Gottes Attribute

Inhaltsverzeichnis

Gott und seine Attribute

Sayyid Mudschtaba Musawi Lari

Lektionen in der Islamischen Doktrin - Buch I

Frei übersetzt unter Aufsicht von Dr.Mohammad Razavi Rad - übersetzt von A. Malik

L19 - Der freie Wille

Die Befürworter dieser Schule sagen, dass der Mensch sich automatisch bewusst ist, dass er die Handlungsfreiheit besitzt. Er kann entscheiden, was er will und sein eigenes Schicksal entwerfen, wie er möchte und wie es zu seinen Inklinationen passt. Die Existenz, die dem Menschen Verantwortung auferlegt, das Bedauern, welches der Mensch empfindet, nachdem er bestimmte Dinge getan hat, die Bestrafung, die das Gesetz für Kriminelle vorsieht, die Werke, die der Mensch vollbringt, um den Lauf der Geschichte zu ändern, die Grundlagen für Wissenschaft und Technologie – all dies beweist, dass der Mensch in seinem Handeln frei ist.

Ebenso verhält es sich mit der Frage der religiösen Verantwortlichkeit des Menschen, das Senden von Propheten, die Proklamation der göttlichen Botschaft und das Prinzip der Wiederauferstehung und das Gericht – all dies beruht auf den freien Willen des Menschen, seiner Fähigkeit, seine Handlungen zu wählen.

Es wäre völlig bedeutungslos, wenn Gott auf der einen Seite den Menschen zwingen würde, bestimmte Dinge zu tun, und ihn auf der anderen Seite dafür bestrafen oder belohnen wollte. Es wäre sicherlich ungerecht, wenn Gott, der Schöpfer der Welt, uns auf Wege setzt, die Er, aufgrund Seiner Macht und Seines Willens, wählt, und uns dann für diese Handlungen bestraft, die wir begangen haben, ohne dass wir eine Wahl gehabt hätten.

Wenn die Taten des Menschen eigentlich die Werke Gottes sind, alle Korruption, alles Üble, jegliche Grausamkeit müsste als Seine Arbeit angesehen werden, wo doch Seine göttliche Existenz frei von Korruption und Ungerechtigkeit ist.

Hätte der Mensch keine freie Wahl, das ganze Konzept der religiösen Verantwortung des Menschen wäre ungerecht. Den unterdrückenden Tyrannen träfe keine Schuld und die Gerechten verdienten kein Lob, denn die Verantwortung hat nur innerhalb der Sphäre des Möglichen Bedeutung und im Rahmen dessen, was der Mensch erreichen kann.

Der Mensch verdient schuldig gesprochen zu werden oder gelobt zu werden, wenn er in der Lage ist, selbst zu entscheiden und frei zu handeln, ansonsten gibt es keine Frage von Schuld oder Lob.

Jene, die an der eben beschriebenen Position festhalten, gehen in ihrer Behauptung von menschlicher Freiheit soweit, dass sie im Menschen den Besitzer des absolut freien Willens sehen und zwar in all seinen willensmäßigen Handlungen. Sie stellen sich vor, dass Gott nicht über den Willen und den Wünschen des Menschen herrschen kann und dass die gewollten Taten des Menschen von Seinem Machtbereich ausgenommen sind. Das ist kurzgesagt, die Position der Befürworter des absolut freien Willens.

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Jene, die sagen, dass es die natürlichen Normen und der Wille des Menschen ist, der die Welt der Phänomene kreiert und dass weder die Rotation der Welt noch die Handlungen des Menschen irgendeine Verbindung zu Gott aufweisen, schreiben alle Wirkungen dem Pol zu, der sich Gott entgegenstellt. Letztendlich machen sie geschaffene Dinge zu Partner Gottes in Seiner Schöpfung oder sie zu Gott, dem Schöpfer schaffen einen weiteren Schöpfer. Sie halten unbewusst die Essenz der geschaffenen Dinge für unabhängig von der göttlichen Essenz.

Die Unabhängigkeit eines Lebewesens – sei dieses nun menschlich oder nicht – bringt den Glauben mit sich, dass dieses Lebewesen zum Partner Gottes in seinen Handlungen und seiner Unabhängigkeit wird, dabei ganz klar in einer Form des Dualismus resultierend. Der Mensch wird so von dem hohen Prinzip der göttlichen Einheit hinweg geführt und in die gefährliche Falle des Polytheismus geworfen. Die Idee der absoluten menschlichen Freiheit würde bedeuten, in bestimmten Bereichen von der Souveränität Gottes Abstand zu nehmen, wo Er doch alles Sein umfasst. Wir würden so dem Menschen uneingeschränkte und unumstrittene Souveränität auf der Eben seiner gewollten Handlungen geben. Kein wirklicher Gläubiger, der an die Einheit Gottes glaubt, kann die Existenz einer Kreativität getrennt von Gott akzeptieren, nicht einmal in dem limitierten Bereich der menschlichen Taten.

Während wir die Validität der natürlichen Ursachen und Faktoren anerkennen, müssen wir Gott als wahre Ursache für alle Ereignisse und Phänomene betrachten und erkennen, dass Gott, wenn Er es wollte, selbst in limitierten Sphären die Ursachen und Faktoren neutralisieren und sie damit unwirksam machen könnte.

So wie es allen Geschöpfen dieser Welt in ihrer Essenz an Unabhängigkeit mangelt, so sind alle Existenzformen von Gott abhängig. Es fehlt ihnen auch an der Verursachung und der Erzeugung von Wirkungen. Daher haben wir die Doktrin der Einheit der Handlungen, die bedeutet, dass die Wahrnehmung der Fakten des gesamten System des Seins mit seinen Ursachen und Wirkungen, seinen Gesetzen und Normen, das Werk Gottes sind, dass sie durch Seinen Willen in die Existenz gelangen. Auf diese Weise schuldet jeder Faktor und jede Ursache Ihm nicht nur die Essenz seiner Existenz, sondern auch die Fähigkeit zu handeln und Wirkungen zu erzeugen.

Die Einheit der Handlungen fordert von uns nicht, das Prinzip der Ursachen und Wirkungen zu leugnen und der Rolle, die sie in der Welt spielen oder alles als direktes und unmittelbares Produkt des göttlichen Willens zu betrachten. Dies, weil die Existenz oder Nicht-Existenz der verursachenden Faktoren keinen Unterschied darstellen. Aber wir sollten diesen Faktoren keine unabhängige Verursachung zuschreiben oder glauben, dass die Beziehung Gottes zu der Welt dem Künstler und seinem Werk gleiche – wie zum Beispiel die des Malers zu seinem Gemälde. Das Kunstwerk ist in seiner Entstehung vom Künstler abhängig. Doch wenn der Künstler seine Arbeit erst einmal getan hat, bestehen der Charme und die Attraktivität des Bildes auch ohne den Künstler weiter. Wenn der Künstler von dieser Welt geht, bleibt sein brillantes Werk erhalten.

Zu glauben, die Beziehung Gottes mit der Welt sei von der gleichen Art, ist eine Form des Polytheismus. Wer immer Gottes Rolle in den Phänomenen und in den Handlungen des Menschen leugnet, nimmt dabei an, dass Gottes Macht kurz vor den Grenzen der Natur und dem freien Willen stoppt. So eine Sichtweise ist rational nicht akzeptierbar, da es beides impliziert, eine Absage an die Allmacht Gottes und eine Einschränkung Seiner uneingeschränkten und grenzenlosen Essenz.

Wer solch eine Meinung vertritt, wird sich selbst freisprechen, Gott in irgendeiner Weise zu brauchen, was bewirken wird, dass er gegen Ihn rebelliert und sich mit moralischer Korruption beschäftigt. Dagegen haben das Gefühl der Abhängigkeit von Gott, das Gottvertrauen und die Gotteshingabe eine positive Wirkung auf die Persönlichkeit, den Charakter und das Verhalten des Menschen. Keine Befehlsgewalt als die Gottes anzuerkennen, seien sie von innerer oder äußerer Natur, heißt leidenschaftliche Wünsche und Inklinationen werden unfähig den Menschen diesen oder jenen Weg entlang zu ziehen und so wird kein anderer Mensch in der Lage sein, den Menschen zu versklaven.

Der noble Koran spricht dem Menschen jegliche Teilhaberschaft in den Angelegenheiten Gottes in dieser Welt ab: „Sprich: Aller Preis gebührt Gott, Der Sich keinen Sohn zugesellt hat und niemanden neben Sich hat in der Herrschaft noch sonst einen Gehilfen aus Schwäche. Und preise Seine Herrlichkeit mit aller Verherrlichung.“ (Vgl. Koran: Sure 17, Vers 111)

Zahlreiche Verse proklamieren eindeutig die absolute Macht Gottes. Zum Beispiel: „Gottes ist das Königreich der Himmel und der Erde und was zwischen ihnen ist; und Er hat die Macht über all Dinge.“ (Vgl. Koran: Sure 5, Vers 120), „(…) Und nichts vermöchte Gott in den Himmeln oder auf Erden zu hemmen, denn Er ist allwissend, allmächtig.“ (Vgl. Koran: Sure 35, Vers 44)

Die Existenzformen dieser Welt brauchen Gott für ihr Überleben und ihr Bestehen genauso sehr wie sie ihn für ihre Entstehung brauchen. Die gesamte Schöpfung bekommt das Geschenk der Existenz jeden Augenblick aufs Neue, wäre dem nicht so, das ganze Universum würde zusammenfallen. Die Kreativität aller Kräfte der Welt ist identisch mit der Kreativität Gottes und ist eine Erweiterung Seiner Aktivität. Ein Sein, welches in seiner Essenz vom göttlichen Willen abhängig ist, kann nicht allein bestehen.

So wie eine elektrische Lampe ihre Energie vom Kraftwerk bekommt, sobald man sie anschaltet, genauso müssen sie ständig ihre Kraft von der Quelle beziehen, um zu brennen.

Der glorreiche Koran erklärt klar und emphatisch: „O ihr Menschen, ihr seid Gottes bedürftig, Gottes aber ist der Sich Selbst Genügende, der Preiswürdige.“ (Vgl. Koran: Sure 35, Vers 15)

Alle Essenzen bekommen von Seinem Willen und sind von Ihm abhängig, alle Phänomene dauern kontinuierlich durch Ihn an. Die mächtige und ausgezeichnete Ordnung des Universums ist auf einem Pol orientiert und dreht sich um eine Achse.

Imam Jaafar as-Sadiq (Friede sei mit ihm) sagte: „Die Kraft und Macht Gottes sind so erhaben, als das etwas im Universum auftreten könnte, was gegen Seinen Willen wäre.“[40]

Hätte Gott uns nicht das Prinzip des freien Willens erwiesen und würde Er uns nicht jedem Moment Leben, Ressourcen und Energie gewähren, wir wären nie in der Lage, irgendetwas zu tun. Denn es ist Sein unabänderlicher Wille, der festgelegt hat, dass wir gewollte Handlungen vollbringen, dabei die Rolle erfüllend, die Er uns zugedacht hat. Er hat gewollt, dass der Mensch seine eigene Zukunft gestaltet, sei sie nun gut oder schlecht, leuchtend oder dunkel, ganz nach seinem eigenen kritischen Gespür und Wünschen.

Unsere gewollten Handlungen sind mit uns selbst und mit Gott verbunden. Wir können die Ressourcen, die Gott uns zur Verfügung gestellt hat mit vollem Bewusstsein benutzen, um uns zu verbessern in Übereinstimmung mit einer korrekten Wahl oder wir können in Korruption, Sünde und Genusssucht eintauchen. Es ist natürlich wahr, dass die Reichweite unserer gewollten Handlungen innerhalb eines festgelegten Rahmens bleibt. Die Kraft ist Gottes und doch sind wir es, die sie benutzen.

Nehmen wir an, jemand hätte ein künstliches Herz, dass mit einer Batterie betrieben wird, welche man in einem Kontrollraum an- und ausschalten kann. Wann immer wir wollten, könnten wir dieses Herz ausschalten und seine Funktion zum Erliegen bringen. Das, was in unserer Macht steht ist Strom, der von der Batterie zum Herzen führt, jeden Moment können wir diesen stoppen. Aber solange wir der Batterie erlauben zu funktionieren, kann die Person, in deren Körper das Herz implantiert ist, sich frei bewegen und handeln, wie sie es möchte. Wenn sie etwas Gutes oder Schlechtes tut, handelt sie im Einvernehmen mit sich selbst. Die Art wie sie ihre Macht gebraucht, die wir ihr zur Verfügung gestellt haben, hängt völlig von ihr ab und hat nichts mit uns zu tun.

So ähnlich ist es auch mit der Macht, die uns Gott gegeben hat und die Er jeden Moment wieder zurück ziehen kann. Die Art und Weise, wie wir die gegebene Macht nutzen, hat Er uns völlig selbst überlassen.

Die mittlere Schule

Alle Dinge der Welt genießen eine Form der Führung, die dem Entwicklungszustand, den sie erreicht haben, entspricht. Ihre spezifische Form der Führung korrespondiert mit ihren verschiedenen Graden der Existenz.

Es ist uns möglich, unsere eigene Position zu klären und diese von den anderen Existenzformen dieser Welt zu unterscheiden. Wir wissen, dass Pflanzen Gefangene in den Händen der determinierenden Kräfte der Natur sind, obwohl sie gleichzeitig bestimmte leichte entwicklungsbedingte Reaktionen gegenüber den Veränderungen ihrer Umwelt aufweisen.

Wenn wir die Eigenschaften der Tiere analysieren, fühlen wir, dass sie Attribute besitzen, die sich von Pflanzen unterscheiden. Um ihre Nahrung zu erhalten, müssen sich Tiere mit diversen Aktivitäten beschäftigen, da die Natur sie nicht zu einem Festessen einlädt, wo ihnen ihre Nahrung serviert wird. Tiere brauchen bei ihren Bemühungen bestimmte Werkzeuge und Instrumente, um an Futter zu kommen und diese werden von der Natur mitgeliefert.

Wissenschaftler sind der Meinung, dass Tiere, die in bezug auf ihren Körperbau und ihre Organe schwächer sind sich bezüglich ihrer Instinkte stärker hervortun und genießen dabei umso mehr die direkte Hilfe und den Schutz der Natur. Andersherum aber, wenn sie sensorisch sehr gut ausgestattet und über konzeptioneller Kraft verfügen und je größer ihr Grad der Unabhängigkeit, umso weniger werden sie von ihren Instinkten gelenkt. In der ersten Zeit seines Lebens, ist das Kind direkt durch die ausführliche Fürsorge seiner Mutter und seines Vaters geschützt. Wenn es dann älter wird, löst er sich graduell von ihrer allumfassenden Beaufsichtigung.

Der Mensch, der die höchste Stufe der Entwicklung erreicht hat, da er das einzige Sein ist, welches das Vermögen besitzt, freiheitlich zu entscheiden und wahrzunehmen, hat er ein relativ geringes Gespür für Instinkte. Da er seine Freiheit schrittweise erlangt, wird er in seinen sensorischen Kapazitäten zunehmend schwächer.

Die Natur stellt in vielerlei Hinsicht die verschiedenen Bedürfnisse, die Pflanzen haben, zufrieden. In der tierischen Welt muss das Muttertier zwar bestimmte Bemühungen ausüben, um ihre Jungen zu ernähren und zu beschützen, dennoch kommen bei diesen relativ rasch Instinkte zum Vorschein und das Muttertier muss sich nicht mehr damit beschäftigen ihre Jungen diesbezüglich zu trainieren und zu erziehen. Beim Menschen sehen wir aber, dass er keine mächtigen natürlichen Instinkte besitzt und seine Fähigkeit nachteilige und feindliche umgebungsabhängige Faktoren zu begegnen ist wesentlich weniger ausgeprägt als bei Tieren. So bleibt seine Abhängigkeit von seinen Eltern über Jahre bestehen bis er die Unabhängigkeit erreicht, eine Selbstversorgung möglich wird und er endlich auf seinen eigenen Füßen stehen kann.

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Der noble Koran spricht klar von der Schwäche des Menschen und von seiner Ohnmacht: „Gott will eure Bürde erleichtern, denn der Mensch ward schwach erschaffen.“ (Vgl. Koran: Sure 4, Vers 28) Die Natur hat den Menschen viel stärker als bei den Tieren sich selbst überlassen. Wir sehen im Menschen einerseits eine sich entfaltende Freiheit und das Auftauchen der Fähigkeit zu wachsen und Bewusstsein zu entwickeln und andererseits ist bei ihm eine Zunahme an Abhängigkeit und Bedürftigkeit zu verzeichnen. Während er relative Freiheit genießt, wird er stärker und stärker Sklave von Bedürfnissen.

Diese veränderlichen Situationen von verschiedenen Ordnungen der Schöpfung, bilden, nach Ansicht bestimmter Denker, Faktoren, die Wachstum und Entwicklung erzwingen. Je weiter eine Existenz auf der Leiter der Entwicklung voranschreitet, umso näher kommt sie der Freiheit. Es ist genau die Bedürftigkeit und das Fehlen des inneren Gleichgewichts, was möglich macht, dass Wachstum und Fortschritt stattfinden können.

Denn der freie Wille und die Wahl sich auszudrücken muss existieren - ein Faktor, der sich dem natürlichen Instinkt gegenüber entgegengesetzt verhält. Der Mensch ist dann in zwei sich entgegen gesetzt wirkenden Anziehungskräften gefangen, jede der beiden versucht seinen Gehorsam zu gewinnen, so dass er gezwungen ist, den Weg zu gehen, den er sich wünscht, frei und bewusst, sich auf seine eigenen Bemühungen verlassend. Frei von allen determinierenden Faktoren und mental vorgefassten Meinungen beginnt er auf der Basis spezifischer Kriterien und Prinzipien die Arbeit, sich selbst zu erschaffen und zu entwickeln.

Sobald man mit den Elementen des Widerspruchs konfrontiert wird, kann der Mensch nicht das Gleichgewicht erlangen oder einen korrekten Weg für sich selbst wählen, indem er wie ein Automat agiert oder jegliche Bemühung unterlässt. Die Last des göttlichen Vertrauens ertragend - dieses große Geschenk, für das die Himmel und die Erde nicht geeignet waren, nur der Mensch erkannte es als lohnenswert, sie zu akzeptieren - sieht sich der Mensch nur mit zwei Wahlmöglichkeiten in seinem Konflikt und Kampf konfrontiert: Entweder er wird zu einem Gefangenen der Tyrannei des Instinktes und der ungezügelten Wünsche, dabei sich selbst herabsetzend und sich degradierend oder aber er greift auf die unzähligen Eigenschaften des Willens, des Denkens und der Entscheidungskraft zurück, den Weg des Wachstums und der Entwicklung in Angriff nehmend und beginnt aufzusteigen.

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Wann immer ein Sein vom obligatorischen Gehorsam der Instinkte befreit ist, die Ketten der Knechtschaft abwirft und beginnt seine innewohnenden Fähigkeiten und seine erworbenen Eigenschaften zu nutzen, werden seine sensorischen Bereiche geschwächt und seine natürlichen Kapazitäten gehen zurück.

Der Grund dafür ist, dass jegliches Organ oder jegliche Fähigkeit, die in einer Existenz ungenutzt bleibt, langsam gelähmt wird. Umgekehrt aber, wenn ein Organ oder eine Fähigkeit intensiv gebraucht wird, werden sie nur noch funktionstüchtiger.

Wenn also das Licht des Bewusstseins eines Menschen und sein kreativer Wille, inspiriert durch die Macht des kritischen Gespürs und der Vernunft seinen Weg erleuchtet und seine Handlungen bestimmt, werden seine Macht zur Einsicht und sein Denkvermögen es ihm ermöglichen, neue Wahrheiten und Realitäten zu entdecken.

Mehr noch, der Zustand der Verwirrung und der Zurückhaltung des Menschen zwischen den zwei sich gegenüber stehenden Polen, bringt ihn dazu nachzudenken und seine Lage einzuschätzen. Durch rationale Anstrengung kann er dann den richtigen von dem falschen Weg unterscheiden. Dies aktiviert seine mentalen Fakultäten, stärkt seine vernunftbegabten Kapazitäten und stattet ihn mit einem höheren Grad an Beweglichkeit und Vitalität aus.

Besitztum, der Wunsch nach Freiheit, Wissenschaft und Zivilisation – all dies sind die direkten Resultate der Ausübung des freien, menschlichen Willens. Sobald der Mensch die Freiheit erlangt hat und an seinen notwendigen und positiven Bemühungen weiter arbeitet, kann er schnell im Prozess des Wachstums voranschreiten und all die Aspekte seiner innewohnenden, essentiellen Natur zur Entfaltung bringen. Wenn seine Talente und Fähigkeiten reifen, wird er zu einer Quelle des Gewinns und der Tugend für die Gesellschaft werden.

Wir sehen die Ergebnisse des freien Willens überall und der Kampf, der gegen ihn durch die Befürworter geführt wird, die sich ihm widersetzen, ist in sich selbst eine Indikation, dass die letzteren dem stillschweigend zustimmen.

Nun lasst uns sehen, welche Grenzen der Wahlfreiheit des Menschen gesetzt werden und was für einen Umfang er beim Ausüben dieses Bereiches genießt.

Die authentische Ansicht der Schiiten, die vom Koran und von den Worten der Imame bezogen wird, repräsentiert eine dritte Schule, die sich in der Mitte zwischen den Deterministen und den Befürwortern des absolut freien Willens positioniert. Diese Schule leidet nicht an den Unzulänglichkeiten und Schwächen der Deterministen, die der Vernunft, dem Bewusstsein und allen ethischen und sozialen Kriterien widersprechen und Gottes Gerechtigkeit leugnen, indem sie Ihm alle Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten zuschreiben, die stattfinden, noch indem sie den absoluten, freien Willen erklären, wo es doch die Universalität von Gottes Allmacht verneint und die Einheit in Gottes Handlungen zurückweist.

Es ist offensichtlich, dass unsere gewollten Taten sich von der Bewegung der Sonne, des Mondes und der Erde oder auch der Bewegung der Pflanzen und der Tiere unterscheiden. Willenskraft kommt aus unserem selbst hervor und macht es uns möglich, ein bestimmtes Verhalten durchzuführen oder nicht durchzuführen, uns damit die Wahlfreiheit gebend.

Unsere Fähigkeit frei zu wählen, ob gutes oder schlechtes, entsteht aus unserer frei ausgeübten Kapazität des kritischen Gespürs. Wir müssen unser Geschenk der freien Wahl bewusst benutzen. Als erstes gilt es reiflich und sorgsam zu reflektieren, die Dinge mit Präzision abzuwägen und dann eine kalkulierte Entscheidung zu treffen. Es ist Gottes Wille, dass wir unsere Freiheit auf diese Weise benutzen in einer Welt, die Er mit Bewusstsein und Wachsamkeit erschuf.

Was immer wir tun, es ist schon bestimmt in der Sphäre von Gottes früherem Wissen und Willen. Alle Aspekte des Lebens, alles, was das Schicksal des Menschen berührt, ist limitiert und bedingt durch Sein Wissen. Es ist durch Grenzen definiert, die Gott bereits bekannt sind. Mehr noch, wir sind nicht einmal für einen Augenblick frei von dieser Essenz, mit der wir verbunden sind und das Benutzen der Kraft, die in ins inhärent ist, kann unmöglich ohne Gottes kontinuierliche Hilfe in uns fort bestehen.

Er beobachtet uns unmittelbar mit Seiner obersten, überwältigenden Macht und dies auf einer Art und Weise, die über unsere Imagination hinausgeht. Er besitzt völliges Bewusstsein und die Souveränität über all unsere Intentionen und Verhaltensweisen.

Letztlich kann unser freier Wille nicht über die Ordnung, die Gott für Seine Schöpfung etabliert hat, hinauswachsen und daher gibt es auch bei Seinen Werken kein Problem bezüglich der Einheit.

Während der Mensch mithilfe seines Willens Wirkungen in der Welt schaffen kann, ist er selbst einer Serie von natürlichen Gesetzen unterworfen.

Er betritt die Welt ohne dafür zur Wahl gestellt worden zu sein und er tut zuweilen seinen letzten Atemzug, ohne dass er den Wunsch hat, dies zu tun. Die Natur hat ihn mit Bedürfnissen und Instinkten gefesselt. Trotzdem besitzt der Mensch bestimmte Kapazitäten und Fähigkeiten. So schafft die Freiheit in ihm Kreativität, die ihn in die Lage versetzt, die Natur zu unterwerfen und eine Dominanz über seine Umwelt zu etablieren.

Imam Jaafar as Sadiq (Friede sei mit ihm) sagte: „Weder der Determinismus noch der freie Wille, die Wahrheit dieser Angelegenheit liegt zwischen den beiden.“[41]

Es gibt also den freien Willen, nur ist dieser nicht allumfassend, denn wenn man für den Menschen eine getrennte Sphäre postuliert, so ist dies gleichbedeutend mit dem Beigesellen eines Partners neben Gottes Werken. Der freie Wille, den der Mensch genießt, ist vom Schöpfer der Natur so gewollt und Gottes Befehl manifestiert sich in Form von Normen, die den Menschen, die Natur, die natürlichen Beziehungen, die Ursachen und die Faktoren regieren.

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Aus der Sicht des Islams, ist der Mensch weder ein fertiges Geschöpf, dessen Schicksal verdammt ist, festgelegt zu sein, noch wurde er in eine dunkle und sinnlose Umgebung gestürzt. Er ist eine Existenzform, die vor lauter Zielen, Talenten, Fertigkeiten, kreativem Bewusstsein und Inklinationen geradezu überläuft, und er wird von einer Art innewohnender Führung begleitet.

Den Fehler, den die Deterministen und die Befürworter des unbegrenzten freien Willens machen, ist dass sie sich vorstellen, dass dem Menschen nur zwei begehbare Wege zur Verfügung stehen: Entweder all seine Taten werden allein auf Gott zurückgeführt, so dass er jegliche Freiheit verliert und in seinen Handlungen vorherbestimmt ist oder wir sind verpflichtet zu glauben, dass die gewollten Werke des Menschen von einer unabhängigen und ungebundenen Essenz in uns selbst stammen, eine Ansicht, die Gottes Macht limitiert.

Dass wir einen freien Willen haben jedoch, ist ein Fakt, der nicht die Allmacht Gottes betrifft, denn Er hat gewollt, dass wir freiheitlich unsere eigenen Entscheidungen treffen und zwar in Übereinstimmung mit den Normen und Gesetzen, die Er etablierte.

Einerseits kann man die Taten des Menschen und sein Verhalten auf den Menschen selbst zurückführen und andererseits auf Gott. Der Mensch hat eine unmittelbare, direkte Beziehung zu seinen eigenen Handlungen, während Gottes Beziehung zu diesen Taten indirekt ist. Aber beide Beziehungsformen sind real und wahr. Weder steht der Mensch dem göttlichen Willen oppositionell gegenüber, noch steht sein menschlicher Wille den Wünschen Gottes konträr gegenüber.

Hartnäckige Menschen intentionieren den Unglauben, sie sind jeder Form des Predigens und der Warnung gegenüber oppositionell eingestellt. Zu ihrer verirrten Position kommen sie ursprünglich durch die Ausübung ihres freien Willens und erfahren dann die Konsequenzen ihrer Blindheit und der Verstocktheit ihrer Herzen, die von Gott gesehen wird.

Sie gehorchen den Wünschen ihres niederen Selbst. Diese sich selbst gegenüber ungerechten Menschen verhindern das Funktionieren ihrer Herzen, ihrer Augen und ihrer Ohren und als Resultat ernten sie ewige Verdammnis.

Der Koran sagt: „Die nicht geglaubt haben - und denen es gleich ist, ob du sie warnst oder nicht warnst -, sie werden nicht glauben. Versiegelt hat Gott ihre Herzen und ihre Ohren, und über ihren Augen liegt eine Hülle, und ihnen wird schwere Strafe.“ (Vgl. Koran: Sure 2, Vers 6-7)

Manchmal sind die Korruption und die Sünde nicht von solchem Ausmaß, dass sie den Weg zur Rückkehr zu Gott und der Wahrheit blockieren. Aber zuweilen erreichen sie einen Umfang, dass die Rückkehr zur wahren menschlichen Identität nicht mehr möglich ist. Dann wird das Siegel des Eigensinns auf den verunreinigten Geist des Ungläubigen gelegt. Dies ist ein natürliches Ergebnis ihres Verhaltens, welches durch Gottes Wille und Wunsch entschieden wird.

Die Verantwortlichkeit solcher Personen stammt von der Ausübung ihres freien Willens und der Fakt, dass sie nicht den Segen der Führung bekommen haben, vermindert ihre Verantwortung nicht. Es gibt das feste, sich selbst beweisende Prinzip zu der Wirkung: „Was immer seinen Ursprung im freien Willen hat und in Zwang endet, widerspricht dem freien Willen nicht.“

Es wird berichtet, dass der Imam sagte: „Gott wollte, dass die Dinge durch Ursachen und durch Mittel stattfinden und Er erlässt nichts, außer mittels Ursachen. Er hat daher für alles eine Ursache kreiert.“[42]

Eine der Ursachen, die Gott in seiner Schöpfung etabliert hat, ist der Mensch und sein Wille. Bei Einhaltung dieses Prinzips, dass bestimmte Ursachen und Methoden von Gott für das Erscheinen jedes Phänomens etabliert wurden: Das Ereignis eines Phänomens macht die vorherige Existenz von jenen Ursachen und Mitteln erforderlich und wäre es nicht so, das Phänomen würde nicht in Erscheinung treten.

Dies ist ein universelles Prinzip, welches auch unsere gewollten Handlungen unvermeidlich regiert. Unsere Wahl und unser freier Wille formen das letzte Verbindungsstück in der Kette der Ursachen und der Mittel, die in der Ausführung einer Tat resultieren.

Bei den Versen, wo sich alle Dinge auf Gott beziehen und die Taten als ein Hervorkommen durch Ihn beschrieben werden, beschäftigt sich der Koran mit dem vorewigen Willen des Schöpfers als Entwerfer der Welt, und sie erklären wie Seine Macht alles umfasst und den gesamten Verlauf des Seins durchdringt. Seine Macht erstreckt sich über jeden Ort des Universums, und zwar ohne Ausnahme. Aber Gottes unangefochtene Macht vermindert nicht die Freiheit des Menschen. Denn Gott selbst hat für den Menschen den freien Willen geschaffen und Er war es, der ihm diesen erwiesen hat. Er hat den Menschen frei überlassen, welchen Weg er zu wählen gedenkt und Er macht kein Individuum oder Leute für das Versagen Anderer verantwortlich.

Wenn es einen Zwang in den Angelegenheiten des Menschen gibt, dann nur in dem Sinne, dass er, aufgrund des Willens Gottes, gezwungen ist einen freien Willen zu haben, nicht aber in dem Sinne, dass er verdammt dazu ist, in bestimmter Weise zu handeln.

Wenn wir also die beste Tat unternehmen, so ist die Kapazität sie auszuführen von Gott gegeben und die Entscheidung, diese Kapazität zu nutzen ist von uns.

Bestimmte andere Verse des Korans betonen die Rolle des menschlichen Willens und seiner Handlungen und widerlegen damit die Ansichten der Deterministen. Wenn der Koran die Aufmerksamkeit des Menschen auf die Katastrophen und Qualen dieser Welt lenkt, die der Mensch erduldet, werden diese als das Resultat der schlechten Taten beschrieben.

Es kann in allen Versen, die sich mit Gottes Willen beschäftigen, nicht ein einziger gefunden werden, der die gewollten Handlungen des Menschen auf den göttlichen Willen zurückführt. So erklärt der Koran: „Wer auch nur eines Stäubchens Gewicht Gutes tat, der wird es dann schauen, Und wer auch nur eines Stäubchens Gewicht Böses tat, der wird es dann schauen.“ (Vgl. Koran: Sure 99, Vers 7-8), „(…) und ihr werdet gewiss zur Rechenschaft gezogen werden für das, was ihr getan.“ (Vgl. Koran: Sure 16, Vers 93), „Die Götzendiener werden sagen: Wäre es Gottes Wille, wir - wie unsere Väter - hätten keine Götter angebetet; auch hätten wir nichts unerlaubt gemacht. Also leugneten schon jene, die vor ihnen waren, bis sie Unsere Strenge zu kosten bekamen. Sprich: Habt ihr irgendein Wissen? Dann bringt es für uns zum Vorschein. Doch ihr folgt nur einem Wahn, und ihr vermutet bloß.“ (Vgl. Koran: Sure 6, Vers 148)

Wäre die Errettung und Irreführung des Menschen von Gottes Willen abhängig, keine Spur der Fehlleitung oder der Korruption würde auf der Welt existieren, alle würden den Weg der Errettung und der Wahrheit gehen, ob sie sich dies nun wünschten oder nicht.

Bestimmte Bösewichte, die für sich selbst Entschuldigungen suchen, beanspruchen für ihre sündigen Taten, dass sie von Gott gewollt und gewünscht wären. Dazu sagt der Koran: „Und wenn sie eine Schandtat begehen, sagen sie: Wir fanden unsere Väter dabei, und Gott hat sie uns befohlen. Sprich: Gott befiehlt niemals Schandtaten. Wollt ihr denn von Gott reden, was ihr nicht wisset?“ (Vgl. Koran: Sure 7, Vers 28)

So wie Gott für gute Taten eine Belohnung verspricht, so will Er auch die Bestrafung für Sünde und Korruption. Aber in beiden Fällen ist das Wollen des Ergebnisses verschieden vom Wollen der Handlung, die zu diesem Ergebnis führt.

Das menschliche Sein und die natürlichen Wirkungen seiner Werke sind wirklich Gottes Willen unterworfen, aber seine gewollten Taten, kommen aus seinem eigenen, freien Willen hervor.

Nach Ansicht des schiitischen Islams, besitzt der Mensch keinen absolut freien Willen, so dass er nicht außerhalb des Rahmens, des göttlichen Willens und Wunsches agieren kann, welcher das ganze Universum mit festgelegten Normen und Gesetzen bedeckt. Denn auf diese Weise würde Gott auf eine schwache und ohnmächtige Entität reduziert werden, sobald Er mit dem Willen der von Ihm geschaffenen Geschöpfe konfrontiert werden würde. Gleichzeitig ist der Mensch auch nicht der Gefangene eines Mechanismus, der ihn davon abhalten könnte, seinen eigenen Weg im Leben zu wählen und der ihn dazu zwingen würde, gleich einem Tier, ein Sklave seiner Instinkte zu sein.

Der noble Koran stellt ganz klar in einigen Versen fest, dass Gott dem Menschen den Weg der Errettung gezeigt hat, aber er ist weder gezwungen die Führung und Errettung zu akzeptieren, noch ist er gezwungen der Fehlleitung zu verfallen.

„Wir haben ihm den Weg gezeigt, ob er nun dankbar oder undankbar sei.“ (Vgl. Koran: Sure 76, Vers 3)

Die gewollten, menschlichen Handlungen auf Gott zurückzuführen, wird daher vom Koran abgelehnt.

[40]„ Al-Kafi“
[41] „Al-Kafi“, Band I
[42] „Al-Kafi“, Band I

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