Mittel und Werkzeuge, denn ihre Abwesenheit würde einen Wegfall mit sich bringen. Es gibt keine hinzuaddierte Entität, die „Wissen“ heißt, die zwischen Ihm und den Objekten, von denen Er weiß, eingreift. Da ist nichts außer Seiner Essenz allein.“[35]

Hier spricht Ali (Friede sei mit ihm) das theologische Prinzip von Gottes Bewusstsein an, welches direkt und unmittelbar ist. Für Sein Wissen von den Phänomenen braucht Gott die mentalen Begrifflichkeiten nicht, welche die Basis für das erworbene Wissen bilden. Würde Er auf diese Weise zu Seinem Wissen gelangen, es würde ein Bedarf in Ihm entstehen, wo Er doch völlig frei von jeglichem Bedarf ist.

Ist es vorstellbar, dass der Eine selbst gefangen sein könnte in irgendeiner Form der Bedürftigkeit, wo doch durch Ihn die Existenz der Welt und der Dinge hervorkommt, der in der Lage ist, jeglichem Bedürfnis zu entsprechen, der alle Perfektion und Gaben verteilt?

Abstrakte Begrifflichkeiten bleiben nur solange in unserem Kopf, wie wir es wünschen, sie verschwinden, sobald wir unsere Aufmerksamkeit von ihnen abwenden, denn sie sind von uns gestaltet und erschaffen. Diese Art des Wissens ist nicht direkt und unmittelbar und sie werden daher auch als „erworbenes Wissen“ bezeichnet, im Gegensatz zum „unmittelbaren Wissen“, das keines Mittels bedarf.

Der Unterschied zwischen uns, die wir unsere eigenen mentalen Formen haben und dem Schöpfer, der alles Sein hervorbrachte, liegt darin, dass wir Ihm unsere eigene Existenz verdanken und Ihn daher brauchen, Er dagegen, der wirkliche Entwerfer und Erwecker aller Dinge, ist frei von jeglichem Bedarf und braucht nicht das Erkennen zu üben, um zu Wissen zu gelangen.

Die Skizzierung von vergangenen und zukünftigen Ereignissen, die am Horizont unseres Seins und unserer Gedanken stattfinden, ist unvermeidlich limitiert, da wir einen gegebenen Raum zu einer gegebenen Zeit beanspruchen, ohne den wir nicht existieren können. Wir sind materielle Phänomene und Materie braucht nach den Gesetzen der Physik und der Relativität Zeit und Raum, in denen sie sich graduell und kontinuierlich verändert und entwickelt. Vergangenheit und Zukunft haben für eine Existenz keine Bedeutung, wenn sie von der Vor-Ewigkeit bis zur Post-Ewigkeit - an allen Orten und zu jeder Zeit, frei von der Gefangenschaft der Materie und ihren Konsequenzen - besteht.

Da jedes Phänomen in seinem Ursprung und in seinem Sein von der unendlichen Existenz des Schöpfers abhängt, kann kein Schleier bzw. keine Barriere zwischen dem Schöpfer und dem Phänomen angenommen werden. Gott umfasst die inneren und äußeren Dimensionen und ist darüber völlig omnipotent.

Jemand fragte einmal Ali (Friede sei mit ihm), den Führer der Gläubigen: „Wo ist Gott?“

Ali antwortete: „Es ist nicht korrekt zu fragen, wo Gott ist, denn es ist Gott, der den Raum schuf. Noch ist es korrekt zu fragen, wie Gott ist, von welcher Natur Er ist, denn Er ist derjenige, der alle Natur erschuf. Desweiteren ist es nicht korrekt zu fragen, was Gott ist, denn es ist Gott der jegliches Wesen erschuf.

Glorifiziert möge Gott, der Allmächtige, sein, in dessen Wogen der Pracht, die Weisen nicht zu schwimmen vermögen. Das Gedenken an Seine Ewigkeit hält jeden Gedanken in seiner Bahn an und in dessen weiten Himmeln der Heiligkeit verliert der Intellekt seinen Weg!“[36]

Der Koran sagt: „(…) Und Er weiß, was auf dem Lande ist und was im Meer. Und nicht ein Blatt fällt nieder, ohne dass Er es weiß; und kein Körnchen ist in der Erde Dunkel und nichts Grünes und nichts Dürres, das nicht in einem deutlichen Buch wäre.“ (Vgl. Koran: Sure 6, Vers 59)

Lasst uns vorstellen, wir wären in einem Raum, aus dessen Fenster wir auf einen Teil einer Straße schauen könnten, in der viele Autos langsam vorbei fahren. Natürlich können wir nicht alle Autos auf einmal sehen, wir sehen, wie sie an dem Fenster nacheinander vorbeifahren und dann verschwinden sie auch schon wieder aus unserem Blickfeld. Wenn wir nichts über Autos wüssten, könnten wir annehmen, dass sie langsam auf der einen Seite des Fensters entstehen und auf der anderen Seite wieder aufhören zu existieren.

Dieses beschränkte Blickfeld korrespondiert genau zu unserem Bereich des Sehvermögens. Es bestimmt eine Vergangenheit und eine Zukunft für die Autos. Jene, die auf dem Bürgersteig stehen, sehen wie alle Autos hintereinander weiterfahren.

Unsere Situation über die Vergangenheit und der Zukunft der Welt gleicht der Person, welche die Autos durch das Fenster betrachtet.

Wenn wir erst einmal realisieren, dass Gott über Zeit und Raum steht, verstehen wir, dass alle vergangenen und zukünftigen Ereignisse vor Gott immer präsent und existent sind, gleich einem Bild.

Wir sollten daher, um ein Verständnis der Verantwortung, die wir Gott gegenüber haben, der sich der geringfügigsten Handlung Seiner Schöpfung bewusst ist – der Koran sagt: „(…) und Gott weiß wohl, was ihr tut.“ (Vgl. Koran: Sure 2, Vers283) – Sünden und Fehler vermeiden, die verursachen, dass wir uns von Ihm entfernen. Wir sollten Gott anbeten, Ihn, den Besitzer von absolutem Wissen, der es verursachte, dass wir die verschiedenen Stadien durchqueren und nun die Fähigkeiten besitzen, die wir jetzt haben. Wir sollten Seinen Geboten gegenüber keinen Ungehorsam zeigen, da sie uns den Pfad zu wirklichem Glück und zum ultimativen Zweck des Menschen öffnen. Und wir sollten kein anderes Ziel akzeptieren als Ihn.

Um Gott zu erreichen, müssen wir uns mit göttlichen Attributen schmücken und uns bei unserem kurzen Aufenthalt in dieser Welt darauf vorbereiten, dass wir Ihn treffen werden. Denn wir werden zu Ihm zurückkehren, die Quelle, der Ursprung und der Beginn unserer Existenz. Dies verlangt von uns Handlungen und Anstrengungen, die darauf zielen, uns zu veredeln. In diesem Sinne, der Verantwortung gemäß zu handeln, denn sie wurde uns mit göttlichem Vertrauen auf unsere Schulter gelegt.

[35] Saduq, „Tauhid“

[36] „Bihar Al-Anwar“, Band III

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