Der Vertrag Imam Hasans mit
Muawia
Einleitung
Die
Philosophie, die dem Vertrag Imam Hasans (a.s.) zugrunde
liegt sowie viele ähnliche Probleme lassen sich durch die
authentischen und zuverlässigen Quellen und Beweise durchaus
klarstellen. Einen Teil dieses Problems erklären wir kurz in
diesem Aufsatz. Bevor wir jedoch fortfahren, möchten wir auf
folgendes aufmerksam machen:
Was
Schiiten in Bezug auf die Imame glauben, unterscheidet sich
in einigen Punkten von anderen Lehrmeinungen. So sehen
manche andere keine Gefahr darin, wenn behauptet wird, dass
andere Menschen zufällig einmal weiser und klüger seien als
der rechtmäßige Imam. Sie glauben, dass auch der rechtmäßige
Imam, einen Fehler oder eine Sünde begehen könnte. Und die
Tatsache, dass ein Anführer der Muslime Fehler begeht,
scheint für manche andere Lehrmeinungen kein Problem zu
sein. Das ist zu erkennen in ihren eigenen Büchern, in denen
Abu Bakr (der erste Kalif) sagt:
"Ich
habe die Führung eurer Interessen in die Hand genommen,
obwohl ich nicht besser bin als ihr. Unterstützt mich, wenn
ihr mich auf dem rechten Weg findet, und leitet mich, wenn
ich einer falschen Spur folge!" 1
Ebenso wird
von Omar (dem zweiten Kalifen) berichtet, daß er bezüglich
der Brautgabe (Mahr) für die Frauen eine Meinung vertrat,
die der qur'anischen Forderung nicht entsprach. Eine Muslima
wies ihn auf seinen Fehler hin, und Omar stimmte ihr zu:
"Viele
Menschen sind klügere und bessere Rechtsgelehrte als Omar!"
2
Die
Schiiten glauben aus auf Vernunft und Überlieferung gut
fundierten Gründen, dass der rechtmäßige Imam von Gott
selbst ‑ durch die Aussagen des Propheten (s.a.w.) ‑ berufen
wird, um die Aufgaben des Propheten fortzusetzen und
schrittweise zu erfüllen. Aus diesem Grund ist es für ihn
unerlässlich, dass er von Fehlern und Sünde frei ist und
weiser und klüger als andere, um dadurch fähig zu sein, die
islamische Nation zum Heil zu führen.
Der Prophet
des Islam (s.a.w.) hat zu einem seiner treuen Gefährten,
Ammar ibn Yassir, gesagt:
"Wenn
alle Menschen einen Weg einschlagen, und Ali einen anderen
wählt, dann gib du dem Weg Alis den Vorzug, trenne dich von
den anderen! O Ammar! Nie wird Ali dich ohne Führung
lassen, nie würde er dich in die Irre oder in die
Dunkelheit führen. O Ammar! Ali zu folgen und ihm zu
gehorchen, heißt mir zu folgen und zu gehorchen, und mein
Gehorsam gilt dem Erhabenen und Gütigen Allah." 3
Als dieser
große Mann den Menschen empfahl, festzuhalten an den beiden
kostbarsten Werten, (von denen eines das andere ergänzt),
erklärte er ihnen, dass die eine Komponente der Qur'an sei
und die andere seine auserwählten Nachfolger von den
Mitgliedern seines Hauses (ahl-ul-bait, das sind die
Imame), und der Prophet (s.a.w.) sagte:
"Eilt
ihnen nicht voraus und bleibt nicht zurück, sonst werdet ihr
Zugrundegehen, und belehrt sie nicht, denn sie wissen mehr
als ihr!"4
Wir glauben
von den Imamen, dass ihr Wissen von Gott kommt und nicht
(nur) menschlich ist. Sie haben ihre Pflichten aus demselben
Buch gelernt, nach der Botschaft, die dem Propheten
offenbart wurde, und kamen ihnen gewissenhaft nach. Ihr
Handeln oder ihr Stillhalten, ihr Sprechen oder ihr
Schweigen ist allein abhängig von Gottes Gebot. Nichts
würden sie tun ohne den Willen und das Gebot Gottes,5
wie es der Prophet über Imam Hasan (a.s.) und Imam Husain (a.s.)
gesagt hat:
"Beide,
Hasan und Husain, sind Imame (Führer), ob sie nun eingreifen
und Stellung beziehen oder sich ruhig verhalten."6
In dieser
Äußerung findet sich ein Hinweis auf Imam Hasans (a.s.)
Friedensvertrag und Imam Husains Widerstand, dass nämlich
beides zum Wohle des Islam und der Muslime war. Beide taten
ihre Pflicht, so wie sie ihnen von Gott bestimmt war, und
deshalb kann niemand ihr Handeln kritisieren, sei es nun
Frieden oder Krieg.
Auf der
Grundlage dieses festen Glaubens und Denkens, und allein aus
diesem Grund folgen die Schiiten ihren Imamen ohne Wenn und
Aber. Sie fühlen sich ihnen zu absolutem Gehorsam
verpflichtet und sehen es als ihre Pflicht an, ihrem Befehl
Folge zu leisten, ob es sich nun um Widerstand oder
Stillhalten handelt, ob es gilt, die Stimme zu erheben oder
zu schweigen, und zwar so, dass sie sich auch dann daran
gebunden fühlen, wenn sie ‑ die Imame ‑ etwas befehlen,
dessen Durchführbarkeit und Nutzen nicht jedem einsichtig
ist. Sie tun es, denn der Imam ist ohne Fehler und ohne
Schuld, und was er auch befiehlt, geschieht im Gehorsam
gegen Gottes Gebot und in völliger Übereinstimmung mit dem,
was zum Wohle des Islam und der Muslime dient.
Sahl
Khorasani gehorchte Imam Jafar Sadiq (a.s.) nur begrenzt:
Khorasani sprach zu Imam Sadiq (a.s.): "Warum erhebst du
dich nicht gegen die Usurpatoren, um dein Recht (zur
Führung) zu erkämpfen, wenn doch allein in Khorasan
(westliche Provinz im heutigen Iran) an die Tausend bereit
sind, dich mit ihren Schwertern zu verteidigen?" Imam Sadiq
befahl, den Ofen anzuzünden und sagte: "O Khorasani, steh
auf und steige in den Ofen!" Khorasani entgegnete: "O Sohn
des Propheten! Übergib mich doch nicht den Qualen des
Feuers, und vergib mir meinen Fehler!" Imam: "Ich habe dir
vergeben!" In diesem Augenblick trat ein wahrer Anhänger des
Imams, namens Harun Madschi, mit den Schuhen in der Hand
ein. Der Imam befahl ihm, die Schuhe fallenzulassen und in
den Ofen zu steigen. Ohne ein Wort warf Harun seine Schuhe
weg und stieg in den Ofen. Der Imam unterhielt sich mit Sahl
und erklärte die Gegebenheiten in Khorasan, als wäre er
Jahre lang dort gewesen, dann sagte er zu ihm: "Steh auf
und schau in den Ofen!" Khorasani stand auf und sah Harun
Madschi darin sitzen, ganz behaglich und ohne dass das Feuer
ihn bedrängte. Harun kam heraus aus dem Ofen, und der Imam
fragte Sahl: "Wieviele in Khorasan sind diesem gleich (die
sich unseren Befehlen fügen würden, ohne den geringsten
Widerspruch zu erheben)? Sahl: "Bei Allah, nicht ein
einziger!" Der Imam: "Wir wissen sehr wohl, wann es Zeit
ist, sich zu erheben und Widerstand zu leisten. Und es ist
nicht notwendig, dass andere uns leiten und belehren!"7
Harun Madschi
wusste sehr gut, dass der Imam frei war von Fehler und Irrtum,
welcher Art auch immer, und deshalb ist es an uns, uns seinem
Befehl zu fügen als eine heiligen Verpflichtung. Und deshalb
hatte Harun dem Befehl des Imams nicht widersprochen und ihn
ohne Widerrede angenommen.
Dies ist klar
und eindeutig die Meinung der Schiiten bezüglich ihrer frommen
und von jeder Schuld und Sünde freien Imame. Aufgrund dieser
Philosophie und dieser festen Überzeugung erheben sie keinen
Einspruch und kritisieren auch nicht, wenn das Verhalten der
Imame und dessen Begründung nicht klar verständlich scheint.
Wenn sie z. B. die Philosophie, die Imam Hasans (a.s.)
Friedensschluss und Imam Husains (a.s.) Widerstand zugrunde
liegt, nicht verstehen, so würden sie doch nie dagegen
sprechen und ganz sicher sein, dass alles, was die Imame tun,
nur das Beste ist und die getroffene Entscheidung voller Würde
und gerechtfertigt ist.
Hier nun ist
es an der Zeit, einige authentische und zuverlässige Quellen
heranzuziehen, um den Grund für Imam Hasans (a.s.) Frieden und
Imam Husains Widerstand einer näheren Prüfung zu unterziehen.