Gottes Attribute

Inhaltsverzeichnis

Gott und seine Attribute

Sayyid Mudschtaba Musawi Lari

Lektionen in der Islamischen Doktrin - Buch I

Frei übersetzt unter Aufsicht von Dr. Mohammad Razavi Rad - übersetzt von A. Malik

L15 – Eine Analyse von Pech und Not

Die Frage von Gottes Gerechtigkeit betrifft bestimmte Probleme, wie die Existenz von Katastrophen, Verluste und Übel in der natürlichen Ordnung und Ungleichheiten in der sozialen Ordnung. Diese Frage löst faktisch gleich einen ganzen Sturm von Einwänden in den Köpfen von vielen Menschen aus. Die Probleme, mit denen sie konfrontiert werden, sind so fundamental, dass das, was mit Zweifeln und Zurückhaltung beginnt, letztlich in einem unlösbaren Komplex endet.

Solche Leute fragen sich, wie es in einer Welt, die auf der Basis von Intelligenz und Weisheit erschaffen wurde, möglich ist, dass so viel Leid, Schmerz und Übel vorherrschen, dass diese Welt ständig aufeinanderfolgenden Härten und Krisen unterworfen ist, verbunden mit Verlusten und Mängeln aller Art.

Warum ist es so, dass in verschiedenen Teilen der Erde fürchterliche und überwältigende Ereignisse die Menschheit ergreifen, was zu unsagbaren Katastrophen und Zerstörungen führt? Warum ist die eine Person hässlich und die andere schön, die eine gesund und die andere krank? Warum sind nicht alle Menschen gleich geschaffen und deutet nicht ihre Ungleichheit auf eine Abwesenheit der Gerechtigkeit im Universum hin?

Gerechtigkeit in der Ordnung der Dinge hängt von dem Frei-Sein von Unterdrückung, Diskriminierung und Katastrophen ab oder zeigt sich in der Abwesenheit von Defekten, Krankheiten und Armut. Dies allein würde in Perfektion und Gerechtigkeit resultieren.

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Wir müssen beginnen zu verstehen, dass unsere Bewertung der Angelegenheiten des Universums uns nicht erlauben in die ultimativen Tiefen der Phänomene vorzudringen. Sie ist inadäquat für die Analyse des Sinns der Dinge.

Unser erstes Verständnis der unangenehmen Ereignisse und Katastrophen ist oberflächlich. Wir sind nicht bereit irgendeine Wahrheit anzuerkennen, die über diesem ersten Eindruck hinaus geht. Wir können nicht, am Beginn die endgültigen Ziele dieser Ereignisse sehen, und wir erachten diese daher als Zeichen der Ungerechtigkeit. Unsere Gefühle werden erregt und führen uns zu unlogischen Analysen.

Aber wenn wir tiefgründiger reflektieren, sehen wir, dass diese einseitige Evaluation der Ereignisse, die wir als ungerecht abstempeln von unserem Interesse stammt oder von Menschen, zu denen wir direkt oder indirekt in Beziehung stehen: Das sind unsere Kriterien und unserer Maßstab. Was unsere Interessen sichert ist gut und was immer uns verletzt ist schlecht. Mit anderen Worten, unser Urteil von gut und schlecht basiert auf einer kurzsichtigen Wahrnehmung, einem beschränkten Gedankenhorizont und was die Normen der Schöpfung anbelangt, einem Mangel an präzisem Wissen.

Ist unsere Existenz die einzige Angelegenheit, die in jedem Vorkommnis verwickelt ist? Können wir unseren Gewinn oder Verlust zu einem Kriterium für Gut und Böse machen? Unsere materielle Welt ist ständig beschäftigt Veränderungen zu produzieren. Ereignisse, die heute nicht existiert haben, werden morgen auftreten. Manche Dinge werden verschwinden andere werden ihren Platz einnehmen.

Es ist offensichtlich, dass jenes, was heute für einige Leute von Vorteil ist, morgen nicht mehr existieren wird. Aber für uns, die wir Menschen sind und an unserer Existenz hängen und an den Dingen der Welt, ist die Anschaffung von Dingen gut und das Verlieren dieser schlecht. Aber trotz des Festhaltens des Menschen, bringt die sich verändernde Natur der Welt ständig neue Phänomene hervor. Wenn die Welt die Möglichkeit der Veränderung nicht haben würde, Phänomene würden nicht existieren, und dann käme es nicht mehr zu der Frage von gut und böse.

In solch einer hypothetischen, unveränderlichen Welt gäbe es weder Verlust und Mangel noch Wachstum und Entwicklung, keinen Kontrast oder Differenzierung, keine Abwechslung oder Vielfalt, keine Zusammenschlüsse oder Bewegung. In einer Welt ohne Mangel oder Verlust, gäbe es auch keine menschlichen, moralischen oder sozialen Kriterien, Grenzen oder Gesetze. Entwicklung und Veränderung sind das Ergebnis der Bewegung und der Rotation der Planten. Wenn sie aufhören würden zu sein, gäbe es keine Erde mehr, keinen Mond und keine Sonne, keinen Tag, keinen Monat und kein Jahr.

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Eine einigermaßen ausführliche Sicht der Welt würde uns erlauben zu verstehen, dass all das, was heute oder in der Zukunft für uns schädlich sein könnte, von Vorteil für andere ist. Die Welt bewegt sich als Ganzes in die Richtung, die ihr ein allgemeiner Zweck des Seins diktiert und zwar zu ihrem eigenen Vorteil. Individuen können durch diesen Prozess Schaden nehmen und es kann sogar sein, dass selbst ein großer Teil der Menschheit davon keinen Nutzen hat.

Wäre es uns möglich, tief genug in den Ozean des Wissens einzutauchen und die Seiten jenes Buches, welches reich an Mysterien ist, mit unseren Fingern des Verständnisses zu durchblättern, der endgültige Zweck und das Ergebnis all dieser Ereignisse und Phänomene würde uns offenbart werden. Unsere Kraft zu urteilen ist jedoch nicht ausreichend und von umfassender Natur, um mit dem komplexen Netz umzugehen, mit welchem wir konfrontiert sind. Wir kennen weder die Kette der vorangegangenen Ursachen, die vorhandene Phänomene produziert haben, noch kennen wir die Kette der zukünftigen Wirkungen, die diese Phänomene produzieren werden.

Wäre es uns möglich, von einer weiten Ebene auf die Welt hinab zu schauen, in solch einer Weise, dass wir alle positiven und negativen Aspekte in Allem erkennen könnten, all die Mysterien, die in der Welt geschehen, wäre es uns möglich die Wirkungen und Ergebnisse jedes Ereignisses der Geschichte zu evaluieren, ob in der Vergangenheit, Gegenwart oder in der Zukunft liegend und alles was zwischen der Vor-Ewigkeit und der Post-Ewigkeit geschieht und geschehen wird, wenn uns all dies möglich wäre, wir wären vielleicht in der Lage zu sagen, dass der Schaden, der durch ein bestimmtes Ereignis passierte, seinen Nutzen überwiegte, und wir könnten ihn darum als Übel kennzeichnen.

Aber hat der Mensch denn so ein umfassendes Bewusstsein von den horizontalen und vertikalen Ketten der Kausalität? Kann er sich denn an die bewegte Achse der Welt begeben?

Da wir über so eine Fähigkeit nicht verfügen, weil wir nie in der Lage sein werden, eine solch unendliche Distanz zu überqueren, egal wie lange wir dahin schreiten, da wir nie den Schleier von all den Komplexitäten heben werden, ist es besser, wir nehmen vor einseitigen und voreiligen Urteilen Abstand, die auf unserer Kurzsichtigkeit basieren. Wir sollten erkennen, dass wir nicht unseren eigenen Vorteil zum einzigen Kriterium nehmen, um das gewaltige Universum zu beurteilen. Die relativen Beobachtungen, die wir im Rahmen unserer limitierten Daten machen, welche uns zur Verfügung stehen und die spezifischen Konditionen, denen wir unterworfen sind, können niemals ein Kriterium für ein sicheres Urteil sein.

Die Natur mag oft auf die Erfüllung eines bestimmten Ziels hinarbeiten, welches für den Menschen unvorstellbar ist, wenn man seine konventionellen Umstände bedenkt. Warum ist es nicht annehmbar, dass unangenehme Vorkommnisse das Ergebnis von Bemühungen sind, die darauf abzielen den Boden für neue Phänomene zu bereiten, die wiederum ein Instrument des Willens Gottes auf Erden sind? Es kann sein, dass die Umstände und die Konditionen einer Zeit solche Prozesse notwendig machen.

Wenn all die Veränderungen und Umbrüche, die uns Angst machen, nicht im gegebenen Plan und zu einem bestimmten Zeck stattfinden würden, würde sie sich über die Zeit ausbreiten, ohne positive oder konstruktive Ergebnisse zu erzeugen, es gäbe auf der Erde keine Spur von einem lebendigen Lebewesen, den Menschen eingeschlossen.

Warum sollten wir die Welt der Ungerechtigkeit anklagen, ihr Chaos und Instabilität nachsagend, bloß aufgrund einiger außergewöhnlicher Vorkommnisse und Phänomene in der Natur? Sollten wir eine ablehnende Haltung einnehmen, bloß wegen der vielen oder wenigen unangenehmen Seiten, die ganzen Manifestationen von Präzision und Weisheit vergessend, all die Wunder, die wir in der Welt und seinen Lebensformen sehen, die den Willen und die Intelligenz der gehobenen Existenz bezeugen?

Da der Mensch überall im Universum so viele Belege der vorausschauenden Planung hat, muss er zugeben, dass die Welt ein gezieltes Ganzes ist, ein Prozess, der sich in Richtung Vollendung bewegt. Jedes Phänomen in ihm ist seinem eigenen spezifischen Kriterium unterworfen und wenn ein Phänomen als unerklärlich oder als nicht gerechtfertigt erscheint, so ist die Kurzsichtigkeit des Menschen der Grund dafür. Der Mensch muss erkennen, dass er in seiner Endlichkeit die Fähigkeit nicht hat, die Ziele aller Phänomene und deren Inhalte zu verstehen. Es ist nicht die Schöpfung, die mit Defekten behaftet ist.

Unsere Einstellung zu den bitteren und unangenehmen Vorkommnissen dieser Welt ähnelt dem Urteil eines Wüstenbewohners, wenn er in eine Stadt kommt und große Bulldozer sieht, die alte Bauten niederreißen. Er hält das Niederreißen der Gebäude für eine törichte Tat der Zerstörung, aber ist es logisch, wenn er denkt, das Niederreißen sei ungeplant und zwecklos? Natürlich nicht, denn er sieht ja nur den Prozess der Zerstörung, nicht aber die Kalkulationen und die Pläne der Architekten und all der anderen, die involviert sind.

Wie ein bestimmter Wissenschaftler einmal sagte: „Unser Zustand ist gleich den Kindern, die einem Zirkus beim Zusammenpacken und Weiterfahren beobachten. Es ist notwendig für den Zirkus weiter zu ziehen und das Leben der Aufregung anderorts fortzusetzen. Doch diese kurzsichtigen Kinder sehen in dem Zusammenfalten der Zelte und dem Kommen und Gehen der Menschen samt ihren Tieren nichts anderes als die Auflösung und Beendigung des Zirkus.“

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Wenn wir etwas tiefer schauen und fantasievoll auf das Pech und die Katastrophen blicken, die den Menschen plagen und dies korrekt interpretieren, so werden wir anerkennen müssen, dass diese in Wirklichkeit ein Segen ist und kein Unglück. Ein Segen als Segen und ein Unglück als Unglück zu erkennen, hängt von der Reaktion des Menschen dem Geschehenen gegenüber ab. Ein einziges Ereignis kann von zwei verschiedenen Personen völlig verschieden erfahren werden.

Schicksalsschläge und Schmerz sind gleich einem Alarm, durch die der Mensch gewarnt wird seine Mängel und Fehler zu beheben, sie sind wie ein natürliches Immunsystem oder eine Art Regulationsmechanismus, der im Menschen inhärent ist.

Wenn Reichtum zu Genusssucht und Hemmungslosigkeit führt, so ist es ein Unglück und eine Katastrophe und wenn Armut und Entbehrung zu einer Verfeinerung und Entwicklung der menschlichen Seele führt, so sind sie ein Segen. Daher kann man Reichtum nicht im absoluten Sinne als Glückszustand bezeichnen noch Armut im absoluten Sinne als Unglück. Eine ähnliche Regel gilt für die natürlichen Begabungen, die der Mensch besitzt.

Nationen, die sich mit mancherlei feindlichen Kräften konfrontiert sehen und gezwungen sind für ihr Überleben zu kämpfen, werden dadurch gestärkt. Wenn wir Bemühung und Kampf als positives und konstruktives Bestreben halten, können wir die durch Not verursachte Entwicklung der inneren Ressourcen des Menschen nicht übersehen und wie er dadurch dazu gebracht wird, Fortschritte zu machen.

Leute, die nicht verpflichtet sind zu kämpfen und die in einer Umgebung leben, die frei von jeglichem Widerspruch ist, tauchen leichter in materiellen Wohlstand, Vergnügungen und in Begierden ein.

Wie oft passiert es, dass jemand absichtlich Schweren und Schmerz duldet, weil er ein höheres Ziel vor Augen hat! Wäre es nur der Schmerz und die Entbehrungen, das Ziel wäre womöglich nicht mehr so anstrebenswert. Ein gerader Weg, den man blind und mechanisch beschreitet ist nicht der Entwicklung und dem Wachstum dienlich. Und eine menschliche Bemühung, der man den bewussten Willen nahm, kann im Menschen keine fundamentale Veränderung produzieren.

Kampf und Widersprüche sind wie eine Geißel, die den Menschen vorwärts zwingen. Feste Objekte werden durch den Druck von wiederholten Schlägen zertrümmert, doch Menschen werden durch Schwernisse, die sie erdulden, geformt und gehärtet. Sie werfen sich selbst in den Ozean, um schwimmen zu lernen. Im Schmelzofen der Krise, tritt das Genie hervor.

Ungehinderte Genusssucht, die Liebe zu dieser Welt, hemmungslose Vergnügungen, Rücksichtslosigkeit gegenüber höheren Zielen – all dies sind Indikatoren der Irreleitung und des Mangels an Bewusstsein. Tatsächlich sind oft jene die fürchterlichsten Menschen, die inmitten von Luxus und Komfort aufgewachsen sind, die nie die Schweren des Lebens gespürt haben und die keine bitteren Tage neben den süßen erlebt haben: Ihre Sonne des Lebens geht im Wohlstand auf und auch darin wieder unter, unbemerkt von irgendeinem anderen.

Wenn man seinen Inklinationen folgt und an seinen eigenen Wünschen festhält, so ist das unvereinbar mit der Festigkeit und der Erhabenheit des Geistes nach Sinnvollem zu streben und sich zu bemühen. Einerseits vergnügungssüchtig und korrupt zu sein und andererseits Willensstärke zu zeigen und zielgerichtet zu sein, repräsentieren im Menschen zwei widersprüchliche Inklinationen. Da keine Inklination unter Ausschluss der anderen verneint oder bejaht werden kann, muss man ständig den Wunsch nach Vergnügen reduzieren und die gegensätzliche Kraft in sich stärken.

Die in Luxus aufgewachsen sind und nie die bitteren und süßen Tage der Welt geschmeckt haben, die immer Wohlstand und nie Hunger erfahren haben – diese Menschen können den Geschmack guten Essens nicht so wertschätzen noch den Genuss am Leben als Solches. Und sie sind nicht in der Lage, das Gute zu schätzen. Die Vergnügungen des Lebens sind nur von denen wirklich genießbar, die Entbehrungen durchgemacht haben und Fehlschläge erlitten haben, welche die Eigenschaft besitzen, schwere Krisen zu meistern und Not zu ertragen, die bei jedem Schritt auf dem Weg eines jeden Menschen liegen.

Materielle und spirituelle Leichtigkeit werden dem Menschen wertvoll, nachdem er die Höhen und Tiefen und auch den Druck der unangenehmen Vorfälle durchlebt hat.

Ist der Mensch erst einmal mit dem materiellen Leben beschäftigt, sind alle Dimensionen seiner Existenz in Ketten gelegt und es verlieren sich seine Ziele und er wird träge. Unweigerlich wird er auch sein ewiges Leben vernachlässigen und seine innere Reinigung. Solange die Begierde ihren Schatten auf seine Existenz wirft und seine Seele in der Dunkelheit gefangen ist, wird er gleich einem Fleck sein, der von den Wellen der Materie umher geschleudert wird. Er wird überall Zuflucht suchen nur nicht bei Gott. Er braucht daher etwas, was ihn aufrüttelt und in seinen Gedanken eine Reife herbeiführt, ihn auf diese Weise an die Vergänglichkeit dieser flüchtigen Welt erinnernd. Er braucht jemand, der ihm dabei hilft, an das endgültige Ziel aller himmlischen Lehren zu gelangen: Das Frei-Sein der Seele von allen Hindernissen und Lasten, die den Menschen davon abhalten, hohe Perfektion zu erlangen.

Das Training und die Verfeinerung des Selbst sind nicht leicht zu erreichen, es bedarf der Entsagung von verschiedenen Vergnügungen und Genüssen und der Prozess sich von ihnen zu verabschieden, ist bitter und schwer.

Solche Anstrengungen dienen dazu, den Menschen innerlich zu reinigen und seine latenten Fähigkeiten zu erlauben, in Erscheinung zu treten. Geduldige Enthaltung von Sünden und Vergnügungen hat immer einen bitteren Geschmack, doch nur durch den hartnäckigen Wiederstand gegenüber der niedrigen Impulse kann der Mensch seine Mission erfüllen die Barrieren zu durchbrechen, welche vor ihm stehen und auf diese Weise in Bereiche von höherem Wert aufsteigen.

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