Mahomet

Mahomet
Trauerspiel in fünf Aufzügen, nach Voltaire

Siehe: Mahomet der Prophet

Übersetzt von Johann Wolfgang von Goethe

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Vierter Aufzug - Dritter Auftritt

Palmire. Seide.

Seide

Palmire, wagst du's? welch unsel'ger Trieb
Kann dich an diesen Ort des Todes führen?

Palmire

Die Furcht, die Liebe leiten mich hierher.
Mit heißen Tränen lass mich deine Hände,
Geweiht zu einem heil'gen Morde, baden!
Welch schrecklich Opfer fordert Mahomet,
Und du willst ihm, willst seinem Gott gehorchen?

Seide

Du, deren rein Gefühl, du, deren Liebe
Mich ganz beherrscht, o! sprich mir mächtig zu!
Entscheide die verworrne Wut, erleuchte
Den trüben Geist, und leite meine Hand,
Statt eines Gottes den ich nicht begreife.
Warum erwählt man mich? Ist unser Gott
Denn nur ein Gott der Schrecken? sein Prophet,
Zeigt er uns nur den Unerbittlichen?

Palmire

Wer darf zu fragen, wer zu untersuchen
Sich unterstehen? Mahomet durchschaut
Die Tiefen unsers Herzens, unsre Seufzer
Vernimmt er alle, kennet meine Tränen.
An Gottes Statt wird er verehrt von allen,
Das weiß ich. Zweifeln schon ist Lästerung.
Und dieser Gott, den er so stolz verkündet,
Er ist der wahre, denn der Sieg beweis'ts.

Seide

Er ist es, denn Palmire glaubt an ihn.
Doch mein verwirrter Geist begreift noch nicht,
Wie dieser gute Gott, der Menschen Vater,
Zum Meuchelmorde mich bestimmen kann.
Ich weiß, mein Zweifel schon ist ein Verbrechen;
Das Opfer fällt, den Priester rührt es nicht,
Und so verdammt des Himmels Wort Sopiren;
Mir ruft es zu: Erfülle das Gesetz!
Vor Mahomet verstummt' ich, fühlte mich
Geehrt des Himmels Winke zu erfüllen;
Ich eilte, das Gericht schon zu vollziehn.
Ach! welch ein andrer Gott hielt mich zurück?
Als ich den unglückseligen Sopir
Erblickte, fühlt' ich meiner Überzeugung
Gewalt verschwinden, und vergebens rief
Die Pflicht zum Mord mich auf. Gelinde kräftig
Sprach an mein innres Herz die Menschlichkeit.
Dann aber griff mit Ehre und mit Würde
Mich Mahomet und meine Schwachheit an.
Mit welcher Größe, welchem Ernste, riss
Er aus dem weichlichen Gefühl mich auf.
So stand ich da, gehärtet und gestählt.
Wie göttlich-schrecklich ist Religion!
Da schien mein erster Eifer mich zu treiben:
Doch trägt die Ungewissheit mich zurück,
Von herber Wut, zum Mitleid und Verschonen.
So dränget das Gefühl mich hin und her,
Mich schreckt der Meineid, wie die Grausamkeit.
Ich fühle mich zum Mörder nicht geschaffen;
Doch Gott hat es geboten; ich versprach's,
Und ich verzweifle nun dass ich's getan.
Im Sturme siehst du mich umhergetrieben;
Die hohe Woge trägt mich zum Entschluss,
Sie reißt mich wieder weg. O könntest du
Im ungestümen Meer den Anker werfen!
Wie fest sind unsre Herzen nicht vereint;
Doch ohne dieses Opfer kann das Band,
So drohte Mahomet, uns nicht umschlingen.
Um diesen Preis nur ist Palmire mein.

Palmire

Ich bin zum Preise dieser Tat gesetzt?

Seide

Der Himmel hat's und Mahomet beschlossen.

Palmire

Soll solcher Grausamkeit die Liebe dienen?

Seide

Dem Mörder nur bestimmt dich Mahomet.

Seide

Wir Unglücksel'gen!

Seide

Doch der Himmel will's.
Religion und Liebe, beiden dien' ich.

Palmire

Ach!

Seide

Kennst du nicht den Fluch, der unaufhaltsam
Des Ungehorsams freche Weigrung trifft?

Palmire

Wenn seine Rache Gott in deine Hand
Gegeben, wenn er Blut von dir verlangt?

Seide

Um dein zu sein, was soll ich?

Palmire

Gott! ich schaudre!

Seide

Du hast's gesagt, sein Urteil ist gesprochen.

Palmire

Ich? wie?

Seide

Ja, du entscheidest.

Palmire

Welches Wort
War so zu deuten? welcher Wink?

Seide

So ist's!
Der Himmel gab ein Zeichen mir durch dich,
Und dies Orakel bleibe mein Gesetz.
Die Stunde naht. Sopir wird bald erscheinen;
Hier betet er die falschen Götter an,
Die wir verfluchen. Geh, Palmire!

Palmire

Nein.
Ich kann dich nicht verlassen.

Seide

Bleibe nicht!
Nicht in der Nähe dieser Schreckenstat.
Der Augenblick ist greulich. Fliehe! Hier,
Durch dieser Hallen säulenreiche Gänge,
Kommst du zur Wohnung des Propheten hin.
Dort bleib' in Sicherheit.

Palmire

Der alte Mann
Soll sterben?

Seide

Soll! das Opfer ist bestimmt!
Am Staube fest soll meine Hand ihn halten,
Drei Stiche sollen seine Brust durchbohren,
Und umgestürzt, von seinem Blut bespritzt,
Soll der Altar verbannter Götter liegen.

Palmire

Durch deine Hand! im Staube! blutig! Gott!
Hier ist er. Weh uns!

Der Grund des Theaters öffnet sich, man sieht einen Altar.

 

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