Mahomet

Mahomet
Trauerspiel in fünf Aufzügen, nach Voltaire

Siehe: Mahomet der Prophet

Übersetzt von Johann Wolfgang von Goethe

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Fünfter Aufzug - Vierter Auftritt

Mahomet, Omar, Gefolge an der einen, Seide und das Volk an der andern Seite, Palmire in der Mitte.

Seide (einen Dolch in der Hand, schon durch den Gift geschwächt)

Bewohner Mekkas, rächet meinen Vater!
Den mörderischen Heuchler strecket nieder!

Mahomet

Bewohner Mekkas, euch zu retten kam ich;
Erkennet euern König, euern Herrn!

Seide

Hört nicht das Ungeheuer! Folget mir!
Ihr Götter! welche Wolke deckt mich zu.
Auf ihn! – Wie wird mir? Gott! –

Mahomet

Ich überwinde.

Palmire

Mein Bruder!

Seide

Nicht gesäumt! – Ich schwanke! Weh
Vermag nicht – Welcher Gott hat mich gelähmt!

Mahomet

Vor mir ergreif' es jeden Frevler so.
Ungläub'ge, die ein falscher Eifer treibt,
Mich zu verfluchen und Sopir zu rächen!
Der Arm der Könige bezwingen konnte
Hat eure Zweifel zu bestrafen Kraft;
Doch überlass' ich's Gott, der mir sein Wort
Und seinen Donner anvertraut, er schone
Die Irrenden, doch den Verbrecher straf' er.
Er richte zwischen mir und diesem Mörder.
Den Schuld'gen von uns beiden streck' er nieder!

Palmire

Mein Bruder! Wie? er hat so viel Gewalt,
Der Lügner, auf sie alle? Wie sie stehn!
Erstaunt, erstarrt, vor seiner Stimme bebend,
Als käm' ein Gott, Gesetze zu verkünden
Und auch Seide, du?

Seide

Ich bin gestraft!
Die Tugend war umsonst in meinem Herzen,
Ein groß Verbrechen ward mir aufgenötigt.
Doch wenn ein Gott den Irrtum so bestraft;
So zittre du, Verbrecher! Siehst du mich
Vom Stahl getroffen, mich das Werkzeug nur,
Sollt' er nach dir, Verführer, nicht ihn schleudern!
Ich fühl' es, mich umschwebt der Tod. Palmire!
Hinweg! daß er nicht dich mit mir ergreife.

Palmire

Nein, Bürger! Nicht ein Gott hat ihn getötet,
Gift wirkt in seinen Adern. –

Mahomet

Lernt, Ungläubige,
Den Lohn des Aufruhrs gegen Gottgesandte,
Die Rache kennen, die der Himmel schickt.
Natur und Tod vernehmen meine Stimme.
Der Tod, der mir gehorcht, beschützte mich
Und grub die Züge rächender Vernichtung
Auf diese bleiche Stirne plötzlich ein.
Er steht noch zwischen euch und mir der Tod,
Er zielt und wartet, was ich ihm gebiete.
So straf ich jedes Irrtums Eigensinn,
Der Herzen Meuterei, ja, der Gedanken
Unwill'gen Frevel; nur den Gläubigen
Verschont mein Bann, verschont des Todes Schrecken.
Wenn euch der Tag bescheint, wenn ihr noch lebt,
So dankt's dem Hohenpriester, der für euch,
Verführte, seinen Gott um Schonung fleht.
Zum Tempel fort, den Ew'gen zu versöhnen!
Das Volk entfernt sich.

Palmire

O bleibt! nein, der Barbar vergiftete
Den holden Jüngling, meinen Bruder. Wie?
Und spräche dein Verbrechen selbst dich los?
Du scheinst ein Gott, nur weil du Laster häufest.
Verruchter Mörder meines ganzen Hauses,
Auch mir, der letzten, raube dieses Licht!
Du zauderst, blickest mich mit falscher Milde,
Die mir verhasst ist, an! Des Toten Züge,
Die vielgeliebten, reißen mich dahin.
Gegen den Leichnam.
Ein grauenvoll Geheimnis lauerte
Der Unschuld uns'rer ersten Neigung auf.
Ich hatte mit Entsetzen dich geflohen;
Jetzt darf ich wieder jenem Zuge folgen.
Veredelt und verbunden sehen wir
Uns wieder.

Sie ersticht sich.

Mahomet

Wehret ihr!

Palmire

Ich sterbe. Fort!
Dich nicht zu sehen ist das größte Glück.
Die Welt ist für Tyrannen; lebe du!

 

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