Mahomet

Mahomet
Trauerspiel in fünf Aufzügen, nach Voltaire

Siehe: Mahomet der Prophet

Übersetzt von Johann Wolfgang von Goethe

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Dritter Aufzug - Achter Auftritt

Sopir. Seide.

Sopir

Verwirrt, Seide, dich mein Auge? Sieh
Mich mit Vertrauen an; denn ich verdien's.
Blick in mein Herz, es ist für dich besorgt.
Du bist, als Geisel, in bedenklicher,
Gefahrenvoller Zeit mir übergeben;
Du rührst mich, und nur wider Willen zähl' ich
Dich unter meine Feinde. Wenn der Stillstand
Den Drang der raschen Kriegeswut gehemmt,
So kann der Schein des Friedens bald verschwinden.
Mehr sag' ich nicht. Doch wider Willen bebt
Mein Herz bei der Gefahr, die dich umgibt.
Geliebter Fremdling! Eines bitt' ich nur:
In diesen Stürmen, die uns drohn, verlass
Mein Haus nicht! Hier allein ist Sicherheit.
Hier steh' ich für dein Leben, mir ist's wert.
Versprich mir's!

Seide

Harte Pflicht! O! Gott im Himmel!
Sopir, und hast du keinen andern Zweck
Als mich zu schützen? Über meine Tage
Zu wachen? Musst' ich so ihn kennen lernen,
Jetzt da sein Blut von mir gefordert wird!
O! Mahomet! verzeihe diese Regung!

Sopir

Erstaunst du dass ich einen Feind bedaure?
Doch ich bin Mensch, und das ist mir genug
Unglückliche zu lieben, zu beschützen,
An deren Unschuld meine Neigung glaubt.
Vertilget, große Götter, von der Erde
Den Mann der Menschenblut mit Lust vergießt!

Seide

Wie greift dies Wort an mein zerrüttet Herz!
Die Tugend kennt auch meines Gottes Feind?

Sopir

Du kennst sie wenig weil du staunst. Mein Sohn
In welchem tiefen Irrtum wandelst du?
Betäubte so die Lehre des Tyrannen
Den guten, den natürlich reinen Sinn,
Daß nur die Muselmannen tugendhaft
Und alle Menschen dir Verbrecher scheinen?
So mißgebildet hat zur Grausamkeit
Der Wahn dich schon, dass, ohne mich zu kennen
Du mir, als einem Sohn des Greuels, fluchtest?
Verzeihen kann ich solchen Irrtum dir,
Er ist nicht dein, er ist dir aufgezwungen;
Doch hebe selbst den freien Blick empor
Und sprich: ist das ein Gott, der Hass gebietet?

Seide

Wie fühl' ich mich mit Einemmal verändert!
Von diesem Schreckensgott hinweggezogen,
Zu dir, zu dir, den ich nicht hassen kann.

Sopir

Je mehr ich mit ihm rede, desto mehr
Wird er mir lieb und wert. Sein zartes Alter,
Die Offenheit, sein Schmerz und seine Zweifel –
Sie stimmen mich zum herzlichsten Gefühl.
Wie! ist es möglich, dass mich ein Soldat,
Des Ungeheuers Sklave, der sich selbst
Mit Abscheu von mir wendet, mich gewinnen,
Mein Herz gewaltig zu sich reißen kann?
Wer bist du? Welches Blut hat dich gezeugt?

Seide

Von meinen Eltern weiß ich nichts zu sagen.
Nur meinen Herren kenn' ich, dem bisher
Ich treu gedient, und den ich zu verraten
Beginne, seit ich dir mein Ohr geliehn.

Sopir

Du kanntest deinen Vater nicht?

Seide

Das Lager
War meine Wiege, und mein Vaterland
Das Heiligtum das Mahomet erleuchtet.
Man bringt ihm jährlich Kinder zum Tribut,
Und er war mir vor allen andern gnädig,
Und so verpflichtete mein Herz sich ihm.

Sopir

Ich lobe dich und deine Dankbarkeit,
Sie ist ein schön Gesetz für edle Herzen;
Doch Mahomet verdiente nicht das Glück
Dir und Palmiren wohl zu tun. Du schauderst,
Du bebst und wendest deinen Blick von mir?
Ist es ein Vorwurf der dein Herz zerreißt?

Seide

Wer ist an diesem Tage frei von Schuld?

Sopir

Erkennst du sie, so hast du sie gebüßt.
Ich rette dich, es fließt nur schuld'ges Blut.

Seide

Und sollte sein's von diesen Händen tropfen?
O Schwur! Palmire! Gott! Es ist zu viel!

Sopir

Komm ohne Zaudern. Nur in meinen Armen
Ist Sicherheit. Komm, dass ich dich verberge;
Denn alles hängt an diesem Augenblick.

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