Gottes Attribute

Inhaltsverzeichnis

Gott und seine Attribute

Sayyid Mudschtaba Musawi Lari

Lektionen in der Islamischen Doktrin - Buch I

Frei übersetzt unter Aufsicht von Dr.Mohammad Razavi Rad - übersetzt von A. Malik

L20 – Die Formen des göttlichen Willens

Die Bestimmung ist eins der kontroversen Themen, die oft missinterpretiert werden, weil es an präzisem Verständnis fehlt oder weil manchmal bösartige Absicht dahintersteckt. Um dieses Thema zu erörtern, werden wir es hier so prägnant wie möglich analysieren.

Alles auf dieser Welt basiert auf einer präzisen Kalkulation, Logik und Gesetz. Jegliches wurde nach einem bestimmten Maß an seinen Platz gesetzt und die definierten Charakteristika beruhen auf Ursachen und Faktoren, von welchen die jeweiligen Dinge abhängen.

So wie jedes Phänomen seine primäre Existenz von einer spezifischen Ursache ableitet, so bekommen alle ihre äußeren und inneren Eigenschaften von der gleichen Quelle. Jedes Phänomen leitet seine Form und seinen Umfang von einer Ursache ab. Da zwischen Ursache und Wirkung eine Homogenität besteht, wird von der Ursache zwangsläufig eine sich charakteristisch auswirkende Affinität der eigenen Essenz auf die Wirkung übertragen.

Nach der Weltanschauung des Islams, hat die Bestimmung die Bedeutung von Gottes festem Erlass bezüglich der sich entfaltenden Angelegenheiten der Welt, deren Umfang und deren Grenzen. Alle Phänomene, die innerhalb der Ordnung der Schöpfung stattfinden, die menschlichen Taten eingenommen, werden mithilfe ihrer Ursachen festgelegt und bestimmt, ihr Sein ist eine Konsequenz der universellen Validität des kausalen Prinzips.

Die Bedeutung der Bestimmung wird im arabischen zweierlei unterschieden. Bestimmung, im Sinne von „Qada´“ hat etwas Beendendes und Irreversibles und es bezieht sich auf die Kreativität der Werke Gottes. Die Bedeutung von „Qadar“ bezieht sich auf den Umfang oder das Ausmaß und zeigt auf die Natur und die Qualität der Ordnung Seiner Schöpfung und ihren systematischen Charakter. Es bedeutet, dass Gott der Welt des Seins eine geplante und systematische Struktur erweist. Mit anderen Worten, die Bestimmung ist das Ergebnis Seiner Kreativität, da sie Seinen Aufdruck überall hinterlässt.

Um es anders auszudrücken, was mit Bestimmung gemeint ist, sind die externen und objektiven Festsetzungen von Grenzen und Proportionen einer Sache - extern und objektiv, nicht mental. Bevor ein Architekt seinen Entwurf umsetzt, wird er sich im Kopf die Qualitäten und die Dimensionen des Komplexes entwickeln, das er bauen möchte. Der Koran spricht bei den festen Formen, Eigenschaften und Proportionen der Dinge von Qadar: „Wir haben ein jegliches Ding nach Maß geschaffen.“ (Vgl. Koran: Sure 54, Vers 49), „(…) Für alles hat Gott ein Maß bestimmt.“ (Vgl. Koran: Sure 65, Vers 3)

Der Terminus Qada´ bedeutet im Koran rationale und natürliche Notwendigkeiten, all die Teile der Ursache, die zum Hervorkommen einer Sache führen. Es impliziert, dass der Wille Gottes sich nur implementiert, wenn die festgelegten Mengen, Konditionen und Ursachen einer Sache miteinander ausgerichtet sind.

Der Schöpfer berücksichtigt die raumzeitliche Situation der Phänomene mit ihren Grenzen und ihren Proportionen und erteilt dann Seinen darauf basierenden Erlass. Welcher Faktor oder Ursache auch immer in der Welt sichtbar ist, ist die Manifestation des Willen Gottes und Seines Wissens, und das Instrument für die Erfüllung dessen, was Er vorherbestimmt hat.

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Die Eigenschaft des Wachstums und der Entwicklung ist in den Herzen der Dinge festgelegt. Materie, die den Gesetzen der Bewegung unterworfen ist, hat die Fähigkeit, verschiedene Formen anzunehmen und zahlreiche Prozesse zu durchlaufen. Unter dem Einfluss verschiedener Faktoren, nimmt sie eine Vielzahl an Stadien und Qualitäten an. Sie leitet ihre Energie von bestimmten natürlichen Faktoren ab, die es ihr ermöglichen voran zu schreiten, aber wenn sie auf andere Faktoren stößt, verliert sie an Existenz und verschwindet. Manchmal besteht sie in unterschiedlichen fortschreitenden Stadien weiter, bis sie die höchste Stufe ihrer Entwicklung erreicht, zuweilen fehlt es ihr an der nötigen Geschwindigkeit, um die nächste Etappe des Fortschritts zu erreichen und ihre Bewegung wird träge.

So ist das Ergebnis der Dinge nicht direkt mit dem Schicksal und dem Geschick verbunden, da es eine Ursache gibt, welche die Natur der Wirkung festlegt. Da die materiellen Existenzformen mit einer Reihe von Ursachen verknüpft sind, gehen sie notwendigerweise verschiedene Wege, wobei jede Ursache die jeweilige Existenzform dazu bringt einen bestimmten Pfad einzuschlagen.

Nehmen wir an, jemand hätte eine Blinddarmentzündung. Das ist sein Schicksal, welches sich durch bestimmte Ursachen ergab. Zwei zusätzliche separate Schicksale erwarten diesen Arbeitsunfähigen: Entweder, er ist mit einer Operation einverstanden, in diesem Fall wird er wieder genesen, oder er lässt diese nicht zu und muss sterben. Beide Möglichkeiten repräsentieren eine Form der Bestimmung.

Schicksale können daher austauschbar sein, aber welche Entscheidung der Kranke trifft und danach handelt, es wird nicht außerhalb der Sphäre sein, die Gott ihm bestimmt hat.

Man kann nicht mit gefalteten Händen dasitzen und zu sich selbst sprechen, „Wenn es meine Bestimmung ist, werde ich am Leben bleiben, und wenn es nicht meine Bestimmung ist, werde ich sterben, egal wie sehr ich mich um eine ärztliche Behandlung bemühe.“

Wenn man die Heilung sucht und dann gesund wird, ist dies Bestimmung, und wenn man eine Behandlung ablehnt und stirbt, so ist dies ebenfalls Bestimmung. Wo immer man hingeht, was immer man tut, man ist vom Schicksal umgeben.

Menschen, die faul sind und nicht arbeiten wollen, entscheiden sich zuerst nicht zu arbeiten und wenn sie dann kein Geld mehr haben, geben sie dem Schicksal die Schuld. Wenn sie sich entschlossen hätten zu arbeiten, das Geld, das sie verdient hätten, wäre dies ebenfalls Schicksal gewesen. Ob man nun aktiv und fleißig ist oder untätig und faul, man kann der Bestimmung nicht zuwider handeln.

Eine Veränderung der Bestimmung bedeutet daher nicht das Rebellieren eines bestimmten Faktors gegen das Geschick oder eine oppositionelle Haltung gegenüber dem Gesetz der Kausalität. Etwas, das eine Veränderung im Schicksal verursacht, ist selbst ein Glied der Kausalitätskette, eine Manifestation von Schicksal. Anders ausgedrückt, ein Schicksal wird durch ein anderes Schicksal verändert.

Im Gegensatz zu den Wissenschaften, weist dies nur in eine Richtung und zeigt nur die Orientierung von bestimmten Aspekten der Phänomene. Die Gesetze der Metaphysik sind nicht mit den Phänomenen aus der Warte der konjunktionalen Sichtweise beschäftigt, auch wenn die Gesetze die Phänomene regulieren sind sie doch gegenüber der Orientierung, die sie annehmen, gleichgültig. In Wirklichkeit sind beide, die Phänomene selbst und deren Orientierung, den gewaltigen und umfassenden Gesetzen der Metaphysik unterworfen: Wohin auch immer ein Phänomen tendiert, es wird unentrinnbar von diesen Gesetzen umgeben sein.

Die Situation gleicht einer weiten, großen Ebene, in der die am weitesten im Norden gelegenen Bereiche und die am weitesten im Süden gelegenen Bereiche doch immer Teil dieser Ebene bleiben.

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Kurz gefasst repräsentiert die Bestimmung gar nichts anderes als die Universalität des Prinzips der Kausalität. Es repräsentiert eine metaphysische Wahrheit, die nicht auf gleiche Weise betrachtet werden kann, wie die Daten der Wissenschaft.

Das Prinzip der Kausalität sagt, dass nur jedes Phänomen eine Ursache hat, es kann selbst keine Voraussage machen. Dies ist eine Eigenschaft, die sich dem Bewusstsein der Metaphysik völlig entzieht.

Für die Gesetze der Metaphysik, die eine anschauliche Form des Wissens darstellen und der feste und stabile Grund für zahlreiche Phänomene in der Welt sind, macht es keinen Unterschied, welches besondere Phänomen auftritt. Eine Autobahn, die Menschen wegen ihrer Stabilität und Festigkeit zum Reisen benutzen, ist der Richtung gegenüber, die diese nehmen, völlig gleichgültig.

Ali, der Führer der Gläubigen (Friede sei mit ihm), hat sich im Schatten einer wackeligen Mauer ausgeruht, die den Anschein machte, kurz vor den Einstürzen zu sein. Plötzlich stand er auf und setzte sich in den Schatten einer anderen Wand. Er wurde gefragt: „Fliehst du vor dem, was Gott dir geschrieben hat?“

Er antwortete, „Ich such Zuflucht in Gottes Macht vor dem, was Er bestimmt hat.“, was bedeutet, „Ich fliehe von einer Bestimmung zur anderen. Beides, das Sitzen als auch das Aufstehen waren gleichermaßen dem Schicksal unterworfen. Wenn eine defekte Wand über mich einstürzt und mich verletzt, wird dies Schicksal sein und wenn ich den Gefahrenbereich verlasse und dem Unheil entkomme, so ist auch dies Schicksal.“

Der glorreiche Koran beschreibt die Systeme und Gesetze der Natur als göttliche Normen, die über der Welt regieren und unvermeidlich und unveränderlich ihren Bahnen folgen. „(…) und du wirst in Gottes Brauch nie einen Wandel finden.“ (Vgl. Koran: Sure 33, Vers 62)

Die unveränderliche Norm Gottes erlässt unter anderem: „Verheißen hat Gott denen unter euch, die glauben und gute Werke tun, dass Er sie gewisslich zu Nachfolgern auf Erden machen wird, (…)“ (Vgl. Koran: Sure 24, Vers 55)

Nach dem Koran ist das auch eine unveränderliche, göttliche Norm: „(…) Gewiss, Gott ändert die Lage eines Volkes nicht, ehe sie nicht selbst das ändern, was in ihren Herzen ist. (…)“ (Vgl. Koran: Sure 13, Vers 11)

Nach der religiösen Weltsicht, sind Realitäten nicht auf die vier Wände der materiellen Verursachung beschränkt. Phänomene sollten nicht nur in ihren sensorischen Beziehungen und materiellen Dimensionen berücksichtigt werden. Nichtmaterielle Faktoren haben zu Bereichen Zugang, die materiellen Faktoren völlig verschlossen sind. Und sie spielen beim Hervorkommen von Phänomenen eine unabhängige und entscheidende Rolle.

Die Welt ist auf keinen Fall dem Unterschied zwischen Gut und Böse gegenüber gleichgültig. Die Taten des Menschen produzieren während seines Lebens bestimmte Reaktionen. Freundlichkeit und Güte zum Nächsten und die Liebe und der Dienst der Geschöpfe Gottes sind Faktoren, die mit nichtmateriellen Mitteln letztlich zu einer Veränderung des menschlichen Schicksals führen und zur Ruhe, Freude und einer Fülle von Segnungen beitragen.

Unterdrückung, Böswilligkeit, Egoismus, Aggression bringen bittere Früchte und haben zwangsläufig schädigende Wirkungen. So ist der Natur aus dieser Sicht eine Form der Vergeltung inhärent, denn die Welt besitzt Wahrnehmung und Bewusstsein, sie sieht und sie hört. Die Art, wie sie die Taten rächt ist eine Form der Manifestation der Bestimmung. Es ist unmöglich, dem zu entfliehen, wo immer man auch hingeht, es wird einen ergreifen.

Ein bestimmter Wissenschaftler erklärt: „Sagt nicht, die Welt hätte keine Wahrnehmung, denn dann hat man sich selbst beschuldigt keine Wahrnehmung zu haben. Du bist in die Welt als Teil der Welt gekommen und wenn es keine Wahrnehmung in der Welt gibt, gibt es auch in dir keine.“

Bezüglich der Rolle der nichtmateriellen Faktoren, die das Schicksal gestalten, sagt der Koran folgendes: „Hätte aber das Volk (jener) Städte geglaubt und wären sie rechtschaffen gewesen, so hätten Wir ihnen ganz gewiss vom Himmel und von der Erde Segnungen eröffnet. Doch sie leugneten; also erfassten Wir sie um dessentwillen, was sie sich erwarben.“ (Vgl. Koran: Sure 7,Vers 96), „(…) Wir zerstören keine Städte, ohne dass ihre Bewohner voll Ungerechtigkeit sind.“ (Vgl. Koran: Sure 28,Vers 59)

Der Begriff des Schicksals wird von den Befürwortern des Determinismus als einer ihrer Beweise angeführt. Ihrer Ansicht nach, ist es nicht möglich, dass irgendeine Tat unabhängig von irgendwem ausgeführt werden kann, denn Gott hat das Handeln der Menschen schon vorbestimmt, im Allgemeinen wie im Besonderen, im Guten wie im Schlechten, so dass kein Platz mehr für ein gewolltes Schaffen durch den Menschen bleibt.

Es gibt einen Unterschied zwischen Determinismus und der irreversiblen Bestimmung. Jedes Phänomen ist gebunden aufzutreten, wenn erst einmal alle Ursachen für dieses Phänomen gegeben sind. Ein Bindeglied in der Kausalitätskette ist der Wille des Menschen, der eine eindeutige Rolle spielt. Der Mensch ist eine Existenzform, die mit dem freien Willen ausgestattet wurde, daher verfolgen seine Taten bestimmte Ziele, und beim Streben nach diesen Zielen, geht er nicht einem automatischen Gesetz der Natur nach, wie ein Regentropfen, der dem Gesetz der Gravitation folgt. Wäre das anders, der Mensch könnte faktisch nicht die Ziele anstreben, die er sich, als Existenzform mit freiem Willen, vorgenommen hat zu erreichen.

Dies steht im Kontrast mit der deterministischen Sichtweise, die den freien Willen des Menschen als funktionsunfähig betrachtet und alle Ursachen auf Gott allein zurückführt und auf Faktoren, die außerhalb der menschlichen Essenz liegen.

Der Glaube an das Schicksal endet nur im Determinismus, wenn man es als ablösende Kraft und Willen des Menschen betrachtet, so dass keine Rolle oder Wirkung bei der Ausführung seiner Taten seinen Wünschen zugeschrieben werden kann. Tatsächlich jedoch, ist Bestimmung, das Schicksal und die Fügung nichts weiter als das System der Ursache und Wirkung.

Der Koran erklärt, dass einige von jenen, die den Propheten ablehnten und den Banner der Rebellion gegen den von Gott Erwählten erhoben das Schicksal in einer deterministischen Weise interpretierten. Sie wollten nicht, dass sich die bestehende Situation verändert, damit die soziale Ordnung des Monotheismus die scheußlichen Bräuche nicht ersetzen würde können, an denen sie festhielten.

Dies sind die relevanten Verse: „Und sie sprechen: Hätte der Gnadenreiche es gewollt, wir würden sie nicht verehrt haben! Sie haben keinerlei Kenntnis hiervon; sie vermuten nur. Haben Wir ihnen ein Buch gegeben vor diesem (Koran), an dem sie festhalten?“ (Vgl. Koran: Sure 43, Vers 20-21)

Im Gegensatz zu den Deterministen waren der Gesandte Gottes und die Anhänger seiner göttlichen Lehren nicht mit dem Erhalt des Status quo beschäftigt, sondern mit dem Umsturz der Traditionen, denn sie blickten in die Zukunft.

Der noble Koran verspricht der Menschheit in seinem Kampf gegen Tyrannei den höchsten Sieg und betont, dass die letzte Regierung, welche die Erde beherrschen wird, eine gerechte Regierung sein wird. Die Falschheit wird verschwinden und das Endergebnis aller Angelegenheiten wird den Gottesfürchtigen gehören. Das ist die Verheißung des Korans: „Und Wir wünschten, denen, die im Lande als schwach erachtet worden waren, Huld zu erweisen und sie zu Führern zu machen und zu Erben einzusetzen.“ (Vgl. Koran: Sure 28, Vers 5), „Verheißen hat Gott denen unter euch, die glauben und gute Werke tun, dass Er sie gewisslich zu Nachfolgern auf Erden machen wird, wie Er jene, die vor ihnen waren, zu Nachfolgern machte; und dass Er gewisslich für sie ihre Religion festigen wird, die Er für sie auserwählt hat; und dass Er gewisslich ihren (Stand), nach ihrer Furcht, in Frieden und Sicherheit verwandeln wird: Sie werden Mich verehren, (und) sie werden Mir nichts zur Seite stellen. (…)“ (Vgl. Koran: Sure 24, Vers 55)

„Und Wir gaben dem Volk, das für schwach galt, die östlichen Teile des Landes zum Erbe und die westlichen Teile dazu, die Wir gesegnet hatten. Und das gnadenvolle Wort deines Herrn ward erfüllt an den Kindern Israels, weil sie standhaft waren; und Wir zerstörten alles, was Pharao und sein Volk geschaffen und was an hohen Bauten sie erbaut hatten“ (Vgl. Koran: Sure 7, Vers 137)

So stellt der Koran eine Opposition zwischen Glaube und Unglaube dar, zwischen den Unterprivilegierten und den Tyrannen. Und er sagt uns, dass die Welt sich in Richtung des Triumphes der Wahrheit über die Falschheit bewegt, der Benachteiligten über ihre Unterdrücker. Eine revolutionäre Bewegung ist dabei zu geschehen, die in Harmonie mit allen Geschöpfen hin zur Vollendung voranschreitet.

Der Ruf der Propheten, Belohnung und Bestrafung, Paradies und Höllenfeuer – all dies beweist, dass der Mensch Pflichten hat und Verantwortung trägt, und nach dem Koran sind die Errettung des Menschen in dieser Welt und der Nachwelt an seine Taten gekoppelt.

Nach der Doktrin von Bestimmung und Schicksal, ist der Mensch frei und für sein eigenes Schicksal verantwortlich, welches er selbst lenkt. Das Schicksal ist in der Tat am Werk, wenn ein Volk mächtig und ein anderes Volk miserabel und unbedeutend ist, wenn eine Gemeinschaft triumphiert und stolz ist und die andere besiegt und bescheiden dasteht. Dies ist nur so, weil das Schicksal feststellt, dass ein Volk seine Mittel für Fortschritt und Entwicklung nutzt und würdevoll und ehrenvoll voranschreitet, während ein anderes Volk sich für die Genusssucht und Indifferenz entscheidet und dafür nichts als Verlust, Erniedrigung und Erbärmlichkeit erwarten kann.

Der Koran sagt sehr deutlich: „Dies, weil Gott niemals eine Gnade ändern würde, die Er einem Volke gewährt hat, es sei denn, dass das Volk seinen eignen Seelenzustand ändert. (…)“ (Vgl. Koran: Sure 8, Vers 53) Kein Zweifel besteht darin, dass unsere Wünsche nicht immer so erfüllt werden, wie wir es erwarten, aber dass beweist nicht im Geringsten, dass der Mensch in seinen Handlungen festgelegt ist. Die Tatsache, dass die Reichweite der gewollten Taten des Menschen begrenzt sind, widerspricht in keinerlei Weise dem freien Willen, den er besitzt. Zu behaupten, der Mensch hätte einen freien Willen, bedeutet keineswegs, dass sein freier Wille unbegrenzt ist.

Gott lässt viele Faktoren in der weiten Fläche des Seins arbeiten. Manchmal sind diese Faktoren zusammen mit den Phänomenen, die sie verursachen, dem Menschen evident und manchmal nicht. Eine sorgfältige und realistische Interpretation des Konzeptes des Schicksals wird den Menschen dazu bringen, sich stärker zu bemühen, sich mehr Wissen über all diese Faktoren anzueignen, sodass er sie in Betracht ziehend noch größere Leistungen anstrebt.

Weil der Mensch nicht in der Lage ist, alle Faktoren zu kennen, die für seinen Erfolg notwendig sind, sind seine menschlichen Fähigkeiten begrenzt und seine Wünsche bleiben unerfüllt.

In Übereinstimmung mit dem generellen Prinzip der Kausalität, ist das Schicksal jeder Existenzform an die Ursache gekettet, die ihr vorausgeht. Ob man nun die Existenz eines göttlichen Prinzips akzeptiert oder nicht, es hat keine Auswirkung auf die Frage der Freiheit und des Schicksals eines Menschen. Dies, weil man das System der Ursache und Wirkung entweder dem Willen Gottes zuschreibt oder aber davon ausgeht, dass es unabhängig und ohne Verbindung zu einem göttlichen Prinzip steht. Wenn dieser Fall angenommen wird, kann man ebenfalls behaupten, dass der Determinismus aus dem Glauben an die Doktrin der Bestimmung resultiert. Was wir mit Bestimmung meinen, ist die unzertrennliche Verbindung jedes Phänomens mit ihrer Ursache, den Willen und die Entscheidungskraft des Menschen eingenommen. Wir wollen nicht die Kausalität leugnen.

Die Bestimmung bringt die Existenz eines jeden Phänomens durch das Mittel einer bestimmten Ursache hervor. Der göttliche Wille regiert als universelles Prinzip und Gesetz über die gesamte Welt. Jede Veränderung, die stattfindet basiert auch auf der göttlichen Norm und Angewohnheit. Wäre dies nicht der Fall, das Schicksal hätte nie irgendeinen externen Ausdruck. Jede wissenschaftliche Gedankenschule, die das Prinzip der universellen Kausalität akzeptiert, ist verpflichtet die Realität der Beziehungen zwischen einem Phänomen und der dazugehörenden Ursache zu akzeptieren, ganz gleich, ob sie theistische oder materialistische Standpunkte vertritt.

Wenn nun eine definitive Verbindung zwischen dem Auftreten eines Phänomens und seinen Ursachen – das menschliche Handeln eingeschlossen – den Menschen dazu lenkt eine Maschine zu sein, die in ihren Handlungen vorherbestimmt ist, sind Theismus und Materialismus offen für Beanstandungen, insofern sie beide Kausalität akzeptieren. Wenn es aber nicht zu dieser Folgerung führt (was natürlich auch nicht geschehen sollte), bleibt die Frage bestehen: Was ist der Unterschied zwischen Theismus und Materialismus?

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Der Unterschied ist, dass die theistische Weltanschauung im Gegensatz zur materialistischen das Ideal und nichtmaterielle Faktoren für fähig hält, eine Wirkung auszuüben. Diese Faktoren sind im Netz der Schöpfung tatsächlich subtiler und komplexer als die materiellen Faktoren. Die Weltsicht, die auf einen glauben an Gott basiert, schenkt dem Leben Sinn, Ziele und Bedeutung. Sie erweist dem Menschen Courage, Vitalität, einen weiten Horizont, tiefe Erkenntnis, stärkt die Vernunft, verhindert, dass er in den Abgrund der Zwecklosigkeit fällt und bringt ihn in einer nicht endenden Arche des Aufstiegs hoch.

Ein Gläubiger, der vom Schicksal fest überzeugt ist, der wahrnehmen kann, dass weise Absichten in der Schöpfung des Menschen und des Universums am Werke sind, wird auf dem geraden Weg mit Gottvertrauen voranschreiten, wissend, dass er Unterstützung und Schutz durch Gott erfahren wird. Er wird selbstsicherer und hoffnungsvoller bezüglich der Ergebnisse seiner Aktivitäten sein.

Aber einer, der in der Weltanschauung des Materialismus gefangen ist, dessen mentale Grundstrukturen ihn dazu neigen lassen an ein materielles Schicksal zu glauben, genießt keine dieser Vorteile. Er hat keine sichere und unbesiegbare Unterstützung bei seinen Bestrebungen, seine Ziele zu erreichen.

Es ist daher offensichtlich, dass es einen tiefgründigen Unterschied zwischen den beiden Denkschulen bezüglich ihrer sozialen und psychologischen Wirkung gibt. Anatole France sagt: „Es ist die nützliche Wirkung der Religion, die den Menschen den Grund für seine Existenz und die Konsequenzen seiner Handlungen lehrt. Sobald wir die Prinzipien der theistischen Philosophie ablehnen, wie es soviele heute in einem Zeitalter der Wissenschaft und der Freiheit tun, haben wir nicht mehr die Mittel zu wissen, warum wir in diese Welt kamen und was wir zu schaffen haben, nachdem wir unsere Füße auf diese Welt gesetzt haben.

Die Mysterien der Bestimmung haben uns mit ihren mächtigen Geheimnissen umwickelt und wenn wir uns wünschen, der traurigen Mehrdeutigkeit des Lebens zu entgehen, müssten wir gar nichts mehr denken. Denn die Wurzel unseres Schmerzes liegt in unserer kompletten Ignoranz des Zweckes unserer Existenz. Physischer und spiritueller Schmerz, die Qualen der Seele und der Sinne – alles wäre erträglich, wenn wir den Grund für diese wüssten und glauben würden, dass Gott sie gewollt hat.

Der echte Gläubige hat gefallen an den spirituellen Qualen, die er erträgt. Selbst die Sünden, die er begeht, rauben ihm nicht die Hoffnung. Aber in einer Welt, wo der Strahl des Glaubens ausgelöscht ist, verlieren Schmerz und Krankheit an Bedeutung und werden zu hässlichen Witzen, eine Art finsterer Spott.“

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